XVIII.
Šárka wählte Gavlas Nummer, aber der nahm nicht ab. Beim zweiten Mal drückte er sie sogar weg. Sie überlegte kurz, rief schließlich ein Taxi und machte sich auf den Weg zu ihm nach Hause. Sie musste um jeden Preis bei ihm reinkommen. Dafür würde sie ihm die aufreizendste Nummer aus ihrem Repertoire vorführen. Sollte sie Gavla gestehen, dass die Bullen sie im Visier hatten? Nein. Diese Angelegenheit würde sie allein klären. Sie wusste auch schon wie, aber dazu brauchte sie ihn, diesen verfluchten Schisshasen, dieses Muttersöhnchen, das einen auf großen Unternehmer machte, sich aber jedes Mal, wenn es ein bisschen spannend wurde, gleich in die Hosen schiss.
Für den Fall, dass der Besuch nicht ganz nach ihrer Vorstellung ablaufen sollte, tippte sie eine kurze SMS.
Ich gehe zu Gavla. Ruf mich um sechs an. Falls ich nicht rangehe, fahr zur Rybnicni 3 in Michalkovice. VERSAU ES NICHT!
Die Nachricht schickte sie an Pavels Nummer. Sie hoffte, dass nichts schiefgehen würde, denn Pavel war nicht gerade zuverlässig. Ihre Uhr zeigte halb fünf. Bis sechs sollte sie es geschafft haben. Es war die Zeit, zu der sie Gavla normalerweise immer besucht hatte. Vielleicht hatte er sich Ersatz für sie gesucht, das wäre nicht schlimm, würde die Situation aber komplizierter machen.
Ein Stück hinter der Bushaltestelle ließ sie sich absetzen, den Rest würde sie zu Fuß gehen. Sie achtete darauf, unterwegs von möglichst vielen Augenpaaren gesehen zu werden. Vom Bus bis zu Gavlas Villa waren es etwas mehr als zehn Minuten. Sein Wagen stand vor dem Haus. Ein gutes Zeichen. Ihre Finger umklammerten eine Dose Pfefferspray in ihrer Manteltasche. Sicher ist sicher. Bisher hatte sie es nie benutzen müssen, aber für ein besseres Gefühl hatte sie es immer dabei. Sie besuchte verschiedenste Männer mit den unterschiedlichsten Gelüsten, und Gavla verhielt sich in letzter Zeit unergründlich.
Sie drückte die Klingel und präsentierte ihr Gesicht vor der Eingangskamera. Diesmal öffnete er ihr sofort. Er erwartete sie in der Tür, in den Sportsachen, die er zu Hause trug. Ohne ein Wort zu verlieren, ließ er sie hinein, schaute sich draußen kurz um und knallte die Tür zu.
– Denkst du, du kannst mich verarschen?, herrschte er sie gleich in der Diele an. Er hatte nicht das geringste Interesse, sie weiter ins Wohnzimmer und schon gar nicht ins Schlafzimmer zu lassen. Ohne ein Wort zog sie ihren Mantel aus, unter dem sie nichts weiter trug als Strapse und eine Art Korsett, das kurz unter ihren Brustwarzen begann und über den Schamhaaren endete.
– Das kannst du gleich wieder zusammenpacken. Er warf ihr den Mantel an den Kopf. Sie ließ ihn auf den Boden fallen, legte ihren Kopf schief und sah Gavla lange an. Das sollte erotisch wirken.
– Worum geht es dir? Ich bin einfach gekommen, um zu bumsen. Sie wurde langsam gereizt, bemühte sich aber, ihre Verstimmtheit so gut wie möglich zu verbergen. Sie wollte sich in seine Gunst schleichen. Zum letzten Mal.
– Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich hier nicht mehr sehen will! Und du kommst seelenruhig hier anmarschiert und willst bumsen? Und was ist mit diesen beschissenen E-Mails? Denkst du vielleicht, dass ich total bescheuert bin, oder was? Deine Frechheit ist echt faszinierend! Mit der Faust schlug er neben ihren Kopf gegen die Wand.
