Vorbemerkungen
Die Tracht des Schamanen bildet schon in sich eine Hierophanie und religiöse Kosmographie; sie offenbart nicht nur die Gegenwart von etwas Sakralem, sondern darüberhinaus kosmische Symbole und metapsychische Reisewege. Aufmerksam geprüft, enthüllt die Tracht das System des Schamanismus nicht weniger deutlich als die schamanischen Mythen und Techniken
Im Winter trägt der altaische Schamane seine Tracht über einem Hemd, im Sommer direkt auf dem Körper, während die Tungusen Winter wie Sommer die Tracht gleich auf dem Körper tragen. So halten es auch andere arktische Völker (vgl. Harva, Religiöse Vorstellungen, 1 Allgemeine Studien über die Schamanentracht: V. N. Vasiljev, Shamanskij Kost-jum i buben u jakutov, in Sbornik Muzeja po Antropologii i Etnografii pri Akademii Nauk, 1, 8 (St. Petersburg 1910), Kai Donner, Ornements de la tète et de la chevelure, Journal de la Société Finno-Ougrienne 37, 3, 1920, S. 1-23 (bes. S. 10-20); Georg Nio-radze, Der Schamanismus bet den sibirischen Völkern. S. 60-78; K. F. Karjalaincn, Die Religion der Jugra-Völker, 2. Bd„ 1927. S. 255-259; Hans Findeisen, Der Mensch und seine Teile nt der Kunst der Jenissejer (Keto), Zeitschrift für Ethnologie, 63. Bd., 1931. S. 296-315 (bes. S. 311-313); E. J. Lindgren, The Shaman Dress of the Dagurt, Solons and Numincbeni in N. W. Manchuria, Geografiska Annaler I, 1935, S. 365 ff.; Uno Harva (= Holmberg), The Shaman costume and its significance, Annales Univer-sitatis FennicaE Aboensis, 1, 2, Turku 1922); ders., Die religiösen Vorstellungen der altarschen Völker, S. 499-525; Jarma Partanen, A description of Buriat Shamanism, S. 18 ff.; s. auch L. Stieda. Das Schamanenthum unter den Burjaten, S. 286; V. M. Mikhailowski, Shamanism in Siberia and European Russia, S. 81-85; T. Lehti-salo, Entwurf einer Mythologie der Jurak-Samojeden, S. 147 ff.; G. Sandschejew. Weltanschauung und Schamanismus der Alaren-Burjalen, S. 979 f.; A. Ohlmarks, Studien, S. 211 f.; K. Donner, La Sibérie, S. 226 f.; ders.. Ethnological Notes about the Yenisey-Ostyak (in the Turushansk Region), Mémoires de la Société Finno-Ougrienne, 46, Helsinki 1933), bes. S. 78-84; V. 1. Jochelson, The Yakughir and the Yuiaghigirized Tungut, S. 169 ff., 176-186 (Jakuten), 186-191 (Tungusen); ders.. The Yakut (Anthropological Papers of the American Museum of Natural History. 33. Bd., 1931, S. 37-225). S. 107-118; S. M. Shirokogorov, Psychomental Complex of the Tungus (London 1935). S. 287-303; W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee, 9. Bd., S. 251 ff„ 694 ff. (Altaier, Abakan-Tataren).
S. 500), wiewohl es in Nordostsibirien und bei den meisten Eskimostämmen keine eigentliche Tracht gibt2. Der Schamane entblößt seinen Oberkörper, und bei den Eskimos zum Beispiel besteht seine ganze Kleidung aus einem Gürtel, Diese Quasi-Nacktheit hat höchstwahrscheinlich religiöse Bedeutung, auch wenn die Hitze in den arktischen Behausungen schon eine hinreichende Erklärung zu bieten scheint. Auf jeden Fall, ob es sich um rituelle Nacktheit handelt (wie im Fall der Eskimoschamanen) oder um ein für das schamanische Erlebnis spezifisches Kostüm, das Wichtige ist, daß dieses Erlebnis nicht in der täglichen, profanen Tracht des Schamanen statthat. Auch wenn keine Tracht existiert, wird sie durch die Mütze, den Gürtel, das Tamburin und andere magische Gegenstände ersetzt, die einen Bestandteil der Sakral-Kleidung des Schamanen ausmachen und die eigentlichen Gewänder ersetzen. So versichert z. B. Radlow (Aus Sibirien II, S. 17), daß die Schwarztataren, Schoren und Teleuten keine Schamanentracht kennen; nichtdestoweniger kommt es häufig vor (so z. B. bei den Lebed-Tataren, Harva, a.a.O., S. 501), daß man ein Tuch um den Kopf windet und ohne dieses Tuch unmöglich schamanisieren kann.
Die Tracht stellt für sich selbst einen geistigen Mikrokosmos vor, der von dem umgebenden profanen Raum qualitativ verschieden ist. Einerseits bildet sie ein fast vollständiges symbolisches System, anderseits ist sie durch die Konsekration mit vielerlei geistigen Kräften und vor allem mit «Geistern» getränkt. Einfach durch das Anlegen der Tracht - oder durch das Benützen der Gegenstände, die sie ersetzen - überschreitet der Schamane den profanen Raum und rüstet sich, mit der geistigen Welt in Berührung zu treten. Im allgemeinen bedeutet diese Vorbereitung fast schon die konkrete Einführung in jene Welt, denn man legt die Tracht erst nach manchen Vorbereitungen, unmittelbar vor dem Beginn der schamanischen Trance an.
Der Kandidat muß in seinen Träumen den genauen Ort sehen, wo sich seine künftige Tracht befindet, und er geht selber aus sie zu suchen3. Dann wird sie den Verwandten des verstorbenen Schamanen 2 Die Tracht beschränkt sich auf einen Ledergürtel, an dem viele Fransen aus Karibuleder und kleine beinerne Figuren befestigt sind, vgl. Rasmussen, Intellectual culture of the Iglulik Eskimos. S. 114. Das wesentliche rituelle Instrument des Eskimoschamanen bleibt die Trommel.
3 In anderen Gegenden erlebt man den fortschreitenden Verfall der rituellen Anfertigung des Kostüms: Früher hat der Jenissej-Schamane selbst das Renntier getötet, aus abgekauft, und zwar zahlt man als Preis (z. B. bei den Birartschen) ein Pferd. Doch kann die Tracht den Clan nicht verlassen (Shirokogorov, Psychomental complex of the Tungus, S. 302), denn in einem gewissen Sinn geht sie den Clan in seiner Gesamtheit an, nicht nur, weil sie mit Beteiligung des ganzen Clans angefertigt oder gekauft wurde, sondern in erster Linie, weil sie mit «Geistern» getränkt ist und nicht von jemand getragen werden darf, der sie nicht zu meistern weiß, denn sie würden den Frieden der ganzen Gemeinschaft stören (Shirokogorov, S. 302).
Die Tracht ist Gegenstand derselben Furcht- und Sorgegefühle wie jeder andere «Geisterplatz» (ebd., 301). Ist sie zu abgenützt, so hängt man sie im Wald an einem Baum auf; die «Geister», die sie bewohnen, verlassen sie und ziehen in das neue Kostüm (ebd., S. 302),
Bei den seßhaften Tungusen wird die Tracht nach dem Tod des Schamanen in seinem Haus aufbewahrt; die «Geister», die sie erfüllen, geben Lebenszeichen, indem sie sie zittern und sich bewegen lassen usw. Die nomadischen Tungusen legen wie die meisten sibirischen Stämme die Tracht am Grab des Schamanen nieder (Shirokogorov, S. 301; Harva, S. 499 usw.). Mancherorts wird die Tracht unrein, wenn sie bei der Behandlung eines Kranken gedient hat, der gestorben ist. Dasselbe gilt für die Tamburine, die sich als untauglich erwiesen haben (Kai Donner, Ornements de la tête, S. 10).
Die sibirische Tracht
Nach Shashkow (der vor fast hundert Jahren schrieb) müßte jeder sibirische Schamane folgendes besitzen: 1. einen Kaftan, der mit eisernen Scheiben und Figuren mythischer Tiere behängt ist, 2. eine Maske (bei den Tadibei-Samojeden ein Taschentuch, mit dem man die Augen verbindet, damit der Schamane durch sein eigenes inneres Licht in die Welt der Geister eindringen kann); 3. ein Bruststück aus Eisen oder Kupfer; 4. eine Mütze, in den Augen dieses Autors ein Hauptattribut des Schamanen. Bei den Jakuten hat der Kaftan am Rücken in der Mitte zwischen den angehängten Scheiben, die die «Sonne» vorstellen, eine dessen Haut er seine Tracht zu machen hatte; heute kauft er die Haut direkt von den Russen (Nioradze, Der Schamanismus, S. 62).
durchlöcherte Scheibe; man nennt sie nach Sieroszewski (Le chamanisme chez les Yakout es, S. 320) das «Loch der Sonne» (oibonkiingätä), doch im allgemeinen gilt sie als eine Darstellung der Erde mit ihrer Öffnung in der Mitte, durch welche der Schamane in die Unterwelt dringt (s. Nioradze, Fig. 16; Harva, Religiöse Vorstellungen, Fig. 1)4. Der Rücken trägt noch einen Halbmond und eine eiserne Kette, ein Symbol der Macht und Widerstandskraft des Schamanen (Mikhai-lowski, Shamanism in Siberia, S. 81 )5. Die Eisenplatten dienen, nach Aussage der Schamanen, als Schutz gegen die Schläge der bösen Geister. Die aus Pelz genähten Quasten bedeuten die Federn (Mikhailowski, S. 81, nach Pripuzov).
