M irror-Rom strahlte so intensiv, als wäre es mitten in der Sonne erbaut worden. Jedes Gebäude schien mit flüssigem Gold überzogen zu sein, so sehr glänzten die Fassaden. Am meisten aber schockierte mich, wie hell es war. Bislang hatte alles im Mirror düster gewirkt, gehüllt in ewiges Zwielicht, weil die Stadt am Himmel die Sonne verdunkelte. Doch nun umfing mich das Licht eines warmen, freundlichen Sommertages.
Extravagante Häuser reihten sich aneinander, einige bestimmt hundert Meter hoch. Außerdem schwebten Gebäude in der Luft, viel mehr, als es in London der Fall gewesen war. Unzählige Häuser, deren Fundamente von Magie winterblau eingefärbt waren. Rundherum waren Gärten und Parks angelegt. Das Grün erstreckte sich so weit in die Ferne, dass die Bäume auf den entlegensten der sanften Hügel in der Atmosphäre des Mirrors zu verschwimmen schienen.
Lily hätte dieser Anblick gefallen. Jede noch so winzige Blume, die irgendwo in einer Asphaltritze in den Outskirts blühte, hatte ein begeistertes Lächeln auf ihre Lippen gezaubert.
Bei dem Gedanken ballte ich die Hände zu Fäusten. Wir würden herausfinden, wo das Auge sie hingebracht hatte. Und wir würden sie von dort befreien. Doch für den Moment musste ich geduldig sein. Denn statt direkt mit Celines Sigil zur Bella Septe zu gehen – dem Sitz des Höchsten Magistraten –, hatten wir den »traditionellen Weg« genommen: An der Seite von Adam, Matt, Dina, Celine und Cedric war ich in Mirror-London in eine dieser Magiegondeln gestiegen, die ich in der Stadt bereits gesehen hatte. Sie hießen Gate-Shuttles, wie ich nun wusste. Damit wurden offenbar nicht nur die Oberen innerhalb der Städte transportiert, die Shuttles schwebten auch durch großangelegte Magiekorridore, die alle Mirrorstädte dauerhaft miteinander verbanden. So ähnlich, wie es im Raum der hundert Türen in Septem funktioniert hatte.
»Wir machen das, um gesehen zu werden«, hatte Matt mir erklärt, als ich wegen des unnötigen Umwegs gefragt hatte. »Es ist Tradition, dass die Sieben sich den Bewohnern der Stadt auf dem Weg zum Schaukampffinale zeigen.«
Nun. Gesehen wurden wir auf jeden Fall. Nicht nur, dass unser Shuttle größer war als jedes andere, wir wurden zudem von drei weiteren eskortiert, in denen sich Jarek, Zorya, eine Vielzahl anderer Magiehäscher sowie wichtige Amtsträger aus Septem befanden.
So schwebten wir ins Zentrum der Stadt, und ich konnte nicht anders, als immer wieder auf diese unglaublichen goldenen Bauten zu schauen. Irgendwann begriff ich auch, woher die Helligkeit kam: Zwischen den fliegenden Gebäuden hingen Sigils in Form einer Sonne in der Luft, die Lichtkegel auf die Stadt schickten.
»Künstliches Tageslicht«, flüsterte Matt mir zu. »Rom ist die erste Stadt, die auf die Idee kam, aber es kostet extrem viel Magie. Nicht, dass Magistrat Pelham das kümmern würde.«
Wir tauschten einen Blick. Nein, nach allem, was ich inzwischen über Kornelius Pelham wusste, war ihm das so was von egal.
Zwei Tage waren seit Adams und meiner Abmachung vergangen, und er hatte mir versprochen, mir bis zu unserer Abreise nach Rom alle Fragen zu beantworten, die mir im Kopf umherschwirrten. Er hatte sein Wort gehalten. Zusammen verbrachten wir viel Zeit in der Bastion, und obwohl Adam immer wieder wegen irgendwelcher wichtigen Angelegenheiten davongerufen wurde, gaben er und Cedric mir einen kleinen Mirror-Crashkurs , um mich auf meine Lockvogelrolle vorzubereiten. Die anderen waren, das wusste ich inzwischen, über Adams Coup mit dem Magieklau informiert gewesen. Sie erzählten mir davon, wie sie nach Adams Krönung von den Todesfällen in den Armenvierteln Primes erfahren hatten, wie ihnen klargeworden war, dass mit dem Magietransfer etwas nicht stimmen konnte und dass sie die korrupten Magistrate dafür in Verdacht hatten.
