Die drei kosmischen Zonen und die Weltsäule
Die schamanische Technik par excellence besteht im Übergang von einer kosmischen Region zur anderen: von der Erde zum Himmel oder von der Erde zur Unterwelt. Der Schamane kennt das Geheimnis des Durchbrechens der Ebenen. Dieser Verkehr zwischen den kosmischen Zonen ist durch die Struktur des Universums möglich gemacht. Dieses wird, wie wir sogleich sehen werden, im Großen aus drei Stockwerken - Himmel, Erde und Untenveit - bestehend gedacht, die untereinander durch eine Mittelachse verbunden sind. Die Symbolik, in der sich Zusammenhang und Verbindung zwischen den drei kosmischen Zonen ausdrückt, ist ziemlich komplex und nicht immer frei von Widersprüchen. Der Grund dafür ist, daß diese Symbolik eine Geschichte hat und im Lauf der Zeit oftmals mit anderen jüngeren kosmologischen Symbolismen kontaminiert und dadurch modifiziert worden ist. Doch das Schema, auf das es ankommt, scheint durch alle Einflüsse hindurch: Es gibt drei große kosmische Regionen, welche man der Reihe nach durchmessen kann, weil sie durch eine Mittelachse miteinander in Verbindung stehen. Und diese Achse gilt als «Öffnung», als «Loch»; durch dieses Loch steigen die Götter auf die Erde herab und die Toten in die unterirdischen Gefilde, durch dieses Loch vermag die Seele des in Ekstase befindlichen Schamanen aufzufliegen oder abzusteigen, wie er es bei seinen Himmels- oder Unterweltsreisen bedarf.
Bevor wir einige Beispiele für diese kosmische Topographie geben, noch eine Vorbemerkung. Die Symbolik des «Zentrums» ist nicht unbedingt eine kosmologische Idee. Ursprünglich ist «Zentrum», möglicher Ort eines Durchbruches durch die Ebenen, jeder heilige Raum, das heißt jeder Raum, der eine Hierophanie erlebt, der Realitäten (oder Kräfte, Gestalten usw.) manifestiert, die nicht von dieser Welt sind, sondern von anderswoher kommen und zwar in erster Linie vom Himmel. Zu dem Gedanken eines «Zentrums» kam man durch die Erfah-
rung von einem heiligen Raum, einem Raum, der von der Gegenwart eines Übermenschlichen gesättigt ist; gerade an diesem Punkt hat sich etwas von oben (oder von unten) Stammendes manifestiert. Später kommt die Vorstellung, daß die Manifestation des Heiligen in sich selbst ein Durchbrechen von Ebenen bedeute1,
Gleich vielen anderen Völkern denken sich die Turk-Tataren den Himmel als ein Zelt; die Milchstraße ist die «Naht», die Sterne sind die «Lichtlöcher»2. Bei den Jakuten sind die Sterne die «Fenster der Welt», Öffnungen zur Lüftung der verschiedenen Himmelssphären (im allgemeinen neun, doch manchmal auch zwölf, fünf oder sieben)3. Von Zeit zu Zeit öffnen die Götter das Zelt um auf die Erde herabzuschauen, das gibt die Meteore4. Der Himmel ist als Deckel gedacht; manchmal sitzt er nicht richtig auf den Rändern der Erde, dann kommen die großen Winde durch den Zwischenraum herein. Durch denselben engen Zwischenraum schlüpfen auch die Helden und andere privilegierte Wesen und dringen in den Himmel ein5.
In der Mitte des Himmels strahlt der Polarstern, der wie ein Pflock das Himmelszelt festhält. Die Samojeden nennen ihn «Nagel des Himmels», die Tschuktschen und die Korjaken «Nagelstern» Dasselbe Bild und Wort begegnet bei den Lappen, Finnen und Esten. Die Turk-Altaier stellen sich den Polarstern als Säule vor; er ist die «goldene Säule» der Mongolen, Kalmücken und Burjaten, der «eiserne Pfeiler» der Kirgisen, Baschkiren und sibirischen Tataren, die «Sonnensäule-» der Teleuten usw. 6. Dazu tritt ergänzend das mythische Bild von 1 Über das Problem des heiligen Raums und des Zentrums s. Eliade, Die Religionen und das Heilige, S. 415 ff.; Le Symbolisme du Centre, Eranos-Jahrbuch 1950.
2 Uno Harva, Religiöse Verstellungen, S. 178 ff., 189 ff.
3 Sieroszewski, Du chamanisme d'après les croyances des Yakoutes, S. 215.
4 Harva, Relig. Vorstell., S. 34 ff. Ähnliche Vorstellungen bei den Hebräern (Isaias, Kap. 40) usw.; vgl. Robert Eisler, Wellenmantel und Himmelszelt (München 1910). 2. Bd., S. 601 ff., 619 ff.
5 Uno Holmberg, Der Baum des Lebens, S. 11; ders., Relig. Vorstell, der altaischen Völker, S. 35. P. Ehrenreich in Die allgemeine Mythologie und ihre ethnologischen Grundlagen (Mythologische Bibliothek IV, I, Leipzig 1910), S. 205 bemerkt, daß diese mytisch-religiöse Idee die ganze nördliche Halbkugel beherrscht. Auch das ist eine Ausdrucksform des sehr verbreiteten Symbolismus vom Zugang zum Himmel durch eine «enge Pforte»: Der Zwischenraum zwischen den beiden kosmischen Ebenen erweitert sich nur einen Augenblick und der Held (oder der Initrand, der Schamane usw.) muß diesen paradoxen Augenblick wahrnehmen, um ins «Jenseits» einzudringen.
6 Vgl. Holmberg-Harva, Der Baum des Lebens, S. 12 ff., Relig. Vorstell., S. 38 ff. Die irminsül der Sachsen nennt Rudolf von Fulda universalis columna. quasi rustinens den Sternen, die unsichtbar mit dem Polarstern verbunden sind. Die Burjaten stellen sich die Sterne als eine Pferdeherde vor und der Polarstern, «die Weltsäule», ist der Pflock, an dem man sie festbindet7.
Diese Kosmologie erfuhr, wie zu erwarten, eine genaue Wiederholung in dem Mikrokosmos der Menschen. Die Weltachse fand ihre konkrete Darstellung in den Pfeilern, welche die Wohnung tragen, oder in einzeln stehenden Pfählen, den «Pfeilern der Welt». Für die Eskimos zum Beispiel ist der Himmelspfeiler völlig identisch mit dem Pfosten in der Mitte ihres Hauses8. Für die Altai-Tataren, die Bu-riäten und Sojoten ist der Zeltpflock gleich dem Himmelspfeiler. Bei den Sojoten überragt er die Spitze der Jurte und ist oben mit blauen, weißen und gelben Lappen geschmückt, die die Farben der Himmelsgegenden darstellen. Dieser Pflock ist heilig; er wird fast als Gott angesehen. An seinem Fuß befindet sich ein kleiner steinerner Altar, auf dem man Opfergaben niederlegt9.
Der Mittelpfahl ist bei den primitiven Völkern («Urkultur der Graebner-Schmidtschen Schule) der Arktis und Nordamerikas ein charakteristisches Element der Wohnung; er findet sich bei den Samojeden und den Ainu, bei den Stämmen von Nord- und Mittel kalifornien und bei den Algonkin. Zu Füßen des Pfahls finden Opfer und Gebete statt, denn er öffnet den Weg zum höchsten Himmelswesen10. Der nämliche mikrokosmische Symbolismus hat sich auch bei den Hirten und Züchtern Zentralasiens erhalten, doch mit omnia. Die Lappen in Skandinavien haben diese Vorstellung von den alten Germanen übernommen; sie nennen den Polarstern «Himmelspfeiler» und «Weltpfeiler». Man hat die irmmsül mit den Säulen Jupiters verglichen. Ähnliche Vorstellungen überleben heute noch in der südosteuropäischen Folklore, vgl. z. B. die Coloana Ceriului (Himmelssäule) der Rumänen (s. AI. Rosetti, Colindele Romanilor, Bukarest 1920, S. 70 ff).
7 Dieser Gedanke ist den ugrischen und turko-mongolischen Völkern gemeinsam, vgl. Holmberg-Harva. Baum des Lebens, S. 23 ff.; Relig. Vorstell., S. 40 ff. Vgl. auch Job 38. 31 und den indischen skambha (Atharva Veda X. 7, 35, usw.).
8 Thalbitzer. Cuhic Games and Festivals in Greenland (21. Kongreß der Amerikanisten. Göteborg 1924, S. 236-255), S. 239 ff.
9 Harva, Relig. Vorstell., S. 46. Vgl. die verschiedenfarbigen Lappen bei den schama-nischen Zeremonien und den Opfern, welche immer die symbolische Durchquerung der Himmelsteile anzeigen.
10 Vgl. das von Schmidt. Ursprung der Gottesidee, 6. Bd. (Münster 1935), S. 67 ff. geordnete Material und die Bemerkungen desselben Verfassers in Der heilige Mittel-pfähl des Hauses (Anthropos 1940-41. 35.-36. Bd„ S. 966-969). S. 966.
der Abänderung der Behausungsform vom «Haus» mit konischem Dach und Mittelpfeiler zur Jurte ist die mythisch-religiöse Funktion des Pfeilers auf die obere Öffnung übergegangen, durch welche der Rauch abzieht. Bei den Ostjaken entspricht diese Öffnung der gleichartigen Öffnung des «Himmelshauses» und die Tschuktschen setzen sie dem «Loch» gleich, das der Polarstern in das Himmelsgewölbe macht. Die Ostjaken sprechen auch von den «Goldkaminen des Himmelshauses» oder den «Sieben Kaminen des Himmelsgottes»11. Auch die Altaier glauben, daß durch diese «Kamine» der Schamane von einer kosmischen Zone in die andere gelangt. Deshalb wird das Zelt, das für die Aufstiegszeremonie des altaischen Schamanen errichtet wird, dem Himmelsgewölbe gleichgesetzt und hat wie dieses ein Loch für den Rauch (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 53). Die Tschuktschen wissen, daß das «Himmelsloch» der Polarstern ist, daß die drei Welten durch ähnliche Löcher mit einander in Verbindung stehen und daß durch diese Löcher der Schamane und die mythischen Heroen in den Himmel kommen12. Und bei den Altaiern geht wie bei den Tschuktschen der Weg zum Himmel über den Polarstern13. Die udeshiburkhan der Burjaten öffnen dem Schamanen den Weg, so wie man Türen aufmacht (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 54).