Ein schönes jakutisches Schamanenkostüm muß nach Sieroszewski (a.a. O., S. 320) dreißig bis vierzig Pfund Metallschmuck tragen. Das Klingen dieser Schmuckstücke ist es vor allem, das den Tanz des Schamanen zu einer Höllensarabande macht. Diese Metallstücke haben eine «Seele»; sie rosten nicht. «Den Armen entlang sind Stangen angebracht, welche die Armknochen vorstellen (tabytala). An den beiden Seiten der Brust sind kleine Blätter aufgenäht, die die Rippen vorstellen (oigos timir); darüber befinden sich große runde Platten für die weiblichen Brüste, die I.eber, das Herz und die übrigen inneren Organe. Oft näht man dort auch Bilder von Tieren und heiligen Vögeln auf. Man hängt auch einen kleinen metallenen ämägät (den «Geist des Wahnsinns») in Gestalt eines kleinen Pirogen mit dem Bild eines Mannes dazu (Sieroszewski, S. 321; Bedeutung und Rolle all dieser Gegenstände werden im folgenden erklärt).
Bei den nördlichen und transbaikalischen Tungusen herrschen zwei Arten von Trachten vor, eine Enten- und eine Renntiertracht. Das eine Ende der beiden Trommelschlegel ist zu einer Art Pferdekopf geschnitzt. Vom Rücken des Kaftans hängen Bänder in 10 cm Breite und 1 m Länge herunter, die kulin, «Schlangen» genannt werden6. «Pferde» und «Schlangen» werden bei den schamanischen Unterweltsreisen be- Wir werden noch sehen (S. 251 ff.), was für ein kosmologisches System ein solches Symbol impliziert.
Natürlich ist die Doppelsymbolik von «Eisen» und «Kette» noch weit komplexer. 6 Bei den Birartschen heißt das Band tabjan, «boa constrictor»; Shirokogorov. Psychomental complex, S. 301. Da dieses Reptil in den nördlichen Gegenden unbekannt ist, ist das ein wichtiger Beweis für die zentralasiatischen Einflüsse im sibirischen schamanischen Komplex.
nützt. Nach Shirokogorov (S. 290) sind die tungusischen Eisengegenstände - -Mond», «Sonne», «Sterne» usw. - von den Jakuten entlehnt. Die «Schlangen» stammen von den Buriäten und Türken, die «Pferde» von den Türken. (Dies wird für die Frage der südlichen Einflüsse im nordasiatischen und sibirischen Schamanismus von Bedeutung werden.)
Die buriätische Tracht
Pallas beschreibt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Äußere einer buriätischen Schamanin folgendermaßen: Sie hatte zwei Stöcke, die in Pferdeköpfe ausliefen und mit Glöckchen besetzt waren; von den Schultern fielen dreißig «Schlangen» aus schwarzem und weißem Pelzwerk bis zur Erde herab; ihre Kopfbedeckung bestand aus einem eisernen Helm mit drei Hörnern wie ein Hirschgeweih7. Die vollständigste Beschreibung des buriätischen Schamanen verdanken wir jedoch Agapitov und Changalov8. Ein solcher Schamane muß haben: 1. einen Pelz (orgoi) und zwar einen weißen, wenn es ein «weißer Schamane» ist (dem von den guten Geistern geholfen wird), einen schwarzen, wenn es ein «schwarzer Schamane» ist (dem die bösen Geister helfen); auf dem Pelz sind viele Metallfiguren - Pferde, Esel usw. -aufgenäht; 2. eine Mütze in Luchsgestalt; nach der fünften Waschung (die einige Zeit nach der Initiation erfolgt) erhält der Schamane einen eisernen Helm (s. Fig. 3, Tafel II bei Agapitov und Changalov), dessen beide Enden zu Hörnern gedreht sind; 3. ein «Steckenpferd» aus Holz oder Eisen, das hölzerne am Vorabend der ersten Initiation angefertigt, wobei die Birke, von der man das Holz nimmt, nicht eingehen soll, das eiserne erst nach der fünften Initiation verliehen. Das Ende dieses Stockes ist als Pferdekopf gebildet und mit mehreren Glöckchen geschmückt.
Folgende Beschreibung gibt das «Handbuch» eines buriätischen Schamanen (aus dem Mongolischen übersetzt von Partanen): «Ein 7 P. S. Pallas, Reise durch verrschiedene Provinzen des russischen Reiches, J—III (St. Petersburg 1771-1776), 5. Bd-, S. 181 f. S. die Beschreibung einer andern buriätischen Schamanin aus der Gegend von Telenginsk bei J. G. Gmelin, Reise durch Sibirien von dem ]ahr 1733 bis 1743, 2. Bd., Göttingen 1752, S. 11-13.
8 N. N. Agapitov und M. N. Changalov. Maierialy, S. 42-44; vgl. Mikhailowski. Shamanism in Siberia, S. 82; Niorad/e, Der Schamanismus, S. 77.
eiserner Helm, der oben aus mehreren eisernen Reifen besteht und mit zwei Hörnern geschmückt ist und hinten eine eiserne Kette aus neun Gliedern, darunter ein lanzenförmiges Eisenstück mit Namen Rückgrat (nigurasun; vgl. tungusisch niktma, nikama, Wirbel) hat. An beiden Schläfen hat der Helm je einen Ring und drei eiserne Röhren, die ein vershok (4,445 cm) lang, mit dem Hammer geschmiedet und qolbugas benannt sind (Vereinigung, paarweise gehen, oder Schnur, Band). An beiden Seiten und an der Rückseite des Helms sind Bänder aus Seide, Baumwolle, feinem Tuch oder dem Pelz verschiedener wilder und zahmer Tiere aufgehängt, die zu Schlangen gedreht sind; man bindet dann noch Baumwollfransen in der Farbe von körüne-, Eichkatzen- und Wieselfell daran. Das Ganze heißt maiqabtchi (wörtlich: Kopfbedeckung).
«An einem Stück Baumwollstoff von etwa 30 cm Breite, das als Binde am Halsausschnitt des Kleides befestigt ist, sind verschiedene Abbildungen von Schlangen und wilden Tieren befestigt. Man nennt das da-labtchi (Flügel) oder ziber («Flosse» oder «Flügel»; A description of Buriat shamanism, S. 18, $ 19-20).
«Zwei Stöcke in Krückenform, ungefähr zwei Ellen lang (grob verziert), das Ende ein Pferdekopf, an dessen Hals ein Ring mit drei qolbugas befestigt ist, was man Mähne nennt, am unteren Ende ebenfalls drei qolbugas, der Schwanz des Pferdes. Oben an diesen Stöcken ist in ähnlicher Weise ein qolbuga-Ring befestigt, außerdem (alles in Miniatur) ein Steigbügel, eine Lanze und ein Schwert, eine Axt, ein Hammer, ein Boot, ein Ruder, eine Harpune - alles in Eisen; darunter sind, wie darüber, drei qolbugas angebunden. Diese vier (qolbugas-Ringe) werden Füße genannt, die beiden Stöcke sorbi.
«Eine Peitsche in Gestalt eines Stiels sttqai, mit dem Fell einer Moschusratte überzogen, das neunmal darum gerollt ist, und mit einem eisernen Ring und drei qolbugas, Hammer, Schwert, Lanze, spitziger Keule (alles in Miniatur); ferner hängen Streifen aus Baumwolle und farbiger Seide daran. Das Ganze trägt den Namen .Peitsche der lebendigen Dinge'. Wenn er (der böge) schamanisiert, hält er sie zusammen mit einem sorbi in der Hand; der sorbi kann fehlen, wenn er in der Jurte schamanisiert» (ebd., S. 19, § 23 f. ).
Mehrere von diesen Einzelheiten werden später noch einmal behandelt. Halten wir für den Moment die große Bedeutung fest, die das «Pferd» des burjätischen Schamanen hat; es ist eines von den speziell zentral- und nordasiatischen Hilfsmitteln der Schamanenreise, und wir werden ihm noch anderswo begegnen. Die Schamanen der Olkhonsk-Buriäten haben außerdem noch ein Kästchen, in das sie ihre magischen Gegenstände legen (Tamburine, Steckenpferde, Pelze, Glöckchen usw.) und das im allgemeinen mit Bildern von Sonne und Mond verziert ist. Nil, Erzbischof von Jaroslav, erwähnt noch zwei Gegenstände aus der Ausrüstung des buriätischen Schamanen: abagaldei, eine monströse Maske aus Fell, Holz oder Metall, auf die ein riesiger Bart gemalt ist, und loli, einen Metallspiegel mit den Abbildungen von zwölf Tieren, der auf Brust oder Rücken hängt, manchmal auch direkt auf den Kaftan genäht ist. Doch sind nach Agapitov und Changalov (a. a. O. 44) diese beiden Dinge kaum mehr in Gebrauch9. Wir werden bald auf ihr anderweitiges Auftreten und ihre komplexe religiöse Bedeutung zurückkommen.
Die altaische Tracht
Potanins Beschreibung des altaischen Schamanen erweckt den Eindruck, daß diese Tracht vollständiger und besser erhalten ist als die Trachten der sibirischen Schamanen. Der Kaftan besteht aus Bocksoder Renntierhaut. Die vielen Bänder und Taschentücher, die auf die Kutte genäht sind, stellen Schlangen vor, einige sind als Schlangenköpfe mit zwei Augen und offenem Maul gebildet. Bei den großen Schlangen ist der Schwanz gegabelt; manchmal haben drei Schlangen nur einen Kopf. Man sagt, daß ein reicher Schamane 1070 Schlangen haben muß10. Außerdem gibt es viele Gegenstände aus Eisen, darunter 9 über Spiegel, Glöckchen und andere magische Gegenstände des buriätischen Scha-manen s. auch Partanen, Description, § 26.