Das Problem war nur: Bis vor kurzem war die vorherige Generation der Träger, angeführt von Leanore Tremblett, für den Mirror verantwortlich gewesen. Matt und Celine waren die Einzigen, die ihre Sigils bereits seit ein paar Jahren besaßen, weil ihre Mütter frühzeitig verstorben waren. Der Rest – Dina, Adam, und auch die beiden anderen Träger, Nikki und Sebastian – zählte erst seit kurzem zu den Sieben. Und sie alle hatten nicht gewusst, wie schlimm die Lage wirklich war.
Während ich versuchte, mir die politischen Gepflogenheiten des Mirrors einzuprägen, unterzogen Dina und Matt mich einem ersten Training mit meinem Sigil. »Die Verbindung ist noch nicht stabil«, betonte Dina immer wieder, während sie mich in die Mangel nahm. Wobei sie mich im Grunde nur ein bisschen durch den Trainingsraum scheuchte – aber so schnell, wie sie war, fühlte es sich an, als hätte ich ein wochenlanges Bootcamp hinter mir. Trotzdem bekam ich nur einige halbgare Magiestöße hin und keinerlei komplexere Gesten. Und was Ignis’ Fähigkeit anging, Magie zu zerstören, nun … Ich hatte mehrere Male versucht, die Magieschilde, die Matt heraufbeschwor, zerbröseln zu lassen, aber es gelang mir nicht. Wenn überhaupt, bohrte ich ein münzgroßes Loch hinein.
All das war normal, erklärten mir die anderen, denn nach ihren Verbindungsritualen war es ähnlich gewesen. Doch auch hier fiel es mir schwer, geduldig zu bleiben. Genauso, wie ich kaum akzeptieren konnte, Lily nicht sofort suchen zu können. Aber ich würde nicht noch einmal völlig überstürzt handeln. Die anderen standen nun an meiner Seite. Und zum ersten Mal, seit Matt sich im zerstörten Heptadome über mich gebeugt hatte, kam ich mir nicht mehr wie eine völlige Außenseiterin vor.
Während wir weiter über die Stadt schwebten, schaute ich immer wieder nach oben, wo das echte Rom war. Die Unterschiede zum Mirrorabbild waren unverkennbar. Im Rom aus meiner Welt gab es nur wenige höhere Häuser im Zentrum, und obwohl die rötlichen Dächer in der Mittagssonne in einen warmen Schimmer getaucht waren, verblassten sie in Konkurrenz zu all den Prachtbauten, an denen wir vorbeiglitten.
»Willkommen in der Goldenen Stadt«, sagte Dina neben mir, ein schiefes Lächeln auf ihren roten Lippen. »Der Wohnort der selbstgefälligsten, machtgierigsten Menschen auf dem Planeten.«
»Ich dachte, das wäre Central London.«
Dina grinste. »Nein, glaub mir … die Leute in London sind kleine wuschelige Schafe dagegen.«
»Sie lieben es, uns anzugaffen«, brummte Celine und winkte gleichzeitig freundlich lächelnd durch das Fenster. »Das wird jetzt die ganze verdammte Zeit so gehen.«
»Ach Quatsch.« Matt grinste. Er stupste mit seiner Stiefelspitze gegen Adams, der völlig in Gedanken versunken war. »Sie wollen sowieso nur unseren strahlenden Herrscher sehen. In seiner erlauchten Gegenwart wird man uns gar nicht wahrnehmen.«
»Sei lieber vorsichtig«, sagte Adam, den Blick weiterhin stoisch nach draußen gerichtet. »Sonst danke ich einfach spontan ab und lasse euch mit den Aasgeiern allein.«
Dina entwich ein überraschtes Lachen. »War das etwa ein Witz? Ich dachte, den Humor hätten sie dir nach deiner Krönung rausoperiert.«
Adams Mundwinkel hob sich. »Nur, um mehr Platz für meinen Zynismus zu machen.«
Ich musste lächeln. Adams und meine Sitze befanden sich einander gegenüber, und obwohl ich mich ermahnte, war mein Blick immer wieder zu ihm gewandert. Er hatte zwar die gesamte Fahrt über geschwiegen, trotzdem wirkte er etwas befreiter als noch in den letzten Tagen, in denen er seine Anspannung mit Abweisung kaschiert hatte. Meine Wut auf ihn war definitiv verraucht, doch ich war trotzdem nervös, was die kommende Woche anging. Es fiel mir schwer, Adam einzuschätzen, nach wie vor. Würde er Wort halten und mit mir zusammenarbeiten? Ich wollte gern daran glauben, aber sicher … sicher konnte ich mir bei ihm nie sein.
