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MAGISCHE HEILUNGEN DER SCHAMANE ALS SEELENGELEITER
Die Hauptfunktion des zentral- und nordasiatischen Schamanen ist die magische Heilung. Es gibt in diesem Bereich verschiedene Vorstellungen von der Ursache der Krankheit, aber der Gedanke des «Seelenraubes» herrscht darunter bei weitem vor1. Man führt dabei die Krankheit auf Verirrung oder Raub der Seele zurück und die Behandlung besteht darin, daß man die Seele sucht, einfängt und sich wieder mit dem Körper des Kranken vereinigen läßt. In bestimmten Gegenden von Asien kann die Ursache des Übels auch darin liegen, daß ein magischer Gegenstand in den Körper des Kranken eingedrungen oder daß dieser von bösen Geistern «besessen» ist; dann besteht die Heilung darin, den schädlichen Gegenstand herauszuziehen beziehungsweise die Dämonen auszutreiben. Zuweilen hat die Krankheit eine doppelte Ursache; der Seelenraub ist noch verschlimmert durch «Besessensein» von bösen Geistern, so daß die schamanische Heilung das Aufsuchen der Seele und die Vertreibung der Dämonen umfaßt.
Das alles wird aber noch kompliziert durch das Vorhandensein einer Mehrzahl von Seelen. Wie soviele andere «primitive» Völker, besonders die Indonesier, glauben auch die nordasiatischen Völker, daß der Mensch bis zu drei oder sogar sieben Seelen haben kann. Beim Tode bleibt eine von diesen Seelen im Grab, eine zweite steigt zum Reich der Schatten hinab und eine dritte hinauf zum Himmel. So bei den Tschuktschen und den Jukagiren 2, doch gibt es noch viele andere Vorstellungen vom Schicksal der drei Seelen nach dem Tode. Im Glauben anderer Völker verschwindet mindestens eine von den Seelen beim Tod Vgl. Forest E. Clements, Primitive concepts oj disease (Univ. of California, Publications in American Archaeology and Ethnology, 32. Bd., 1932, S. 185-254), S. 190 ff. 2 Vgl. Bogoraz, The Chukchee, S. 332; Jochelson, The Yukaghirs, S. 157.
oder wird von den Dämonen verschlungen3. Im Rahmen dieser Vorstellungen verursacht die Seele während des Erdenlebens durch ihre Flucht die Krankheiten, die dann beim Tod von den bösen Geistern verschlungen wird oder ins Land der Toten hinabsteigt.
Nur der Schamane kann eine solche Heilung vornehmen, denn nur er «sieht» die Geister und weiß, wie man sie austreibt; er allein vermag die Flucht der Seele festzustellen und sie in der Ekstase einzuholen und ihrem Körper zurückgegeben. Oft fordert die Heilung bestimmte Opfer und immer befindet der Schamane über deren Notwendigkeit und Art; das Wiedererlangen der physischen Gesundheit steht in enger Beziehung zu der Wiederherstellung des Gleichgewichts der geistigen Kräfte, denn oft rührt eine Krankheit von einer Nachlässigkeit oder Unterlassung gegenüber den unterweltlichen Mächten, die ja auch an der Sphäre des Sakralen teilhaben. Alles was die Seele und ihr Schicksal angeht, sei es hienieden oder im Jenseits, ist der ausschließliche Bereich des Schamanen. Aus seinen eigenen Erlebnissen vor und bei der Initiation kennt er das Drama der menschlichen Seele, ihre geringe Stabilität und ihre Gefährdung, und er kennt auch die Mächte, die sie bedrohen, die Gegenden, in die sie entführt werden kann. Und wenn zur schamanischen Heilung die Ekstase gehört, so deshalb, weil man sich die Krankheit als eine Veränderung, eine Zerrüttung der Seele vorstellt.
Im folgenden soll von mehreren Heilungssitzungen berichtet werden, doch ohne Anspruch darauf, die Fülle der bis zum heutigen Tage zusammengestellten und veröffentlichten Zeugnisse zu erschöpfen. Um die Monotonie abzuschwächen (denn im Grund sind die meisten Beschreibungen einander sehr ähnlich), wurde das Material zusammengefaßt, ohne daß dabei jedesmal auf den geographischen und kulturellen Zusammenhang Rücksicht genommen ist.
Zurückrufen und Suchen der Seele:
Teleuten, Burjaten, Kirgisen
So ruft der Teleuten-Schamane die Seele des kranken Kindes: «Komm in deine Heimat..., in deine Jurte, komm an das helle Feuer!... Zu deinem Vater, zu deiner Mutter... kehr zurück!...» (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 268). Das Zurückrufen der Seele bildet bei bestimmten Völkern eine Stufe der schamanischen Heilung. Nur wenn die Seele des Kranken nicht in den Körper zurückkehren will oder kann, geht der Schamane auf die Suche nach ihr und steigt schließlich in das Totenreich hinab, um sie zurückzubringen. Die Burjaten zum Beispiel kennen sowohl Seelenanrufung als Seelensuche durch den Schamanen.
Bei den Burjaten von Alarsk setzt sich der Schamane in der Nähe des Kranken auf einen Teppich; um ihn herum liegen verschiedene Gegenstände, darunter ein Pfeil. Von der Spitze des Pfeils geht ein roter Seidenfaden zu der Birke, die vor der Jurte auf dem Hof aufgestellt ist. Durch diesen Faden soll die Seele des Kranken in den Körper zurückkehren, deshalb bleibt die Tür der Jurte offen. Neben dem Baum steht jemand mit einem Pferd; die Burjaten glauben nämlich, daß das Pferd die Rückkehr der Seele zu allererst bemerkt und zu zittern anfängt. Auf einen Tisch in der Jurte legt man Kuchen, tarasun, Aquavit, Tabak. Ist der Kranke alt, so lädt man lieber alte Leute zu der Sitzung; ist er erwachsen, Männer, und Kinder, wenn es sich um ein Kind handelt. Der Schamane beginnt mit der Anrufung der Seele: «Dein Vater ist A, deine Mutter B. dein eigener Name ist C. Wo hältst du dich auf, wohin bist du gegangen?...» Die Anwesenden zerfließen in Tränen. Der Schamane verbreitet sich lange über den Schmerz der Familie und die Traurigkeit des Hauses. «Deine ... lieben Kinder rufen dich mit Weinen und Heulen: .Vater, wo bist du?...’ Höre auf ihr Rufen und komme bald her!. .. Deine zahlreiche Pferdeschar verlangt laut wiehernd nach dir und zugleich ruft sie betrübt aus: ,Wo bist du, unser Herr? Kehre zurück zu uns!' 4 »
Harva, a.a.O., S. 268—272. nach Baratov; vgl. Sandschejew, Weltanschauung und Schamanistnus, S. 582 f. Über die Schamanensitzung bei den Burjaten s. auch L. Stieda, Das Schamanembum unter den Bur/äten (Globus 1887, 52. Bd., S. 299 ff., 516 ff.);
Das ist meistens nur eine erste Zeremonie. Wenn sie ohne Erfolg bleibt, erneuert der Schamane seine Bemühungen auf andere Art. Nach den Berichten Potanins hält der buriätische Schamane eine Vor-Sitzung, in der er sich vergewissert, ob der Kranke seine Seele fortziehen ließ oder ob sie ihm gestohlen wurde und sich bei Erlik im Gefängnis befindet. Der Schamane beginnt die Seele zu suchen; wenn er sie in Reichweite des Dorfes findet, ist die Zurückführung leicht. Im andern Fall sucht er sie in den Wäldern, auf den Steppen und sogar am Meeresgrund. Findet er sie nirgends, so weiß man, daß sie bei Erlik gefangen liegt und es gibt nur mehr ein Mittel, nämlich Löseopfer. Manchmal verlangt Erlik eine andere Seele für die gefangene und es gilt, eine verfügbare Seele zu finden. Mit Einverständnis des Kranken bestimmt der Schamane das Opfer. Während der Betreffende schläft, nähert sich ihm der Schamane in Adlergestalt, entreißt ihm seine Seele, steigt mit ihr ins Totenreich hinab und bringt sie vor Erlik, der ihm dafür erlaubt die Seele des Kranken mitzunehmen. Bald darauf stirbt das Opfer und der Kranke wird gesund. Aber das ist nur ein Aufschub, denn auch er stirbt drei, sieben oder neun Jahre darnach5.
Bei den Abakan-Tataren dauert die Sitzung bis zu fünf und sechs Stunden und enthält unter anderem die ekstatische Reise des Schamanen in ferne Gegenden. Doch diese Reise ist mehr bildlich zu verstehen. Nachdem der kam lange schamanisiert und um die Gesundheit des Patienten zu Gott gebetet hat, verläßt er die Jurte. Sobald er zurück ist, zündet er die Pfeife an und erzählt, er sei bis nach China gegangen und habe Berge und Meere überquert, um das zur Heilung notwendige Mittel zu finden6. Also ein hybrider Typ der schamanischen Sitzung, bei dem die Suche nach der verirrten Seele des Kranken zu einer ekstatischen Pseudoreise um Heilmittel wird. Dasselbe begegnet bei den Tschuktschen im äußersten Nordosten von Sibirien. Dort veranstaltet
N. Melnikov, Die ehemaligen Menschenopfer und der Schamanismus bei den Burjaten des Irkmskischen Gouvernements (Globus 1899, 75. Bd., S. 132-134); W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee X, S. 375-385.
5 G. N. Pofanin, Otcherki serero-zapadnoj Mongol// IV, S. 86-87; Mikhailowski, Shamanism, S. 69-70; vgl. Sandschejew, a.a.O., S. 580 ff. S. auch Mikhailowski, S. 127 ff. über die verschiedenen Techniken der Heilung bei den Buriäten.
6 H. von Lankenau, Die Schamanen und das Schamanenwesen (Globus, 22. Bd.. 1S72, S. 278-283), S. 281 ff. Über rituelle Gesänge bei den Teleuten s. Mikhailowski, S. 98.
der Schamane eine Scheintrance von fünfzehn Minuten, während der er angeblich eine ekstatische Reise zu den Geistern macht und sie um Rat fragt (Bogotas, The Chukchee, S. 441). Auch bei den ugrischen Völkern wird der rituelle Schlaf dazu benützt, eine Verbindung mit den Geistern herzustellen und dadurch Krankheiten zu heilen (s. u. S. 213 ff. ), doch haben wir bei den Tschuktschen eher eine späte, dekadente Form der schamanischen Technik vor uns. Die «alten Schamanen» unternahmen, wie wir sogleich sehen werden, bei ihrer Seelensuche wirkliche ekstatische Reisen.
Einer hybriden Methode, bei welcher die schamanische Heilung bereits zum Exorzismus geworden ist, begegnen wir bei dem kasak-kir-gisischen baqça. Die Sitzung beginnt mit einer Anrufung Allahs und der muselmanischen Heiligen, darauf folgen eine Anrufung der djins und Drohungen an die bösen Geister. Dabei singt der baqça pausenlos weiter. In einem bestimmten Augenblick ergreifen die Geister von ihm Besitz; in dieser Trance «geht der baqça barfuß auf einem glühenden Eisen» und nimmt mehrmals einen glühenden Docht in den Mund. Er berührt das glühende Eisen mit der Zunge und «bringt sich mit seinem Messer, das scharf wie ein Rasiermesser ist, im Gesicht Schnitte bei, ohne daß davon die geringste Spur bleibt.». Nach diesen schamanischen Heldentaten ruft er noch einmal Allah an: «O Gott, gib Glück! O sieh auf meine Tränen! Ich rufe zu dir um Hilfe!» usw. 7. Die Anrufung des höchsten Gottes ist nicht unvereinbar mit der schamanischen Heilung, wir finden sie bei verschiedenen Völkern des nordöstlichen Sibirien. Doch steht bei den Kasak-Kirgisen an erster Stelle die Austreibung der bösen Geister, von denen der Kranke besessen ist; dazu versetzt sich der baqça in einen schamanischen Zustand, das heißt er wird gegen Feuer und Messerschnitte gefeit - mit andern Worten, er erreicht die Verfassung des «Geistes», als welcher er die Macht hat, die Krankheitsdämonen zu schrecken und auszutreiben.
Die schamanische Sitzung bei den Ugriern und Lappen
Wenn der Tremjugan-Schamane zu einer Heilung gerufen wird, beginnt er zu trommeln und Gitarre zu spielen, bis er in Ekstase fällt. Seine Seele verläßt den Körper, dringt in die Unterwelt ein und begibt sich auf die Suche nach der Seele des Kranken. Er erhält von den Toten die Erlaubnis, die Seele auf die Erde zurückzubringen, wenn er ihnen ein Hemd oder andere Geschenke verspricht; manchmal muß er aber auch zu stärkeren Mitteln greifen. Beim Erwachen aus der Ekstase hält der Schamane die Seele des Kranken in der Faust eingeschlossen und fügt sie durch das rechte Ohr wieder in den Körper ein8.
Bei den Irtysch-Ostjaken ist die schamanische Technik eine andere. Wenn der Schamane in ein Haus gerufen wird, beginnt er mit Räucherungen und weiht Sänke, dem Höchsten Himmelswesen, ein Stück Stoff (der ursprüngliche Sinn von sänke war «leuchtend, glänzend; Licht»: Karjalainen II, 260). Nach ganztägigem Fasten nimmt er am Abend ein Bad, ißt drei oder sieben Pilze und schläft ein. Nach einigen Stunden erwacht er jäh und verkündet zitternd und bebend, was ihm die Geister durch ihren «Boten» geoffenbart haben: welchem Geist man opfern muß, wer den Erfolg der Jagd vereitelt hat usw. Darauf verfällt der Schamane wieder in tiefen Schlaf und am nächsten Tag schreitet man zu den verlangten Opfern9.
Die Ekstase durch Pilzvergiftung ist in ganz Sibirien bekannt. Sie findet ihr Gegenstück in der Ekstase durch Narkotika oder Tabak in anderen Teilen der Erde; wir werden auf die mystische Kraft der Gifte noch zurückzukommen haben. Halten wir für den Augenblick nur einige Anomalien in dem beschriebenen Ritus fest: Man opfert das 8 K. F. Karjalainen, Die Religion der Jugra-Völker, 3. Bd, S. 305. Dieselben Ekstasemirtel (Trommel, Gitarre) wendet man an. wenn man für die Jagd schamani-siert oder wissen will, was für Opfer die Götter wünschen; Karjalainen, a. a. O., S. 306. Über die Seelensuche s. ebd., 1. Bd., S. 31.