10 Weiter nördlich ist die Schlangenbedeutung dieser Bänder im Begriff, einer religiös-magischen Umwertung zu weichen. So erklärten z. B. gewisse ostjakische Schamanen Kai Donner gegenüber, die Bänder hätten dieselben Eigenschaften wie Haare (Ornements de la tête et de la chevelure, S. 12; ebd., S. 14, Fig. 2, Tracht eines ost-jakischen Schamanen mit einer Menge von Bändern, die bis zu den Füßen herabhängen; vgl. Harva. Rel. Vorstell., Fig. 78). Die jakutischen Schamanen nennen die Bänder «Haare» (Harva, S. 516). Wir erleben hier einen Bedeutungswechsel, einen in der Religionsgeschichte recht häufigen Prozeß: Die religiös-magische Bedeutung als Schlangen, die bei mehreren sibirischen Völkern unbekannt ist, wird bei dem Gegenein kleiner Bogen mit Pfeilen um die Geister zu schrecken Auf dem Rücken der Kutte sind Tierfelle und zwei Lederscheiben aufgenäht. Das Halsband ist mit Fransen aus schwarzen und braunen Eulenfedern geschmückt. Ein Schamane hatte außerdem sieben Puppen auf seinem Halsband aufgenäht, jede mit einer braunen Eulenfeder als Kopf. Das seien die sieben himmlischen Jungfrauen, und die sieben Glöckchen seien die Stimmen der sieben Jungfrauen, die die Geister zu sich rufen 12. Anderswo sind sie zu neunt und gelten als die Töchter Ülgäns (s. z. B. Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 505).
Von den übrigen Gegenständen an der Schamanentracht, die alle ihre religiöse Bedeutung haben, wollen wir nur noch nennen: bei den Altaiern zwei kleine Untiere aus dem Reich Erliks, jut pa und arba, das eine aus schwarzem oder braunem, das andere aus grünem Stoff,, mit zwei Paar Füßen, einem Schwanz und offenem Maul (Harva, Fig. 69 f., nach Anochin); bei den Völkern des äußersten sibirischen Nordens bestimmte Abbildungen von Wasservögeln wie Möwe und Schwan als Symbol für das Eintauchen des Schamanen in die submarine Unterwelt — eine Vorstellung, auf die wir noch anläßlich des Eskimoglaubens zurückzukommen haben; eine große Anzahl mythische Tiere (Bär, Hund, Alder mit einem Ring um den Hals bei den Jenissejern, vgl. Nioradze, S. 70, als Symbol dafür, daß der kaiserliche Vogel sich im Dienst des Schamanen befindet); sogar Zeichnungen der menschlichen Geschlechtsorgane (Nioradze, S. 70), die ebenfalls dazu beitragen, die Tracht zu heiligen 13.
stand, der anderswo die «Schlangen» vorstellt, durch die religiös-magische Bedeutung als «Haare» ersetzt. Denn auch die langen Haare verraten eine starke religiös magische Kraft, so bei den Zauberern (z. B. dem muni des Rig Veda X, 136, 7), den Königen (z. B. den babylonischen), den Heroen (Samson) usw. Doch steht das Zeugnis des von Kai Donner befragten Schamanen einzeln da.
11 Ein weiteres Beispiel von Bedeutungswechsel, da Bogen und Pfeile in erster Linie ein Symbol des magischen Fluges waren und deshalb zur Himmelfahrtsausrüstung des Schamanen gehörten.
12 G. N. Potanin, Otcherki severo-zapadnoj Mongolii, 4. Bd., S. 49-54; vgl. Mik-hailowski, S. 84; Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 595; W. Schmidt, a. a. O., S. 254 ff.
13 Man fragt sich, ob das Vorkommen der beiden Geschlechtssymbole (s. z. B. Nioradze. Fig. 32, nach Anutchin) auf ein und derselben Verzierung nicht eine vage Erinnerung an die rituelle Androgynisation enthält. Vgl. auch B. D. Shimskin, A sketch of the Ket, or Yenisei Ostyak (Ethnos, IV, 1939, S. 147-176), S. 161.
Bei den verschiedenen Tungusenvölkern der nördlichen Mandschurei (Tungusen, Khingan, Birartschen usw.) spielen die Kupferspiegel eine wichtige Rolle (vgl. Shirokogorov, Psycbomental complex, S. 296). Ihr Ursprung ist mit Deutlichkeit chinesisch-mandschurisch (ebd., S. 299), doch ihre magische Bedeutung wechselt von einem Stamm zum anderen. Man sagt, daß der Spiegel dem Schamanen hilft «die Welt zu sehen» (das heißt sich zu konzentrieren) oder «die Geister unterzubringen» oder über das, was dem Menschen Not tut, nachzudenken, usw.
Die Mütze gilt bei gewissen Stämmen (z. B. den Jurak-Samojeden) als wichtigster Teil der Schamanenkleidung. «Nach den Aussagen der Schamanen ist ein großer Teil ihrer Kraft in diesen Mützen verborgen» (Kai Donner, Les ornaments de la tête, S. 11). Deshalb ist es gang und gäbe, daß der Schamane eine Vorstellung, die auf Verlangen von Russen erfolgt, ohne Mütze absolviert» (Donner, La Sibérie, S. 227). «Auf meine diesbezügliche Frage gaben sie mir zur Antwort, daß sie, ohne Mütze schamanisierend, aller wirklichen Kraft beraubt seien und daß die ganze Zeremonie dann nur eine Parodie zur Unterhaltung der Zuschauer sei» (ders., Ter ornements, S. 11). In Westsibirien besteht die Mütze aus einer langen Binde, die rund um den Kopf geht und an der Eidechsen oder andere schützende Tiere und zahllose Bänder aufgehängt sind. Im Osten von Ket «sehen die Mützen oft wie Kronen mit eisernem Renntiergeweih aus, dann wieder sind sie aus einem Bärenkopf geschnitten und die Hauptteile der Kopfhaut darangebunden» (Kai Donner, La Sibérie. S. 228; s. auch Harva, Religiöse Vorstellungen. «Die Bedeutung der Mütze gellt auch aus frühen bronzezeitlichen Felszeichnungen hervor, wo der Schamane mit einer Mütze versehen ist, die deutlich in Erscheinung tritt, während alle anderen Attribute seiner Würde fehlen tonnen» (Kat Donner. Sibérie, S. 227), siehe u. S. 427. Doch glaubt Karjalainesn nicht an die Bodenständig, keit der Schamanenmütze hei den Ostjaken und den Wogulen, sondern denkt an samojedischen Einfluß (vgl. Die Religionen der juga-Völker 111. S. 256 ff ). Jedenfalls ist die Frage noch nicht geklärt. Der kasakkirgisische baqça «ist mit dem traditionellen matakhai bekleidet, einer Art Spitzmütze aus Lamm- oder Fuchsfell, die weit auf den Rücken herabfällt. Manche baqcas tragen eine nicht weniger seltsame Kopfbedeckung aus Filz, die mit rotem Kamelhaarstoff bedeckt ist; andere, jedoch mehr in den Steppen, die an den Syr-Daria. den Tschu und den Aralsee angtenzen, tragen einen Turban, der fast immer blau ist» (Castagne. Magie el exorcisme, S. 66 f.).
S. 514 ff. Fig. 82, 83, 86). Der häufigste Typ ist der mit Renntiergeweih (Harva, S. 516 ff.), obwohl bei den östlichen Tungusen manche Schamanen angeben, daß die eisernen Gehörne auf ihren Mützen Hirschgeweihe seien, ln anderen Gegenden - sowohl im Norden, etwa bei den Samojeden, als im Süden, etwa bei den Altaiern - ist die Schamanenmütze mit Vogelfedern geschmückt (Schwan, Adler, Eule). So gibt es z. B. Federn vom Goldadler oder von der Brauneule bei den Altaiern (Potanin)15, Eulenfedern bei den Sojoten und Karagassen usw. (Harva, ebd., S. 508 ff.). Manche Teleutenschamanen machen ihre Mütze aus dem Balg einer Brauneule und lassen die Flügel, zuweilen auch den Kopf, als Verzierung daran (Mikhailowski, S. 84)16.
Vogelsymbolik
Es ist offensichtlich, daß mit all diesem Schmuck die Schamanentracht darauf abzielt, dem Schamanen einen neuen, magischen Körper in Tiergestalt zu verschaffen. Die drei Haupttypen sind dabei Vogel-, Renntier- (Hirsch-) und Bärengestalt, vor allem aber Vogelgestalt. Auf die Bedeutung des renntier- und bärengestaltigen Körpers werden wir noch zurückkommen; zunächst wollen wir uns mit der vogelgestaltigen Tracht beschäftigen. Vogelfedern erscheinen fast in allen Beschreibungen von Schamanenkostümen, sogar die Struktur der Kostüme versucht möglichst getreu die Gestalt eines Vogels nachzuahmen. Die Schamanen der Altaier, Minnusinsk-Tataren, Teleuten, Sojoten und Karagassen bemühen sich bei ihren Trachten um Ähnlichkeit mit einer Eule (Harva, 504 ff.). Das sojotische Kostüm läßt sich sogar als eine vollkommene Ornithophanie betrachten (ebd., Fig. 71-73, 87-88, S. 507 f., 519 bis 520). Besonders tritt das Streben nach Adlergestalt hervor17. Auch bei den Golden herrscht die vogelgestaltige Tracht (Shirokogorov, S. 296).