Seit unserer Aussprache hatte ich das Gefühl, er hatte sich mir gegenüber geöffnet. Nicht viel, doch … genug, dass ich ihn etwas besser verstehen konnte. Bislang war ich davon überzeugt gewesen, dass er und ich niemals einen gemeinsamen Nenner würden finden können. Dass seine Welt und meine nicht vereinbar wären. Adam war ein Kind des Mirrors durch und durch. Aber hinter allem, was er nach außen zur Schau stellte, hinter dieser Rolle, die er als Mirrorlord spielte, erkannte ich jemanden, der im Herzen für etwas kämpfte, an das er glaubte. Jemanden, der die Möglichkeiten, die ihm vom Schicksal gegeben worden waren, dazu nutzen wollte, um die Welt besser zu machen.
»Worüber denkst du nach?«, fragte da auf einmal Cedric, den Blick auf Adam gerichtet. Der schaute noch einen Moment hinaus auf die Goldene Stadt, bevor er sich zu uns wandte.
»Das Auge«, antwortete er, griff nach etwas in seiner Manteltasche und hielt es zwischen uns. Es war ein Trite, eine der üblichen siebeneckigen Münzen. »Damit sind die Rebellen in Agronas Haus eingebrochen. Das ist etwas, das mir schon die ganze Zeit nicht aus dem Kopf geht. Sie haben sich damit einfach durch die Barrieren geschlagen. Als gäbe es nichts Leichteres.«
Adam hielt Cedric das Trite entgegen. Außer, dass es recht groß war, konnte ich keine Besonderheit daran ausmachen. Erst als Cedric es so drehte, dass die Gravur genau zu mir zeigte, hielt ich inne. Die Linien waren definitiv sehr kompliziert. Und irrsinnig gut ausgeführt.
»Es ist meisterhaft gearbeitet«, sagte ich langsam.
Cedric nickte. »Das ist es.« Er schaute zu Adam, ein nachdenklicher Ausdruck im Gesicht. »Es gibt kaum Leute im Mirror, die eine solche Schmiedekunst beherrschen.«
»Eigentlich nur eine. Und zufällig waren die Barriere-Sigils ihre Erfindung.«
»Nessa Greenwater?«, platzte Matt heraus, ein Ausdruck von Unglaube im Gesicht. Doch Adam nickte, und als die anderen sich nur wissende Blicke zuwarfen, seufzte ich.
»Sagt schon. Wer ist Nessa Greenwater?«
»Sie war lange Zeit die persönliche Schmiedin der Sieben«, erzählte Cedric. »Die beste im ganzen Mirror. Sie hat fast alle Sigils erschaffen, die heute von Septem genutzt werden. Zum Beispiel die Magiehemmer, mit denen wir die Chaosmagie von Ignis zurückgehalten haben.«
»Aber Nessa Greenwater hat bereits vor Jahren die Schmiedekunst aufgegeben«, warf Dina ein. »Ist ihre Tochter nicht ganz tragisch ums Leben gekommen? Es heißt doch, dass sie danach nie wieder ein Sigil angefertigt hat. Und jetzt denkst du, sie arbeitet für das Auge? Warum sollte sie das tun?«
Adam schaute auf die Münze herab und hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Kanntet ihr sie denn?«, fragte ich ihn. »Diese Schmiedin?«
»Nicht wirklich. Es ist lange her, dass sie Septem verlassen hat.«
Cedric lehnte sich nach vorne, das Trite noch immer in der Hand. »Trotzdem. Es könnte schon passen. Um die Barriere-Sigils zu durchbrechen, braucht es wirklich eine meisterhafte Schmiedekunst. Genauso wie für die Repliken, die das Auge verwendet.«
»Ich habe Zorya vorgestern zu Nessa Greenwaters Haus geschickt«, sagte Adam. »Sie ist seit Monaten nicht mehr dort gewesen.«
Matt stöhnte und rieb sich über das Gesicht. »Scheiße, Mann. Als ob wir nicht genug Probleme hätten …«
»Ist diese Frau denn so gefährlich?«, fragte ich alarmiert.