Sie zuckte leicht zurück und guckte ihn verständnislos an.
– Was denn für E-Mails?, fragte sie mit begriffsstutziger Naivität, sodass Gavla beinahe die Beherrschung verlor. Am liebsten würde er sie in ihre dreiste Fresse schlagen.
– Du blöde Kuh. Im Unterschied zu dir hab ich nicht nur neun Klassen, und deshalb habe ich sofort kapiert, wer mich hier bedrohen und mich um meine Kohle bringen will. Das hätte mir gleich klar sein sollen! Du kriegst die dreißig Riesen von mir, damit ich dir das Maul stopfe. Und dein Maul wirst du halten, kapiert?!, geiferte er in ihr Gesicht und quetschte dabei ihren Kiefer. – Und lass dich bloß nie wieder hier sehen!, bellte er und ließ sie los.
Auch sie konnte ihre Wut nicht mehr im Zaum halten. Sie richtete ihren Finger mit dem langen roten Nagel auf ihn.
– Bittner ist abgekratzt, okay. Das heißt aber nicht, dass ich mich um weitere Kundschaft bringen lasse. Ich habe dich nie bedroht, den Bullen habe ich bis jetzt nichts gesagt und werde das auch in Zukunft nicht tun, da kannst du dich drauf verlassen. Ich werde mir doch nicht auf den eigenen Kopf scheißen. Ich werde ganz einfach genau wie bisher zum Bumsen kommen, du rückst die zwei Riesen raus und alle sind zufrieden. Nicht mehr und nicht weniger. Ihr Gesicht war nahe an seinem.
Er glaubte ihr kein Wort und hatte den Drang, sie an ihrer Hexenmähne zu packen und ordentlich gegen die Wand zu schleudern. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und gab ihr eine Klatsche ins Gesicht, dass sie mit dem Kopf gegen den Spiegel stieß. Ihm war entgangen, dass sie die ganze Zeit eine kleine Spraydose umkrampft hielt. Bevor sie zu Boden ging, sprühte sie ihm eine ordentliche Ladung in die Augen.
Er stöhnte vor Schmerzen, zischte und fluchte laut und sprudelte alle Schimpfwörter hervor, die er kannte. Zusammengekrümmt verschwand er im Bad und spülte sich lange die Augen aus. In der Zwischenzeit zog Šárka sich an und durchsuchte die Mäntel in der Diele. In einer Jacke fand sie sein Portemonnaie mit zwölf Hundertern.
– Heute kriegst du Rabatt, du Spacko! Sie steckte das Geld in ihre Manteltasche. Es verging noch einige Zeit, bevor er das Knallen der Haustür und das Klappern ihrer Absätze in der Einfahrt hörte. Auf Šárkas Uhr war es zehn vor halb sechs. Ihre Mission war schnell und erfolgreich gewesen. Sie hatte ihm dort ein „Geschenk“ hinterlassen, das er mit etwas Glück noch vor den Bullen finden würde. Sie war sauer, aber zufrieden.
Erst eine halbe Stunde später kam Gavla wieder aus dem Bad, er konnte immer noch nichts erkennen und überlegte, einen Krankenwagen zu rufen, aber die Ärzte würden nur unnötige Fragen stellen. Am Ende würde sich noch die Polizei einmischen, und das war das Letzte, was er jetzt brauchte. Er verfluchte die Klocková.
Um viertel nach sechs klingelte ihr Telefon. Zu der Zeit war sie schon längst zu Hause.
– Danke, du Hornochse, du solltest um sechs anrufen.
– Ja, sorry, ich hab das …
– Ich hab das, ich hab das … Du hast wie immer alles verkackt, du Vollpfosten. Das ist doch echt nicht zu glauben, du bist zu nix zu gebrauchen. Dass ich dumme Gans nicht total auf dich scheiße, ließ sie ihre angestaute Wut an ihm aus.
– Und, ist was passiert? Bist du jetzt als Agentin unterwegs, oder wie?, bemühte Pavel sich um einen scherzhaften Ton.