Dasselbe wäre von den sibirischen Völkern zu sagen, die weiter nördlich wohnen, den Dolganen, Jakuten und Tungusen. Der Stiefel eines Tun-gusenschamanen ist die Nachahmung eines Vogelfußes (Harva, S. 511, Fig. 76). Die komplizierteste Form der Vogeltracht begegnet bei den jakutischen Schamanen; ihre Tracht zeigt ein vollständiges Vogelskelett aus Eisen (Shirokogorov, S. 296). Übrigens scheint - nach demselben Autor - das Ausbreitungszentrum des Vogelkostüms die Gegend zu sein, die heute von den Jakuten besetzt ist.
Auch dort, wo die Tracht keine sichtliche Vogelstruktur zeigt, wie z. B. bei den mehrfach von chinesisch-buddhistischen Kulturwellen beeinflußten Mandschu (Shirokogorov, S. 296), enthält der Kopfschmuck Federn und stellt einen Vogel dar (ebd., S. 295). Der Mongolenschamane hat «Flüge!» an den Schultern und fühlt sich, sobald er die Tracht anlegt, in einen Vogel verwandelt (Ohlmarks, Studien, S. 211). Wahrscheinlich war bei den Altaiern im allgemeinen der ornitho-morphe Anblick früher noch mehr betont (Harva, S. 504). Heute ist nur mehr der Stock des kasak-kirgisischen baqça mit Eulenfedern geschmückt (Castagné, S. 67).
Aus den Angaben seiner tungusischen Gewährsleute entnimmt Shirokogorov, daß das Vogelkostüm für den Flug in die andere Welt unentbehrlich ist: «Sie sagen, daß man leichter dorthin kommt, wenn die Tracht leicht ist» (Psychomental complex, S. 296). Ebenso fliegt in der Legende eine Schamanin in die Luft davon, sobald sie die magische Feder erlangt hat18. A. Ohlmarks (Studien, S. 211) glaubt, daß dieser Komplex arktischen Ursprungs und direkt mit dem Glauben an «Hilfsgeister» in Beziehung zu bringen ist, die dem Schamanen zu seiner Luftreise helfen. Doch wie wir bereits gesehen haben und noch sehen werden, begegnet derselbe Symbolismus fast überall auf der Welt und zwar gerade in Beziehung zu den Schamanen und Zauberern und zu den mythischen Wesen, welche diese zuweilen verkörpern.
Andererseits ist an die mythischen Beziehungen Adler - Schamane zu denken. Erinnern wir uns, daß der Adler als Vater des ersten Scha-manen gilt, eine bedeutende Rolle bei der Initiation des Schamanen spielt und schließlich im Mittelpunkt eines mythischen Komplexes steht, der den Weltenbaum und die ekstatische Reise des Schamanen mitumfaßt. Ebenso ist nicht zu vergessen, daß der Adler in gewisser Weise das Höchste Wesen repräsentiert, wenn auch stark solarisiert. All diese Elemente wirken, scheint uns, zusammen, die religiöse Bedeutung der Schamanentracht sehr genau zu umschreiben: Diese Tracht anlegen heißt den mystischen Zustand wiedergewinnen, der in den langen Initiationserlebnissen und -zeremonien geoffenbart und befestigt worden ist.
Die Symbolik des Skeletts
Dies findet seine Bestätigung durch gewisse knochenförmige Eisenteile, die der Schamanentracht, wenn auch nur teilweise, das Aussehen eines Skelettes geben sollen. (S, z. B. Findeisen, Der Mensch und seine Teile in der Kunst der Jennissejer, Fig. 37 f., nach Anutschin, Fig. 16 und 37). Einige Autoren, darunter Holmberg-Harva (The shaman costume, S. 14 ff.), dachten, es handle sich um ein Vogelskelett. Doch Troschtschanskij hat schon 1902 gezeigt, daß zumindest beim jakutischen Schamanen diese «Knochen» aus Eisen ein menschliches Skelett darstellen sollen. Ein Jenissejer sagte zu Kai Donner, die Knochen seien das Skelett des Schamanen selbst19. Harva hat sich selber zu dem Gedanken bekehrt, daß es sich um ein menschliches Skelett handelt (S. 514), obwohl N. Pekarskij inzwischen (1910) eine andere Hypothese aufgestellt hat, daß es sich nämlich um eine Kombination zwischen Menschen- und Vogelskelett handle. Bei den Mandschu sind die «Knochen» aus Eisen und Erz gemacht und die Schamanen behaupten (wenigstens heute), daß sie Flügel vorstellen (Shirokogorov, S. 294). Doch bleibt kein Zweifel, daß man in vielen Fällen ein Menschenskelett abbilden will. Findeisen (Fig, 39) bringt die erstaunlich gute Nachbildung einer menschlichen Tibia (Berliner Museum für Völkerkunde).
Im Grunde laufen die beiden Hypothesen auf ein und denselben Grundgedanken hinaus: Mit der Nachbildung eines (Menschen- oder Vogel-) Skeletts soll die Schamanentracht das besondere Statut ihres Trägers kundtun, als das eines Menschen, der gestorben war und wieder auferweckt worden ist. Wie wir gesehen haben, glauben die Jakuten, Buriäten und andere sibirische Völker, daß die Schamanen von den Geistern ihrer Ahnen getötet worden sind, daß die Geister ihren Körper «gekocht», ihre Gebeine gezählt, mit Eisen wieder zusammengesetzt und mit neuem Fleisch bekleidet haben. Nun stellen bei den Jägervölkern die Knochen von Mensch und Tier die letzte Quelle des Lebens dar, aus der sich die Art nach Wunsch wieder herstellt. Aus diesem Grund werden die Knochen am Wildpret nicht gebrochen, sondern sorgfältig gesammelt und nach dem jeweiligen Brauch behandelt -begraben, auf Plattformen und unter Bäumen niedergelegt, ins Meer geworfen usw.20 Von diesem Gesichtspunkt betrachtet folgt das Begraben der Tiere genau der Art, wie man mit dem Menschen verfährt (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 440 f.). Bei den einen wie bei den anderen wohnt die «Seele» in den Knochen und deshalb darf man die Auferstehung der Individuen aus ihren Knochen erhoffen.
Das Skelett auf der Schamanentracht soll das Initiationsdrama, das Drama von Tod und Auferstehung, wieder aufnehmen und vergegenwärtigen. Es liegt wenig daran, ob dabei an ein Menschen- oder ein Tierskelett gedacht ist. Im einen wie im andern Fall handelt es sich um die Lebenssubstanz, um die von den mythischen Ahnen bewahrte materia prima. Das menschliche Skelett repräsentiert in gewisser Weise den Archetyp des Schamanen, denn es gilt als die Repräsentation der Familie, aus der die schamanischen Ahnen der Reihe nach hervorgegangen sind. (Man bezeichnet ja auch den Familienstamm als «Bein»; man sagt «Bein von meinem Bein».) Das Vogelskelett ist eine Variante derselben Vorstellung: Einerseits ist der erste Schamane aus der Verbindung eines Adlers und einer Frau hervorgegangen, andererseits sucht der Schamane selbst sich in einen Vogel zu verwandeln und zu fliegen, 20 Vgl. Uno Holmberg (Harva), Über die Jagdriten der nördlichen Völker Asiens und Europas (Journal de la Société Finno-Ougrienne 41, I, 1925), S. 34 ff.; Die religiösen Vorstellungen, S. 434 ff.; Adolf Friedrich, Knochen und Sielen in der Vorstel-lungswelt Nordasiens (Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik V, 194), S. 189-247), S. 194 ff.; K. Meuli, Griechische Opferbräuche (Phyllobolia für Peter von der Mühll. Basel 1946, S. 185-288), S. 234 ff. mit sehr reichem Material.
ja er ist ein Vogel insoweit er, wie der Vogel, zu den höheren Regionen Zutritt hat. Dort, wo dieses Skelett oder die Maske den Schamanen in ein anderes Tier verwandelt (Hirsch usw.), haben wir es mit einer ähnlichen Theorie zu tun 21. Denn das mythische Ahnentier wird als der unerschöpfliche Mutterschoß für das Leben der Art vorgestellt, und ihn sieht man in den Knochen dieser Tiere. Man zögert, hier von Totemismus zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um mystische Beziehungen zwischen dem Menschen und seinem Beutetier, Beziehungen, die für die Jägergesellschaft grundlegend sind und die von Friedrich und Meuli neuerdings mit Erfolg zur Geltung gebracht wurden.
Aus den Knochen wiedergeboren werden
Daß das erlegte oder gezähmte Tier aus seinen Knochen wiedergeboren werden kann, ist ein Glaube, dem man auch außerhalb Sibiriens begegnet. Schon Frazer verzeichnet einige amerikanische Beispiele22. Nach Frobenius ist dieses mythisch-rituelle Motiv bei den Aranda, den Stämmen im Inneren Südamerikas, bei den Boshimas und den Hamiten in Afrika jetzt noch lebendig23. Friedrich hat den afrikanischen Bestand vervollständigt und eingeordnet24 wobei er dieses Motiv ganz richtig für einen geistigen Ausdruck des Hirtenlebens nahm. Dieser mythisch-rituelle Komplex hat sich übrigens auch in höher entwickelten Kulturen erhalten und zwar ebenso im Zentrum der religiösen Tradition als in Gestalt von Märchen25. Eine Legende der Gagautz er-
21 So stellt z. B. das Kostüm des Tungusenschamanen einen Hirsch vor, dessen Skelett durch Eisenstücke gegeben ist. Auch das Geweih ist aus Eisen. Nach den Legenden der Jakuten kämpfen die Schamanen in Stiergestalt miteinander, usw. Vgl. Friedrich, S. 212.