9 Karjalainen, 3. Bd., S. 306. F.in ähnlicher Brauch ist bei den Tsingala (Ostjaken) bezeugt: Man bringt Sänke Opfer dar, der Schamane ißt drei Pilze und fällt in Trance. Die Schamaninnen gebrauchen ähnliche Mittel; sie geraten durch eine Pilzvergiftung in Ekstase, machen einen Besuch bei Sänke und offenbaren in Liedern, was sie von dem Höchsten Wesen selbst erfahren haben; Karjalainen, S. 307. Vgl. auch Jochelson, The Koryak, 2. Bd., S. 582-583.
Stoffstück dem Höchsten Wesen, setzt sich aber in Verbindung mit den Geistern, und ihnen bringt man Opfer dar; die eigentlich schamanische Ekstase wird durch Pilzvergiftung erreicht, welche übrigens auch den Schamaninnen entsprechende Trancen bringt, nur daß diese sich direkt an den Himmelsgott Sänke wenden. Diese Widersprüche verraten, daß die Ideologie, welche den Ekstasetechniken zugrundeliegt, in gewisser Hinsicht hybrid ist. Wie schon Karjalainen bemerkt hat (III, 315 ff.), scheint diese ugrische Form des Schamanismus ziemlich jung und entlehnt.
Bei den Waßjugan-Ostjaken ist die schamanische Technik weit komplizierter. Wenn die Seele des Kranken durch einen Toten entführt ist, schickt der Schamane einen von seinen Hilfsgeistern aus sie zu suchen. Dieser nimmt die Gestalt eines Toten an und steigt in die Unterwelt hinab. Sobald er dort den Entführer trifft, läßt er aus seinem Inneren einen Geist in Bärengestalt hervorgehen; der Tote bekommt Angst und entläßt die Seele des Kranken aus seinem Schlund oder seiner Faust. Der Hilfsgeist fängt sie und bringt sie seinem Meister auf der Erde zurück. Während dieser ganzen Zeit spielt der Schamane auf der Gitarre und erzählt die Abenteuer seines Boten. Ist die Seele des Kranken von einem bösen Geist entführt, so muß der Schamane selbst die Befreiungsreise unternehmen, was viel schwieriger ist (Kar-jalainen III, S. 308 ff.).
Man schamanisiert bei den Waßjuganen auch auf folgende Weise: Der Schamane setzt sich in den dunkelsten Winkel des Hauses und beginnt Gitarre zu spielen. In der linken Hand hält er eine Art Löffel, der sonst auch zum Wahrsagen dient. Dann ruft er seine Hilfsgeister an, sieben an der Zahl. Zu diesem Zweck hat er einen mächtigen Boten, die «strenge Frau mit dem Stock», welche ausfliegen und seine Hilfsgeister zusammenrufen muß. Einer nach dem andern kommen sie daher und der Schamane beginnt in Liedform ihre Reisen zu berichten. «Von den himmlischen Gegenden von Mäy-junk-kän gibt man mir die Töch-terchen Mäy-junk-käns; ich vernehme ihre Ankunft von den sechs Gegenden der Erde, ich höre wie das Behaarte Tier der Großen Erde (der Bär) von der ersten Unterweltsgegend kommt und das Wasser der zweiten Gegend erreicht.» (In diesem Augenblick bewegt er den Löffel.) Ebenso beschreibt er die Ankunft der Geister von der zweiten und dritten Unterweltsgegend und so weiter bis zu denen der sechsten und zeigt sie jedesmal mit seinem Löffel an. Darauf erscheinen die Geister aus den verschiedenen Himmelsregionen. Einen nach dem andern ruft er sie von allen Richtungen herbei: «Aus der Himmelsgegend der Renntiersamojeden, aus der Himmelsgegend der Nordvölker, aus der Stadt der Fürsten der Samojedengeister und ihrer Gattinnen...» Darauf folgt ein Gespräch zwischen all diesen Geistern (durch den Mund des Schamanen) und dem Schamanen selbst. Dies alles dauert einen ganzen Abend.
Am zweiten Abend findet die ekstatische Reise des Schamanen und seiner Hilfsgeister statt, eine schwierige und gefährliche Unternehmung, über deren Wechselfälle die Zuhörerschaft aufs Genaueste unterrichtet wird. Sie gleicht Punkt für Punkt der Reise, welche der Schamane unternimmt, um die Seele des geopferten Pferdes zum Himmel zu geleiten (Karjalainen, S. 310-317). Es handelt sich hier nicht um ein «Besessenwerden» des Schamanen durch seine Hilfsgeister, sondern, wie Karjalainen bemerkt (S. 318), die Hilfsgeister flüstern dem Schamanen ins Ohr, ganz wie die «Vögel» die Epensänger inspirieren. «Der Atem der Geister kommt in den Zauberer», sagen die nördlichen Ost-jaken; ihr Atem «berührt» den Schamanen, sagen die Wogulen (Karjalainen, S. 318).
Bei den Ugriern ist die schamanische Ekstase weniger eine Trance als ein «Zustand der Inspiration». Der Schamane sieht und hört die Geister; er ist «außer sich», da er in der Ekstase in ferne Gegenden reist, aber er ist nicht bewußtlos. Er ist ein Visionär, ein Inspirierter. Doch ist das Grunderlebnis immerhin ein ekstatisches und das Hauptmittel zu seiner Einleitung bleibt, wie in vielen anderen Gegenden, die magisch-religiöse Musik. Auch die Vergiftung durch Pilze bewirkt den Kontakt mit den Geistern, wenn auch nur auf eine passive und etwas brutale Art; doch wie schon bemerkt, scheint dies eine späte und entlehnte schamanische Technik zu sein. Die Vergiftung bewirkt auf mechanische, abwegige Art die «Ekstase», das «Heraustreten aus sich selbst»; sie folgt gewaltsam einem älteren Vorbild, das sich auf andere Bereiche bezieht.
Bei den Jenessej-Ostjaken gehören zu der Heilung zwei ekstatische Reisen; die erste davon ist mehr eine rasche Kundfahrt, und erst im Verlauf der zweiten, die zur Trance führt, dringt der Schamane tief in das Jenseits ein. Die Sitzung beginnt wie üblich mit der Anrufung der
Geister, die einer nach dem anderen in die Trommel gebracht werden. Indessen singt und tanzt der Schamane andauernd. Sind die Geister angekommen, so beginnt er in die Luft zu springen; das bedeutet, daß er die Erde verlassen hat und sich zu den Wolken erhebt. Nun kommt der Augenblick, wo er ruft: «Ich befinde mich ganz hoch oben und ich sehe den Jenessej in einer Entfernung von hundert Werst!» Auf seinem Weg begegnet er anderen Geistern und erzählt der Zuhörerschaft alles, was er sieht. Schließlich wendet er sich an den Hilfsgeist, der ihn durch die Luft trägt, und ruft: «Oh, meine kleine Fliege, trag mich noch höher hinauf, ich will noch weiter sehen!...» Bald darauf kehrt der Schamane von seinen Geistern umgeben in die Jurte zurück. Wahrscheinlich hat er die Seele des Kranken nicht gefunden, oder er sah sie nur von fern, in der Region der Toten. Um sie zu erreichen, beginnt der Schamane von neuem seinen Tanz, bis die Trance eintritt. Von den Geistern getragen verläßt er nun seinen Körper und dringt in das Jenseits ein, aus dem er schließlich mit der Seele des Kranken zurückkehrt1.
Über den lappischen Schamanismus genügt eine kurze Notiz, denn er ist seit dem 18. Jahrhundert verschwunden; außerdem verweisen die Einflüsse der skandinavischen Mythologie und des Christentums in den religiösen Überlieferungen der Lappen sein Studium in den Rahmen der europäischen Religionsgeschichte. Nach den Autoren des 17. Jahrhunderts, welche durch die Folklore ihre Bestätigung finden, hielten die Lappenschamanen ihre Sitzung wie viele andere arktische Völker ganz nackt und erreichten echte kataleptische Trancen, in denen ihre Seele zur Unterwelt abstieg um die Toten zu begleiten oder die Seelen der Kranken zu suchen2. Dieser Abstieg zum Reich der Schatten begann wie bei den Altaiern mit der ekstatischen Reise auf einen Berg; der Berg ist dabei das Symbol für die Weltachse und befindet sich deshalb im «Zentrum der Welt». Die Lappenzauberer von heute wissen noch von den Wundertaten ihrer Ahnen, die durch die Luft fliegen konnten und vieles anderes12. Zu der Sitzung gehörten Lieder und Geisteranrufungen; die Trommel mit ihren den altaischen Trommeln genau entsprechenden Zeichnungen spielte bei der Herbeiführung der Trance eine wichtige Rolle13. Man hat die skandinavische seiðr als Entlehnung aus dem lappischen Schamanismus zu erklären versucht14 doch die Religion der alten Germanen bewahrte, wie wir sehen werden, selber soviele als «schamanisch» zu bezeichnende Elemente, daß es gar nicht dieses Einflusses zur Erklärung bedarf.
Sitzungen bei den Ostjaken, juraken und Samojeden
Die rituellen Gesänge der ostjakischen und jurak-samojedischen Schamanen, die Tretjakov bei Heilungssitzungen aufgezeichnet hat, berichten ausführlich über die zum Heil des Patienten unternommene ekstatische Reise. Doch haben diese Gesänge eine gewisse Autonomie gegenüber der eigentlichen Heilung erreicht: Der Schamane dehnt seine eigenen Abenteuer bis in den höchsten Himmel und in das Jenseits aus, und man hat den Eindruck, daß die Suche nach der Seele des Kranken - das erste Motiv einer ekstatischen Reise - an die zweite Stelle gerückt, ja in Vergessenheit geraten ist. Denn Gegenstand des Gesanges sind jetzt mehr seine eigenen ekstatischen Erlebnisse und es ist nicht schwer, in diesen Heldentaten die Wiederholung eines exemplarischen Modells zu erkennen und zwar vor allem der Initiationsreise des Schamanen in die Unterwelt und zum Himmel.
So erzählt der Schamane, wie er sich mittels eines eigens für ihn herabgekommenen Seils zum Himmel erhebt und wie er die Sterne wegstößt, die ihm den Weg versperren. Im Himmel fährt der Schamane in einem Boot herum und steigt dann an einem Fluß entlang zur Erde herab und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, daß der Wind durch ihn hindurchweht. Mit Hilfe geflügelter Dämonen dringt er in die Erde; dort ist es so kalt, daß er vom Geist der Finsternis, Amu, oder vom Geist seiner Mutter einen Mantel verlangt. (Hier wirft ihm einer von den Anwesenden einen Mantel um die Schultern.) Schließlich steigt der Schamane wieder zur Erde empor, erzählt jedem von den Anwesenden seine Zukunft und erklärt dem Kranken, daß der Dämon, der seine Krankheit verursachte, entfernt ist15.
Es handelt sich hier also nicht mehr um eine schamanische Ekstase mit wirklichem Aufstieg und Abstieg, sondern um einen Bericht voll mythologischer Erinnerungen, dessen Ausgangserlebnis bedeutend früher liegt als der Augenblick der Heilung. Die Schamanen der Tazowsky-Ostjaken und der Juraken sprechen von ihrem wunderbaren Flug durch blühende Rosen; sie schießen so weit in den Himmel hinauf, daß sie die Tundra in einer Entfernung von sieben Werst sehen, und in weiter Ferne erblicken sie den Ort, wo einst ihre Meister ihre Trommeln gemacht haben (das heißt sie sehen den «Mittelpunkt der Welt»). Endlich kommen sie zum Himmel und gelangen nach manchen Abenteuern in eine Hütte aus Eisen, wo sie zwischen Purpurwolken einschlafen. Zum Abstieg auf die Erde benützen sie einen Fluß. Der Gesang endigt mit einem Anbetungshymnus an den Himmelsgott und an alle anderen Gottheiten (Mikhailowski, S. 67).
Nicht selten geschieht die ekstatische Reise in einer Vision: Der Schamane sieht seine Hilfsgeister in Renntiergestalt in die anderen Welten Vordringen und singt ihre Abenteuer16. Die Funktion der Hilfsgeister ist bei den samojedischen Schamanen eine mehr «religiöse» als bei den übrigen sibirischen Völkern. Bevor der Schamane an eine Heilung geht, tritt er in Kontakt mit seinen Hilfsgeistern, um zu erfahren, worin die Ursache der Krankheit liegt; ist sie von Num, dem höchsten Gott, gesandt, so lehnt er die Behandlung ab. Dann steigen seine Geister zum Himmel auf und bitten Num um Hilfe17. Damit ist aber nicht gesagt, daß alle samojedischen Schamanen «gut» sind; wenn die Samojeden auch die Scheidung zwischen «weißen» und «schwarzen» Scha-15 P. I. Tretjakov, Turushanski/ Kraj, epo priroda t jileli (St. Petersburg 1871). S. 217 ff.; Mikhailowski, Shamanism in Siberia and European Aua, S. 67 ff.; Shimkin, A sketch of the Ket, S. 169 ff.
16 Lehtisalo. Entwurf einer Mythologie der Yurak-Samojeden, S. 153 ff.
17 A. Castren. Reiseberichte und Briefe aus den fahren 1845-1849 (hg. von A. Schiefner, St. Petersburg 1856). S. 194 ff.
manen nicht kennen, so weiß man doch von Schamanen, welche auch schwarze Magie üben und Böses tun (Mikhailowski, S. 144).