»Sie würde deiner Freundin nichts antun«, entgegnete Adam sofort. »Das Auge hat es auf dich abgesehen, und du hattest recht damit, dass sie Lily deinetwegen entführt haben. Sie ist ihr bestes Druckmittel, also werden sie gut auf sie aufpassen. Die Sache mit Nessa ändert nichts an unserem Plan, sie macht die Durchführung nur etwas komplizierter.«
Ich wollte etwas erwidern, aber da richtete sich Matt ganz plötzlich wieder auf und deutete in die Ferne. »Schau mal, Ray. Da drüben wird das Schaukampffinale stattfinden.«
Ich musste meinen Kopf nahe ans Fenster halten, um aus dem Winkel überhaupt etwas zu erkennen. Doch dann wusste ich sofort, was er meinte, schließlich dominierte das Gebäude den gesamten Stadtteil.
Ein Heptadome. Ein gewaltiger Heptadome, dessen Ausmaße jede der Kampfarenen in meiner Welt in den Schatten stellte. Hoch aufragende Wände und gläserne Außenfassaden, an denen weitere Sonnen-Sigils hingen, die Licht zu allen Seiten strahlen ließen.
Als hätte man einen gigantischen Stern mitten in der Stadt platziert.
»Da findet das Finale statt?«
»Jap«, sagte Matt. »In exakt sieben Tagen.«
Ich schluckte. »Und wir …«
»Wir sind die Hauptattraktion, genau.« Matt legte einen Arm um meine Schulter. »Oder besser gesagt: Du bist es, kleiner Lockvogel.«
Es kam mir vor, als würde ich neben mir selbst herlaufen, als ich eine halbe Stunde später aus dem gläsernen Shuttle trat und die Treppe emporstieg, die zur Bella Septe führte.
Es war wie eine außerkörperliche Erfahrung. Unmöglich konnte ich dieses Mädchen sein, das von der Masse an Oberen bejubelt wurde, die sich um die Residenz des Höchsten Magistraten versammelt hatte. Fahnen mit dem Siebeneck darauf wurden geschwenkt, und laute Rufe drangen zu uns, sie – ich begriff es erst nach einigen ohnmächtigen Sekunden – skandierten die Namen der Sieben.
Das eine Mal, als ich mich außerhalb der Palastmauern von Septem aufgehalten hatte, waren wir inkognito unterwegs gewesen. Doch jetzt schlug mir die geballte Siebenverehrung entgegen.
Die sind völlig irre, dachte ich. Nicht mal bei Konzerten irgendeiner Boyband wurde so viel gekreischt.
Überwältigt wandte ich meinen Blick nach vorn. Die Bella Septe, in der wir bis zum Schaukampffinale bleiben würden, war eine riesige Residenz mit mehreren Gebäudeteilen und goldenen Runddächern, über denen jeweils diese Sonnen-Sigils ihr warmes Licht verströmten.
Das Begrüßungskomittee bestand aus zwanzig oder dreißig Oberen, in deren Mitte sich Männer und Frauen in edlen Roben und Kleidern platziert hatten.
Das war dann wohl die Magistratenarmada.
Ich blickte zu Adam. Er lief ein paar Schritte vor uns, mit Tynan Coldwell an seiner Seite, der inzwischen ebenfalls aus einem Shuttle ausgestiegen war. Dabei schaute Adam stur nach vorn, während sich die Diener, die links und rechts auf der Treppe Spalier standen, vor ihm verbeugten. Von der Gelöstheit, die ich eben im Shuttle an ihm beobachtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Adams Miene war nun wieder versteinert, er war voll und ganz der Mirrorlord.
Die Oberen, auf die wir zusteuerten, wirkten ehrfürchtig. Hier und da sah ich aber auch Angst in ihren Blicken. Vielleicht spürten einige von ihnen ja, dass mit seiner Herrschaft eine neue Zeit für den Mirror angebrochen war.