Dieser Symbolismus ist freilich nicht auf die arktischen und nordasiatischen Gebiete beschränkt. Der heilige Pfeiler in der Mitte des Hauses findet sich auch bei den hamitischen Hirten der Galla und Hadiya, den Nandi-Hamitoiden und den Khasi14. Überall bringt man Opfergaben an den Fuß dieses Pfeilers; manchmal sind es Milchopfer für den Himmelsgott (so bei den oben erwähnten afrikanischen Stäm-11 Vgl. 2. B. K. F. Karjalainen, Die Religion der Jugra-Völker II, S. 48 ff. Erinnern wir uns, daß der Eingang zur unterirdischen Welt sich genau unter dem «Zentrum der Welt» befindet (vgl. Harva, Baum des Lebens, S. 30-31, und Fig. 13, die jakutische Scheibe mit Mittelloch). Derselbe Symbolismus findet sich auch im alten Orient, in Indien und der griechisch-lateinischen Welt usw.; vgl. Eliade, Cosmologie si alchimie babiloniana, S. 35 ff.; A. K. Coomoraswamy, Svayamâtronâ: Janua Coeli (Zalmoxis II. 1939, S. 3-51).
12 Bogoras, The Chukchee, S. 331; Jochelson, The Koryak, S. 301. Derselbe Gedanke begegnet auch bei den Schwarzfuß-Indianern; vgl. Alexander, North American Mythology, S. 95 ff. Siehe auch die Vergleichstafel Nordasien-Nordamerika bei Jochelson. The Koryak, S. 371.
13 A. V. Anochin, Materialy po shamanstvu, S. 9.
14 W. Schmidt, Der heilige Mittelpfahl, S. 967, dort zitiert Der Ursprung der Gottes idee, 7. Bd., S. 53. 85, 165, 449, 590 ff.
men), in gewissen Fallen sogar blutige Opfer (z. B. bei den Galla)15. Der «Pfeiler der Welt» wird manchmal unabhängig vom Haus dargestellt, so bei den alten Germanen (irminsûl, von der Karl der Große 772 ein Abbild zerstörte), den Lappen und ugrischen Völkern. Die Ostjaken nennen diese rituellen Pfähle «Die mächtigen Pfosten des Zentrums der Stadt»; die Tsingala-Ostjaken kennen sie unter dem Namen «Eiserner Pfeilermann», rufen sie in ihren Gebeten als «Mann» und «Vater» an und bringen ihr blutige Opfer dar16. Die Symbolik der Weltsäule ist auch entwickelteren Kulturen vertraut (Ägypten, Indien, z. B. Rig Veda X, 89,4 usw.), China, Griechenland, Mesopotamien). Bei den Babyloniern zum Beispiel wurde 15 Die Trage nach dem empirischen «Ursprung» solcher Vorstellungen (z. B. von der Struktur des Kosmos nach gewissen greifbaren Elementen der Wohnung, welche ihrerseits sich wieder als Anpassung an die Umwelt erklären usw.) ist falsch gestellt und deshalb unfruchtbar. Für die Primitiven ganz allgemein gibt es keinen deutlichen Unterschied zwischen «natürlich* und «übernatürlich», zwischen empirischem und symbolischem Gegenstand. Ein Gegenstand wird «er selbst» (das heißt Träger eines Wertes) in dem Maß, als er an einem «Symbol* teil hat; eine Handlung gewinnt Bedeutung in dem Maß. als sie einen Archetypus wiederholt usw. Auf jeden Fall gehört das Problem der «Ursprünge» der Werte mehr in die Philosophie als in die Geschichte. Denn es ist, um nur ein Beispiel zu nennen, nicht gut einzusehen, inwiefern etwa der Anlaß der Entdeckung der ersten geometrischen Gesetze - die empirischen Erfordernisse der Bewässerung des Nildeltas - die geringste Bedeutung gewinnen könnte für die Geltung oder Nichtgeltung dieser Gesetze.
16 Karjalainen, Die Religion der Jugra-Völker, 2. Bd., S. 42 ff. meint zu Unrecht, die Aufgabe dieser Pfeiler bestehe darin, das Opfertier daran befestigen zu lassen. Wie Holmberg-Harva gezeigt hat, heißt dieser Pfeiler «Siebenfach geteilter Vater-Mann», ganz wie Sänke, der Himmelsgott, als «Siebenfach geteilter Großer Mann, Sänke, mein Vater, mein Vater-Mann, der in drei Richtungen blickt» usw., angerufen wird (Holmberg, Finno-Ugric Mythology, S. 358). Der Pfeiler war manchmal mit sieben Einschnitten versehen; die Saly-Ostjaken machen, wenn sie blutige Opfer darbringen, sieben Einschnitte in einen Pfahl {ebd., S. 339). Dieser rituelle Pfahl entspricht dem «In sieben Teile geteilten heiligen Pfahl aus reinem Silber» in den wogulischen Märchen, an dem die Söhne des Gottes ihre Pferde anbinden, wenn sie ihren Vater besuchen (ebd., S. 339-340). Auch die Jurakcn bringen hölzernen Idolen (sjaadai) mit sieben Gesichtern oder sieben Einschnitten blutige Opfer dar; diese Idole stehen nach Lehtisalo (Ent-wurf einer Mythologie der Yurak-Samojeden. Helsinki 1927. S. 67. 102 usw.) mit den «heiligen Bäumen» (d. h. einer Verfallsform des siebenästigen Kosmischen Baumes) in Beziehung. Wir erleben hier den in der Religionsgeschichte wohlbekannten Prozeß der Substitution, wie er sich im religiösen Komplex Sibirien auch in anderen Fällen zeigt. So wird zum Beispiel der Pfeiler, der ursprünglich Opferstätte für den Himmelsgott Num war. selbst zu einem heiligen Gegenstand, dem man blutige Opfer darbringt; vgl. A. Gahs, Kopf-, Schädel- und Langknochenopfer bei Rentiervölkern, S. 240. Über die kosmologische Bedeutung der Siebenzahl und ihre Rolle in den schama-nischcn Ritualen s. u. S. 263 ff.
das Band zwischen Himmel und Erde, das sonst durch einen Kosmischen Berg oder seine Wiederholungen, ziqqurat, Tempel, Königsstadt, Palast symbolisiert war, zuweilen auch als himmlische Säule gedacht. Derselbe Gedanke wird, wie wir sogleich sehen werden, auch durch andere Bilder ausgedrückt: Baum, Brücke, Treppe usw. Dieses Ganze bildet einen Teil von dem, was wir Symbolik des «Zentrums» genannt haben - eine sehr archaische Symbolik, der man auch in den «primitivsten» Kulturen begegnet.
Eines sei schon hier betont: Obwohl das schamanische Erlebnis im eigentlichen Sinn dank der kosmologischen Vorstellung von den drei kommunizierenden Zonen zum mystischen Erlebnis werden konnte, gehört diese kosmologische Vorstellung nicht ausschließlich der Ideologie des sibirischen und zentralasiatischen oder eines beliebigen anderen Schamanismus an. Es handelt sich hier um einen allgemein verbreiteten Gedanken, der aus dem Glauben an die Möglichkeit einer direkten Verbindung mit dem Himmel erwachsen ist. Auf makrokosmischer Ebene ist diese Verbindung durch eine Achse (Baum, Berg, Pfeiler usw.) verbildlicht, auf der mikrokosmischen durch den Mittelpfahl der Behausung oder das Loch oben im Zelt. Das bedeutet, daß jede menschliche Behausung ins Zentrum der «Welt» projiziert ist17, daß jeder Altar, jedes Zelt, jedes Haus das Durchbrechen einer Ebene und damit die Auffahrt zum Himmel ermöglicht.
In den archaischen Kulturen wird die Verbindung zwischen Himmel und Erde zur Absendung von Opfergaben an die Himmelsgötter, nicht aber zur konkreten persönlichen Auffahrt benützt, diese bleibt das Vorrecht der Schamanen. Nur sie wissen die Auffahrt durch die «Mittelöffnung» zu vollziehen, nur sie verwandeln einen kosmo-theologischen Gedanken in ein konkretes mystisches Erlebnis. Dieser Punkt ist von Wichtigkeit; er verdeutlicht den Unterschied zum Beispiel zwischen dem religiösen Leben eines nordasiatischen Volkes und dem religiösen Erlebnis seiner Schamanen - nur dieses ist ein persönliches und ekstatisches. Mit anderen Worten: Was für den Rest der Gemeinschaft kosmo-logisches Ideogramm bleibt, wird für die Schamanen (und die Heroen usw.) zum mystischen Weg. Den einen ermöglicht das «Zentrum der Welt» Gebete und Opfer an die Himmelsgötter abzuschicken, für die an-17 S. Eliade. Die Religionen und das Heilige, S. 429 ff.; Der Mythos der ewigen Wiederkehr, 1955 (Le Mythe de l'Eternel Retour, Paris 1949), S. 24 ff.
deren ist es die Stätte eines Aufflugs im wörtlichen Sinn. Der wirkliche Verkehr zwischen den drei kosmischen Zonen ist nur ihnen möglich.