Die Beschreibungen der Sitzungen bei den Samojeden hinterlassen den Eindruck, daß die ekstatische Reise entweder nur «gesungen» oder aber von den Hilfsgeistern im Namen des Schamanen ausgeführt wird. Manchmal genügt dem Schamanen eine Unterredung mit seinen Geistern, um den «Willen der Götter» in Erfahrung zu bringen. Ein Zeugnis dafür ist die Sitzung, die Castrén bei den Tomsker Samojeden erlebt und auf folgende Weise beschrieben hat: Die Teilnehmer gruppieren sich um den Schamanen, wobei sie die Türe freilassen, auf welche der Schamane unverwandt schaut. Er hält in seiner linken Hand einen Stock, an dessen Ende geheimnisvolle Zeichen und Figuren angebracht sind. In der rechten Hand hält er zwei Pfeile mit den Spitzen nach oben; jeder Pfeil hat an der Spitze ein Glöckchen. Die Sitzung beginnt mit einem Lied, das der Schamane allein anstimmt; dabei begleitet er sich mit den zwei Glöckchenpfeilen, die er im Takt gegen den Stock schlägt. Das ist die Beschwörung der Geister. Sobald sie kommen, erhebt sich der Schamane und beginnt zu tanzen; dabei sind seine Bewegungen ebenso schwierig wie einfallreich. Dann setzt er seinen Gesang und das Schlagen gegen den Stock fort. Dieser Gesang ist die Wiedergabe des Gesprächs mit den Geistern und seine Intensität folgt der dramatischen Kurve dieser Unterredung. Wenn der Gesang seinen Höhepunkt erreicht, beginnen die Anwesenden im Chor zu singen. Sobald die Geister dem Schamanen alle seine Fragen beantwortet haben, hält er inne und teilt den Anwesenden den Willen der Götter mit18.
Es gibt allerdings große Schamanen, die in Trance die ekstatische Reise nach der Seele des Kranken unternehmen: Ein Beispiel ist der jurak-samojedische Schamane Ganjkka, von dem Lehtisalo (Entwurf, S. 153 ff.) berichtet. Doch neben solchen Meistern gibt es eine bedeutende Anzahl von «Visionären», welche im Traum die Anweisungen der Götter und Geister erhalten {ebd., S, 145) oder die Pilzvergiftung anwenden, um die richtige Heilmethode zu erfahren (ebd., S. 164 ff.). Auf jeden Fall hat man den deutlichen Eindruck, daß die echten scha-manischen Trancen selten sind und daß die Mehrzahl der Sitzungen
18 A. Castrén, Reiseberichte, S. 172 ff.
nur ekstatische Reisen von Geistern oder märchenhafte Abenteuerberichte bringt, deren mythologischer Prototyp bekannt ist19. Die Samojedenschamanen üben außerdem die Wahrsagung mittels eines mit bestimmten Zeichen versehenen Stockes, den man in die Luft wirft und aus dessen Lage beim Niederfallen man die Zukunft liest. Ferner gibt es hier spezifisch schamanische Heldentaten: Sie lassen sich fesseln, rufen die Geister an (deren tierische Stimmen man bald darauf in der Jurte hört) und sind am Schluß der Sitzung von ihren Fesseln befreit. Sie schneiden sich mit Messern und schlagen sich wild auf den Kopf usw. (vgl. z. B. Mikhailowski, S. 66). Auch bei den Schamanen anderer sibirischer und sogar nichtasiatischer Völker wird man immer wieder diese Dinge finden, die in gewisser Hinsicht schon zum Fakirismus gehören. All das ist beim Schamanen nicht einfach Prahlsucht oder Effekthascherei. Die «Wunder» stehen in einer organischen Affinität zu der schamanischen Sitzung, handelt es sich doch darum, einen zweiten Zustand zu erreichen, der in der Beendigung des profanen Standes besteht. Der Schamane beweist die Echtheit seines Erlebnisses mit den «Wundern», die es ermöglicht.
Schamanismus bei den Jakuten und Dolganen
Bei den Jakuten und Dolganen hat die schamanische Sitzung im allgemeinen vier Teile: 1. Beschwörung der Hilfsgeister, 2. Entdeckung der Krankheitsursache - meistens ein böser Geist, der die Seele des Kranken gestohlen hat oder in seinen Körper eingedrungen ist, 3. Austreibung des bösen Geistes durch Drohungen, Lärm usw., und schließlich 4. Himmelfahrt des Schamanen20. «Das größte Problem ist dabei die Entdeckung der Krankheitsursachen, das Erkennen des Geistes, der den Patienten quält, und die Feststellung seiner Herkunft, hierarchischen Position und Macht. Die Zeremonie hat daher immer zwei Teile: Zuerst ruft man die Schutzgeister vom Himmel herab und erbittet ihre 19 Über den samojedischen Kulturkomplex vgl. Kai Donner, Zu den ältesten Beruh-rungen zwischen Samojeden und Türken (Journal de la Société Finno-Ougrienne, 40. Bd., Nr. 1, 1924, S. 1-24); AI. Gahs, Kopf-, Schädel- und Langknochenopfer bei Rentiervölkern, S. 238 ff.; W. Schmidt, Ursprung der Gottesidee, III, S. 334 ff.
20 Harva, Die religiösen Vorstellungen, S. 545, nach Vitashevskij; Jochelson, The Yakut, S. 120 ff.
Hilfe zur Feststellung der Krankheitsursachen, dann kommt der Kampf gegen den feindlichen Geist oder üör., Darauf folgt obligatorisch die Reise zum Himmel21.
Der Kampf mit den bösen Geistern ist gefährlich und für den Schamanen mit der Zeit erschöpfend. «Wir sind alle zur Beute der Geister ausersehen», sagte der Schamane Tüspüt zu Sieroszewski; «die Geister hassen uns, weil wir die Menschen verteidigen ...» (a. a. OS. 325). Tatsächlich sieht sich der Schamane oftmals gezwungen, die bösen Geister, die er aus dem Kranken austreiben will, in sich selbst aufzunehmen; dabei ringt und leidet er mehr als der Patient (Harva, a. a. O., S. 545 f. ).
Bei Sieroszewski findet sich folgende klassische Beschreibung einer jakutischen Séance: Die Sitzung findet am Abend in der Jurte statt; die Nachbarn sind dazu eingeladen. «Manchmal macht der Hausherr zwei bewegliche Knoten mit festen Riemen, welche sich der Schamane an die Schultern bindet, während die anderen sie an den Enden ergreifen, um den Schamanen festzuhalten, falls ihn die Geister entführen wollen22.» Der Schamane blickt unverwandt auf das Feuer im Herd; er gähnt, bekommt einen krampfhaften Schluckauf und wird immer wieder von nervösem Zittern geschüttelt. Er legt seine Schamanentracht an und beginnt zu rauchen. Er schlägt ganz leis die Trommel. Noch kurze Zeit, und sein Gesicht wird bleich, der Kopf fällt ihm auf die Brust herab und seine Augen sind halb geschlossen. Nun breitet man in der Mitte der Jurte das Fell einer Schimmelstute aus. Der Schamane trinkt frisches Wasser und macht Kniebeugen nach den vier Himmelsrichtungen, wobei er nach rechts und links Wasser spuckt. In der Jurte herrscht Schweigen. Der Gehilfe des Schamanen wirft ein paar Pferdehaare ins Feuer, das er danach ganz mit Asche bedeckt. Nun ist es ganz dunkel. Der Schamane setzt sich auf das Stutenfell, wendet sich gegen Süden und träumt. Alle halten den Atem an.
21 Sieroszewski, Du chamanisme chez les Yakouies, S. 324. Der Widerspruch zwischen den Angaben Vitashcvskijs (Sitzung in vier Etappen) und Sieroszewskis («zwei Teile», dann Himmelsreise) ist nur scheinbar; in Wirklichkeit sagen beide Beobachter dasselbe.
22 Sieroszewski, S. 326. Dieser Brauch begegnet bei mehreren sibirischen und arktischen Völkern, wenn auch mit verschiedenem Sinn: teilweise bindet man den Schamanen fest, damit er nicht fortfliegt; bei den Samojeden und den Eskimo dagegen läßt der Schamane sich fesseln, um seine magische Kraft zu zeigen, und macht sich während der Sitzung «mit Hilfe der Geister» frei.
«Plötzlich ertönt, man weiß nicht woher, ein heller Schrei, umkippend, durchdringend wie das Knirschen von Stahl - und wieder Schweigen. Ein neuer Schrei: oben und unten, vor dem Schamanen und hinter ihm mysteriöse Geräusche: Gähnen, krankhaft, schrecklich; hysterischer Schluckauf, kläglicher Kiebitzschrei und Falkengekrächz, dazwischen der pfeifende Ton der Schnepfe - das alles macht der Schamane selbst, indem er seine Stimme wandelt.»
Auf einmal hält er ein; wieder herrscht Schweigen bis auf ein leises Surren wie von einem Moskito. Der Schamane beginnt die Trommel zu schlagen. Er summt ein Lied. Lied und Trommeln werden lauter; nicht mehr lange und der Schamane brüllt. «Man hört Vogelgekrächz, das Klagen von Kiebitzen, durchdringenden Schnepfenschrei und den Ruf des Kuckucks.» Die Musik steigert sich bis zur Raserei, bricht jäh ab und man hört nur noch das Surren der Moskitos. Noch mehrmals wechselt Vogelgeschrei und Schweigen, bis schließlich der Schamane einen andern Takt anschlägt und seinen Hymnus anstimmt:
«Der mächtige Stier der Erde, das Pferd der Steppe,
Der mächtige Stier hat gebrüllt!
Das Pferd der Steppe gewiehert!
Ich bin über euch allen, bin Mensch!
Bin der Mensch, der mit allem begabt ist!
Der Mensch, geschaffen vom Herrn des Unendlichen!
Komm doch, o Pferd der Steppe, und lehre mich!
Komm heraus, wunderbarer Stier des Alls, und antworte!
Mächtiger Herr, befiehl!...
Herrin, meine Mutter, zeig mir meine Irrtümer und die Wege,
Die ich gehen muß! Flieg vor mir auf einer breiten Straße,
Bereite mir den Weg!
Geist der Sonne, der du im Süden auf den neun waldigen Hügeln wohnst, Mutter des Lichts, eifersüchtige, euch flehe ich an: bleibt mit euren drei Schatten ganz in der Höhe! Und du im Westen, auf deinem Berg, o mein Herr Ahne mit der furchtbaren Kraft, mit dem mächtigen Hals, sei mit mir!...»
Die Musik beginnt nun noch schöner und erreicht ihren Höhepunkt.
Jetzt ruft der Schamane die Hilfe des ämägät und seiner Hausgeister herbei. Sie gehorchen nicht ohne weiteres; der Schamane bittet, sie machen Ausflüchte. Nun machen die Anwesenden über dem Schamanen mit Eisenzeug Lärm und murmeln: «Das starke Eisen tönt - die launischen Wolken wirbeln, viele Wetterwolken sind da!»
Wenn der ämägät kommt, beginnt der Schamane mit Sprüngen und blitzschnellen heftigen Bewegungen. Schließlich bleibt er in der Mitte der Jurte, man zündet das Feuer wieder an und der Schamane beginnt wieder mit Trommeln und Tanzen. Er springt in die Luft, manchmal bis zu vier Fuß hoch 23. Er schreit wie im Delirium. «Wieder hält er ein und stimmt mit ernster, tiefer Stimme einen feierlichen Hymnus an.» Es folgt ein leichter Tanz, zu dem er Ironisches singt oder aber Verwünschungen ausstößt, je nachdem, welche Wesen er mit der Stimme nachahmt. Schließlich nähert er sich dem Kranken und fordert die Ursache der Krankheit offiziell zum Auszug auf, «oder er nimmt den Kranken, trägt ihn in die Mitte des Raumes und jagt ihn, ohne seine Anrufungen zu unterbrechen, herum, spuckt ihn an, versetzt ihm Fußtritte, treibt ihn mit der Hand herum und bläst dabei» 24.
Jetzt beginnt die ekstatische Reise des Schamanen, die er unternimmt, um die Seele des Opfertieres zum Himmel zu bringen. Vor der Jurte setzt man drei entästete Bäume ein; der mittlere davon ist eine Birke, an ihrem Wipfel hat man einen toten Eisvogel befestigt. Östlich von der Birke errichtet man einen Pfahl mit einem Pferdekopf an der Spitze. Die drei Bäume sind durch einen Faden aus Pferdehaar miteinander verbunden. Zwischen Bäumen und Jurte stellt man ein Tischchen auf mit einem Krug voll Branntwein. Der Schamane macht Bewegungen wie wenn ein Vogel fliegt. Stück für Stück steigt er zum Himmel auf. Der Weg hat neun Stationen, auf jeder bringt der Schamane dem Lokalgeist Opfer dar. Wenn er von seiner ekstatischen Reise zurückkommt, verlangt er «Reinigung» eines Körperteils (Fuß, Schenkel usw.) durch Feuer (glühende Kohlen) 25.
Natürlich weist die jakutische Schamanensitzung viele Abwandlungen auf. So beschreibt Sieroszewski die Himmelsreise: «Nun stellt man in genauer Reihe kleine Tannen auf, die man vorher ausgesucht hat, und bindet daran Girlanden aus Schimmelhaar (die Schamanen verwenden nur Schimmel); dann richtet man drei Pfosten auf, ebenfalls in einer Reihe, die an der Spitze Vogeldarstellungen tragen: der erste den öksökju mit zwei Köpfen, der zweite den grand nur (kugos) oder auch einen Raben, der dritte einen Kuckuck (kögö). An dem letzten Pfahl befestigt man das Opfertier. Ein oben angebundenes Seil stellt den Weg zum Himmel dar, «auf dem die Vögel fortfliegen und den das Tier einschlagen wird» (Sieroszewski, S. 332).
Auf jedem Ruheplatz (oloh) setzt sich der Schamane nieder und ruht aus; wenn er sich wieder erhebt, bedeutet das, daß er seine Reise wieder aufnimmt. Diese Reise stellt er durch Tanzschritte und Gesten dar, die den Vogelflug nachahmen: «Der Tanz stellt immer eine Reise durch die Luft in Geisterbegleitung dar; wenn man das Sühnetier geleitet, muß ebenfalls getanzt werden. Nach der Legende gab es vor noch nicht langer Zeit Schamanen, die wirklich zum Himmel aufflogen; dabei sahen die Anwesenden ein Tier in den Wolken schweben, dem eine Schamanentrommel folgte, und der Schamane, ganz in Eisen, beschloß den Zug.» «Die Trommel ist unser Pferd, sagen die Schamanen» (Sieroszewski, S, 331).