– Ach nix, ich musste mich um eine Versicherung kümmern, hier schleicht jetzt immer ein Bulle rum und stellt dumme Fragen. Sie wollte ihrem Bruder keine Erklärung geben.
– Ach so. Wegen dieser Sache da?
– Nee, wegen Falschparken, du Hornochse. Wütend beendete sie das Gespräch. Bei ihrem schwachsinnigen Bruder kam ihr auch immer nur die Galle hoch. Sie war eine dumme Gans, dass sie ihm überhaupt etwas erzählt hatte. Er stellte nur dämliche Fragen, und vor allem war er total unvorsichtig. Aber damals war ihr eben der Schreck in die Glieder gefahren. Wenn Gavla nicht durchgedreht hätte, wäre sie ruhiger gewesen. So hatte er sie nur nervös gemacht, sodass sie die Beherrschung verloren und ihrem Bruder ziemlich viel auf die Nase gebunden hatte. Jetzt bereute sie das; er war eben immer noch der dumme Pavel, der sie alle in Gefahr bringen konnte. Aber wer konnte ihr schon wirklich etwas anhängen? Es war ein Unfall gewesen. Vielleicht wäre es am Ende doch besser, alles auszupacken.
Sie könnte ja alles diesem Polizisten auf die Nase binden, der nicht gerade wie ein Heiliger aussah. Mit dem würde sie ruhig auch in die Kiste steigen, und er müsste keinen Heller dafür bezahlen. So gut aussehende Bullen kriegten es bei ihr umsonst.
Der Donnerstagmorgen versprach, gleich für mehrere Menschen unangenehm zu werden. Vejnar stand die ermüdende Hausdurchsuchung bei Šárka Klocková bevor, und in der Zeitung erschien unerwartet ein neuer Artikel. Wenigstens bestätigte sich, dass keiner der Kriminalbeamten die Informationen nach draußen gab, denn die Ermittlungen kamen darin gar nicht zur Sprache. Der ganze Artikel betraf das bewegte Schicksal der vertriebenen Deutschen aus Ostrava. Im Grunde war er seriös und behandelte die Möglichkeiten eines Vermögensausgleichs mit den Vorkriegsdeutschen. Er erklärte den Bürgern, dass sie keine Angst davor haben müssten, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren. Der Artikel war in der Rubrik Perlen der Stadtgeschichte abgedruckt, Erik und die Beisitzerin wurden als Beispiel für Nachkommen aufgeführt, die einen Anspruch auf Vermögensrückgabe geltend machen könnten, gäbe es die Beneš-Dekrete nicht. Der Name der Beisitzerin wurde erst ganz zum Schluss genannt, der Autor beschäftigte sich vor allem mit dem Schicksal von Erik Sýkora. Unter dem Artikel fand sich nur ein nichtsagendes Kürzel – lok.
Trotzdem hatte das Ganze zur Folge, dass der Direktor gleich am Morgen ein unerfreuliches Telefonat mit dem Mäuserich absolvieren musste. Der Kollege Kodler hatte bereits den Autor des Artikels ausfindig gemacht: Es war der leidenschaftliche Schreiberling und Rentner Libor Kotrba – das Phantom der Tageszeitungen dieser Stadt und einer der Kartenspielfreunde Erik Sýkoras. Die Turková beauftragte Filip Kodler, Kotrba ruhigzustellen. Solange der Fall nicht gelöst war, durfte keine einzige Zeile mehr über Sýkora erscheinen, nicht mal ein Inserat, dass er Chihuahuawelpen verkaufte. Sie ahnte nicht, dass Kotrba sich alle erdenkliche Mühe gab, die Polizei auf die Spur seiner frei konstruierten Theorie zu führen. Er glaubte, dass der vermisste Erik schon lange tot und seine Tochter die Mörderin sei. Seiner Überzeugung nach verbarg sich hinter der Maske der ehrenwerten Beisitzerin ein berechnendes Luder, das es nur auf Eriks Geld abgesehen hatte. Er hatte keinen Schimmer, wie viel Geld genau das sein sollte, zweifelte aber nicht daran, dass es viel war.