Das erinnert an den schon mehrmals erwähnten Mythus von einer paradiesischen Zeit, wo die Menschen mit Leichtigkeit zum Himmel steigen konnten und mit den Göttern familiäre Beziehungen unterhielten. Die kosmologische Symbolik der Wohnung und das Erlebnis der schamanischen Auffahrt bestätigen, wenn auch unter einem anderen Aspekt, diesen archaischen Mythus: Nach dem Abbruch der leichten Verbindungen, welche am Morgen der Zeiten zwischen Himmel und Erde, Menschen und Göttern bestanden hatten, blieb einigen privilegierten Wesen (an erster Stelle den Schamanen) die Möglichkeit, noch weiterhin für ihre eigene Person die Verbindung mit den oberen Bereichen aufrecht zu erhalten. Sie - die Schamanen - besitzen die Kraft aufzufliegen und zum Himmel zu gelangen, und zwar durch die «Mittelöffnung», die der übrigen Menschheit nur dazu dient, ihre Opfergaben hindurchzuschicken, im einen wie im andern Fall gründet der privilegierte Zustand des Schamanen in seiner Fähigkeit zum ekstatischen Erlebnis.
Es war notwendig, immer wieder auf diesen, unseres Erachtens kapitalen Punkt zurückzukommen, um die im Schamanismus beschlossene Ideologie in ihrem universellen Charakter offenbar zu machen. Nicht etwa die Schamanen haben, ganz für sich allein, die Kosmologie, Mythologie, und Theologie ihres jeweiligen Stammes geschaffen, sie haben sie nur verinnerlicht, neu belebt und als Reiseplan für ihre ekstatischen Reisen benützt.
Der Kosmische Berg
Ein anderes mythisches Bild dieses «Zentrums der Welt», welches die Verbindung zwischen Erde und Himmel ermöglicht, ist das Bild vom Kosmischen Berg. Die Altai-Tataren denken sich Bai Ülgän in der Mitte des Himmels, auf einem goldenen Berg sitzend (Radlov, Aus Sibirien II, S. 6). Die Abakan-Tataren nennen ihn «Eiserner Berg»; die Mongolen, Buriäten, Kalmücken kennen ihn unter den Namen Sumbur, Sumur und Sumer, welche deutlich indischen Einfluß verraten (= Meru). Die Mongolen und Kalmücken stellen ihn sich mit drei oder vier Stockwerken vor; für die sibirischen Tataren hat der Kosmische
Berg sieben Stockwerke; auch der jakutische Schamane ersteigt auf seiner mythischen Reise einen Berg mit sieben Stockwerken. Sein Gipfel liegt auf dem Polarstern, am «Nabel des Himmels». Die Burjaten sagen, daß der Polarstern an seinem Gipfel angeheftet ist 18.
Die Vorstellung von einem Kosmischen Berg = Mitte der Welt muß nicht unbedingt orientalischen Ursprungs sein, denn wie wir gesehen haben scheint die Symbolik des «Zentrums» älter zu sein als der Aufschwung der altorientalischen Kulturen. Doch wurden die alten Traditionen der Völker Zentral- und Nordasiens, welche ohne Zweifel das Bild einer «Mitte der Welt» und kosmischen Achse kannten, durch den dauernden Zufluß orientalischer religiöser Ideen verändert, ob diese nun (durch persische Vermittlung) mesopotamischen oder (über den Lamaismus) indischen Ursprungs sind. In der indischen Kosmologie erhebt sich der Berg Meru in der Mitte der Welt und über ihm funkelt der Polarstern19. Und wie die indischen Götter diesen Kosmischen Berg (= Achse der Welt) gepackt und mit ihm den Urozean aufgerührt haben, worauf das Universum entstand, so benützten nach einem kalmückischen Mythus die Götter Sumer als Stock, um den Ozean in Bewegung zu setzen und schufen so Sonne, Mond und Sterne (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 63). Ein anderer zentralasiatischer Mythus zeigt das Eindringen indischer Elemente: Der Gott Otchirvani (= Indra) ergriff in Gestalt des Adlers Garida (= Garuda) die Schlange Losun im Urozean, wickelte sie dreimal um den Berg Sumeru und zerschmetterte ihr zum Schluß den Kopf20.
Es ist nicht nötig, an alle die anderen Kosmischen Berge der orientalischen und europäischen Mythologien zu erinnern, Haraberezaiti bei den Iraniern z. B., Himingbjörg bei den alten Germanen usw. Im mesopotamischen Glauben verband ein zentraler Berg Himmel und Erde, der «Berg der Länder», welcher die Gebiete miteinander verbindet21. 18 Uno Holmberg-Harva, Der Baum des Lebens, S. 41, 57; ders., Finno-Ugric and Siberian Mythology (Mythology of all Races, 4. Bd, Boston 1927), S. 341; ders., Rel. Vorstell., S. 58 ff.
19 W. Kirfel, Die Kosmographie der Inder (Bonn-Leipzig 1920), S. 15.
20 Potanin, Otcherki IV, S. 228; Harva, Rel. Vorstell., S. 62. Auf griechischen Münzen ist eine Schlange dreimal um den ôjicpaxôç gerollt: ebd., S. 63.
21 A. Jeremias, Handbuch der altorientalischen Geisteskultur (2. Aufl., Berlin-Leipzig 1929), S. 130; vgl. Hliade, Der Mythus der ewigen Wiederkehr, S. 26 ff. Zum iranischen Bestand A. Christensen, Le premier homme et le premier roi dans l'histoire légendaire des Iraniens, 2. Bd., (Uppsala-Leyden 1934), S. 42.
Schon der Name der babylonischen Tempel und heiligen Türme zeugt von ihrer Gleichsetzung mit dem Kosmischen Berg: «Berg des Hauses», «Haus des Bergs aller Länder», «Berg der Stürme», «Band zwischen Himmel und Erde» usw. Die ziqqurat war genau genommen ein Kosmischer Berg, ein symbolisches Bild des Kosmos; ihre sieben Stockwerke stellten die sieben Planetenhimmel vor (wie in Borsippa) oder hatten die Farben der Welt (wie in Ur)23. Der Tempel Burabiudur, eine echte imago mundi, war in der Form eines Berges erbaut 24. Künstliche Berge sind in Indien bezeugt und finden sich auch bei den Mongolen und in Südostasien25. Wahrscheinlich reichten die mesopotamischen Einflüsse bis nach Indien und dem Indischen Ozean, obwohl die Symbolik des «Zentrums» organisch zu der frühesten indischen Geistigkeit gehört
Der Berg Tabor in Palästina könnte labbûr bedeuten - «Nabel», omphalos. Der Berg Gerizim in der Mitte von Palästina hatte ohne Zweifel das Ansehen eines Zentrums, denn er heißt «Nabel der Erde» (labbür eres; vgl, Richter IX, 37: «... Das ist das Heer, das vom Nabel der Erde herabsteigt» ). Eine von Petrus Comestor aufgenommene Überlieferung besagt, daß bei der Sommersonnenwende die Sonne auf die «Quelle Jakobs» (beim Gerizim) keinen Schatten wirft, und Comestor führt dazu näher aus: «sunt qui dicunt locum ilium esse umbilicum terrae nostrae habitabilis, Palästina als das höchste Land, weil dem Gipfel des Kosmischen Berges benachbart, wurde von der Sintflut nicht überschwemmt. Ein rabbinischer Text sagt: «Das Land Israel wurde
22 Th. Dömbart, Der Sakrallurm I: Ziqquart (München 1920). S. 34.
23 Th. Dombart, Der babylonische Turm (Leipzig 1930). S. 5 ff.; M. Eliade, Cosmologie st alchimie babiloniana (Bukarest 1937), S. 31 ff. Über den Symbolismus der ziqqurat vgl. A. Parrot, Ziggurals el Tour de Babel (Paris 1949).
24 P. Mus, Barabudur. Esquisse d’une histoire du Bouddhisme fondée sur la critique archéologique des textes, 1. Bd. (Hanoi 1933). S. 336.
25 Vgl. W. Foy, Indische Kuhhäuten als Symbole des Götterberges (Festschrift Ernst Windisch. Leipzig 1914), S. 213-216; Harva, Rehg. Vorstell., S. 68; von Heine-Geldern. Weltbild und Bauform in Südostasien (Wiener Beitr. zur Kunst- und Kulturgeschichte Asiens, 4. Bd., 1930), S. 48 ff.
26 Vgl. P. Mus, Baradudur I, S. 117 ff., 292 ff.. 351 ff., 385 ff. usw.: J. Przyluski. Les sept terrasses de Barabuiur (Harvard Journal of Asiatic Studies, Juli 1936, S. 251-256); A. Coomaraswamy, Elements of Buddhist Iconography (Oxford 1935), passim: M. Eliade, Cosmologie si alchimie babiloniana, S. 43 ff.
26a Eric Burrows, Some cosmological patterns in babylonian religion (The Labyrinth, hg. von S. H. Hooke, London 1935, S. 47-70), S. 51, 62 Anm 1.
nicht von der Sintflut ertränkt27» Für die Christen befand Golgatha sich im Mittelpunkt der Welt, denn es war der Gipfel des Kosmischen Berges und zugleich der Ort, wo Adam erschaffen und begraben worden war. So fließt das Blut des Erlösers auf den Schädel Adams, der zu Füßen des Kreuzes begraben ist, und kauft ihn los28.
Wir haben an anderer Stelle gezeigt, wie häufig und wie wesentlich dieser Symbolismus der «Mitte» sowohl in den archaischen («primitiven» ) Kulturen als in allen großen Kulturen des Orients ist29. Um uns kurz zu fassen: Paläste, Königsstädt30 und selbst gewöhnliche Behausungen galten als im Zentrum der Welt, auf dem Gipfel des Kosmischen Berges befindlich. Den tiefen Sinn dieses Symbolismus haben wir bereits gesehen: Im «Zentrum» ist die Durchbrechung der Ebenen möglich und damit die Verbindung zum Himmel.