Neben mir sah ich, wie Matt die Lippen verzog, als hätte er plötzlich einen schalen Geschmack im Mund. »Bitte halte mich davon ab, Magistrat Pelham eine reinzuhauen, wenn er sich wieder selbst beweihräuchert«, murmelte er und hatte damit offenbar Dina gemeint, denn sie lachte leise.
»Keine Sorge. Wenn ich ihm vor dir eine reingehauen habe, fällst du gar nicht mehr auf.«
Schon löste sich ein dünner, groß gewachsener Mann mit schulterlangen grauen Haaren aus dem Begrüßungskomitee. Ähnlich wie Agrona Soverall war er uralt, doch während sie mit ihrem bunten Seidenkleid und dem Rosaschimmer auf den Haaren etwas wunderlich, aber umso lebendiger gewirkt hatte, war dieser Mann für mich der Inbegriff eines Oberen.
Er trug so viele Sigils am Körper, als wollte er sie als Schutzpanzer verwenden. Mehrere Amulette, die Finger voller Ringe, und sicherlich lagen unter den Ärmeln seiner Robe Dutzende Armbänder. Sein Blick war ablehnend, trotzdem verbeugte er sich tief – was offenbar das Signal für den Rest war, dasselbe zu tun.
Matt neigte seinen Kopf zu mir und raunte: »Das ist er. Pelham. Der Höchste Magistrat des Mirrors und der größte Arsch beider Welten.«
Pelham wartete, bis Adam die letzten Stufen erklommen hatte, bevor er sich aufrichtete. Darauf hielt Adam eine Hand vor sich, und zwar so, dass der Magistrat die Stirn darauflegen konnte.
»Willkommen in der Goldenen Stadt, mein Lord. Es ist mir und meinen Dienern eine Ehre, Euch begrüßen zu dürfen.«
»Danke für Eure Gastfreundschaft«, erwiderte Adam. »Auch wenn die Umstände etwas anders sind, als wir ursprünglich dachten.«
Pelham sah an Adam vorbei und musterte mich mit schmalen, kleinen Augen. Er war inzwischen über mich informiert worden. Über mich, Ignis, und das Ritual, das wir mit Agrona Soverall statt mit ihm durchgeführt hatten. Doch wenn die Demütigung ihm zusetzte, ließ er sich das nicht anmerken.
Mit unergründlichem Gesichtsausdruck begrüßte Pelham jeden Einzelnen von uns auf die gleiche Weise. Erst Matts Vater, den er offensichtlich gut kannte, dann Dina, Matt, Celine, Cedric und schließlich mich. Ich spürte, wie sich meine Wangen erhitzten, als ich an der Reihe war, und meine Hände vor Nervosität ein schwaches Zittern von sich gaben.
»Es ist mir eine Ehre, Euch endlich kennenzulernen, Mistress Harwood«, sagte er, und aus irgendeinem Grund lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich bekam keinen Ton heraus, sondern senkte meinen Kopf einfach nur, was er hoffentlich als eine hoheitsvolle Geste deuten würde.
»Es ist sehr großzügig von Euch, dass Ihr Euch vor den Schaukämpfen die Zeit nehmt, mit uns zu sprechen, mein Lord«, wandte sich Pelham schließlich mit einem großmütigen Lächeln wieder an Adam. »Gemeinsam können wir sicherlich herausfinden, wie es zu diesem furchtbaren Verbrechen kommen konnte.«
Die gestohlene Magie. Nach allem, was Cedric und die anderen mir inzwischen über die Magistrate erzählt hatten, wunderte es mich überhaupt nicht, dass seine abhandengekommenen Besitztümer Pelhams größte Sorge waren.
Ich konnte Adams Gesicht nicht sehen, doch ich erkannte an der Linie seiner Schultern, wie angespannt er war. »Da bin ich mir sicher, Magistrat. Keine Sorge, nichts liegt mir mehr am Herzen, als die Täter ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen.«
Adams Worte ließen mich innerlich grinsen, aber ich kontrollierte mein Gesicht.