Haut, Hörner und Hufe des Opfertiers werden auf einem dürren Baum ausgestellt. Sieroszewski hat oft in Wüstengegenden die Spuren solcher Opfer gefunden. Ganz in der Nähe, manchmal auf demselben Baum, «kann man einen kotchai, einen langen hölzernen Pfeil in dem dürren Stamm stecken sehen. Er spielt dieselbe Rolle wie das Seil mit Haarbüscheln in der vorhergehenden Zeremonie: er zeigt die Himmelsgegend an, in die sich das Opfer zu begeben hat» (Sieroszewski, 25 Harva, Religion Vorstellungen, S. 547. Der Sinn dieses Ritus ist unklar. Kai Donner gibt an. daß auch die Samojeden ihre Schamanen am Schluß der Sitzung mit glühenden Kohlen reinigen (Harva, ebd.). Wahrscheinlich reinigt man den Körperteil, in dem die bösen Geister, die den Kranken mißhandelten, «absorbiert* worden sind; aber warum dann Reinigung des Schamanen bei der Rückkehr von seiner Himmelsreise?! . .. Handelt es sich nicht vielleicht in Wirklichkeit um den alten schamanischen Ritus des «Spielens mit dem Feuer»? (s. u. S. 437 ff.)
S. 332 f.). Nach demselben Autor riß der Schamane früher mit eigener Hand das Herz des Opfertiers aus und hob es zum Himmel auf. Dann beschmierte er sich Gesicht und Tracht mit dem Blut, ebenso das Bild seines ämägät und die kleinen hölzernen Geisterfigürchen (ebd.. S. 333)26.
Anderswo setzt man neun Bäume ein und steckt in ihrer Nähe einen Pfahl in den Boden, der oben einen Vogel trägt. Bäume und Pfahl sind durch ein ansteigendes Seil miteinander verbunden - das Zeichen für den Aufstieg zum Himmel (Harva, a.a.O., S. 548). Auch bei den Dolganen findet man die neun Bäume, doch jeder mit einem Vogel an der Spitze. Die Bedeutung ist immer dieselbe: der Weg des Schamanen und der Seele des Opfertiers zum Himmel. Tatsächlich ersteigen auch bei den Dolganen die Schamanen bei der Heilung die neun Himmel, und wie sie sagen, befinden sich vor jedem neuen Himmel wachende Geister, welche die Reise des Schamanen zu überwachen und gleichzeitig den Aufstieg der bösen Geister zu verhindern haben27.
Bei dieser langen und bewegten Schamanensitzung bleibt nur ein Punkt dunkel: Wenn die Seele des Kranken von den bösen Geistern entführt ist, warum muß dann der jakutische Schamane die Himmelsreise unternehmen? Wasiljev schlägt folgende Erklärung vor: Der Schamane trägt die Seele des Kranken zum Himmel, damit sie von der Beschmutzung durch die bösen Geister gereinigt wird (vgl. Harva, a. a. O., S. 550). Trotchshanskij dagegen behauptet, daß keiner von den ihm bekannten Schamanen die Reise in die Unterwelt gemacht habe, sie hätten alle zu ihren Heilungen nur die Himmelfahrt gebraucht (Harva,
26 Wir haben es hier mit einem stark bastardisierten Opfer zu tun: symbolische Darbringung des Herzens an das himmlische Wesen und Blutlibation an die «unterweltlichen» Mächte (siadaai usw.) Dasselbe grausige Ritual bei den araukanischen Schamanen. s. u. S. 317.
27 Harva. Rei. Voruell., S. 549. Dazu s. weitere Beschreibungen der jakutischen Schamanensitzung bei J.G.Gmelin. Rehe durch Sibirien von dem Jahr 1723 bis 1733, 2. Bd. (Göttingen 1752), S. 349 ff.; V. L. Priklowskij, Das Schamanenthum der Jakuten (Mitt. der Wiener Anthropol. Gesellschaft, 18. Bd., Wien 1888, S. 165-182 - die deutsche Übersetzung der Studie 0 shamanttve u jakutov, ersch. 1886 in Izvestija Vos-totchno-Sibirskago Otdela Russgago Geografitcheskago Obshtchestva 17. Bd., 1-2, Irkutsk 1886). Es gibt auch einen langen englischen Auszug aus dem umfangreichen Buch von Sieroszewski, Yakuty (St. Petersburg 1896): William G. Sumner, The Yakuts, Abridged from the russtan of Sierotzewsht (Journal of the Anthropological Institute of Great Britain, 31. Bd., 1901, S. 65-110; S. 102-108 Schamanismus nach Yakuty, S. 621 ff.). Vgl. W. Jochelson, The Yakut, S. 120 ff. nach Vitashevskij).
S. 551 ). Das spricht für die Vielfalt der schamanischen Techniken und die Unsicherheit unserer Informationen; wahrscheinlich waren die Unterweltsreisen, weil gefährlicher und geheimer, europäischen Beobachtern schwerer zugänglich. Doch ohne Zweifel waren die Unterweltsreisen auch den jakutischen Schamanen bekannt, zumindest manchen von ihnen, enthält ihre Tracht doch ein Symbol des «Loches der Erde», das sogar «Loch der Geister» (abasy-oibono) heißt und durch welches die Schamanen in die unterweltlichen Gegenden hinabsteigen konnten. Ferner wird der jakutische Schamane auf seinen ekstatischen Reisen von einem Wasservogel (Möwe, Taucher) begleitet, der gerade das Untertauchen in das Meer, also einen Abstieg zur Unterwelt symbolisiert (Harva, ebd., S. 551). Schließlich enthält das technische Lexikon der Jakutenschamanen zwei verschiedene Termini für die Richtungen der mystischen Reise: allara kyrar (gegen die «unteren Geister» ) und iisär kirnt (gegen die «oberen Geister»; Harva, S. 552). Übrigens hat auch Wasiljev beobachtet, daß bei den Jakuten und den Dolganen der Schamane bei seiner Suche nach der von den Dämonen versteckten Seele des Kranken sich benimmt, wie wenn er untertauchen wollte, und die Tun-gusen, Tschuktschen und Lappen sprechen von der schamanischen Trance als von einem «Eintauchen» (Harva, S. 552). Dasselbe wird uns bei den Eskimoschamanen begegnen, denn zahlreiche Völker, naheliegenderweise die am Meer wohnenden, verlegen das Jenseits in die Tiefen des Meeres28.
Wenn man die Notwendigkeit der Himmelsreise bei den jakutischen Schamanen verstehen will, gilt es zweierlei zu bedenken: 1. einerseits die Kompliziertheit, man kann schon sagen Konfusion ihrer religiösen und mythologischen Vorstellungen, und 2. andererseits das große Ansehen der schamanischen Himmelfahrten in ganz Sibirien und Zentralasien. Dieses Prestige ist, wie wir gesehen haben, die Erklärung dafür, daß der altaische Schamane schließlich für seine ekstatische Unterweltsfahrt (immer zur Befreiung der Seele des Kranken aus der Haft Erlik Khans) gewisse charakteristische Züge der Auffahrtstechnik entlehnt hat.
Was die Jakuten betrifft, so könnte man sich die Entwicklung etwa in der folgenden Form vorstellen: Ausgehend von der Tatsache, daß 28 Jedoch wie sich im Folgenden zeigen wird niemals ausschließlich; gewisse «Aus-erwählte» und «Privilegierte» steigen nach ihrem Tod zum Himmel auf.
man den himmlischen Wesen Tiere opferte und durch sichtbare Symbole (Pfeile, Holzvögel, ansteigendes Seil usw.) den Weg der Seele des Opfers bezeichnete, hat man schließlich den Schamanen als Führer dieser Seele auf ihrer Himmelsreise verwendet; und weil er die Seele des anläßlich einer Heilung geopferten Tieres begleitete, konnte es zu dem Glauben kommen, daß der Hauptzweck dieser Auffahrt die «Reinigung» der Seele des Kranken sei. Auf jeden Fall ist das Ritual der schamanischen Heilung in seiner gegenwärtigen Form hybrid; man bemerkt den Einfluß zweier verschiedener Techniken: 1. Suche nach der verirrten Seele des Kranken oder Austreibung der bösen Geister, und 2. Auffahrt zum Himmel.
Doch noch etwas ist zu bedenken: Abgesehen von seltenen Fällen von «Unterweltsspezialisierung» (ausschließlich Abstiege zur Unterwelt) sind die sibirischen Schamanen ebensowohl zu Himmelfahrten fähig als zu Abstiegen in die Unterwelt. Wie wir gesehen haben, rührt diese Doppeltechnik in gewisser Hinsicht von ihrer Initiation her: Die Initiationsträume der künftigen Schamanen enthalten ja sowohl Abstiege (- rituelle Leiden und Tod) als Aufstiege ( - Auferstehung), In diesem Zusammenhang begreift man leicht, daß der jakutische Schamane nach seinem Kampf mit den bösen Geistern und nach seiner Unterweltsfahrt um die Seele des Kranken sein eigenes geistiges Gleichgewicht durch eine Wiederholung der Himmelfahrt wiederherstellen muß.
Beachten wir, daß Macht und Prestige des Schamanen ausschließlich von seiner Fähigkeit zur Ekstase kommen. Bei den Opfern an das Himmelswesen hat er sich an die Stelle des Priesters gesetzt, doch diese Substitution äußert sich wie im Fall des altaischen Schamanen durch einen Wandel in der Struktur des Ritus selbst: Aus der Opferung ist eine Psychophorie geworden, also eine dramatische Zeremonie auf der Grundlage der Ekstase. Einzig seinen mystischen Fähigkeiten verdankt der Schamane seine Macht, die bösen Geister, die sich der Seele des Kranken bemächtigt haben, zu entdecken und zu bekämpfen. Es genügt ihm nicht, sie zu exorzisieren; er nimmt sie in seinen eigenen Körper auf, ergreift von ihnen Besitz, quält sie und treibt sie aus - und dies ist möglich, weil er an ihrer Natur teilhat, das heißt imstande ist seinen Körper zu verlassen, sich in beträchtliche Entfernungen zu versetzen, zur Unterwelt hinab- und zum Himmel hinaufzusteigen. Diese «spirituelle» Beweglichkeit und Freiheit, aus welcher sich die ekstatischen
Erlebnisse des Schamanen nähren, macht ihn jedoch zugleich verwundbar, und oft geschieht es bei seinem Ringen mit den bösen Geistern, daß schließlich er in ihre Gewalt fällt, das heißt wirklich «besessen» wird.
Schamanemilzungen bei den Tungusen und den Orotschen
Der Schamanismus nimmt im religiösen Leben der Tungusen einen wichtigen Platz ein28. Wie schon erwähnt, ist das Wort «Schamane» selbst tungusisch (shaman), wie es sich auch mit seinem Ursprung verhalten mag. Sehr wahrscheinlich ist, wie Shirokogorov gezeigt hat (wir werden noch darauf zurückkommen), der tungusische Schamanismus zumindest in seiner jetzigen Gestalt stark durch sino-lamaistische Ideen und Techniken beeinflußt. Die Nachweisbarkeit südlicher Einflüsse im gesamten zentralasiatischen und sibirischen Schamanismus haben wir schon mehrmals hervorgehoben. Wie man sich die Ausbreitung der südlichen Kulturkomplexe nach Norden und Nordosten zu denken hat, soll an anderer Stelle behandelt werden. Auf jeden Fall zeigt der tungusische Schamanismus heute eine komplexe Physiognomie; aus seinem Bild läßt sich eine erhebliche Zahl verschiedener Überlieferungen ablösen, durch deren Zusammenwachsen manchmal durchaus hybride Formen zustandegekommen sind. Auch hier konstatieren wir eine gewisse «Dekadenz» des Schamanismus, wie sie fast überall im nördlichen Asien bezeugt ist; so stellen die Tungusen Kraft und Mut der «alten Schamanen» der Kleinmütigkeit der heutigen entgegen, die in manchen Gegenden die gefährliche Unterweltsfahrt gar nicht mehr zu unternehmen wagen.
Der Tungusenschamane hat seine Macht bei vielerlei Gelegenheiten zu üben. Unentbehrlich für die Heilung - ob er die Seele des Kranken sucht oder die Dämonen exorzisiert -, ist er andererseits auch Seelen-29 Vgl. J. G. Gmelin, Reise dweh Sibirien tan dem Jahr 1733 bis 1743, 2. Bd., (Göttingen 1752), S. 4-1-46. 195-195 usw.; Mikhailowski, S. 61 f„ 97 usw.; S. Shirokogorov. General Theory of Shamanism among the Tungut (Journal of the North-China Branch of the Royal Asiatic Society. 54. Btl.. Shanghai 1923, S. 246-249); tiers., Northern Tungut Migrations in the far fast (ebd., 57. Bd., 1926, S. 123-183); ders.. Versuch einer Erforschung der Grundlagen des Schamanentums bei den Tungusen (Baeßler-Archiv, 18. Bd., 2. Teil, 1935, S. 41-96. Ubersetzungeines russischen Artikels Wladiwostock 1919); und besonders die große Zusammenstellung von Shirokogorov, Psychomenlal Complex of the Tungut (Shanghai-London 1935).
geleiter; er trägt die Opfer zum Himmel und in die Unterwelt, und im besonderen ist es seine Aufgabe, das geistige Gleichgewicht der ganzen Gemeinschaft zu gewährleisten. Drohen dem Clan Krankheiten, Unfälle oder Unfruchtbarkeit, ist Diagnose und Abhilfe seine Sache. Mehr als ihre Nachbarn neigen die Tungusen dazu, den Geistern eine ziemlich große Bedeutung beizumessen, und zwar nicht nur den Geistern der Unterwelt, sondern auch denen dieser Welt, die man für die Urheber aller Art von Verwirrung hält. Deshalb haben die Tungusen-schamanen außer den klassischen Motiven - Krankheit, Tod, Opfer an die Götter - für ihre Sitzungen, speziell für «kleine Vor-Sitzungen», noch eine Menge weiterer Gründe, wobei jedoch immer die Kenntnis und Bemeisterung der Geister vorausgesetzt ist.
Ebenso nehmen die Schamanen an bestimmten Opfern teil. Das jährliche Opfer an die Geister eines Schamanen bildet sogar ein großes religiöses Ereignis für den ganzen Stamm (Shirokogorov, Psychomental Complex, S. 322 ff.), Unentbehrlich sind die Schamanen natürlich auch bei den Jagd- und Fischriten (ebd.).