Einen solchen Kosmischen Berg ersteigt der künftige Schamane während seiner Initiationskrankheit im Traum, ihn besucht er später auf seinen ekstatischen Reisen. Die Besteigung eines Berges bedeutet immer eine Reise zum «Zentrum der Welt». Dieses «Zentrum» ist, wie wir gesehen haben, auf vielfache Weise vergegenwärtigt, sogar im Bau der menschlichen Wohnung - doch nur die Schamanen und die Heroen ersteigen wirklich den Kosmischen Berg, wie auch in erster Linie der Schamane beim Erklettern seines rituellen Baums in Wirklichkeit den Weltenbaum erklettert und dadurch zum Gipfel des Universums und in den höchsten Himmel gelangt.
Der Symbolismus des Weltenbaums ist dem des Zentralberges komplementär. Zuweilen überdecken sich die beiden Symbolismen; im allgemeinen ergänzen sie sich. Doch beide sind nichts anderes als besser ausgearbeitete mythische Formeln der Kosmischen Achse (Weltsäule usw.).
Wir wollen hier nicht das umfangreiche Dossier des Weltenbaumes noch einmal aufgreifen31, sondern nur die in Mittel- und Nordasien am häufigsten vorkommenden Themen und ihre Rolle in der schama-nischen Ideologie und Praxis behandeln. Der kosmische Baum ist für den Schamanen wesentlich. Aus seinem Holz fertigt er seine Trommel (s. o. S. 168 ff.); die rituelle Birke erkletternd, steigt er in Wirklichkeit zum Wipfel des Kosmischen Baums; vor seiner Jurte und in ihr sind Wiederholungen dieses Baumes, den er auch auf seine Trommel zeichnet“. Kosmologisch betrachtet erhebt sich der Weltenbaum im Zentrum der Erde, in der Gegend ihres «Nabels», und seine obersten Zweige rühren an den Palast Bai Ülgäns (Radlov, Aus Sibirien II, S. ?). In den Legenden der Abakan-Tataren wächst eine weiße Birke mit sieben Ästen auf dem Gipfel eines eisernen Berges. Die Mongolen verbildlichen sich den Kosmischen Berg als Pyramide mit vier Seiten und einem Baum in der Mitte; die Götter benützen ihn als Pflock, an dem sie ihre Pferde anbinden - wie die Weltsäule33.
31 Grundbegriffe und wichtigste Bibliographie s. in Hliade, Die Religionen und das Heilige, S. 310 ff., 377 ff. (Trailé d'llisloi re des Religions. 1949)
32 S. 2. B. die Zeichnung auf der Trommel eines altaischen Schamanen bei Harva, Rel. Vorstell.. Fig. 15. Die Schamanen benützen manchmal einen «umgekehrten Baum», den sie bei ihrer Wohnung aufstellen, damit er sie beschützt, vgl. E. Kagarov, Der umgekehrte Schamanenbaum (Archiv für Religionswissenschaft. 27. Bd., 1929, S. 183-195). Der «umgekehrte Baum» ist natürlich ein mythisches Abbild des Kosmos, vgl. A. Coomaraswamy, The Inverted Tree (The Quarterly Journal of the Mythic Society. Bangalore, 29. Bd., Nr. 2, 1938, S. 1-38) mit reichen indischen Zeugnissen; Die Religionen und das Heilige, S. 312 f.. 377 fT. Der nämliche Symbolismus hat sich in der christlichen und islamischen Überlieferung erhalten, vgl. Religionen. S. 312; A. Jacoby, Der Baum mit den Wurzeln nach oben und den Zweigen nach unten (Zs. für Missionskunde und Religionswissenschaft. 43. Bd.. 1928, S. 78-85); Carl-Martin Edsman. Ar hör inversa (Religion och Bibel 111. 1944. S. 5-33).
33 Vgl. Holmberg.Harva. Baum des Lehens, S. 52; dtrs., Rel. Vorstell.. S. 70. Auch Odin bindet sein Pferd an Yggdrasil fest. s. Eliade, Religionen. S. ,313. Über die mythische Konstellation Pferd-Baum (Pfosten) in China s. Hentze. Frühchinesische Bronzen. S. 123-130.
Der Baum verbindet die drei kosmischen Regionen34. Die Waßjugan-Ostjaken glauben, daß er mit den Zweigen den Himmel berührt und mit den Wurzeln in die Unterwelt hinabtaucht. Nach den sibirischen Tataren befindet sich ein Gegenstück des Himmelsbaumes in der Unterwelt: eine Tanne mit neun Wurzeln (in anderen Varianten neun Tannen) erhebt sich vor dem Palast Irle Khans; der König der Toten und seine Söhne binden ihre Pferde an ihrem Stamm fest. Die Golden zählen drei Kosmische Bäume: der erste im Himmel (die Seelen der Menschen sitzen auf seinen Ästen wie Vögel und warten, bis sie auf die Erde gebracht werden, um die Geburt von Kindern zu bewirken), ein zweiter auf der Erde und der dritte in der Unterwelt35. Die Mongolen kennen den Baum zambu, dessen Wurzeln am Fuß des Berges Sumer in die Tiefe wachsen und dessen Krone sich zu seinem Gipfel emporstreckt; die Götter (lengeri) nähren sich von den Früchten des Baumes und die in den Klüften des Berges verborgenen Dämonen (asuras) blicken voll Neid darauf. Ein analoger Mythus begegnet auch bei Kalmücken und Burjaten 36.
Die Symbolik des Weltenbaums enthält verschiedene religiöse Ideen. Einerseits repräsentiert er das Universum in ständiger Regeneration (vgl. Religionen, S. 310 ff.), die unversiegliche Quelle des kosmischen Lebens und des Heiligen (weil «Aufnahmezentrum» für das Heilige des Himmels usw. ), andererseits symbolisiert der Baum den Himmel oder die Planetenhimmel37. Auf den Baum als Symbol der Planetenhimmel werden wir sogleich zurückkommen, da diese Symbolik im zentralasiatischen und sibirischen Schamanismus eine wesentliche Rolle spielt Doch ist schon hier zu erwähnen, daß in vielen archaischen Traditionen vom Kosmischen Baum als dem Ausdruck der Heiligkeit, der Fruchtbarkeit und Ewigkeit der Welt eine Verbindung führt zur Idee der Schöpfung, der Fruchtbarkeit, der Initiation und letzten Endes zu der Idee der absoluten Realität und der Unsterblichkeit. Der Baum der Welt wird so zum Baum des Lebens und der Unsterblichkeit. Umgeben von zahllosen mythischen Dubletten und Komplementärsymbolen (Frau, Quelle, Milch, Tiere, Früchte usw.) zeigt sich der Kosmische Baum allezeit als Reservoir des Lebens und Herr des Schicksals.
Diese Ideen sind ziemlich alt, denn man findet sie bei zahlreichen «primitiven» Völkern in einen Mond- und Initiationssymbolismus eingefügt (vgl. Religionen, S. 313). Doch die Symbolik des Kosmischen Baumes ist nahezu unerschöpflich, und so wurden sie viele Male abgewandelt und weiterentwickelt. Ohne Zweifel haben südorientalische Einflüsse stark zur Ausbildung der zentral- und nordasiatischen Mythologien beigetragen. Vor allem der Gedanke vom Kosmischen Baum als Seelenspeicher und «Buch des Schicksals» scheint von weiter entwickelten Kulturen übernommen worden zu sein. Der Weltenbaum wird in der Tat als lebendiger und lebendig machender Baum vorgestellt. Für die Jakuten erhebt sich «am goldenen Nabel der Erde» ein Baum mit neun Ästen - eine Art Urparadies, denn hier ist der erste Mensch geboren und wird von der Milch einer Frau, die zur Hälfte aus dem Stamm des Baumes ragt, ernährt38. Wie Harva (Religiöse Vorstellungen, S. 77 ) bemerkt, fällt es schwer zu glauben, daß ein solches Bild von den Jakuten im rauhen Klima Nordsibiriens erdacht worden ist. Die Prototypen finden sich im alten Orient, in Indien (wo Yama, der erste Mensch, neben einem Wunderbaum mit den Göttern trinkt, Rig Veda X, 135,1) und Iran (Yima teilt auf dem Kosmischen Berg Menschen und Tieren die Unsterblichkeit mit, Yasna 9, 4 ff.; Videv-dat, 2,5).
Die Golden, Dolganen und Tungusen sagen, daß die Seelen der Kinder vor der Geburt wie kleine Vögel auf den Zweigen des Kosmi-38 Harva, Rel. Vorstell., S. 75 ff.; Baum der Lebens, S. 57 ff. Über die altorientalischen Prototypen dieses mythischen Motivs s. Eliade. Die Religionen, S. 323 If. Vgl. auch G. R. Levy, The Gate of Horn (London 1948), S. 156, Anm. 3. Zum Thema Baum -Göttin (= Erste Frau) in der amerikanischen, chinesischen und japanischen Mythologie vgl. c. Hentze, Frühchinesische Bronzen und Kultdarstellungen (Antwerpen 1937), S. 129.
schen Baumes sitzen und die Schamanen sie dort holen (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 84, 166 ff.). Dieses bereits aus den Initiationsträumen der künftigen Schamanen bekannte mythische Motiv (s. S. 49) ist nicht auf Zentral- und Nordasien beschränkt; es ist z. B. auch in Afrika und Indonesien belegt39. Das kosmologische Schema Baum -Vogel (= Adler), oder Baum mit Vogel im Wipfel und Schlange an der Wurzel ist, wiewohl spezifisch für die Völker Zentralasiens und die Germanen, wahrscheinlich orientalischen Ursprungs40, doch ist derselbe Symbolismus schon auf prähistorischen Denkmälern formuliert41.