22 Viele Minetaris-Indianer «glauben, daß die Knochen der Bisons, die sie getötet und zerteilt haben, mit neuem Fleisch und neuem Leben auferstehen, fett werden und vom folgenden Juni an noch einmal zur Tötung bereit sind». Dasselbe gibt es bei den Dakota, den Eskimo von Baffinland und der Hudsonbai, bei den Yurakaren in Bolivien, den Lappen usw. S. Sir James Frazer, Spirits of Corn (London 1913), II, S. 247 ff.; vgl. auch P. Saintyves, Les Contes de Perrault (Paris 1923), S. 39 ff.; Edsman, Ignis divinus, S. 151 ff.
23 V. Frobenius, Kulturgeschichte Afrikas (Berlin 1933), 183-185.
24 A. Friedrich, Afrikanische Priestertümer (Stuttgart 1939), S. 184-89.
25 Waldemar Liungman, Traditionswanderungen: Euphrat-Rhein (Helsinki 1937 bis 1938), 2. Bd., S. 1078 ff. führt an, daß das Verbot, die Knochen der Tiere zu zer-zählt, wie Adam, um seinen Sühnen Frauen zu verschaffen, Knochen von verschiedenen Tieren sammelte und Gott bat, sie zu beleben26. In einem armenischen Märchen wohnt ein Jäger einer Geisterhochzeit im Walde bei. Zum Festessen geladen, enthält er sich der Speise, bewahrt jedoch die Rippe des Ochsen auf, von dem man ihm angeboten hat. Als nun die Geister die Knochen des Tieres sammelten, um es wieder lebendig zu machen, mußten sie die fehlende Rippe durch den Ast eines Nußbaumes ersetzen27.
Dazu ließe sich auch eine Stelle aus der Prosa-Edda anführen, die Geschichte von Thors Böcken. Thor ist mit seinem Wagen und seinen Böcken auf die Reise gegangen und nimmt bei einem Bauern Wohnung.
«Vor dem Nachtessen packte Thor seine Böcke und schlachtete sie beide. Dann wurden sie enthäutet und für den Kessel zurechtgemacht. Und als sie gar gekocht waren, da setzte sich Thor mit seinen Gefährten zum Essen. Er lud den Bauern mit Frau und Kindern dazu ein... Da legte Thor die Bocksfelle vor dem Feuer auf den Boden und sagte, der Bauer und die Seinen sollten die Knochen auf die Felle werfen. Thjalfi, der Bauernsohn, faßte den Schenkelknochen des Bockes, spaltete ihn auf seinem Messer und brach ihn auseinander, um zu dem Mark zu gelangen. Thor übernachtete dort. Im Morgengrauen, vor Tage, stand er auf, kleidete sich an, nahm den Hammer Mjölnir, erhob ihn und weihte die Bocksfelle. Da standen die Böcke auf. Der eine aber lahmte am Hinterfuß» (Gylfaginning 44, übers, von G, Neckel und F. Niedner, Sammlung Thule 20. Bd., S. 90 ).
Diese Episode bezeugt das Überleben der archaischen Jäger- und Nomadenvorstellung noch bei den alten Germanen. Nicht unbedingt ist das ein Zug «schamanistischer» Geistigkeit. Wir haben ihn trotzbrechen, sich auch in den Märchen der Juden und der Germanen, im Kaukasus, in Siebenbürgen, Österreich, den Alpenländern. Frankreich, Belgien, England und Schweden findet. Doch der schwedische Gelehrte als Sklave seiner Orient-Ausbreitungsthesen betrachtet all diese Vorstellungen als ziemlich jung und orientalischen Ursprungs.
26 C. Fillingham Coxwell, Siberian and other Folk-tales, London 1925, S. 422.
27 Coxwell, a. a. 0„ S. 1020. T. Lehtisalo, Der Tod und die Wiedergeburt des künf-tigen Schamanen (Journal de la Société Finno-Ougrienne. 47, 1937), S. 19 erwähnt das ähnliche Abenteuer eines Helden des Bogda Gesser Khan: Ein Kalb, das getötet und verzehrt wurde, entsteht wieder aus seinen Knochen, aber es fehlt ihm einer.
28 Über diese Episode gibt es eine sehr reichhaltige Studie von C. W. von Sydow, Tors jard tili Utgard: /. Tor bockslaktning (Danske Studier 1910. S. 65-105), die Edsman, Ignir divinus, S. 52 ff. benützt.
dem schon hier verzeichnet und behalten uns vor, die Reste des indogermanischen Schamanismus zu prüfen, sobald wir zu einer Gesamtansicht der schamanischen Theorien und Praktiken gelangt sind.
Zu dem Thema der Auferstehung aus den Gebeinen könnte man auch die berühmte Vision des Ezechiel anführen, wenngleich sie in einen ganz anderen religiösen Zusammenhang gehört als die oben angeführten Beispiele: «Die Hand des Herrn kam über mich, und der Herr führte mich im Geiste hinaus und ließ midi nieder inmitten der Ebene, und diese war voller Gebeine... Er sprach zu mir: Menschensohn, können wohl diese Gebeine wieder lebendig werden? Ich aber antwortete: O Herr, mein Gott, du weißt es. Nun sprach er zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr dürren Gebeine, höret das Wort des Herrn! So spricht Gott der Herr zu diesen Gebeinen: siehe ich bringe Lebensodem in euch, damit ihr wieder lebendig werdet... und ihr werdet erkennen, daß ich der Herr bin. Da weissagte ich, wie mir befohlen war; und als ich weissagte, siehe, da entstand ein Rauschen, und die Gebeine rückten eines ans andere. Und als ich hinschaute, siehe da bekamen sie Sehnen und es wuchs Fleisch an ihnen» usw. (Ezechiel 37, 1-8; ff.) 29,
A. Friedrich erwähnt noch ein Gemälde, das Grünwedel in den Ruinen eines Tempels in Sängimäghiz aufgedeckt hat und auf dem die Auferstehung eines Menschen aus seinen Gebeinen infolge der Segnung durch einen buddhistischen Mönch dargestellt ist1. Es ist hier nicht der Ort für eine Erörterung der iranischen Einflüsse auf das buddhistische Indien oder der noch wenig erforschten Symmetrien zwischen tibetanischer und iranischer Überlieferung. Wie J. J. Modi2 vor einiger Zeit bemerkte, besteht eine frappante Ähnlichkeit zwischen der tibetanischen und der iranischen Sitte der Leichenaussetzung. Die einen wie die anderen lassen Hunde und Geier die Leichen auffressen; für die Tibetaner ist es von großer Bedeutung, daß der Leichnam sich mög-lichst bald in ein Skelett verwandelt. Die Perser legen die Gebeine in das astodan, den «Ort der Gebeine», wo sie die Auferstehung erwartenS!. Man kann diesen Brauch als ein Überlebsel aus der Geistigkeit der Hirtenvölker ansehen.
Die indische Volksüberlieferung schreibt bestimmten Heiligen und Yogis die Macht der Totenerweckung aus Gebeinen oder Asche zu; das tut z. B. Goraknâth3 und es wäre schon hier zu vermerken, daß dieser berühmte Zauberer als Gründer einer yogi-tantrischen Sekte, der Kän-phata-Yogi gilt, bei denen wir noch mehrere andere schamanistische Überlebsel antreffen werden. Endlich seien noch die buddhistischen Meditationen erwähnt, bei denen man den Körper sich in ein Skelett verwandeln sieht34, die wichtige Rolle der menschlichen Schädel und Gebeine im Lamaismus und Tantrismus35, der Skelettanz in Tibet und der Mongolei3 und die Funktion der brâhmarandhra (= sutura frontalis) in den tibetanisch-indischen Ekstasetechniken und im Lamaismus Alle diese Riten und Vorstellungen scheinen uns zu zeigen, daß trotz ihrer jetzigen Integration in verschiedene andersartige Systeme die archaische Identifizierung des Lebensprinzips mit den Gebeinen nicht völlig aus dem geistigen Horizont Asiens verschwunden ist.
Die Gebeine kommen in den schamanischen Riten und Mythen auch noch in anderen Rollen vor. So benützt z. B. der waßjugan-ostjakische Schamane, wenn er zur Suche der Seele des Kranken auszieht, für seine ekstatische Reise in die andere Welt ein Boot, das aus einem Sarg gemacht ist, und als Ruder ein Schulterblatt (Karjalainen, Religion der Jugravölker II, S. 335). Hier wäre auch die Weissagung durch das Schulterblatt eines Widders oder Lamas anzuführen, die bei den Kalmücken, Kirgisen und Mongolen sehr verbreitet ist, sowie die Weissagung durch ein Robbenschulterblatt bei den Korjaken38. Die Weissagung an sich ist eine Technik zur Aktualisierung der dem Schamanismus zugrundeliegenden geistigen Wirklichkeit oder zur Erleichterung des Kontakts damit. Das Tiergebein symbolisiert hier noch das «totale Leben» in beständiger Regeneration und schließt deshalb, wenn auch nur in virtueller Weise, die ganze Vergangenheit und Zukunft dieses «Lebens» mit ein.
Wir hoffen, uns mit der Anführung all dieser Praktiken und Vorstellungen nicht allzuweit von unserem Gegenstand, dem Skelett auf der Schamanentracht, entfernt zu haben. Sie gehören fast in ihrer Gesamtheit gleichartigen oder vergleichbaren Kulturebenen an, und wir haben mit ihrer Aufzählung bestimmte Orientierungspunkte für das weite Gebiet der Geistigkeit der Hirtenvölker angemerkt. Doch sei betont, daß nicht alle diese Religionen in gleicher Weise «schamanistische» Struktur verraten. Und was die Symmetrien zwischen gewissen tibetanischen, mongolischen und nordasiatischen Bräuchen betrifft, so wäre an die Einflüsse aus dem Süden Asiens und besonders aus Indien zu denken, auf die wir noch zurückzukommen haben.