Sitzungen mit Unterweltsfahrten können aus folgenden Motiven unternommen werden: 1. Opfer für die Ahnen und die Toten in der Unterwelt; 2. Suche nach der Seele des Kranken und ihre Wiederherstellung; 3- Begleitung der Abgeschiedenen, welche diese Welt nicht verlassen wollen, und ihre Eingliederung in das Reich der Schatten (Shirokogorov, Psychomental Complex, S. 307). Trotz der vielen Gelegenheiten ist die Zeremonie ziemlich selten, denn sie gilt für gefährlich und wenige Schamanen wagen sich daran (ebd., S. 306). Der terminus technicus dafür ist örgiski, wörtlich «in der Richtung von örgi» (unterweltliche, «westliche» Gegend). Zum örgiski entschließt man sich erst nach einer vorhergehenden Sitzung des «kleinen Schamanismus». Man konstatiert z. B. eine Reihe von Mißhelligkeiten, Krankheiten oder Unfällen im Stamm. Der Schamane, gebeten die Ursache zu finden, inkorporiert sich einen Geist und erfährt den Grund, warum die Geister der Unterwelt oder die Toten und die Seelen der Ahnen das Gleichgewicht stören; gleichzeitig erfährt er, welches Opfer sie beruhigen kann. Daraufhin beschließt man zu dem Opfer und der Unterweltsfahrt des Schamanen zu schreiten.
Am Tage vor dem örgiski bringt man die Gegenstände herbei, deren sich der Schamane auf seiner ekstatischen Reise bedient, darunter ein kleines Floß, auf dem der Schamane über das Meer (den Baikalsee) setzen wird, eine Art Lanze zum Durchbrechen der Felsen, kleine Darstellungen von zwei Bären und zwei Ebern, welche im Falle des Schiffbruchs das Boot halten und einen Pfad durch den dichten Jenseitswald schlagen sollen, vier kleine Fische, die vor dem Boote schwimmen, ein «Idol», das den Hilfsgeist des Schamanen darstellt und ihm das Opfer tragen hilft, verschiedene Geräte zur Reinigung usw. Am Sitzungsabend legt der Schamane seine Tracht an, schlägt die Trommel, singt und ruft das «Feuer» an, die «Mutter Erde», und die «Ahnen», denen man das Opfer darbringt. Nachdem geräuchert ist, geht man zur Wahrsagung über. Mit geschlossenen Augen wirft der Schamane seinen Trommelschlegel in die Luft; wenn er verkehrt zurückfällt, ist es ein gutes Zeichen.
Der zweite Teil der Zeremonie beginnt mit der Opferung des Tieres, im allgemeinen eines Renntiers. Mit seinem Blut bestreicht man die ausgestellten Gegenstände; das Fleisch wird später zubereitet. Es werden Pfähle in den wigwan gebracht, ihre Spitze steht zum Rauchloch heraus. Ein langer Faden verbindet die Pfähle mit den draußen auf der Plattform ausgestellten Gegenständen; das ist der «Weg» für die Geister3. Nach diesen Vorkehrungen versammeln sich die Anwesenden im wigwan. Der Schamane beginnt zu trommeln, zu singen und zu tanzen. Er springt immer höher in die Luft4. Seine Helfer singen mit den Zuschauern den Kehrreim des Liedes. Er hält einen Augenblick inne, trinkt ein Glas Wodka, raucht ein paar Pfeifen und beginnt wieder mit dem Tanz. Er erhitzt sich mehr und mehr, bis er zu Boden fällt -leblos, in Ekstase. Wenn er nicht zu sich kommt, besprengt man ihn dreimal mit Wasser. Nun erhebt er sich und beginnt mit gellender Stimme zu sprechen - Antworten auf gesungene Fragen, die zwei, drei Personen an ihn richten. Der Körper des Schamanen ist jetzt von einem Geist bewohnt und dieser antwortet an seiner Stelle. Der Schamane befindet sich ja in der Unterwelt. Wenn er zurückkommt, begrüßen alle mit Freudenschreien seine Rückkehr aus dem Totenland.
Dieser zweite Teil der Zeremonie dauert ungefähr zwei Stunden. Nach einer Unterbrechung von zwei oder drei Stunden, also beim Morgengrauen, schreitet man zur letzten Phase, welche der ersten gleicht und wobei der Schamane den Geistern dankt (Shirokogorov, S. 304 ff.).
Bei den mandschurischen Tungusen kann man ohne die Teilnahme der Schamanen opfern. Doch nur der Schamane kann in die Unterwelt hinabsteigen und die Seele des Kranken von dort zurückbringen. Auch diese Zeremonie hat drei Teile. Wenn man in einer Vor-Sitzung des «kleinen Schamanismus» festgestellt hat, daß die Seele des Kranken wirklich in der Unterwelt gefangen liegt, opfert man den Geistern (seven), damit sie dem Schamanen beim Abstieg in die Unterwelt helfen. Der Schamane trinkt von dem Blut und ißt von dem Fleisch des Opfertieres, und wenn er sich so den Geist inkorporiert hat, fällt er in Ekstase. Nach dieser ersten Phase beginnt die zweite, die mystische Reise des Schamanen. Er kommt zu einem Berg im Nordwesten und steigt an ihm hinab zur andern Welt. Die Gefahren werden mehr, je näher er an die Unterwelt kommt. Er begegnet Geistern und anderen Schamanen und verteidigt sich mit seiner Trommel gegen ihre Pfeile. Da der Schamane alle Wechselfälle seiner Reise singt, können ihm die Anwesenden Schritt für Schritt folgen. Er steigt durch ein kleines Loch hinab und überquert drei Bäche, bevor er zu den Geistern der Unterwelt gelangt. Schließlich erreicht er die Welt der Finsternis und die Anwesenden schlagen mit Gewehrfeuersteinen Funken; das sind die «Blitze», welche dem Schamanen den Weg zeigen. Er findet die Seele und nach weitläufigen Kämpfen und Verhandlungen mit den Geistern bringt er sie mit tausend Schwierigkeiten auf die Erde zurück und fügt sie wieder in den Körper des Kranken ein. Den letzten Teil der Zeremonie bildet am nächsten Tag oder ein paar Tage später eine Danksagung an die Geister des Schamanen (Shirokogorov, S. 307).
Bei den Renntier-Tungusen in der Mandschurei lebt die Erinnerung an eine «frühere Zeit», wo man «gegen die Erde schamanisiertc», aber heutzutage wagt das kein Schamane mehr (ebd.). Bei den nomadischen Mankova-Tungusen ist die Zeremonie anders: Man opfert zur Nachtzeit einen schwarzen Bock, dessen Fleisch man nicht ißt. Wenn der Schamane die Unterwelt erreicht, fällt er zu Boden und bleibt eine halbe Stunde bewegungslos. Inzwischen springen die Anwesenden dreimal übet das Feuer {ebd., S. 308). Bei den Mandschu ist die Zeremonie des «Abstiegs in die Totenwelt» ebenfalls ziemlich selten. Während seines ganzen langen Aufenthalts konnte Shirokogorov nur an drei Sitzungen teilnehmen. Der Schamane ruft alle Geister an, chinesische, mandschurische und tungusische, erklärt ihnen den Grund der Sitzung (in dem von Shirokogorov studierten Fall die Krankheit eines achtjährigen Kindes) und bittet um ihre Hilfe. Dann beginnt er die Trommel zu schlagen und sobald sein besonderer Geist in ihn eingegangen ist, fällt er auf den Teppich nieder. Die Anwesenden stellen ihm Fragen; an seinen Antworten merkt man, daß er sich schon in der Unterwelt befindet. Da der Geist, der ihn besessen hält, ein Wolf ist, beträgt sich der Schamane demgemäß. Seine Sprache ist schwer zu verstehen. Immerhin versteht man soviel, daß die Krankheit nicht, wie man vor der Sitzung gedacht hat, von der Seele eines Toten rührt, sondern von einem bestimmten Geist, der als Preis für die Heilung den Bau eines kleinen Tempels (m’ao) verlangt oder die Darbringung regelmäßiger Opfer (ebd., S. 309).
Ein ähnlicher Abstieg in die «Totenwelt» wird in dem mandschurischen Gedicht Nishan saman erzählt, welches nach Shirokogorov das einzige schriftliche Zeugnis über den Mandschu-Schamanismus darstellt. Es handelt sich um folgendes: Zur Zeit der Mingdynastie ging ein junger Mann, Sohn reicher Eltern, im Gebirge auf die Jagd und fand durch einen Unglücksfall den Tod. Eine Schamanin namens Nishan beschließt seine Seele zurückzubringen und steigt in die «Totenwelt» hinab. Sie trifft dort viele Geister, darunter den Geist ihres verstorbenen Gatten, und gelangt nach verschiedenen Wechselfällen wieder auf die Erde mit der Seele des jungen Mannes, der wieder aufersteht. Leider gibt das Gedicht, das allen Mandschu-Schamanen bekannt ist, für die rituelle Seite der Sitzung nur sehr spärliche Einzelheiten an (Shirokogorov, S. 308). Es wurde schließlich zum «literarischen Text», welcher nur im Unterschied zu den entsprechenden tatarischen Gedichten schon vor langer Zeit aufgezeichnet und in schriftlicher Gestalt verbreitet wurde. Seine Bedeutung ist trotzdem erheblich, zeigt er doch, wie nahe das Thema von Orpheus' Unterweltsfahrt den schamanischen Unterweltsabstiegen steht32.
32 Vgl. auch Owen Lattimore, Wulakai Tales from Manchuria (Journal of American Folklore, 46. Bd., 1933, S. 272-286), S. 273 ff.
Zu dem nämlichen Zweck der Heilung unternimmt man aber auch ekstatische Reisen im Gegensinn, also Himmelfahrten. In diesem Fall stellt der Schamane 27 (9 X 3) junge Bäume auf und dazu eine symbolische Leiter, auf der er seinen Aufstieg beginnt. Unter den rituellen Gegenständen sind zahlreiche Vogelfiguren, die, wie wir wissen, Symbole der Auffahrt darstellen. Die Himmelsreise wird aus vielerlei Gründen unternommen; die von Shirokogorov beschriebene Sitzung hatte die Heilung eines Kindes zum Zweck. Der erste Teil der Sitzung gleicht der Vorbereitung einer Unterweltsfahrt. Durch «kleinen Schamanismus» ermittelt man den genauen Moment, wo dayatchan, von dem man die Wiederherstellung der Seele des kranken Kindes verlangt, zur Entgegennahme des Opfers geneigt ist. Das Tier, im vorliegenden Fall ein Lamm, wird auf rituelle Weise geschlachtet: Man reißt ihm das Herz aus und sammelt das Blut in besonderen Gefäßen, wobei man darauf achtet, daß kein Tropfen zur Ende fällt. Die Haut wird nachher ausgestellt. Der zweite Teil der Sitzung ist ganz der Herbeiführung der Ekstase gewidmet. Der Schamane singt, schlägt die Trommel, tanzt und springt in die Luft, wobei er sich von Zeit zu Zeit dem kranken Kind nähert. Dann gibt er die Trommel seinem Helfer, trinkt Wodka, raucht und tanzt wieder, bis er erschöpft zu Boden fällt. Nun hat er den Körper verlassen und fliegt zum Himmel. Alle drängen sich um ihn und sein Assistent erzeugt mit einem Feuerstein Funken ganz wie zu einer Unterweltsfahrt. Diese Art von Sitzung kann ebensowohl bei Tag wie bei Nacht stattfinden. Der Schamane trägt dabei ein ziemlich vereinfachtes Kostüm. Shirokogorov glaubt, daß die Tungusen diese Art Sitzung mit Himmelfahrt von den Buriäten entlehnt haben (S. 310-311 ).
Offensichtlich ist der hybride Charakter dieser Art Sitzung: Bäume, Leiter und Vogelfiguren ergeben einen Himmelssymbolismus, während die ekstatische Reise des Schamanen die gegenteilige Richtung anzeigt (die «Finsternis», welche durch die Funken erhellt werden mußl Übrigens bringt der Schamane das Opfertier nicht zu Buga, dem Höchsten Wesen, sondern zu den Geistern der oberen Gegenden. Diese Art Sitzungen begegnen bei den Renntier-Tungusen in Transbaikalien und der Mandschurei, fehlt aber den tungusischen Stämmen der Nordmandschurei (ebd., S. 323). was ebenfalls für die Hypothese vom buriäti-schen Einfluß spricht.
Neben diesen beiden Haupttypen der schamanischen Sitzung kennen die Tungusen noch andere Arten, die sich nicht auf die untere oder obere Welt, sondern auf die Geister dieser Welt beziehen. Sie dienen dazu, diese Geister zu bemeistern, die bösen fern zu halten, den Geistern, die feindselig werden könnten, zu opfern usw. Viele Sitzungen sind offensichtlich durch Krankheiten veranlaßt, von denen man annimmt, daß bestimmte Geister sie hervorrufen. Um den Urheber der Störung zu ermitteln, muß der Schamane sich seinen Hausgeist einkörpern und sich schlafend stellen (schwache Nachahmung der scha-manischen Trance) oder er bemüht sich den Urheber der Krankheit aufzurufen und im Körper des Kranken einzukörpern (Shirokogorov, S. 313), denn die Vielheit der Seelen (es gibt drei, ebd., S. 134 ff.) und ihre geringe Stabilität macht die Aufgabe des Schamanen zuweilen schwer. Es gilt herauszubringen, welche Seele den Körper verlassen hat, und sie aufzusuchen; in diesem Fall ruft der Schamane die Seele mit stehenden Sprüchen oder Gesängen zurück und bemüht sich, sie durch rhythmische Bewegungen in den Körper zurückzubringen. Manchmal sind auch Geister in den Kranken eingezogen; dann treibt der Schamane sie mit Hilfe seiner Hausgeister aus (ebd., S. 318)5.