Ein anderes Thema, diesmal deutlich ausländischen Ursprungs, ist das vom Baum als Buch des Schicksals. Bei den osmanischen Türken hat der Lebensbaum eine Million Blätter und auf jedem Blatt ist das Schicksal eines Menschen aufgeschrieben; jedesmal, wenn ein Mensch stirbt, fällt ein Blatt (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 72), Die Ost-jaken glauben, daß eine Göttin, die auf einem himmlischen Berg mit sieben Sprossen sitzt, das Schicksal des Menschen unmittelbar nach seiner Geburt auf einen Baum mit sieben Ästen schreibt (ebd., S. 172). Denselben Glauben findet man bei den Batak43, doch da Türken wie Batak die Schrift erst ziemlich spät übernahmen, ist der orientalische Ursprung des Mythus evident. Die Ostjaken glauben auch, daß die Götter die Zukunft des Kindes in einem Schicksalsbuch suchen; nach den Legenden der Tataren schreiben sieben Götter das Los der Neu-geborenen in ein «Buch des Lebens» (Harva, a. a. O., S. 160 ff.). Doch alle diese Bilder stammen von der mesopotamischen Vorstellung der sieben Planetenhimmel als Schicksalsbuch. Wir haben sie hier erwähnt, weil auch der Schamane, wenn er den Wipfel des Kosmischen Baumes, den letzten Himmel erreicht, auf seine Weise nach der «Zukunft» der Gemeinschaft und dem «Schicksal» der Seele fragt.
Die mystischen Zahlen 7 und 9
Die Identifizierung des Kosmischen Baums von sieben Ästen mit den sieben Planetenhimmeln geht sicher auf mesopotamische Einflüsse zurück. Doch, um es noch einmal zu sagen, das bedeutet nicht, daß der Begriff des Kosmischen Baums = Weltachse den Turk-Tataren und den anderen sibirischen Völkerschaften durch orientalischen Einfluß zugekommen ist. Der Aufstieg zum Himmel an der Weltachse entlang ist eine allgemeine archaische Vorstellung und früher als der Gedanke von der Durchquerung der sieben Himmelsteile (- sieben Planetenhimmel), welcher sich in Zentralasien erst lange Zeit nach den rnesopotamischen Spekulationen über die sieben Planeten ausgebreitet haben kann. Bekanntlich ist die Dreizahl, das Symbol der drei kosmischen Regionen4’, in ihrer religiösen Geltung der Siebenzahl vorausgegangen. Man spricht auch von neun Himmeln (und von neun Gödern, neun Ästen des Kosmischen Baums usw.), welche mystische Zahl wahrscheinlich als 3 x 3 zu erklären ist und deshalb einem altertümlicheren Symbolismus angehören dürfte als die Siebenzahl mit ihrer mesopotamischen Herkunft1. Der Schamane ersteigt einen Baum oder Pfosten mit sieben oder neun hineingeschnittenen tapty, welche die sieben oder neun Himmelsebenen repräsentieren. Die «Hindernisse» (pudak), die er zu überwinden hat, Ober die Altertümlichkeit. Kohärenz und Bedeutung der auf ein dreigeteiltes Schema geeründeten kosmologischen Vorstellungen s. A. K. Coomaraswamy. Svaya-manni: Janua Coeli. passim (Zalmoxis II, S. 3-51). 44 Über die religiösen und kosmologischen Inhalte der Zahlen 7 und 9 vgl. W. Schmidt. Ursprung der Gottesidee. 9. Bd.. S. 91 ff.. 423. usw. Harva. Rel. Vorstell, S. 51 ff. dagegen hält die Neunzahl für jünger. Er sieht auch in den neun Himmeln eine späte, aus den neun Planeten zu erklärende Idee, die auch in Indien belegt, aber iranischen Ursprungs ist (S 56). Auf jeden Fall handelt es sich um zwei verschiedene religiöse Komplexe und die Neunzahl ist dort, wo sie deutlich ein Vielfaches von drei bedeutet, zweifellos für älter zu halten als die Zahl sieben.
sind, wie Anochin (Materialy, S. 9) bemerkt, in Wirklichkeit die Himmel, in die der Schamane eindringen muß. Wenn bei den Jakuten blutige Opfer dargebracht werden, errichten die Schamanen im Freien einen Baum mit neun Sprossen (tapty) und ersteigen ihn, um das Opfer bis zu Ai-tojon zu bringen. Bei der Initiation der Sibo-Schamanen (die Sibo sind mit den Tungusen verwandt) ist, wie wir gesehen haben, ein Baum mit Sprossen beteiligt; einen zweiten kleineren mit neun tapty bewahrt der Schamane in seiner Jurte (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 50) - auch dies ein Zeichen für seine Fähigkeit zu der ekstatischen Himmelsreise.
Die Kosmischen Säulen der Ostjaken tragen, wie wir gesehen haben, sieben Einschnitte. Die Wogulen stellen sich vor, daß man den Himmel erreicht, wenn man eine Stiege mit sieben Stufen hinaufsteigt. In ganz Südostsibirien ist die Vorstellung von den sieben Himmeln allgemein, aber nicht die einzige: Das Bild der neun, der 16, 17, ja sogar 33 Himmel ist nicht weniger verbreitet. Wie wir in Kürze sehen werden, steht die Anzahl der Himmel in keiner Beziehung zu der Anzahl der Götter; die Entsprechungen zwischen dem Pantheon und der Anzahl der Himmel erscheinen manchmal ziemlich künstlich.
So sprechen die Altaier von sieben, aber auch von 12, 16 oder 17 Himmeln (Radlov, Aus Sibirien II, S. 6 ff.); bei den Teleuten hat der Schamanenbaum 16 Einschnitte, die ebensoviel himmlische Ebenen darstellen (Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 52). Im obersten Himmel wohnt Tengere Kaira Khan, «Der barmherzige Kaiser Himmel»; in den drei darunter liegenden Stockwerken die drei in einer Art Emanation von Tengere Kaira Khan hervorgebrachten Hauptgötter. Bai Ülgän thront im sechzehnten auf einem goldenen Thron auf dem Gipfel eines goldenen Berges; Kysûgan Tengere, «Der sehr Starke», im neunten (über die Bewohner des fünfzehnten bis zehnten Himmels verlautet nichts); Mergen Tengere, «Der Allwissende», im siebten, wo sich auch die Sonne befindet. In den anderen unteren Stockwerken wohnen die übrigen Götter und viele andere halbgöttliche Gestalten (Radlov, a. a. O., S. 7 ff.).
Anochin hat ebenfalls bei den Altai-Tataren eine ganz abweichende Überlieferung gefunden (Materialy, S. 9 ff.): Bai Ülgän, der oberste Gott, bewohnt den siebten und obersten Himmel; Tengere Kaira Khan spielt überhaupt keine Rolle mehr (daß er im Begriff ist seine religiöse
Aktualität zu verlieren, haben wir schon festgestellt); die sieben Söhne und neun Töchter Ülgäns wohnen in den Himmeln, ohne daß diese näher angegeben wären 45.
Die sieben oder neun Söhne (oder «Diener») des Himmelsgottes begegnen in Zentral- und Nordasien häufig, ebenso auch bei den Ugriern und den Turk-Tataren. Die Wogulen kennen sieben Söhne des Gottes, die Waßjugan-Ostjaken sprechen von sieben Göttern, die auf sieben Himmel verteilt sind. Im obersten hält sich Num-tôrem auf, die anderen sieben Götter werden «Die Wächter des Himmels» (Törem-karevel) oder «Die Himmelsdolmetscher» genannt46. Eine Schar von sieben höchsten Göttern findet sich auch bei den Jakuten47. In der mongolischen Mythologie spricht man dagegen von «Neun Söhnen des Gottes» oder «Dienern des Gottes», sie sind zugleich beschützende und kriegerische Gottheiten. Die Burjaten kennen sogar die Namen dieser neun Söhne des höchsten Gottes, doch sind sie von Gegend zu Gegend verschieden. Die Zahl neun kehrt auch in den Ritualen der Wolga-Tschuwaschen und der Tscheremissen wieder (Harva, S. 162 ff,).
Außer diesen Gruppen von sieben oder neun Göttern und den entsprechenden sieben oder neun Himmeln trifft man in Zentralasien auf noch zahlreichere Gruppen, so die 33 Götter (lengeri), die Sumeru bewohnen und deren Zahl indischen Ursprungs sein könnte (Harva, S. 164 ff. ). Verbitzki fand die Vorstellung von den 33 Himmeln bei den Altaiern, Karanov bei den Sojoten (Harva, S. 52), doch ist das Vorkommen dieser Zahl äußerst selten. Man darf annehmen, daß es sich dabei um neuen Import, wahrscheinlich aus Indien handelt. Bei den Buriäten ist die Anzahl der Götter dreimal so groß; hier gibt es 99 Götter, die in gute und böse eingeteilt und auf verschiedene Gebiete verteilt sind: 55 gute Götter im Südwesten und 44 böse im Nordosten. Diese beiden Göttergruppen kämpfen seit sehr langer Zeit mit-
45 Siehe die Analyse dieser beiden kosmologischen Konzeptionen bei Schmidt, Ursprung, 9. Bd., S. 84 ff.. 135 ff.. 172 ff.. 449 ff.. 480 ff. usw.
46 Wahrscheinlich sind diese Namen zusammen mit der Vorstellung von den sieben Himmeln von den Tataren entlehnt (s. Karjalainen, Religion der Jugravölker, II. S. 305 ff.).