»Wundervoll.« Pelhams Lächeln wurde zu einem Zähnefletschen, und so schwer, wie Matt atmete, rechnete ich damit, dass er seine Drohung wahrmachen und Pelham tatsächlich eine verpassen würde. »Wenn Ihr mich entschuldigt, mein Lord. Wir möchten einige Feierlichkeiten zu Euren Ehren ausrichten. Durch die kurzfristige Umdisponierung«, ein Blick auf mich, »ist allerdings noch sehr viel vorzubereiten.«
»Was für ein Glück, dass niemand so gut darin ist, Feierlichkeiten auszurichten wie Ihr, Magistrat.« Adam streckte Pelham eine Hand hin, und zwar so, dass der sich erneut sehr tief beugen musste, um sie zu berühren.
Es ist eine Schlangengrube, hörte ich Agrona Soverall wieder sagen. Langsam wusste ich, was sie damit gemeint hatte.
Nachdem Pelham verschwunden war, kam ein zweiter Magistrat auf Adam zugelaufen. Es war ein Mann mit Halbglatze, der sich auch ohne Aufforderung besonders tief vor Adam verneigte. Und selbst als er sich wieder aufrichtete, tat er das nicht vollständig, so als würde er es nicht wagen, Adam von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.
»Mein Lord, ich möchte mein Beileid noch einmal persönlich aussprechen. Ihre Mutter und ich haben uns nicht immer verstanden, wie Ihr wisst. Aber ich war erschüttert über die Nachricht von ihrem Tod.«
Adam nickte. »Danke, Magistrat Vandal. Ich weiß, Ihre Gattin ist selbst erst unlängst gestorben. Wie ich hörte, war sie eine bemerkenswerte Frau.«
»Das war sie.« Der Mann fiel in eine kurze, respektvolle Stille. Dann fuhr er beschwingt fort: »Ich bin dennoch froh, dass wir etwas Zeit haben, uns auszutauschen.«
Adam nickte, und ich schaute ihm, Tynan Coldwell und dem Magistrat hinterher, wie sie und der Rest des Begrüßungskomitees in der Bella Septe verschwanden. Celine lief ihnen sofort nach, gefolgt von Jarek, Zorya und einer Schar an Dienern. Nur Cedric, Matt und Dina blieben bei mir.
»Vandal will garantiert nicht über seine tote Frau sprechen«, raunte Dina mit einem Augenrollen. »Sondern über seine sehr lebendige Enkeltochter.« Sie grinste mich an. »Er hat schon seit Jahren versucht, bei Leanore ein Heiratsabkommen für Adam abzuschließen.«
Sofort waren wieder Celines Worte in meinem Kopf. Mit achtzehn Jahren fing man an, den Trägern potenzielle Ehepartner vorzustellen. Adam war bereits neunzehn. Bedeutete das wirklich, er würde bald heiraten müssen?
Und ich auch?
»Wenn Adam Vandal noch länger hinhält, bin ich wahrscheinlich als Nächstes dran und …« Matt schauderte. »Man sagt sich, Vandals Enkelin hätte die schrillste Stimme im gesamten Mirror.«
Dina konterte prompt mit einigen anderen Oberen, die ihrer Meinung nach furchtbarere Partner abgeben würden, aber die Namen sagten mir nichts. Wir waren inzwischen im Eingangsbereich des Gebäudes angekommen, und nach all dem Prunk, den ich in den letzten Tagen gesehen hatte, brachte mich der enorme Springbrunnen, der sich mitsamt mehrerer Engelsstatuen in der Mitte der Halle in die Höhe schraubte, nur noch halb aus der Fassung. Sogar im Inneren der Bella Septe war jeder Zentimeter mit Gold veredelt, inklusive der Stühle und Tische, die sich im Eingangsbereich befanden.
Viele Obere drehten sich in unsere Richtung, und wäre das hier ein Comic, hätten sich ihre Augen wohl in Sternchen verwandelt, so sehr strahlten sie dabei.
»Nikki und Sebastian sind übrigens auch schon eingetroffen«, erklärte Cedric, was Matt ein gequältes Stöhnen entlockte.
»Ich hatte noch gehofft, dass sie sich fernhalten.«
»Wieso wohnen die beiden eigentlich nicht in Septem?«, wollte ich wissen.
»Weil sie selbstverliebte Psychopathen sind«, murmelte Dina, woraufhin Cedric sofort mit einem Lächeln einhakte.