Im eigentlichen tungusischen Schamanismus spielt die Ekstase eine große Rolle. Tanz und Gesang6 sind die wichtigsten Mittel. Die Phänomenologie der tungusischen Sitzung erinnert in allem an die Sitzungen der anderen sibirischen Völker: Man hört die Stimmen der Geister; der Schamane wird sehr «leicht» und bringt es fertig, mit seinem Kostüm, das manchmal 30 kg wiegt, in die Luft zu springen; der Patient spürt kaum, wie der Schamane über seinen Körper geht (ebd., S. 364) - Folgen der magischen Levitations- und «Flug»kraft (ebd., S. 332); weiter verspürt der Schamane während der Trance eine große Wärme und kann deshalb mit Kohlenglut und glutrotem Eisen spielen, ja er wird vollkommen unempfindlich (er bringt sich z. B. tiefe Verwundungen bei, ohne daß Blut fließt) usw. (ebd., S. 365). Das alles bildet, wie sich später noch besser zeigen wird, einen Bestandteil alten magischen Erbes, das heute noch in den verschiedensten Teilen der Welt überlebt und folglich älter ist als die für die heutige Gestalt des tun-gusischen Schamanismus so wichtigen südlichen Einflüsse. Für den Augenblick genüge dieser kurze Hinweis auf die beiden magischen Traditionen im tungusischen Schamanismus, den «archaischen» Untergrund und den südlichen, sino-buddhistischen Zuwachs. Sie sollen später in ihrer Bedeutung sichtbar werden, wenn wir die Geschichte des zentral- und nordasiatischen Schamanismus in ihren großen Zügen nachzuzeichnen versuchen.
Eine ähnliche Form von Schamanismus findet sich bei den Stämmen der Orotschen und Udehe. Lopatin gibt eine ausführliche Beschreibung der Heilungssitzung bei den Ulka-Orotschen (am Tumninfluß)37. Der Schamane beginnt mit einem Gebet an seinen Schutzgeist; er selbst, der Schamane, ist schwach, aber sein Geist ist allmächtig und nichts kann ihm widerstehen. Er tanzt neunmal rund um das Feuer, dann stimmt er einen Gesang an seinen Geist an. «Du wirst kommen!» sagt er zu ihm, «oh, du wirst hierher kommen! Du wirst Mitleid haben mit diesen Armen» usw. Er verspricht seinem Geist frisches Blut; nach den Anspielungen, die der Schamane macht, scheint es sich um den großen Donnervogel zu handeln. «Deine eisernen Flügel!... Deine eisernen Federn tönen, wenn du fliegst!... Dein mächtiger Schnabel ist bereit, deine Feinde zu packen!...» Diese Anrufung setzt sich etwa dreißig Minuten fort und der Schamane ist zuletzt erschöpft.
Auf einmal ruft er mit ganz veränderter Stimme: «Ich bin da!... Ich bin gekommen, um diesen Armen zu helfen!...» Der Schamane nähert sich der Ekstase; er tanzt um das Feuer, er breitet die Arme aus - wobei er Trommel und Schlegel behält - und ruft: «Ich fliege!... Ich fliege!... Gleich werde ich dich haben!... Gleich werde ich dich packen. Du kannst mir nicht entwischen!...» Nach den Erläuterungen, die Lopatin anschließend erhielt, stellt dieser Tanz den Flug des Scha-manen im Geisterreich dar, wo er den bösen Geist erjagt, der die Seele des kranken Knaben entführt hat. Es folgt ein Dialog in mehreren Stimmen, der mit unverständlichen Worten geschmückt ist. Zum Schluß ruft der Schamane: «Ich habe sie! Ich habe sie!», und indem er die Hände zusammendrückt, wie wenn er etwas festhielte, nähert er sich dem Bett des kranken Kindes und gibt ihm seine Seele zurück; wie der Schamane Lopatin am nächsten Tag erklärte, hat er die Seele des Kindes in Gestalt eines Spatzen gefangen.
Die Bedeutung dieser Sitzung liegt darin, daß die Ekstase des Schamanen sich nicht in einer Trance zeigt, sondern durch den Tanz, welcher den magischen Flug symbolisiert, herbei- und fortgeführt wird. Der Schutzgeist scheint der Donnervogel oder der Adler zu sein, der in den Mythologien und Religionen Nordasiens eine so große Rolle spielt. Obwohl also die Seele des Kranken durch einen bösen Geist entführt worden ist, wird dieser nicht, wie man meinen möchte, in der Unterwelt erjagt, sondern hoch oben im Himmel.
Der Schamanismus bei den Jukagiren
Die Jukagiren kennen zwei Wörter zur Bezeichnung des Schamanen: àlma (vom Verbum «machen») und i'rkeye, wörtlich «der Zitternde» 36. Alma behandelt die Kranken, bringt Opfer dar, betet zu den Göttern um glückliche Jagd und unterhält Beziehungen sowohl zur übernatürlichen Welt als zum Reich der Schatten. In der alten Zeit war seine Rolle sicherlich viel wichtiger, führen doch alle Jukagirenstämme ihren Ursprung auf einen Schamanen zurück. Noch bis ins letzte Jahrhundert verehrte man die Schädel der toten Schamanen; man faßte sie in einer Holzfigur, die man in einem Kästchen aufbewahrte. Man unternahm nichts ohne Wahrsagung durch die Schädel; dabei verwendete man die im arktischen Asien häufigste Methode: die Schwere oder Leichtigkeit der Schädel bedeutete ein Nein oder Ja. Die Antwort dieses Orakels wurde buchstäblich befolgt. Die übrigen Gebeine wurden unter die Angehörigen verteilt und man trocknete das Fleisch, um es besser er-36 Waldemar Jochelson, The Yukagbir and Yuiagbirized Tungus (The Jesup North Pacific Expedition, 9. Bd.; Memoirs of the American Museum of Natural History, 15. Bd,. I. Teil, 1910, II. Teil, 192-1, Leiden-Neuyork), S. 162 ff.
halten zu können. Man errichtete auch «Holzmänner» zum Andenken an die schamanischen Ahnen (Jochelson, S. 165).
Wenn ein Mensch stirbt, trennen sich seine drei Seelen: eine bleibt bei der Leiche, die zweite schlägt den Weg zum Reich der Schatten ein. die dritte steigt zum Himmel (Jochelson, S. 157). Wie es scheint, begibt sich diese dritte Seele zum höchsten Gott, der den Namen Pon hat, wörtlich «Etwas» (ebd.,S. 140). Die wichtigste Seele scheint ebenfalls die zu sein, welche zum Schatten wird. Sie trifft unterwegs eine alte Frau, die Hüterin der Schwelle des Jenseits; dann kommt sie an einen Fluß, den sie in einem Boot überquert. Im Schattenreich führt der Abgeschiedene dieselbe Existenz weiter, die er auf Erden bei den Seinen führte, nur daß er jetzt die «Schattentiere» jagt. In dieses Schattenreich steigt der Schamane hinab, um die Seele des Kranken zu suchen.
Aber noch bei einer anderen Gelegenheit dringt er dort ein, nämlich um eine Seele zu «stehlen» und ihr hier auf Erden zur Geburt zu verhelfen, indem er sie in den Bauch einer Frau bringt. Denn die Toten kommen auf die Erde zurück und beginnen hier eine neue Existenz. Doch manchmal, wenn die Lebenden ihrer Pflichten gegen die Abgeschiedenen vergessen, weigern sich diese ihnen Seelen zu schicken und die Frauen bekommen keine Kinder mehr. Dann steigt der Schamane ins Reich der Schatten hinab und wenn er die Toten nicht zu überreden vermag, stiehlt er eine Seele und bringt sie mit Gewalt in den Leib einer Frau. Doch leben solche Kinder nicht lange; ihre Seelen haben es eilig ins Reich der Schatten zurückzukehren 87.
Es finden sich noch vage Spuren einer alten Teilung in «gute» und «böse» Schamanen, ebenso von der Existenz von Schamaninnen, die heute verschwunden sind. Bei den Jukagiren gibt es keine Spur der Teilnahme der Frauen an dem sogenannten «Familien- oder Hausschamanismus», der bei den Korjaken und Tschuktschen heute noch überlebt und ihnen das Halten von Familientrommeln ermöglicht (s. u. S, 212). Doch in alten Zeiten besaß die Jukagirenfamilie ihre eigene Trommel (Jochelson, S. 192 ff.), woraus hervorgeht, daß zumindest bestimmte «schamanische» Zeremonien periodisch von den Mitgliedern des Haushaltes geübt wurden.
Von verschiedenen bei Jochelson beschriebenen Sitzungen, die nicht alle interessant sind (s. z. B. 200 ff.), wollen wir nur die wichtigste erwähnen, die der Heilung dient. Der Schamane setzt sich auf den Boden und nachdem er lange getrommelt hat, ruft er seine Schutzgeister an, indem er Tierstimmen nachahmt: ..Meine Ahnen», ruft er, «Kommt zu mir. Kommt mir zu Hilfe, meine jungen Geistermädchen! kommt her!...» Er beginnt wieder zu trommeln, richtet sich, unterstützt von seinem Gehilfen, auf, begibt sich zur Türe und atmet tief ein, um die Seelen der Ahnen und die anderen Geister, die er beschworen hat, sich einzuverleiben. «Die Seele des Kranken hat sich, scheint es, zum Reich der Schatten gewandt!» verkünden durch seinen Mund die Geister der Ahnen. Die Angehörigen des Patienten ermuntern ihn: «Sei stark! sei stark!» Der Schamane legt seine Trommel nieder und streckt sich bäuchlings auf der Renntierhaut aus; er bleibt unbeweglich, das Zeichen dafür, daß er seinen Körper verlassen hat und im Jenseits herumreist. Er ist zum Schattenreich hinabgestiegen «durch seine Trommel, wie wenn er in einen See untergetaucht wäre» (Jochelson). Er blieb lange Zeit ohne sich zu rühren und alle Anwesenden «'arteten geduldig auf sein Erwachen.
Später erzählte der Schamane Jochelson den Verlauf seiner ekstatischen Reise. Begleitet von seinen Hilfsgeistern war er den Weg gegangen, der zum Reich der Schatten führt. Er kam vor ein kleines Haus und traf auf einen Hund, der zu bellen anfing. Eine alte Frau, die Hüterin des Wegs, kam aus dem Haus und fragte ihn, ob er für immer gekommen sei oder nur für einige Zeit. Der Schamane gab ihr keine Antwort und sagte zu seinen Geistern: «Hört nicht auf die Worte der Alten! Geht weiter auf eurem Weg!» Bald darnach kamen sie an einen Fluß, an dem ein Boot lag; auf dem anderen Ufer bemerkte der Schamane Zelte und Menschen. Der Schamane bestieg das Boot und überquerte den Fluß, immer in Begleitung seiner Geister. Er traf die Seelen der toten Verwandten des Kranken und als er ihr Zelt betrat, endeckte er dort auch die Seele des Kranken selbst. Da die Verwandten sie ihm nicht herausgeben wollten, sali sich der Schamane gezwungen sie mit Gewalt mitzunehmen. Um sie ungefährdet auf die Erde zurückzubringen, atmete der Schamane die Seele des Kranken ein und verstopfte sich die Ohren, so daß sie nicht entkommen konnte. Die Rückkehr des Schamanen zeigte sich daran, daß er Bewegungen machte. Zwei junge Mädchen massierten ihm die Beine, und nachdem er ganz zurückgekommen war, fügte er die Seele wieder in den Körper des Kranken ein. Dann wandte er sich zur Türe und schickte seine Hilfsgeister wieder fort38.
Es muß nicht sein, daß der Jukagiren-Schamane die Seele in der Unterwelt zu entwenden versucht. Er kann die Sitzung auch halten ohne die Seelen der toten Schamanen zu nennen; dann wendet er sich, unter Anrufung seiner Hilfsgeister und mit Nachahmung ihrer Stimmen, an den Schöpfer und andere himmlische Mächte (Jochelson, S. 205 ff.). Diese Besonderheit zeigt die Mehrwertigkeit seiner ekstatischen Fähigkeiten. Der Schamane dient auch als Mittler zwischen Mensch und Göttern und deshalb spielt er eine Hauptrolle bei der Jagd. Auf jeden Fall vermag er einzugreifen bei den Gottheiten, die jede auf ihre Art Herr sind über die Welt der Tiere. Wenn Hunger den Stamm bedroht, schreitet der Schamane zu einer Sitzung, welche der Heilungssitzung Stück für Stück gleicht. Nur wendet er sich diesmal nicht an den Schöpfer des Lichtes oder steigt auf der Suche nach der Seele des Kranken in die Unterwelt, sondern fliegt davon zum Meister der Tiere. Vor ihm angekommen bittet er: «Deine Kinder haben mich entsandt, damit du ihnen Nahrung gibst!...» Der Meister der Tiere gibt ihm die «Seele» eines Renntiers und am nächsten Tag begibt der Schamane sich an einen bestimmten Ort an einem Fluß und wartet. Ein Renntier kommt vorbei und der Schamane tötet es mit einem Pfeilschuß. Das ist das Zeichen dafür, daß es nicht mehr an Wildpret fehlen wird (Jochelson, S. 210 ff.).
Außerdem ist der Schamane Meister im Wahrsagen. Dies geht entweder mit Wahrsageknochen vor sich oder durch eine schamanische Sitzung (Jochelson, S. 208 ff.). Diese Fähigkeit erwächst aus seinen Beziehungen zu den Geistern. Doch geht die Bedeutung der Geister im Glauben der Jukagiren vermutlich auf jakutische und tungusische Einflüsse zurück. Zwei Tatsachen sind dafür von Wichtigkeit, einer-38 Jochelson. S. 196-199. Man erkennt unschwer das klassische Szenario einer Unterwehsfahrt: die Hüterin der Schwelle, der Hund, die Überquerung des Flusses. Es erübrigt sich alle - schamanischen oder nichtschamanischen - Parallelen aufzuführen; auf gewisse Motive kommen wir später noch zurück.
seits das Wissen der Jukagiren von einem Niedergang ihres Schamanen-tums gegenüber der alten Zeit und andererseits die starken jakutischen und tungusischen Einflüsse in den gegenwärtigen Praktiken der Juka-giren-Schamanen (Jochelson, S. 162).