Schamanenmasken
Wir erinnern uns, daß Nil, Erzbischof von Jaroslav, unter den Gegenständen des buriätischen Schamanen eine monströse Maske erwähnte. Bei den Burjaten ist sie heute außer Gebrauch gekommen. Im übrigen begegnen schamanische Masken nur ziemlich selten in Sibirien und Nordasien. Shirokogorov berichtet von einem einzigen Fall, wo ein tungusischer Schamane eine Maske improvisierte «um zu zeigen, daß der Geist malu in ihm sei» (Psychomental Complex, S. 152, Nr. 2). Bei den Tschuktschen, Korjaken, Kamtschadalen, Jukagiren und Jakuten spielt die Maske im Schamanismus überhaupt keine Rolle; sie dient vielmehr, und dies nur sporadisch, als Kinderschreck (so bei den Tschuktschen) und um beim Begräbnis nicht von den Seelen der Toten erkannt zu werden (Jukagiren). Was die Eskimovölker betrifft, so verwendet besonders bei den stark von indianischen Kulturen beeinflußten Alaska-Eskimos der Schamane eine Maske (s. Ohlmarks, S. 65 ff.).
In Asien stammen die wenigen bezeugten Fälle fast ausschließlich von den südlichen Stämmen. Bei den Schwarztataren gebrauchen die Schamanen manchmal eine Maske aus Birkenrinde mit Schnurrbart und Augenbrauen aus Eichkatzenschwanz39. Denselben Brauch gibt es bei den Tomsk-Tataren40. Im Altai und bei den Golden bedeckt der Schamane, wenn er die Seele des Abgeschiedenen ins Reich der Schatten geleitet, sein Gesicht mit Ruß, um von den Geistern nicht erkannt zu werden41. Derselbe Brauch begegnet übrigens mit demselben Ziel beim Bärenopfer42. Hier ist daran zu denken, daß die Sitte, sich das Gesicht mit Ruß zu beschmieren, bei den «Primitiven» sehr verbreitet ist und daß ihre Bedeutung nicht immer so einfach ist, wie es den Anschein hat. Es handelt sich nicht immer um eine Tarnung oder eine Abwehr gegen die Geister, sondern auch um eine elementare Technik zur magischen Integration in die Welt der Geister. In vielen Teilen der Welt repräsentieren ja die Masken die Ahnen, und die Träger der Masken 39 G. N. Potanin, Olcherki severo-zapadnoj Mongolii IV, S. 54; Harva, Relig. Vor-Stellungen, S. 524.
40 D, Zelenin, Ein erotischer Ritus in den Opferungen der ahaischen Türken (Internat. Archiv für Ethnographie 29, 1928, S. 83-98), S. 84 ff.
41 Radlov, Aus Sibirien II, S. 55; Harva, S. 525.
42 Nioradac. S. 77.
gelten als Verkörperung der Ahnen selbst43. Sich das Gesicht mit Ruß beschmieren ist eine der einfachsten Methoden sich zu maskieren und damit die abgeschiedenen Seelen sich einzukörpem. Die Masken stehen in Beziehung zu den Geheimbünden der Männer und zum Ahnenkult. Man hat behauptet, daß der Komplex Maske - Ahnenkult - Initiationsgeheimbund zum Kulturkreis des Mutterrechts gehört, da die Geheimbünde ja eine Reaktion gegen die Frauenherrschaft darstellten44.
Die Seltenheit der schamanischen Masken darf uns nicht überraschen. Das Kostüm des Schamanen ist ja, wie Harva (a.a. O., S. 524 ff.) mit Recht bemerkt, selbst eine Maske und kann als Derivat einer Urmaske betrachtet werden. Man hat den orientalischen und damit neuen Ursprung des sibirischen Schamanismus unter anderem gerade mit der Tatsache zu beweisen gesucht, daß die Masken vom südlichen Asien gegen Norden hin immer seltener werden und schließlich ganz verschwinden45. Wir können hier keine Diskussion über den «Ursprung» des sibirischen Schamanismus eröffnen. Halten wir aber fest, daß im nordasiatischen und arktischen Schamanismus die Tracht und die Maske verschiedene Geltung haben. An bestimmten Orten (z. B. bei den Samojeden, s. Castrén, zitiert bei Ohlmarks, S. 67) soll die Maske die Konzentration erleichtern. Wir haben gesehen, daß das Taschentuch, das die Augen oder sogar das ganze Gesicht des Schamanen bedeckt, in gewissen Fällen eine gleiche Rolle erfüllt. Andererseits handelt es sich auch dort, wo man nicht eigentlich von einer Maske spricht, um etwas derartiges, so z. B. bei den Pelzen und Taschentüchern, die bei den Golden und den Sojoten den Kopf des Schamanen fast ganz verdecken (Harva, Fig. 86-88). Aus diesen Gründen und unbeschadet ihrer vielfältigen Geltungen in den Ritualen und Ekstasetechniken darf man folgern, daß die Maske dieselbe Rolle spielt wie die Tracht des Schamanen; die beiden Elemente wären somit untereinander vertauschbar. In der Tat verkündet die Maske überall, wo man sie verwendet (und auch außerhalb der eigentlich schamanistischen Ideologie), die Inkarnation einer mythischen Person (Ahne, mythisches Tier, Gott). Das Kostüm seinerseits transsubstanziiert den Schamanen, indem es ihn vor aller Augen in ein übermenschliches Wesen verwandelt, gleichgültig welches Attribut man vor allem ins Licht rücken will, den Nimbus des Toten, der wieder auferweckt worden ist (Skelett), die Fähigkeit zu fliegen (Vogel), das Leben als Gatte einer «himmlischen Gattin» (Frauentracht, weibliche Attribute) usw.
Die Schamanentrommel
Die Trommel spielt bei den schamanischen Zeremonien eine hervorragende Rolle46. Ihre Symbolik ist komplex, ihre magische Funktion vielfältig. Sie ist zur Abwicklung der Sitzung unentbehrlich, ob sie nun den Schamanen zum «Zentrum der Welt» bringt, ob sie ihm ermöglicht in die Lüfte zu fliegen, ob sie die Geister ruft und «gefangen setzt» oder ob sie dem Schamanen zur Konzentration verhilft und zur Kontaktaufnahme mit der spirituellen Welt, in die zu reisen er sich bereitet.
Wie wir uns erinnern, enthalten mehrere Initiationsträume von künftigen Schamanen eine mystische Reise zum «Zentrum der Welt», zum Sitze des Weltenbaumes und des Herrn des Universums. Aus einem Ast dieses Baumes, den der Herr zu diesem Zweck fallen läßt, fertigt der Schamane seine Trommel. Die Bedeutung dieser Symbolik scheint uns klar ersichtlich aus dem Komplex, in dem sie integriert ist, der Verbindung von Himmel und Erde durch den Weltenbaum, durch die Achse im «Zentrum der Welt». Da sein Trommelkasten von dem Holz des
46 Außer der oben S. 148 Anm. zitierten Bibliographie s. noch A. A. Popov, Cérémonie odjevlenija bubnu u oslyak-samojedov (Leningrad 1934); J. Partanen, A description of Buriat shamanism, S. 20; E. Emsheimer, Schamanentrommel und Trommclbattm (Ethnos 1946, 4, S. 166-181 ); W. Schmidt, Ursprung der Gottesidee, 9. Bd., S. 238 ff., 646 ff., 696 ff.
Weltenbaumes selbst genommen ist, wird der Schamane beim Trommeln auf magische Weise an den Weltenbaum versetzt: Er ist ins Zentrum versetzt und damit kann er auch zu den Himmeln aufsteigen.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet läßt sich die Trommel dem sprossen reichen Schamanenbaum gleichsetzen, auf dem der Schamane symbolisch zum Himmel klettert. Indem er die Birke ersteigt oder die Trommel rührt, nähert sich der Schamane dem Weltenbaum, um ihn wirklich zu ersteigen. Die sibirischen Schamanen haben auch ihre persönlichen Bäume, die nichts anderes als Repräsentationen des kosmischen Baumes sind; manche benützen auch «umgekehrte Bäume»47, d. h. Bäume, deren Wurzeln in die Luft ragen - bekanntlich eines der altertümlichsten Symbole des Weltenbaums. Dieser ganze Komplex, zusammengesehen mit den schon erwähnten Beziehungen zwischen dem Schamanen und seinen Zeremonialbirken, zeigt eine feste Verbindung zwischen kosmischem Baum, Schamanentrommel und Himmelfahrt.
Selbst die Wahl des Holzes, aus dem man den Trommelkasten verfertigt, hängt einzig von den «Geistern» oder jedenfalls von einem übermenschlichen Willen ab. Der ostjakisch-samojedische Schamane nimmt seine Axt, dringt mit geschlossenen Augen in einen Wald ein und kommt zufällig an einen Baum; von diesem Baum beziehen seine Gefährten am anderen Tag das Holz für den Trommelkasten48. Am andern Ende Sibiriens, bei den Altaiern, wird dem Schamanen der Wald und der Platz, wo der Baum wächst, direkt von den Geistern angezeigt und er schickt seine Helfer aus, die ihn finden und davon das Holz für den Trommelkasten nehmen sollen49. In anderen Gegenden sammelt der Schamane selbst alle Splitter des Holzes auf. Wieder anderswo bringt man dem Baum Opfer dar, wobei man ihn mit Blut und Wodka bestreicht. Man schreitet sogar zur «Belebung der Trommel», indem man den Kasten mit Alkohol besprengt50. Bei den Jakuten wird die Wahl eines Baumes empfohlen, den der Blitz getroffen hat (Sieros-zewski, S. 322). Alle diese Bräuche und rituellen Vorsichtsmaßregeln zeigen deutlich, daß der konkrete Baum kraft einer übermenschlichen Offenbarung transfiguriert ist, daß er tatsächlich aufgehört hat ein profaner Baum zu sein und nun den Weltenbaum selbst repräsentiert.