47 Harva. Rel. Vorstell., S. 162 nach Priklonskij und Pripuzov. Nach Sieroszewski hat der jakutische Jagdgott Bai Bainai sieben Gefährten, von denen drei den Jägern günstig und zwei ungünstig gesinnt sind (Du chamanisme, S. 303).
einander48. Auch die Mongolen kannten früher 99 tengri (Harva, S. 165). Doch weder Burjaten noch Mongolen wissen über diese Götter mit ihren dunklen und künstlichen Namen etwas Genaueres zu sagen.
ln Zentralasien und den arktischen Gebieten ist der Glaube an einen höchsten Himmelsgott ursprünglich und sehr alt, das ist immer wieder festzuhalten (Religionen, S. 85 ff.); ebenso alt ist der Glaube an die «Söhne Gottes», wenn auch die Zahl sieben orientalischen, also neuen Einfluß bedeutet. Wahrscheinlich hat bei der Verbreitung der Siebenzahl die schamanische Ideologie eine Rolle gespielt. Nach A. Gahs führen von dem mythisch-kulturellen Komplex des Mond-Ahnen Verbindungen zu den Idolen mit sieben Einschnitten und dem Menschheitsbaum mit sieben Ästen und ebenso auch zu den «schamanistischen» periodischen blutigen Opfern südlichen Ursprungs, welche an Stelle der unblutigen Opfer getreten sind (Opferung von Haupt und Knochen an die obersten Himmelsgötter)49. Wie dem auch sei, bei den Jurak-Samojeden hat der Erdgeist sieben Söhne und haben die Idole (sjaadai) sieben Gesichter, oder ein Gesicht mit sieben Einschnitten oder überhaupt nur sieben Einschnitte; diese sjaadai aber stehen mit den heiligen Bäumen in Beziehung50. Wie wir gesehen haben, trägt der Schamane an seiner Tracht sieben Glöckchen, welche die Stimmen der Sieben Himmelsmädchen darstellen (vgl. Mikhailowski, Shamanism, S. 84). Bei den Jenissei-Ostjaken zieht sich der künftige Schamane in die Einsamkeit zurück, kocht ein fliegendes Eichhörnchen, macht acht Teile daraus, ißt sieben und wirft den achten weg. Nach sieben Tagen kommt er an den Ort zurück und erhält ein Zeichen, das über seine Berufung entscheidet". Die mystische Zahl sieben spielt wahrscheinlich in Technik und Ekstase des Schamanen eine wichtige Rolle. Bei den Jurak-Samojeden liegt der künftige Schamane sieben Tage und sieben Nächte ohne Bewußtsein, während die Geister ihn zerstückeln und zur Initiation schreiten (Lehtisalo, S. 147); die Ostjaken- und Lappen-Scha-inanen essen Pilze mit sieben Flecken, um in Trance zu kommen52; der Lappen-Schamane bekommt von seinem Meister einen Pilz mit sieben Flecken (Itkonen, S. 159); der jurak-samojedische Schamane besitzt einen Handschuh mit sieben Fingern (Lehtisalo, S. 147); der ugrische Schamane hat sieben Hilfsgeister (Karjalainen III, S. 311) usw. Man hat nachgewiesen, daß bei den Ostjaken und Wogulen die Bedeutung der Siebenzahl deutlich auf Einflüsse aus dem alten Orient zurückgeht53 und zweifellos gilt für das übrige Zentral- und Nordasien dasselbe.
Für unsere Untersuchung ist dabei Folgendes von Wichtigkeit: Der Schamane scheint von all diesen Himmeln, und damit auch von den Göttern und Halbgöttern in ihnen, eine unmittelbarere Kenntnis zu besitzen. Daß er die Bereiche des Himmels der Reihe nach besuchen kann, verdankt er der Hilfe ihrer Bewohner; bevor er zu Bai Ülgän sprechen darf, unterhält er sich mit den anderen himmlischen Gestalten und erbittet von ihnen Unterstützung und Schutz. Ebensolche Kenntnis aus eigener Erfahrung zeigt der Schamane von den Bereichen der unterirdischen Welt. Den Eingang in die Unterwelt denken sich die Altaier als «Rauchloch» der Erde und zwar befindet er sich im «Zentrum» (nach den zentralasiatischen Mythen im Norden, was dem Mittelpunkt des Himmels entspricht, s. Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 54; bekanntlich ist im ganzen asiatischen Bereich von Indien bis Sibirien der «Norden» dem «Zentrum» gleich gesetzt ). In einer Art Symmetrie hat man sich für die Unterwelt die gleiche Anzahl von Stockwerken ausgedacht wie für den Himmel: drei bei den Karagassen und den Sojoten, die drei Himmel haben, sieben oder neun bei den meisten anderen zentral- und nordasiatischen Völkern54. Wie wir gesehen haben, überwindet der altaische Schamane in der Unterwelt der Reihe nach sieben «Hindernisse» (pudak). Er und nur er verfügt über eine selbsterworbene Kenntnis der Unterwelt, denn er dringt zu Lebzeiten dort ein, wie er auch die sieben oder neun Himmel hinauf- und hinabsteigt.
52 Karjalainen, Religion der Jugra-Völker, 2. Bd., S. 278, 3. Bd., S. 306; Itkonen, Heidnische Religion und späterer Aberglaube bei den finnischen Lappen, S. 149. Bei den Tsingala-Ostjaken legt der Kranke ein Brot mit sieben Einschnitten auf einen Tisch und opfert Sänke; Karjalainen III, S. 307.
53 Josef Haeckel, Idol huit und Dualsystem bei den Ui guten. Zum Problem des eurasiatisehen Totemismus (Archiv für Völkerkunde I, Wien 1947, S. 95-163), S. 136.
54 Bei den Ugriern hat die Unterwelt immer sieben Stockwerke, doch scheint die Vorstellung nicht ursprünglich zu sein, vgl. Karjalainen, Religion der Jugra-Völker //, S. 318.
Schamanismus und Kosmologie im ozeanischen Bereich
Ohne einen Vergleich zweier so komplexer Phänomene wie des zentral- und nordasiatischen und des indonesischen und ozeanischen Schamanismus unternehmen zu wollen, werden wir rasch verschiedene Erscheinungen aus dem südostasiatischen Raum an uns vorbeiziehen lassen, um zwei Punkte zu beleuchten: 1. das Vorkommen der archaischen Symbolik dreier kosmischer Zonen und einer Weltachse in diesen Gebieten, 2. die (vor allem aus der kosmologischen und religiösen Rolle der Siebenzahl zu erschließenden) indischen Einflüsse, welche den Untergrund der autochthonen Religion überlagert haben. Tatsächlich scheinen diese beiden Kulturblöcke, Zentral- und Nordasien einerseits, Indonesien und Ozeanien andererseits, in der genannten Hinsicht manche Gemeinsamkeiten aufzuweisen, die aus gemeinsamem Schicksal - einschneidende Veränderung der archaischen religiösen Traditionen durch die Ausstrahlung höherer Kulturen - zu erklären sind. Wir haben nicht im Sinn, hier eine kulturgeschichtliche Analyse des indonesischen und ozeanischen Bereichs zu geben - das ginge doch zu weit über unseren Gegenstand hinaus55; wir wollen nur ein paar Pfähle einschlagen um zu zeigen, aus welchen Ideologien und durch welche Techniken sich der Schamanismus entwickeln konnte.
Bei den archaischsten Völkern der Halbinsel Malakka, den Semang-Pygmäen. finden wir das Symbol der Weltachse: Ein riesiger l eben Batu-Ribn erhebt sich in der Mitte der Welt, darunter befindet sich die Unterwelt. Früher erhob sich auf dem Batu-Ribn ein Baumstamm zum Himmel (Schebesta, Les Pygmées, S. 156 ff.). Nach den von Evans gesammelten Informationen trägt eine steinerne Säule, Batu Herem, den Himmel. Mit ihrem obersten Teil durchbricht sie das Gewölbe und ragt über den Himmel Taperns hinaus in eine Gegend mit Namen Ligoi, wo die Chinoi wohnen und sich vergnügen Unterwelt56, Mitte der Erde und «Pforte» des Himmels liegen in derselben Achse, und über diese Achse geschah einst der Übergang von einer kosmischen Region zur anderen. Es fiele schwer an die Echtheit eines solchen kosmologischen Schemas bei den Semang-Pygmäen zu glauben, wenn nicht gute Gründe dafür sprächen, daß eine derartige Theorie schon in vorgeschichtlicher Zeit skizzenhaft bestand57.
Die Glaubensvorstellungen der Semang über die Heilkundigen und ihre Zaubertechniken zeigen gewisse malaiische Einflüsse (z. B, was die Fähigkeit sich in einen Tiger zu verwandeln betrifft). Einige Züge derselben Art tragen ihre Vorstellungen vom Schicksal der Seele im Jenseits. Beim Tod verläßt die Seele den Körper bei der Ferse und macht sich auf nach Osten, bis ans Meer. Sieben Tage lang können die Abgeschiedenen in ihr Dorf zurückkommen; nach Ablauf dieser Frist werden diejenigen unter ihnen, die ein anständiges Leben geführt haben, von Mampes zu einer wunderbaren Insel Belet geleitet; dabei überschreiten sie eine Brücke, die in Gestalt einer Rutschbahn über das Meer führt. Die Brücke heißt Balan Bacham; Bacham ist eine Art Farnkraut, das am anderen Ende der Brücke wächst. Dort ist eine Chinoi-Frau, Chinoi-Sagar, die ihren Kopf mit Bacham-Farnen schmückt, und die Toten müssen dasselbe tun, bevor sie ihren Fuß auf die Insel Belet setzen dürfen. Mampes ist der Hüter der Brücke; er wird als Riesen-negrito vorgestellt und verzehrt die Opfer, die man für die Toten darbringt. Wenn die Toten auf der Insel ankommen, wenden sie sich zum Baume Mapic (wahrscheinlich erhebt er sich in der Mitte der Insel), wo sich alle anderen Abgeschiedenen befinden. Doch die Neugekommenen können die Blüten des Baumes nicht tragen und von seinen cenoi) sind zugleich Seelen und Naturgeister. welche als Vermittler zwischen Gott, Tata Ta Pedn. und den Menschen auftreten (Schebesta. a.a.O., S. 152 ff.; Evans. Studies, S. Ids ff.). Cher ihre Rolle bei den Heilungen s. u. S. 323 ff.