Religion und Schamanismus bei den Korjaken
Die Korjaken kennen ein Höchstes Wesen, «Den Oberen», welchem sie Hunde opfern. Doch ist dieses Höchste Wesen liier wie überall mehr passiv: Die Menschen sind den Angriffen des bösen Geistes, Kalau. preisgegeben und «Der Obere» kommt ihnen nur selten zu Hilfe. Während aber bei den Jakuten und Buriäten die Bedeutung der bösen Geister schon beträchtlich ist, hat die korjakische Religion dem Höchsten Wesen und den wohlwollenden Geistern noch ziemlich viel Raum bewahrt39. Kalau sucht unaufhörlich die «dem Oberen» dargebrachten Opfer wegzunehmen und es gelingt ihm auch vielfach. So kann bei dem Hundeopfer des Schamanen an das Höchste Wesen Kalau die Gabe wegnehmen und der Kranke erliegt. Wenn dagegen das Opfer den Himmel erreicht, ist die Heilung gesichert40. Kalau ist der böse Zauberer, der Tod und wahrscheinlich der Erste der Toten. Auf jeden Fall ist er es, der den Tod der Menschen verursacht, indem er ihr Fleisch und speziell die Leber verschlingt (Jochelson, S. 102), wie in Australien und andernorts die Zauberer ihre Opfer töten, indem sie während des Schlafs ihre Leber und die inneren Organe verzehren.
Der Schamanismus spielt in der Religion der Korjaken noch eine ziemlich große Rolle. Aber auch hier begegnet das Motiv vom «Niedergang des Schamanen». Und was uns noch wichtiger scheint, dieser Nie-39 W. I. Jochelson. The Koryak (The Jesup North Pacific Expedition. 6, Bd., 1. und 2. Teil: Memoirs of flic American Museum of Natural History. 10. Bd., Leiden-Neuyork 1905-1908). S. 92, 117.
40 Vgl. bei Jochelson. S. 93. Fig. 40 und 41 die naiven Zeichnungen eines Korjaken mit den Darstellungen zweier schamanischer Opfer: Beim ersten nimmt kalau die Opfergabe weg mit der bekannten Konsequenz, beim zweiten steigt der geopferte Hund bis zu «Den oben- und der Kranke ist gerettet. Gott opfert man, indem man sich nach Osten wendet; nach Westen wendet man sich, wenn man kalau opfert. (Dieselben Richtungen gelten hei Jakuten, Samojeden und Altaiern. Nur bei den Buriäten sind sie umgekehrt: der Osten gehört den bösen Tcngri, der Westen eien guten, vgl. Agapitov und Changalov, Shamanstro u burjat, S. 4; Jochelson, S. 93.
dergang des Schamanen gehört zu einem Niedergang der Menschheit im allgemeinen, einer geistigen Tragödie, welche sich vor sehr langer Zeit zugetragen hat. In der mythischen Zeit des Helden Großer Rabe konnten die Menschen mühelos zum Himmel steigen und ebensoleicht stiegen sie auch hinab zur Unterwelt; heutzutage sind nur noch die Schamanen dazu imstande (Jochelson, S. 103, 121). In den Mythen erstieg man den Himmel durch die Mittelöffnung des Gewölbes, durch welche der Schöpfer der Erde herniederschaute {ebd., S. 301 ff.); man kam auch hinauf, wenn man dem Weg eines Pfeiles folgte, der zum Himmel hinaufgeschossen worden war (ebd., S. 293, 304; über dieses Mythenmotiv s. u. S. 453). Doch wie wir schon aus anderen religiösen Überlieferungen wissen, wurden diese guten Verbindungen zu Himmel und Unterwelt jäh unterbrochen (die Korjaken geben kein besonderes Ereignis als Ursache an) und seither sind nur mehr die Schamanen im Stand, sie wieder herzustellen.
Aber heutzutage haben sogar die Schamanen ihre wunderbaren Kräfte verloren. Vor noch nicht so langer Zeit hatten sehr mächtige Schamanen die Kraft, sogar einer eben verstorbenen Person ihre Seele zurückzugeben und sie wieder zum Leben zu bringen; Jochelson hörte noch solche Heldentaten «alter Schamanen» erzählen, aber all diese Schamanen waren schon sehr lange tot (S. 48). Mehr noch: der Schamanenberuf selbst befand sich im Rückgang. Jochelson traf nur zwei junge Schamanen, noch dazu ziemlich arm und ohne Ansehen. Die Sitzungen, denen er beiwohnte, waren ohne große Bedeutung. Man hörte Töne und seltsame Stimmen von allen Seiten (die Hilfsgeister), die plötzlich aufhörten; wenn man wieder Licht machte, fand man den Schamanen erschöpft auf der Erde liegen. Er verkündete ungeschickt, die Geister hätten ihm versichert, die «Krankheit» werde das Dorf verlassen (Jochelson, S. 49). Bei einer anderen Sitzung, die wie üblich mit Gesang, Trommeln und Geisteranrufung begonnen hatte, verlangte der Schamane von Jochelson sein Messer; die Geister hätten ihm befohlen, sich aufzuschlitzen. Aber er tat nichts dergleichen. Doch erzählte man von anderen Schamanen, daß sie den Körper des Patienten öffneten, nach der Ursache der Krankheit suchten und das betreffende Stück Fleisch aufaßen - und die Wunde habe sich sofort geschlossen {ebd., S. 51).
Der Name des korjakischen Schamanen ist enenalan, das heißt «Mensch, der von den Geistern inspiriert ist» (S. 47). Und wirklich bestimmen die Geister einen Menschen zur Schamanenlaufbahn; niemand würde aus freien Stücken enenalan. Die Geister zeigen sich in der Gestalt von Vögeln und anderen Tieren. Sehr wahrscheinlich benützten die «alten Schamanen» diese Geister, um ungestraft in die Unterwelt zu kommen, wie wir es bei den jukagirischen Schamanen und anderen gesehen haben. Vermutlich hatten sie das Wohlwollen Kalaus und anderer Unterweltsgestalten zu gewinnen, denn beim Tod steigt die Seele zum Himmel, zum Höchsten Wesen, doch der Schatten und der Abgeschiedene selbst steigen in die Unterweltsgegenden hinab. Der Eingang zur Unterwelt wird von Hunden bewacht. Die eigentliche Unterwelt besteht aus Dörfern wie die irdischen, wo eine jede Familie ihr Haus hat. Der Weg zur Unterwelt beginnt direkt unter dem Scheiterhaufen und bleibt nur solange offen, als für die Reise des Toten nötig ist41.
Der Niedergang des korjakischen Schamanismus zeigt sich auch darin, daß der Schamane kein spezielles Kostüm mehr verwendet (Jo-chelson, S. 48). Er hat auch keine eigene Trommel. Jede Familie besitzt eine Trommel und übt damit das, was Jochelson und Bogoras und andere nach ihnen als «Hausschamanismus» bezeichnet haben. In der Tat kennt jede Familie eine Art Schamanismus bei ihren häuslichen Riten, den periodischen oder nichtperiodischen Opfern und Zeremonien, aus welchen die religiösen Pflichten der Gemeinschaft bestehen. Nach Jochelson und Bogoras (a.a.O.. S. 48) wäre der «Familienschamanismus» dem berufsmäßigen Schamanismus vorausgegangen. Viele Umstande stehen, wie wir bald sehen werden, dieser Auffassung entgegen. Wie überall in der Religionsgeschichte bestätigt sich auch im sibirischen Schamanismus die Beobachtung, daß die Profanen die ekstatischen Erlebnisse gewisser privilegierter Individuen nachzuahmen versuchen, und nicht umgekehrt.
41 Jochelson, a. a. O. S. 103. Der «Öffnung» des Himmels entspricht die Öffnung der Erde. die Zugang zur Unterwelt gewährt; dies ist ein für Nordasien charakteristisches kosmologisches Schema (s. u. S. 250 ff.). Der Weg, der sich öffnet und sogleich wieder schließt, ist ein sehr häufiges Symbol für das «Durchbrechen der Ebenen»; so kommt er auch in einer Fülle von Initiationsberichten vor. Vgl. Jochelson S. 302 ff. ein korjakisches Märchen (Nr. 112). in dem ein junges Mädchen sich von einem kannibalischen Ungeheuer verschlingen läßt, um schnell in die Unterwelt hinab zu kommen und mit allen anderen Opfern des Menschenfressers zur Erde zurückzukehren, bevor der «Weg der Toten» sieh wieder schließt. Dieses Märchen bewahrt mit erstaunlicher Kohäsion mehrere Initialionsmotive: Reise in die Unterwelt durch den Magen eines Ungeheuers; Suche und Rettung unschuldiger Opfer: der Weg ins Jenseits, der sich innerhalb weniger Augenblicke öffnet und schließt.
Der «Hausschamanismus» begegnet auch bei den Tschuktschen und zwar insofern, als während der vom Familienoberhaupt ausgeführten Zeremonie sich jedermann bis hinunter zu den Kindern auf der Trommel versucht. Gelegentlich der «Herbstschlachtung», zum Beispiel wo zur Sicherung des Wildbestandes im nächsten Jahr Tiere geopfert werden, schlägt man die Trommel - jede Familie hat ihre eigene - und versucht sich Geister einzukörpern und zu schamanisieren42. Aber nach der Meinung auch von Bogoras handelt es sich dabei um eine schlechte Imitation schamanischer Sitzungen: Die Zeremonie findet im äußeren Zelt und bei Tage statt, während die schamanischen Sitzungen im Schlafgemach, bei Nacht und in völliger Finsternis vor sich gehen; die Familienmitglieder ahmen eines nach dem anderen schamanische «Geisterbesessenheit» nach, indem sie sich verrenken, Luftsprünge machen und unartikulierte Laute versuchen, angeblich Stimmen und Sprache der Geister. Zuweilen wagt man sich sogar an schamanische Heilungen oder fängt zu prophezeien an, ohne daß jemand dem Aufmerksamkeit schenkt (Bogoras, S. 413). All diese Züge beweisen, daß die Profanen, erhoben von vorübergehender religiöser Begeisterung, den schamanischen Zustand zu erreichen suchen, indem sie den Schamanen alles nachmachen. Modell ist wohl die Trance des wirklichen Sdiamanen, doch die Nachahmung beschränkt sich auf ihr Äußeres: «Geisterstimmen» und «Geheimsprache», Pseudo-Prophetie usw. Der «Hausschamanismus» ist, wenigstens in seiner heutigen Gestalt, nichts als äffische Nachahmung der ekstatischen Technik des Berufsschamanen.
Übrigens gibt es daneben auch eigentliche schamanische Sitzungen. Sie finden am Abend statt, nach den religiösen Zeremonien, die wir eben aufgeführt haben, und werden von berufsmäßigen Schamanen ausgeführt. Der «Hausschamanismus» scheint eine hybride Erscheinung zu sein, wahrscheinlich aus zwei Momenten entstanden: Einerseits geben sich sehr viele Tschuktschen als Schamanen aus (fast ein Drittel der Bevölkerung nach Bogoras, S. 413), und da jedes Haus seine Trommel 42 Waldemar G. Bogoras. The Chukchee (The Jesup North Pacific Expedition, 7. Bd., 1907; Memoirs of the American Museum of Natural History, 11. Bd.). S. 374, 413.
hat, sind es sehr viele, die an den Winterabenden zu singen und zu trommeln anfangen und manchmal sogar zu einer präschamanischen Ekstase gelangen; andererseits hat die religiöse Spannung der periodischen Feste befördernd auf die latente Begeisterung gewirkt und eine Art Ansteckung begünstigt. Doch, um es noch einmal zu sagen, im einen wie im andern Fall bemüht man sich um die Nachahmung eines Modells, nämlich der ekstatischen Technik des Berufsschamanen.
Bei den Tschuktschen wie in ganz Asien bekundet sich die scha-manische Berufung im allgemeinen durch eine geistige Krise, die entweder durch eine .Initiationskrankheit» hervorgerufen ist oder durch eine übernatürliche Erscheinung (Wolf, Robbe usw. erscheinen in einem Augenblick großer Gefahr und retten den künftigen Schamanen ). Auf jeden Fall wird die durch das «Zeichen» (Krankheit, Erscheinung usw'.) veranlaßte Krise ganz in dem schamanischen Erlebnis aufgelöst. Die Vorbereitungszeit haben die Tschuktschen einer schweren Krankheit angeglichen und die «Inspiration» (das heißt die Vollendung der Initiation) der Heilung (Bogoras, S. 421). Die meisten von Bogoras befragten Schamanen gaben an, sie hätten keinen Meister gehabt (ebd., S. 425), doch damit ist nicht gesagt, daß sie nicht übermenschliche Lehrer gehabt haben. Das Vorkommen «schamanischer Tiere» gibt schon einen Hinweis über die Art von Unterweisung, die ein Lehrling erfahren kann. Ein Schamane erzählte Bogoras (S. 426), er habe schon als Halbwüchsiger eine Stimme gehört, die ihm befahl: «Geh in die Einsamkeit! Du wirst eine Trommel finden. Schlage die Trommel, und du wirst die ganze Welt sehen!» Er hörte die Stimme und es gelang ihm wirklich zum Himmel aufzusteigen, ja sein Zelt auf den Wolken zu errichten43. Denn wie auch die allgemeine Tendenz des tschuktschischen Schamanismus in seiner gegenwärtigen (d. h. von den Ethnographen zu Beginn unseres Jahrhunderts beobachteten) Phase verlaufen mag, auch der tschuktschische Schamane ist imstande durch die Lüfte zu fliegen und die Himmel einen nach dem andern zu durchqueren, indem er durch die Öffnung des Polarsterns hinaufsteigt (Bogoras, S. 331).
43 Die Überlieferung von Himmelfahrten ist jedoch besonders lebendig in der Mythologie, siehe z. B. die Geschichte von dem jungen Mann, der eine Himmelsfee («sky-girl») heiratet und zum Himmel steigt, indem er einen senkrechten Berg er-klettert; W. Bogoras. Chukchee Mythology (The Jesup North Pacific Expedition. 8. Bd.. I, S. 3-197. Leiden-Neuyork 1913). S. 107 ff.
Doch wie wir schon bei anderen sibirischen Völkern gesehen haben, wissen auch die Tschuktschen von einem Niedergang ihrer Schamanen. So halten sich die Schamanen zum Beispiel an den Tabak als Stimulans, eine Sitte, die sie von den Tungusen übernommen haben (Bogoras, S. 434). Und während die Folklore viel von den Trancen und den ekstatischen Reisen der alten Schamanen zur Suche der Seelen der Kranken zu sagen weiß, begnügt sich heute der tschuktschische Schamane mit einer Pseudotrance (ebd., S. 441). Man hat den Eindruck, die ekstatische Technik ist im Niedergang, denn die schamanischen Sitzungen bestehen hauptsächlich nur aus Geisteranrufung und Fakirstücken.