Im allgemeinen ist die Trommel oval; ihre Haut ist aus Renntier-, Elen- oder Pferdeleder. Bei den Ostjaken und Samojeden in Westsibirien trägt die äußere Oberfläche keinerlei Zeichnung51. Auf den tungusischen Trommeln sind nach Georgi Vögel, Schlangen, aber auch andere Tiere dargestellt. Shirokogorov beschreibt die Zeichnungen auf den Trommeln der transbaikalischen Tungusen folgendermaßen: das Symbol des Festlandes (denn der Schamane benützt seine Trommel als Boot zum Durchfahren des Meeres und gibt deshalb in der Zeichnung das Festland an), rechts und links verschiedene Gruppen mit menschengestaltigen Figuren und viele Tiere. Auf die Mitte der Trommel malt man kein Bild; die acht Dopellinien, die hier stehen, symbolisieren die acht Füße, auf welchen die Erde über dem Meer steht (Psychomental Complex, S. 297). Bei den Jakuten findet man geheimnisvolle Zeichen in rot und schwarz, die Menschen und Tiere darstellen (Sieroszewski, S. 322). Auch auf den Trommeln der Jenisseij-Ost-jaken sind verschiedenerlei Bilder bezeugt (Kai Donner, La Sibérie, S. 230).
«An der Rückseite der Trommel ist ein senkrechter Griff aus Holz oder Eisen, den der Schamane mit der rechten Hand hält. Drähte oder wagrechte Holzspäne tragen unzählige bimmelnde Metallstücke, Schellen, Glöckchen, eiserne Figuren, die Geister darstellen, verschiedene Tiere usw. und oft Waffen, etwa einen Pfeil, einen Bogen oder ein Messer52.» Jeder von diesen magischen Gegenständen ist Träger einer ganz bestimmten Symbolik und erfüllt seine Rolle bei der Vorbereitung oder Durchführung der ekstatischen Reise oder anderer mystischer Erlebnisse des Schamanen.
Zeichnungen auf der Trommelhaut sind ein Charakteristikum aller Tataren- und Lappenstämme. Bei den Tataren sind die beiden Seiten der Haut mit Bildern bedeckt. Eine große Vielfalt zeichnet sie aus, doch sind darunter immer auch die wichtigsten Symbole wie Weltenbaum, Sonne und Mond, Regenbogen usw. zu finden. Die Trommeln bilden 51 Kai Donner, La Sibérie, S. 230; U. Harva, Relig. Vorstellungen, S. 326 ff. 52 Kai Donner, La Sibérie, S. 230; Harva, S. 527, 531); W. Schmidt, S. 260 usw.
wirklich ein Mikrokosmos; eine Grenzlinie trennt Himmel und Erde, in manchen Gegenden auch Erde und Unterwelt. Der Weltenbaum, d. h. die Opferbirke, die der Schamane ersteigt; das Pferd, das Opfertier; die Hilfsgeister des Schamanen; Sonne und Mond, die er im Lauf seiner Himmelsreise erreicht; die Unterwelt Erlik Khans (mit den Sieben Söhnen und Sieben Töchtern des Herrn der Toten usw.), in die er bei seinem Abstieg zum Totenreich eindringt - alle diese Elemente, in denen gewissermaßen Reiseweg und Abenteuer des Schamanen zusammengefaßt sind, finden sich auf seiner Trommel dargestellt. Es fehlt an Raum, um alle diese Zeichen und Bilder zu verzeichnen und ihre Symbolik zu kommentieren53. Halten wir nur soviel fest: Die Trommel veranschaulicht einen Mikrokosmos mit seinen drei Zonen Himmel, Erde und Unterwelt und zeigt gleichzeitig die Mittel an, mit denen der Schamane die Ebenen zu durchbrechen vermag und die Verbindung mit der oberen und der unteren Welt herstellt. Die Abbildung der Opferbirke (des Weltenbaumes) ist ja, wie wir gesehen haben, nicht die einzige; man findet auch den Regenbogen - der Schamane erhebt sich in die oberen Regionen, indem er den Regenbogen hinansteigt54. Man trifft auch das Bild der Brücke, auf welcher der Schamane von einer kosmischen Region in die andere gelangt
Die Bebilderung der Trommel ist beherrsdit von der Symbolik der ekstatischen Reise, der Reise, die das Durchbrechen einer Ebene und insofern ein «Zentrum der Welt» in sich schließt. Das Trommeln zu Anfang der Sitzung, das die Geister rufen und in der Trommel des Schamanen «einschließen» soll, bildet die Einleitung zu der ekstatischen Reise. Das ist der Grund dafür, daß die Trommel das «Pferd des Schamanen» heißt (Jakuten, Burjaten), oder dort, wo die Haut von einem Rehbock genommen ist, «das Reh des Schamanen» (Karagassen, So-joten). Die Legenden der Jakuten erzählen ausführlich, wie der Schamane mit seiner Trommel durch die sieben Himmel fliegt. «Ich reise mit einem wilden Rehbock!» singen die Schamanen bei den Karagassen und Sojoten, und der Stock, mit dem man die Trommel schlägt, bekommt bei den Altaiern den Namen «Peitsche» (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 536).
Der Gedanke der ekstatischen Reise kehrt auch in dem Namen wieder, den die Schamanen der Tundra-Juraks ihrer Trommel geben: Bogen oder singender Bogen. Nach Lehtisalo und Harva (S. 538) diente die Schamanentrommel ursprünglich dazu, die bösen Geister zu verjagen, was man ebenso auch mit einem Bogen habe erreichen können. Es ist richtig, daß die Trommel zuweilen zum Vertreiben der bösen Geister verwendet wird (Harva, S. 537), doch ist in diesen Fällen ihre eigentliche Anwendung vergessen; es handelt sich um einen «Lärmzauber», mit dem man die Dämonen austreibt. Beispiele eines solchen Funktionswandels sind in der Religionsgeschichte häufig. Wir glauben aber nicht, daß die ursprüngliche Funktion der Trommel das Verjagen der Geister gewesen ist. Die Schamanentrommel unterscheidet sich ja gerade von allen anderen «Lärmzauber»-Instrumenten, indem sie ein ekstatisches Frlebnis möglich macht. Ob ursprünglich dieses Erlebnis durch den Zauber der Trommeltöne («Geisterstimmen») vorbereitet wurde oder ob man zu einem ekstatischen Erlebnis infolge höchster Konzentration durch ein langes Trommeln kam, diese Frage wollen wir noch zurückstellen. Doch eins ist sicher: Die Magie der Musik hat die schamanische Funktion der Trommel begründet und nicht ein apo-tropäischer Lärmzauber.
Der Beweis dafür: Auch dort, wo die Trommel durch einen Bogen ersetzt wird wie bei den Lebed-Tataren und den Altaiern, handelt es sich immer um ein magisches Musikinstrument und nicht um eine dämonenabwehrende Waffe. Man findet nie Pfeile, und der Bogen wird als Instrument mit einer Saite benützt. Auch die kirgisischen baqça benützen nicht die Trommel zur Vorbereitung der Trance, sondern den kobuz, ein Saiteninstrument56. Und die Trance tritt wie bei den sibirischen Schamanen durch das Tanzen auf die magische Melodie des kobuz ein. Der Tanz reproduziert, wie wir im folgenden noch sehen werden, die ekstatische Himmelsreise des Schamanen. Die magische Musik, die Symbolik von Trommel und Tracht und der Tanz selbst sind alles Mittel zur Durchführung und zum Gelingen der ekstatischen Reise. Die Stöcke mit Pferdekopf, die bei den Burjaten sogar «Pferde» heißen, sind Zeugen für dieselbe Symbolik57.
Die ugrischen Völker kennen keine Zeichnungen auf den Schamanentrommeln. Dagegen verzieren die Lappenschamanen ihre Trommeln noch reicher als die Tataren. In dem großen Werk von Manker über die Zaubertrommel der Lappen finden sich Abbildungen und erschöpfende Analyse einer großen Anzahl von Zeichnungen58. Die mythischen Personen auf diesen manchmal recht mysteriösen Bildern und ihre Bedeutung sind nicht immer leicht zu identifizieren. Im allgemeinen stellen die Lappentrommeln die drei kosmischen Zonen mit ihren Grenzlinien dar. Da gibt es den Himmel mit Mond und Sonne, Götter und Göttinnen (wohl mit Einflüssen aus der skandinavischen Mythologie59), Vögel (Schwan, Kuckuck usw.), die Trommel, Opfertiere usw.; der Weltenbaum, vielerlei mythische Personen, Boote, Schamanen, der Gott der Jagd, Reiter usw. bevölkern den Raum in der Mitte (die Erde) und in der untersten Zone finden sich die Unterweltgötter, Schamanen mit den Toten, Schlangen und Vögel.
Die Lappenschamanen benützen ihre Trommel auch zum Weissagen60, was bei den Türken unbekannt ist. Die Tungusen üben eine Art reduzierte Weissagung, indem sie den Trommelschlegel in die Luft werfen; die Lage des Schlegels nach dem Niederfallen gibt Antwort auf die gestellte Frage (Harva, S. 539).