57 Vgl. z. B. W. Gaerte, Kosmische Vorstellungen im Bilde prähistorischer Zeit: Erdberg. Himmelsberg. Erdnabel und Weltenströme ( Anthropos IX. 191-1. S. 956-979). Die Frage der von W. Schmidt und O. Menghin mit Nachdruck aufrechterhaltenen Feinheit und Altertümlichkeit der Pygmäenkultur ist bekanntlich noch nicht geklärt: für die gegenteilige Ansicht vgl. Laviosa-Zambotti, a.a.O., S. 1)2 ff. Wie dem auch sei - außer Zweifel steht, daß die heutigen Pygmäen bei allen Spuren der höheren Kultur ihrer Nachbarn immer noch viele archaische Züge bewahren; diese Beharrsamkeit bestätigt sich vor allem in ihren religiösen Glaubensvorstellungen, die von denen ihrer höher entwickelten Nachbarn so verschieden sind. Wir glauben uns deshalb berechtigt das kosmologische Schema und den Mythus von der Weltachse unter die authentischen Reste der religiösen Überlieferung der Pygmäen einzureihen.
Früchten nicht kosten, bevor die früher gekommenen Toten ihnen nicht alle Gebeine gebrochen und die Augen in den Höhlen umgedreht haben, so daß sie jetzt nach innen schauen. Wenn diese Bedingungen richtig erfüllt sind, werden sie wirkliche Geister (kemoit) und können die Früchte des Baumes essen58. Dieser ist natürlich ein Wunderbaum und die Quelle des Lebens, denn an seiner Wurzel wachsen Brüste, die prall sind von Milch; dort sind auch die Geister der kleinen Kinder59 -vermutlich die Seelen der Ungeborenen. Wahrscheinlich werden die Abgeschiedenen wieder zu kleinen Kindern und bereiten sich so auf eine neue irdische Existenz vor, wenn auch der von Evans aufgezeichnete Mythus über diesen Punkt schweigt.
Wir haben hier wieder die Idee des Lebensbaums mit den Seelen der kleinen Kinder in seinen Zweigen, anscheinend ein sehr alter Mythus, wenn auch einem anderen religiösen Komplex zugehörig als der Mythus mit dem Gott Ta Pedn und der Weltachse im Mittelpunkt. In diesem Mythus findet man einerseits die mystische Verbundenheit zwischen Mensch und Pflanze, andererseits die Spuren matriarchalischer Ideologie, welche dem archaischen Komplex - Höchster Himmelsgott, Symbolismus der drei kosmischen Zonen, Mythus von einer Urzeit mit unmittelbaren und leichten Verbindungen zwischen Erde und Himmel (das «verlorene Paradies») - fremd sind. Darüber hinaus verrät das Detail von der Sieben-Tage-Frist, in welcher die Abgeschiedenen in ihr Dorf zurückkommen können, noch jüngeren und zwar indo-malaischen Einfluß.
Bei den Sakai werden diese Einflüsse noch deutlicher. Nach ihrem Glauben verläßt die Seele den Körper durch den Hinterkopf und wendet sich nach Westen. Der Tote versucht durch dieselbe Pforte wie die Malaien in den Himmel einzudringen, doch es gelingt ihm nicht und er wagt sich auf eine Brücke namens Menteg, welche über einen Kessel mit kochendem Wasser führt (eine Vorstellung malaischen Ursprungs, Evans, S. 209, Anm. i). Die Brücke ist in Wirklichkeit ein entrindeter
58 Das Brechen der Knochen und Zurückdrehen der Augen erinnert uns an die Initiationsriten, durch die der Kandidat zum «Geist» werden soll. Ober die paradiesische «Fruchtinsel» der Semang, Sakai und Jakun vgl, W. W. Skeat und C. O. Blagden, Pagan Races of the Malay Peninsula (London 1906), 2. Bd., S. 207, 209, 321. S. auch u. S. 271, Anm. 61.
59 Evans, Studies, S. 157; Schebesta, Les Pygmées, S. 137 ff.; ders., Jenseitsglaube der Semang auf Malakka (Festschrift W. Schmidt, S. 635-644).
Baumstamm. Die Seelen der Bösen fallen in den Kessel und Yenang packt sie und brennt sie zu Staub; dann wiegt er sie, und wenn die Seelen leicht geworden sind, schickt er sie zum Himmel, wenn nicht, brennt er sie weiter, um sie durch das Feuer zu reinigen60.
Die Besisi im Bezirk Kuala Langat in Selangan, wie auch die in Bebrang, sprechen von einer Fruchtinsel, zu der sich die Seelen der Toten aufmachen. Sie ist mit dem Baum Mapik der Semang zu vergleichen. Wenn die Menschen alt werden, können sie wieder Kinder werden und zu wachsen anfangen61. Für die Besisi ist das Universum in sechs obere Regionen, die Erde und sechs unterirdische Regionen eingeteilt (Evans, S. 209 f ), eine Mischung also zwischen alter Dreiteilung und indo-malaiischen kosmologischen Ideen.
Bei den Jakun62 stellt man auf das Grab einen fünf Fuß langen Pfosten, der vierzehn Einschnitte hat, auf der einen Seite sieben aufsteigende, auf der andern sieben absteigende; dieser Pfosten trägt den Namen «Seelentreppe» (Evans, S. 266 f. ). Auf die Symbolik der Stiege werden wir noch zurückzukommen haben; für den Augenblick sei auf das Vorkommen der sieben Einschnitte hingewiesen, welche - mit oder ohne Wissen der Jakun - die sieben von der Seele zu durchmessenden Himmelsebenen bedeuten, ein Beweis für das Eindringen orientalischer Ideen selbst bei so «primitiven» Völkern wie den Jakun.
Die Dusun63 auf Nordborneo stellen sich den Weg der Toten einen Berg hinaufsteigend und einen Fluß überschreitend vor (Evans, S. 33 ff ). Die Rolle des Berges in den Todesmythologien erklärt sich
Evans. Studies, S. 208. Das Wiegen der Seele und ihre Reinigung durch Feuer sind orientalische Vorstellungen. Die Unterwelt der Sakai weist starke, wahrscheinlich neuere Einflüsse auf, die an die Stelle der bodenständigen Jenseitsvorstellungen traten. Also der sehr verbreitete Mythus von dem -Paradies», in dem das Lehen unendlich weitergeht in einem ewigen Neubeginn. Vgl. Tuma, die Geister-(=Toten-)insel der Melanesier auf Trobriand: «Wenn sie (die Geister) sich gealtert fühlen, werfen sie ihre schlaffe, runzlige Haut ab und tauchen mit einem Körper mit zarter Haut, schwarzen locken, gesunden Zähnen und voll Kraft daraus hervor. So bildet ihr Leben einen dauernden Neubeginn und eine dauernde Verjüngung mit allem, was die Jugend an Liebesabenteuern und Vergnügungen hat.» (B. Malinowski, La vie sexuelle des saurages du Nord-Ouest de la Mêlanésie (franz. Obers. Paris 1930), S. 409; ders., Myth in Primttite Psychology (London 1926), S. 80 ff, (Myth of Death and the recurrent cycle °f Life).
62 Nach Evans. Studies. S. 261 wäre dieser Stamm von malaiischer Rasse aber von einer früheren (von Sumatra gekommenen) Welle als die Malaien im eigentlichen Sinn. 63 Von urmalaiischer Rasse, die Lfreinwohner der Insel, s. Evans, a.a.O., S. 3.
immer aus dem Symbolismus der Auffahrt und schließt den Glauben an einen himmlischen Aufenthaltsort der Toten ein. An anderer Stelle werden wir sehen, daß die Toten «sich an den Bergen hinaufziehen», ganz wie die Schamanen und Heroen bei ihren Initiationsaufstiegen. Doch ist schon hier zu betonen, daß bei allen hier behandelten Völkern der Schamanismus in enger Abhängigkeit zu den Vorstellungen des Totenglaubens (Berg, Paradiesesinsel, Lebensbaum) und der Kosmologie (Achse der Welt _ Kosmischer Baum, drei Regionen des Kosmos, sieben Himmel usw. ) steht. Bei der Ausübung seines Handwerks als Heilkundiger oder Seelengeleiter bedient sich der Schamane des traditionellen Wissens der Unterweltstopographie (ob diese nun dem Himmel, dem Meer oder den unterirdischen Bereichen angehört), eines Wissens, das sich letzten Endes auf eine archaische, wenn auch oft durch exotische Einflüsse bereicherte Kosmologie gründet.
Die Ngadju-Dajak auf Südborneo haben eine noch eigenartigere Vorstellung vom Universum. Es gibt zwar eine obere und eine untere Welt, doch unsere Welt ist nicht als drittes Glied zu betrachten, sondern als die Totalität der beiden anderen, denn sie reflektiert und repräsentiert beide zugleich64. Dies bildet übrigens einen Bestandteil der archaischen Ideologie, nach welcher die irdischen Dinge nichts anderes sind als eine Wiederholung der exemplarischen Muster im Himmel oder «Jenseits». Dazu kommt, daß die Vorstellung von drei kosmischen Zonen dem Gedanken von der Einheit der Welt nicht zuwiderläuft. Die zahlreichen Symbolismen der Ähnlichkeit der drei Welten und der Verbindungen zwischen ihnen drücken zugleich ihre Einheit, ihre Integration in einem einzigen Kosmos aus. Die Dreiteilung der kosmischen Zonen, die wir hier aus schon erörterten Gründen hervorzuheben haben, schließt in keiner Weise weder die tiefe Einheit des Universums noch seinen augenscheinlichen «Dualismus» aus.