Doch der schamanische Wortschatz selbst zeigt die wirkliche Bedeutung der Trance. Die Trommel heißt «Boot», und von einem Schamanen in Trance sagt man, daß er «untertaucht» (Bogoras, S. 438). Das beweist, daß man die Sitzung als Reise in einem Untersee-Jenseits betrachtete (wie z. B. bei den Eskimos), was aber nicht hinderte, daß der Schamane auch zum höchsten Himmel stieg, wenn er wollte. Aber die Suche nach der verlorengegangenen Seele des Kranken bedeutete einen Abstieg in die Unterwelt; das bestätigt auch die Folklore. Heutzutage geht die Heilungssitzung auf folgende Weise vor sich: Der Schamane zieht sein Hemd aus, raucht mit nacktem Oberkörper die Pfeife und beginnt zu trommeln und zu einer einfachen Melodie ohne Worte zu tanzen. Jeder Schamane hat seine eigenen Gesänge und oft improvisiert er. Auf einmal hört man in allen Ecken die Stimmen der «Geister»; sie scheinen unter der Erde hervor oder von weither zu kommen. Der ké’lel geht in den Körper des Schamanen ein und dieser beginnt unter heftigem Kopfschüttein zu schreien und mit Kopfstimme, der Stimme des Geistes, zu sprechen44. Inzwischen geschehen in der Dunkelheit des Zeltes seltsame Dinge aller Art: Gegenstände schweben herum, das Zelt wird erschüttert und es regnet Steine und Holzstücke usw. (Bogoras, S. 438 ff.). Durch die Stimme des Schamanen unterhalten sich die Geister mit den Anwesenden (vgl. ebd., S. 440 die Enthüllungen der Seele einer alten Jungfer).
So sind die Sitzungen an metapsychischen Phänomenen reich, aber die 44 Bogoras (S. 435 ) glaubt die «getrennten Stimmen» der Tschuktschen-Schama-nen als Bauchreden erklären zu können. Doch sein Phonograph hat alle diese «Stimmen» genau so verzeichnet, wie sic von der Zuhörerschaft gehört wurden, also wie wenn sie zur Türe herein und aus den Ecken des Zimmers kämen und nicht wie vom Schama-
eigentliche schamanische Trance ist selten geworden. Manchmal fällt der Schamane bewußtlos zu Boden - seine Seele hat den Körper verlassen, um die Geister um Rat zu fragen. Doch diese Ekstase findet nur statt, wenn der Patient reich genug ist um sie gut zu belohnen. Und auch dann handelt es sich, nach den Beobachtungen von Bogoras, um ein Simulieren: Der Schamane unterbricht jäh sein Getrommel und liegt unbeweglich auf der Erde; seine Frau bedeckt ihm das Gesicht mit einem Stück Stoff, macht Licht und beginnt zu trommeln. Nach Verlauf einer Viertelstunde wacht der Schamane wieder auf und gibt dem Kranken «Ratschläge» (S. 441). Die wirkliche Suche nach der Seele des Kranken vollzog sich einst in der Trance; heute ist sie durch Pseudotrance oder Schlaf ersetzt. Die Tschuktschen sehen in den Träumen einen Weg, mit den Geistern in Berührung zu kommen, und nach einer Nacht tiefen Schlafes erwacht der Schamane mit der Seele des Kranken in der Faust und schreitet sofort zu ihrer Wiedereinfügung in den Körper (Bogaras, S. 463)45.
An diesen Beispielen läßt sich der gegenwärtige Niedergang des tschuktschischen Schamanismus ermessen. Wiewohl die Schemata des klassischen Schamanismus noch in den Überlieferungen der Folklore und sogar in den Heilungstechniken überleben (Aufstieg; Abstieg zur Unterwelt; Suche nach der Seele usw. ), das eigentliche schamanische Erlebnis beschränkt sich auf eine Art «spiritistische» Einkörperung und auf Darbietungen fakirischer Art. Die tschuktschischen Schamanen nen selber hervorgebracht. Die Aufnahmen «zeigten einen sehr deutlichen Unterschied zwischen der Stimme des Schamanen, die in einem Abstand ertönte, und den Stimmen der ,Geister', die direkt in den Trichter des Apparates hineinzusprechen schienen» (Bogoras. S. 436). Weiter unten siehe noch andere Proben von den magischen Fähigkeiten der Tschuktschen-Schamanen. Doch wie schon gesagt, übersteigt das Problem der «Echtheit* all dieser schamanischen Phänomene den Rahmen dieses Buches. F.ine Analyse samt kühner Interpretation dieser Phänomene s. bei E. de Martino, l! tnondo magjco, passim (Tschuktschen s. 46ff.). Über die «Schamanentricks» s. Mikhailowski, a.a. ()., S. 137 ff.
45 Man glaubt, daß der Schamane den Schädel des Kranken öffnet und dort seine Seele wieder einfügt, die er in Gestalt einer Fliege gefangen hat. doch kann man die Seele auch durch den Mund, die Finger oder die große Zehe einführen, vgl. Bogoras. S. 333. Die menschliche Seele zeigt sich im allgemeinen in Gestalt einer Fliege oder Biene. Doch kennen die Tschuktschen wie die anderen sibirischen Völker mehrere Seelen. Nach dem Tode fliegt die eine Seele mit dem Rauch des Scheiterhaufens zum Himmel auf, die andere steigt zur Unterwelt hinab, wo sie ihre Existenz ganz wie auf Erden fortsetzt (Bogoras. S. 334 ff.).
kennen auch die andere klassische Heilmethode, das Saugen. Sie zeigen am Schluß die Ursache der Krankheit, ein Insekt, einen kleinen Stein, einen Dorn usw. (Bogotas, S. 465). Oft schreiten sie sogar zu einer «Operation», die noch ganz ihren schamanischen Charakter bewahrt hat: Mit einem rituellen Messer, das durch gewisse magische Übungen gut «erhitzt» ist, öffnet der Schamane angeblich den Körper des Kranken, um die inneren Organe zu untersuchen und die Ursache des Übels herauszuziehen (ebd., S. 475 ff.). Bogoras hat selbst einer solchen «Operation» beigewohnt. Ein 14jähriger Junge streckte sich ganz nackt auf dem Boden aus, und seine Mutter, eine berühmte Schamanin, öffnete ihm den Bauch; man sah das Blut und das klaffende Fleisch; die Schamanin tauchte ihre Hand tief in die Wunde ein. Sie fühlte sich diese ganze Zeit wie in Flammen und trank unaufhörlich Wasser. Einige Augenblicke später war die Wunde verschwunden und Bogoras konnte nicht die geringste Spur mehr feststellen (S. 445).
Ein anderer Schamane öffnete sich den Bauch, nachdem er lang getrommelt hatte um seinen Körper und sein Messer so stark zu «heizen», bis, wie er sagte, der Schnitt des Messers nicht mehr zu spüren war {ebd., S. 445). Solche Stücke sind in ganz Nordasien häufig und stehen mit der «Meisterschaft über das Feuer» in Verbindung, denn die Schamanen, welche sich den Körper aufschneiden, können auch glühende Kohlen verschlucken und bis zur Weißglut erhitztes Eisen berühren. Die meisten von diesen «Tricks» werden bei hellichtem Tag ausgeführt. Bogaras hat unter anderem folgendes gesehen: eine Schamanin rieb einen kleinen Stein, darauf fielen eine Menge Kieselsteine aus ihren Händen und wanderten alle zusammen in die Trommel. Zum Schluß bildeten diese Kiesel einen ziemlich großen Haufen, während der Stein, den die die Frau zwischen ihren Fingern gerieben hatte, nach wie vor intakt war (S. 444). Das alles bildet einen Bestandteil des magischen Wettkampfes, den die Schamanen anläßlich der periodischen religiösen Zeremonien mit großer gegenseitiger Rivalität abhalten, ln der Folklore wird ständig auf solche Heldentaten angespielt (ebd., S. 443), was auf noch erstaunlichere magische Fähigkeiten der «alten Schamanen» zu deuten scheint46.
Der tschuktschische Schamanismus ist noch durch ein anderes Moment interessant: Es gibt hier eine besondere Klasse von «in Frauen verwandelten» Schamanen. Das sind die «weichen» oder «frauenähnlichen» Männer, die auf einen Befehl des ké’let ihre männliche Kleidung und Art gegen weibliche vertauscht und schließlich sogar andere Männer geheiratet haben. Im allgemeinen wird der Befehl des ké’let nur zur Hälfte befolgt; der Schamane verkleidet sich, fährt aber fort seiner Frau beizuwohnen und Kinder zu haben. Gewisse Schamanen haben, statt den Befehl auszuführen, lieber Selbstmord begangen, obwohl Päderastie bei den Tschuktschen nichts Unbekanntes ist (Bogoras, S. 448 ff.). Rituelle Verwandlung in eine Frau findet sich auch bei den Kamtschadalen, den asiatischen Eskimos und den Korjaken, doch bei den letztgenannten fand Jochelson nur noch die Erinnerung daran (vgl. The Koryak, S. 52). Dieses Phänomen ist nicht häufig, aber keineswegs auf Nordostasien beschränkt; so trifft man rituelles Verkleiden und Geschlechtswechsel zum Beispiel in Indonesien (die manang hall der Meer-Dajaks), Südamerika (Patagonier und Araukaner) und bei bestimmten nordamerikanischen Stämmen (Ara-paho, Cheynee, Ute usw. ). Die symbolisch-rituelle Verwandlung zur Frau erklärt sich wahrscheinlich aus einer vom archaischen Matriarchat stammenden Ideologie, doch scheint daraus, wie wir noch zu zeigen haben, keine Priorität der Frau im frühesten Schamanismus hervorzugehen. Keinesfalls aber ist das Vorhandensein dieser besonderen Klasse von «frauenähnlichen Männern» - die übrigens im tschuktschischen Schamanismus nur eine untergeordnete Rolle spielt - mit dem «Niedergang des Schamanen» in Verbindung zu bringen, denn dieses Phänomen geht über den Bereich Nordasiens hinaus.
den Kamtschadalen und den amerikanischen Eskimos, vor allem von den Frauen; vgl. Bogoras, S. 484 ff.; F. Boas, Bajjtn-Land Eskimo (Bulletin of the American Museum of Natural History. 15. Bd., I. Teil. 1901). S. 135, 3<>3. Über Wahrsagung durch das Schulterbcin eines Renntiers vgl. Bogoras. S. -187 ff. Wie man sich erinnern wird, ist diese Art Wahrsagung ganz Zentralasien gemeinsam und ebenso auch aus der Frühgeschichte Chinas bekannt. Es ist wohl nicht notwendig, für jeden Volksstamm, dessen schamanische Traditionen und Techniken wir untersuchen, auch die jeweiligen Wahr-Sagemethoden aufzuführen, denn sie sind sich im großen und ganzen durchaus ähnlich. Die ideologischen Grundlagen der Wahrsagung - dieser Hinweis möge genügen -sind für ganz Nordasien in dem Glauben an eine «Einkörperung» von Geistern zu suchen, wie es auch in einem großen Teil von Ozeanien der Fall ist.
Ohlmarks, Studien zum Problem des Schamanismus, S. 184, dort zitiert V. I. Anu-tchin, Otcherk shamanstva u Jenisejskick ostjakov (St. Petersburg 1914), S. 28-31; vgl. auch B. D. Shimlcin. A sketch of the Ket, or Yenissei Ostyak, S. 169 ff. Zur Kulturgeschichte dieses Volkes umfassend Kai Donner, Beiträge zur Frage nach dem Ursprung der lenissei-Ottiaken (Journal de la Société Finno-Ougrienne, 37. Bd., I. 1928, S. 1-21).
Vgl. Ohlmarks, Studien zum Problem des Schamanismus, S. 34, 50, 51, 176 ff. (Abstieg zur Unterwelt), 302 ff.. 312 ff.
Es handelt sich hier um eine Kontamination mit der schamanischen Himmels-reise, wofür wir weiter unten Beispiele geben werden. Die rum Rauchloch heraus-stchenden Pfähle symbolisieren bekanntlich die axis mundi, an der entlang man die Opfer bis rum höchsten Himmel hinaufbringt.
Wieder ein Anreichen für die Vermischung mit der Himmelfahrt: die Luftsprünge bedeuten den «magischen Flug».
Die tungusischen Schamanen üben auch das Aussaugen, vgl. Mikhailowski, S. 97; Shirokogorov, a. a. O., S. 313.
Nach J. Yasser, Musical moments in the shamanistic rites of the Siberian pagan tribes (Pro-Musica Quarterly, Neuyork, March-June 1926, S. 4-13, zit. bei Shirokogorov, S. 327), deuten die tungusischen Melodien auf chinesische Herkunft, was Shiro-kogorovs Hypothesen von dem starken sino-lamaistischen Einfluß im tungusischen Schamanismus bestärkt. Vgl. auch H. H. Christensen. K. Grönbech. E. Emsheimer, The Music of the Mongols. Part. I: Eastern Mongolia (Stockholm 1943), S. 13-68, 69-100. Ober gewisse -südliche» Komplexe bei den Tungusen s. auch W. Köppers, Tungusen und Miao (Mitt. der Anthropol. Gesellschaft in Wien, 60. Bd., 1930, S. 306-319).
Ivan A. Lopatin, A shamanistic performance for a sick boy (Anthropos Bd. 41-44, 1946-1949, S. 365-368): vgl. ders., A shamanistic performance to regain the favour of the spirit (ebd., Bd. 35-36, 1940-1941, S. 352-355), Vgl. auch Bronislav Pilsudski, Der Schamanismus bei den Ainu-Stämmen ton Sachalin (Globus 1909, 95. Bd. S. 72-78).
7 Jochelson, ebd., S. 160. (Dieselbe Vorstellung einer «ewigen Wiederkehr» der Seelen der Toten in Indnnesien und anderweitig.) Um zu entdecken, welcher Ahne sich reinkarniert hat. übten die Jukagiren früher die Wahrsagung durch Schamanenknochen: Man sprach die Namen der Toten aus und der Knochen wurde leicht, wenn man auf den kam, der sich reinkarniert hatte. Noch heutzutage spricht man vor dem Neugeborenen Namen aus und es lächelt, wenn es den richtigen hört: Jochelson, S. 161.