Die Frage des Ursprungs und der Verbreitung der Schamanentrommel in Nordasien ist überaus verwickelt und noch bei weitem nicht gelöst. Verschiedene Anzeichen deuten auf Südasien als wahrscheinlichen Ausbreitungsherd. Ohne Zweifel hat die lamaistische Trommel auf die Form der sibirischen, aber auch der tschuktschischen und der Eskimotrommel eingewirkt (vgl. Shirokogorov, Psychomental Complex, S. 299), was für die Herausbildung des Schamanismus im heutigen Zentralasien und Sibirien nicht ohne Bedeutung ist. Wir werden anläßlich der Entwicklung des asiatischen Schamanismus darauf zurückzukommen haben.
57 Harva, Relig. Vorstell., S. 538 ff. und Fig. 65.
58 E. Manker, Die lappische Zaubertrommel. Teil I: Die Trommel als Denkmal materieller Kultur (Stockholm 1938); s. auch T. I. Itkonen, Heidnische Religion und späterer Aberglaube bei den finnischen Lappen, S. 139 ff- und Fig. 24-27.
59 Manker, a. a. O., S. 17.
60 Itkonen, a. a. O., S. 121 ff.; Harva, S. 538.
Rituelle Tracht und Zaubertrommel auf der ganzen Erde
Wir können hier nicht eine vergleichende Überschau über die Trachten und die Trommeln oder anderen rituellen Instrumente aller Zauberer61, Medizinmänner und Priester auf der Welt geben. Das wäre Sache der Völkerkunde, während es für die Religionsgeschichte von nut subsidiärem Interesse ist. Erinnern wir uns jedoch daran, daß die Symbole der sibirischen Schamanentracht auch anderweitig erscheinen, so die Masken - von den einfachsten bis zu den ausgebildetsten -, die Tierhäute und pelze und vor allem die Vogelfedern, deren Auffahrtssymbolik nicht eigens betont zu werden braucht. Ebenso wiederholen sich Zauberstöcke, Glöckchen und die vielerlei Trommelformen. So legt der Zauberer bei den Dusun Schmuck und heilige Federn an, wenn er an eine Heilung geht (Evans, Studier, S. 21); zum Zeremonialkostüm des Mentawei-Schamanen gehören Vogelfedern und Glöckchen (Loeb, Shaman and Seer, S. 69 ff. ) ; die afrikanischen Zauberer und Heiler bekleiden sich mit Wildfellen, mit Tierzähnen und -knochen usw. (Webster, Magic, S. 253 ff.). Auch im tropischen Südamerika, wo eine Ritualtracht selten ist, kehrt schamanisches Zubehör wieder. So etwa die maraca, Viehglocke, «aus einem Kürbis mit Kernen oder Steinen darin und einem Griff». Dieses Instrument gilt als heilig und die Tu-pinamba bringen ihm sogar Nahrung als Opfer dar (Métraux, La religion des Tupinamba, S. 72 ff.). Die Yaruro-Schamanen führen auf ihren Glocken stark stilisierte «Darstellungen» der wichtigsten Gottheiten aus, die sie in ihrer Trance besuchen (Métraux, Le shamanisme dans l’Amérique du Sud, S. 218).
Mehr Symbole enthält die Zeremonialtracht der nordamerikanischen Schamanen: Adler- oder andere Vogelfedern, eine Art Viehglocke oder ein Tamburin, Täschchen mit Felskristallen, Steinen und anderen Zaubersachen. Der Adler, von dem man die Federn nimmt, gilt als heilig und 61 Vgl. z. B. E. Crawley. Dress, drinks nnd drums (hrsg. Th. Bestermann, London 1931). S. 159 ff.. 233 ff.; Maddok, The medicin-inan, S. 95 ff.; Webster. Magic, S. 252 ff.; usw. Ober die Trommel der Bhil s. Wilhelm Köppers, Die Bhit (Wien, 1946), S. 223; für die Jakun Evans. Studies, S. 265, die Malaien Skeat, Malay Magic, S. 25 ff., 40 ff., 512 ff. usw.; für Afrika Heinz Wieschoff, Die afrikanischen Trommeln und ihre außerafrikamschen Beziehungen (Stuttgart 1933); Adolf Friedrich, Afrikanische Prieslertiimer (Stuttgart 1939), S. 194 ff., 324 usw. Vgl. auch A. Schaefner, Ori-gine des instruments de musique (Baris 1936), S. 166 ff. (Membrantrommel).
wird deshalb in Freiheit gelassen (Park, Shamanism, 34). Die Tasche mit dem Zubehör verläßt den Schamanen nie; in der Nacht verbirgt er sie unter seinem Kopfkissen oder unter dem Bett (ebd.). Bei den Tlin-git und Haida kann man sogar von einem eigentlichen Zeremonial-kostüm sprechen (Kleid, Decke, Hut usw,), das sich der Schamane nach den Anweisungen seines Schutzgeistes macht (Swanton, zitiert bei M. Bouteiller, Chamanisme et guérison magique, S. 88). Bei den Apachen hat der Schamane außer Adlerfedern einen Rhombus, eine Zauberschnur (die ihn unverwundbar macht und die Zukunft vorhersehen läßt usw.) und einen Ritualhut62. An anderen Orten, so bei den Sanpoil und Nespelem, sitzt die magische Kraft des Kostüms nur in einem roten Lappen, den man sich um den Arm wickelt (Park, S. 129) Die Adlerfedern sind bei allen nordamerikanischen Stämmen belegt (Park, S. 134). An Stöcke gebunden werden sie auch bei den Initiationszeremonien verwendet (so bei den nordöstlichen Maidu), man legt diese Stöcke auf die Gräber der Schamanen (Park, 134) als Zeichen für die Richtung, welche die Seele des Abgeschiedenen einschlägt.
Auch in Nordamerika benützt der Schamane ein Tamburin oder eine Glocke63. Wo die Zeremonialtrommel fehlt, wird sie durch das Gong oder die Muschel ersetzt (besonders in Ceylon64, Südasien und China). Immer ist es ein Instrument, das auf die eine oder andere Art den Kontakt mit der «Geisterwelt» herzustellen vermag - einer «Geisterwelt» im weitesten Sinn, nicht nur mit Göttern, Geistern und Dämonen, sondern auch den Seelen der Ahnen, den Toten und mythischen Tieren. Ein solcher Kontakt mit der übersinnlichen Welt setzt unbedingt Konzentration voraus, und diese wird durch die «Einfügung» des Schamanen oder Zauberers in seine Zeremonialtracht erleichtert und durch rituelle Musik beschleunigt.
Dieser Symbolismus der heiligen Tracht lebt weiter bis in die höchstentwickelten Religionen, siehe die Wolfs- und Bärenpelze in China64 die Vogelfedern des irischen Propheten66 usw. Auch auf den Gewändern der altorientalischen Priester und Herrscher kehrt die makrokosmische Symbolik wieder. Wir stoßen hier auf ein in der Religionsgeschichte wohlbekanntes «Gesetz»: Man wird, was man dar stellt. Die Träger der Masken sind wirklich die durch diese Masken dargestellten mythischen Ahnen. Dieselbe Wirkung, nämlich totale Verwandlung des Individuums in etwas anderes, ist aber auch von verschiedenen Zeichen und Symbolen zu erwarten, die manchmal nur auf dem Kostüm oder direkt auf dem Körper angedeutet sind: Die Fähigkeit des magischen Fluges gewinnt man durch das Tragen einer Adlerfeder, oder auch nur der stark stilisierten Zeichnung einer solchen Feder und so weiter. Der Gebrauch der Trommel und anderer magischer Musikinstrumente ist indessen nicht ausschließlich auf die Sitzungen beschränkt. Viele Schamanen trommeln und singen auch nur zum Vergnügen, und es kommt dabei genau so zu Himmelfahrten und Unterweltsfahrten zum Besuch der Toten. Diese «Autonomie», zu der die Instrumente einer magischreligiösen Musik gedeihen, hat zur Bildung einer Musik geführt, die, wenn auch noch nicht «profan», doch auf jeden Fall freier und bilderreicher ist. Dasselbe Phänomen zeigt sich an den Gesängen der Schamanen von ekstatischen Himmelsreisen und gefährlichen Unterweltsfahrten. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit geht diese Art Abenteuer in die Volksüberlieferung der betreffenden Völker über und bereichert die mündliche Volksliteratur um neue Themen und Personen67.
A. Grünwedel, Teufel des Awesta (Berlin 1924) 11, S. 68 f.. Fig. 62; A. Friedrich, Knochen und Skelett, S. 230.
Vgl. Tibetan disposal of the Dead, in Memorial Papers (Bombay 1922), S. 1 ff.: Friedrich, S. 227.
Vgl. das Beinhaus in einer großrussischen Legende: Coxwell, Siberian and other Folk-tales, S. 682. Hs wäre von Interesse, im Licht dieser Tatsachen einmal den iranischen Dualismus zu untersuchen, der bekanntlich dem «Geistigen» das Wort ushtana, «beinern» gegenüberstellt. Weiterhin ist, wie Friedrich a. a. O., S. 245 ff. bemerkt, der Dämon Astôvidatu («Knochenbrecher») nicht ohne Beziehung zu den bösen Geistern, welche die Schamanen der Jakuten, Tungusen und Buriäten quälen.
33 S. z. B. George W. Briggs, Gorakhnâth and the Kânphata Yogis (Oxford 1938), S. 189, 190.
Vgl. Carl Hentze, Die Sakralbronzen und ihre Bedeutung in den frühchinesischen Kulturen (Antwerpen 1941), S. 34 ff.