Die Mythologie der Ngadju-Dajak ist ziemlich kompliziert, doch läßt sich ein Zug als Dominante herauslösen, und zwar gerade ein «kosmologischer Dualismus». Der Weltenbaum geht diesem Dualismus voraus, denn er repräsentiert den Kosmos in seiner Ganzheit (Schärer, Die Gottesidee, S. 35 ff.); er symbolisiert sogar die Einswerdung der beiden obersten Gottheiten (ebd., S. 37 ff.). Die Schöpfung ist das Ergebnis des Konflikts zwischen den Gottheiten, welche die beiden polaren Prinzipien repräsentieren: das (kosmologisch niedrigere) weibliche, durch Wasser und Schlange repräsentiert, und das höhere männliche, den Vogel. Während des Kampfes zwischen den gegnerischen Göttern wird der Weltenbaum (= die uranfängliche Totalität) zerstört (Schärer, S. 34), doch diese Zerstörung ist nur vorübergehend; der Weltenbaum, Archetyp jeder menschlichen Schöpfungstätigkeit, wird nur zerstört um wieder entstehen zu können. Wir möchten aus diesen Mythen ebensowohl das alte kosmogonische Schema der Hiérogamie Himmel-Erde, das auf anderer Ebene auch durch den Symbolismus der entgegengesetzten Komplementärgestalten Vogel und Schlange aus-gedrückt ist, herauslesen als die «dualistische». Struktur der alten Mondmythologien (Opposition des Entgegengesetzten, Abwechslung zwischen Zerstörung und Schöpfung, ewige Wiederkehr). Unbestreitbar sind später indische Einflüsse zu dem alten autochthonal Untergrund hinzugekommen, wenn sich diese Einflüsse auch oft auf die Nomenklatur der Götter beschränkt haben.
Besonders sei jedoch darauf hingewiesen, daß der Weltenbaum in jedem Dajak-Dorf, ja fast in jedem Haus vorhanden ist (vgl. Schärer, S. 76 ff. und Taf. I—II), und zwar ist dieser Baum mit sieben Ästen gebildet. Daß er die Weltachse und damit den Weg zum Himmel symbolisiert, geht aus der Tatsache hervor, daß sich ein solcher Baum in jedem von den indonesischen «Totenschiffen» befindet, welche die Abgeschiedenen in das himmlische Jenseits bringen sollen65. Dieser Baum, der mit sechs Ästen gezeichnet wird (sieben mit dem Wipfelbusch) und Sonne und Mond zur Seite hat, zeigt sich zuweilen in der Form einer Lanze, die mit denselben Symbolen geschmückt ist wie die «Schamanenleiter», auf der der Schamane in die Himmel klettert, wenn er die flüchtige Seele des Kranken zurückbringen soll66. Dieses Baum-Lanzen-Lei-
65 Alfred Steinmann. Das kultische Schiß in Indonesien (Jahresbericht für prähistorische und ethnographische Kunst, 1938-1940, S. 149-205). S. 163; ders., Eine Geister-schtffmalerei aus Süd-Borneo (Auszug in Jahrbuch des Bernischen historischen Museums in Bern XXII. 1942). S. 6 (des Auszuges).
66 A. Steinmann, Das kultische Schiß, S. 163.
tergebilde in den «Totenschiffen» ist nichts anderes als die Wiederholung des Wunderbaumes im Jenseits, den die Seelen auf ihrer Reise zu dem Gott Devata Sangiang antreffen. Die indonesischen Schamanen, z. B. die der Sakai, Kubu und Da jak, besitzen ebenfalls einen Baum, den sie als Leiter gebrauchen um in die Geisterwelt zu gelangen und die Seelen der Kranken zu suchen67. Über die Rolle des Lanzenbaumes werden wir noch bei der Untersuchung der indonesischen Schamanentechniken sprechen. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der Schamanenbaum der Dusun-Dajak, der bei den Heilungszeremonien benützt wird, sieben Äste hat (Steinmann, S. 189).
Die Batak, deren religiöse Ideen zum größten Teil aus Indien stammen, stellen sich das Universum in drei Regionen geteilt vor: einen Himmel mit sieben Stockwerken, in dem die Götter wohnen, die Erde, von den Menschen besetzt, und die Unterwelt als Aufenthaltsort der Dämonen und Abgeschiedenen68. Man trifft auch hier den Mythus von einer paradiesischen Zeit, wo der Himmel der Erde näher war und wo es einen dauernden Verkehr zwischen Göttern und Menschen gab, doch wegen dem Stolz des Menschen wurde der Weg zur himmlischen Welt abgeschnitten. Der oberste Gott, Mula djadi na bolon («Der seinen Anfang in sich selbst hat»), der Schöpfer des Universums und der übrigen Götter, bewohnt den letzten Himmel und scheint wie alle höchsten Götter der «Primitiven» ein ileus otiosus geworden zu sein; man bringt ihm keine Opfer dar. In den unterirdischen Regionen lebt eine kosmische Schlange, die zuletzt die Welt vernichten wird69.
Die Minangkabau auf Sumatra haben eine hybride Religion auf animistischer Grundlage, doch stark beeinflußt von Hinduismus und Islam70. Das Universum hat sieben Stockwerke. Nach dem Tod muß 67 A. Steinmann. ebd. Auch bei den Japanern gelten Pfosten und Baum noch heute als der «Weg der Götter», vgl. Alex. Slavik, Kultische Geheimbünde der Japaner und Germanen (Wiener Beitr. zur Kulturgeschichte und Linguistik, 1. Bd., Salzburg-Leipzig 1936, S. 675-763), S, 727 f., Ann.
68 Doch wie zu erwarten gelangen viele Tote in den Himmel, s. L. Loeb, Sumatra, S. 75. Über die Vielzahl der Reisewege der Toten s. u. S. 340.
69 J. Loeb, Sumatra, S. 7-1-78.
70 Wie wir schon mehrmals gesagt haben und später noch deutlicher darlegen werden, gilt diese Erscheinung in der ganzen malaiischen Welt. Vgl. z. B. die mohammedanischen Einflüsse in Toradja, s. Loeb, Shaman and Seer, S. 61; komplexe indische Einflüsse auf die Malaien, s. J. Cuisinier, Danses magiques de Kelantan, S. 16. 90, 108 usw.; R. O. Winstedt, Shaman, Sana and Sufi. A study of the evolution of Malat Magic die Seele über die Schneide eines Rasiermessers gehen, das über einer brennenden Unterwelt liegt. Die Sünder fallen ins Feuer, die Guten steigen zum Himmel, wo sich ein großer Baum befindet. Dort bleiben die Seelen bis zur endlichen Auferstehung71. Man erkennt leicht die Mischung von archaischen Themen (Brücke, Lebensbaum als Aufnahmeort und Nährer der Seelen) mit auswärtigen Einflüssen (das Feuer der Unterwelt, die Idee der endlichen Auferstehung).
Die Nias kennen den Kosmischen Baum, der alles hervorgebracht hat. Die Toten benützen, um zum Himmel aufzusteigen, eine Brücke; unter dieser Brücke liegt der Abgrund der Unterwelt. Ein Wächter mit Schild und Lanze ist am Eingang zum Himmel aufgestellt; eine Katze hilft ihm die Seelen der Schuldigen in die Gewässer der Unterwelt werfen72.
Damit genug der indonesischen Beispiele. Auf alle diese mythischen Motive (Totenbrücke, Aufstieg usw.) wie auf die damit irgendwie verbundenen schamanischen Techniken werden wir noch zurückkommen. Hier wollten wir nur, wenigstens für einen Teil des ozeanischen Gebietes, die Existenz eines kosmologischen und religiösen Komplexes von höchster Altertümlichkeit zeigen, welcher durch die im Lauf der Zeit erfahrenen Einflüsse indischer und asiatischer Vorstellungen auf verschiedene Weise abgewandelt worden ist.
(London 1925), bes. S. 8 ff.. 55 ff. und passim (islamische Einflüsse S. 28 ff. und passim); ders., Indian influences in the Malay world (Journal of the Royal Asiatic Society 1944, S. 186-196); Munsterberger, Ethnologische Studien, S. 83 ff., indische Einflüsse in Indonesien; hinduistische Einflüsse in Polynesien s. E. S. C. Handy, Polynesian Religion (Honolulu, Hawai, 1927), passim; Chadwick, Growth of Literature III, S. 303 ff. Doch darf man nicht vergessen, daß diese Einflüsse im allgemeinen nur den Ausdruck des magisch religiösen Lebens verändert haben und daß sic auf keinen Fall die großen mythologischen Schemata geschaffen haben, welche uns in der vorliegenden Arbeit beschäftigen.
71 J. I.oeb. Sumatra, S. 124.
72 J. Loeb, Sumatra, S. 150 ff. Der Verfasser erwähnt (S. 154) die Ähnlichkeit zwischen diesem Komplex unterweltlicher Mythologie bei den Nias und den Ideen der indischen Nagas-Völker; man könnte den Vergleich auch auf andere indische Ureinwohner ausdehnen. Es sind Reste der sogenannten austroasiatischen Zivilisation, an welcher die präarischen und prädravidischen Völker Indiens sowie die meisten Ureinwohnervölker Indochinas und der Insulinde teilhaben. Über einige ihrer Kennzeichen vgl. unser Yoga. Essai sur les origines de la mystique indienne (Paris 1936), S. 292 ff., sowie Cordes. Les Etats Hindouisés, S. 23 ff.