»Es gab einen Streit, kurz vor Adams Krönung. Sebastian und seine Mutter Clarice waren nicht einverstanden damit, dass Adam automatisch zum Mirrorlord ernannt wurde. Clarice fand, dass ihr Sohn, der am 7. Juli geboren wurde, ein gottgegebenes Geburtsrecht auf den Thron hätte. Sie wollten eine Neuabstimmung unter den Sieben, einen Test. Als sie den nicht bekommen haben, sind Clarice und Sebastian beleidigt abgewandert. Und Nikki …«
»Nikki war in Septem einfach langweilig«, murrte Dina. »Sie und Sebastian verbringen die meiste Zeit in Prime, wo sie unerkannt natürlich viel mehr Freiheiten haben.«
»Und das lasst ihr einfach zu?«, fragte ich.
»Adam wägt noch ab, was er mit ihnen machen wird«, sagte Matt. »Aber für den Moment gibt es Wichtigeres zu tun. Trotzdem: Die Stimmung zwischen uns ist aktuell nicht die beste. Also nimm es nicht persönlich, wenn sie dich heute Abend beim Bankett komisch anschauen, okay?«
»Bankett?«
Matt legte einen Arm um mich. »Ein Abendessen, ausgerichtet von Magistrat Pelham. Es hat den einzigen Zweck, dass uns alle anglotzen und danach über uns tratschen.« Er grinste. »Willkommen in der High Society des Mirrors.«
Zwei Diener begleiteten mich in meine Suite, die auf demselben Stockwerk wie die der anderen Träger lag. Die Koffer, die in Septem für mich gepackt worden waren, standen bereits neben dem King-Size-Bett. Drum herum entfächerte sich ein Dreizimmer-Appartment mit Wohn-, Schlaf- und Essbereich.
Vor der Suite hatten sich augenblicklich mehrere Magiehäscher positioniert. Ich war mir sicher, sie würden mir während meines Aufenthalts hier in Rom nicht von der Seite weichen. Mir blieb nur zu hoffen, dass sie dem Auge genug Raum lassen würden, aber Adam hatte mir klargemacht, dass er trotz allem meine eigene Sicherheit nicht aufs Spiel setzen konnte.
Eine junge Dienerin kam wenig später ins Zimmer und fing an, alles auszupacken. Ich versuchte, ihr zu helfen, doch sie scheuchte mich weg, also ging ich hinaus auf einen der zwei Außenbalkone. An das Geländer gelehnt, schaute ich nach unten auf einen weitläufigen Garten. Mehrere Blumenbeete waren symmetrisch zueinander angelegt. In der Mitte ein Teich, in dem Fische zwischen Seerosen umherschwammen. Das Wasser wurde von ihren blitzenden Schuppen und den langen, schleierartigen Flossen durchbrochen.
Das Bankett heute Abend machte mich schon jetzt nervös. Ich wusste, welche Rolle ich dabei zu spielen hatte. Adam würde mich in den Bankettsaal führen, vor allen anderen. Ich würde die perfekte neue Trägerin geben und meine Treue gegenüber dem Mirrorlord zur Schau stellen.
»Die Magistrate dürfen nicht wissen, dass wir sie in Verdacht haben«, hatte Adam heute Morgen in Septem noch zu mir gesagt und mich eindringlich dabei angesehen. »Sie würden es niemals zugeben, wir müssen also anders an die Informationen kommen, die wir brauchen.«
Als ich wieder in die Suite zurücklief, strich ich zögernd über das eng anliegende rote Kleid, das die Dienerin mir gerade auf dem Bett bereitgelegt hatte. Der Stoff war unfassbar zart und schimmerte so, wie eigentlich kein Stoff schimmern konnte. Wahrscheinlich wäre jede andere völlig verzückt davon gewesen, aber ich seufzte nur innerlich.
Die Wahrheit war, dass ich große Angst vor dieser Rolle hatte. Wenn das Auge wirklich glauben sollte, dass ich hier ein paar unbeschwerte Tage verbrachte und damit ein leichtes Ziel war, musste ich mich komplett verstellen.
Lily hätte es gekonnt, sagte ich mir und nahm das Kleid an mich. Doch sie war nicht hier, sondern irgendwo, ganz allein, ohne zu wissen, was passiert war.
Und deswegen durfte mir kein Fehler unterlaufen.