Der Direktor berief eine schnelle Besprechung ein. Er fasste sich kurz und verblüffte alle mit seiner Rede. Während er sprach, zeichnete er mit seinem dicken Finger irgendwelche Figuren auf die Tischplatte.
– Liebe Kollegen, ich möchte Ihnen allen mitteilen, dass ich zum ersten November in den vorgezogenen Ruhestand gehen werde.
– Aber das ist ja in zwei Tagen, schrie die entsetze Sekretärin auf, als hätte kein anderer einen Kalender. Er lächelte sie väterlich an und fuhr fort.
– In letzter Zeit hat man mich unschön unter Druck gesetzt und ich habe keine Kraft mehr, mich dagegen zu wehren, und so habe ich beschlossen, bei der Polizei aufzuhören. Für Sie ist das vielleicht eine plötzliche und unerwartete Entscheidung, ich allerdings bereite schon seit mehreren Monaten den Boden für meinen Nachfolger vor. Seinen Namen werden Sie bei seiner Ernennung erfahren. Ich denke, nach all den Jahren bei der Polizei habe ich ein Recht auf einen ordentlichen Ruhestand, und Sie haben einen Jüngeren verdient. Seine Rede unterbrach er mehrere Male durch Hüsteln und Schmatzen, als würde sie nicht über seine Lippen kommen wollen und als würde er etwas herunterbeten, was jemand anderer ihm aufgetragen hatte. Auch sein Tonfall war unnatürlich mechanisch. Er breitete sich nicht weiter über die Angelegenheit aus und zog sich wieder in sein Büro zurück, wo er an diesem Tag unverhohlen keinen Handschlag mehr tat. Er sortierte seine Schubladen durch und ging kurz nach elf zum Mittagessen, von dem er um drei zurückkehrte.
Seine Mitarbeiter blieben eine Weile bass erstaunt sitzen; zuerst erhob sich die Turková, weil sie als Einzige nicht überrascht war. Etwas in dieser Art war zu erwarten gewesen, nur wollte das keiner der Kollegen wahrhaben. Bevor sie den Raum verließ, gab sie noch einige kurze Befehle.
– Die hat doch da auch ihre Finger im Spiel, beugte sich ein Kollege zu Vejnar. Adam sagte nichts. Er konnte nicht in ihren Kopf sehen und hoffte nur, dass sie nicht deshalb hier aufgetaucht war, um sich in den noch warmen Chefsessel zu setzen.
Kodler und die Turková machten sich auf den Weg zu Kotrba; Vejnar und drei Techniker fuhren zu Šárka Klockovás Wohnung. Vejnar klingelte. Es machte jedoch niemand auf, nur die Nachbarin lugte durch den Türschlitz, um zu sehen, was für eine Prozession zu dem ordinären Weibsbild von gegenüber drängte.
– Wissen Sie, ob Frau Klocková zu Hause ist?, fragte Vejnar die Nachbarin und zeigte ihr nebenbei seine Dienstmarke.
– Das weiß ich nicht, aber meist verlässt sie ihre Wohnung erst gegen Mittag.
– Danke. Er drehte ihr den Rücken zu, die Alte zog ihren Kopf jedoch nicht wieder zurück. Die Polizisten beachteten sie nicht weiter. Vejnar bedeutete seinem Kollegen, dass er die Tür öffnen solle, was kein Problem war, da die Wohnung weder eine Sicherheitstür noch ein Sicherheitsschloss hatte. Die Klocková fürchtete offenbar nicht, dass jemand sie ausrauben könnte.
Sobald sie in den Flur traten, war ihnen klar, dass etwas nicht stimmte. Eine merkwürdige Intuition, eine Art Polizeiradar, der in Anwesenheit des Todes gleich ansprang. Noch aus dem Flur war ein imposantes Bett zu erkennen, darauf ein lebloser Frauenkörper. Seine unnatürliche Lage verriet, dass die Frau nicht schlief, sondern tot war. Um ihren Hals war ein Damenstrumpf gewickelt. Vejnar legte den Kopf zurück. Ihm stand ein weiteres Martyrium von Fragen und Antworten bevor.