XXV.

Jana Bittnerová hatte resigniert. Ihr war klargeworden, dass sie keine Chance hatte, all die angestaute Arbeit und die ganze entstandene Situation zu beherrschen. Aus dem Erdgeschoss war Töpfeklappern zu hören. Jana zog noch einmal an ihrer Zigarette und drückte sie halb aufgeraucht aus. Dann öffnete sie sperrangelweit das Fenster, damit ihre Mutter nichts roch. Sie hatte keinen Bedarf an einer Predigt über die Schädlichkeit des Rauchens. Aber wenn sie nicht vollkommen verrückt werden wollte, würde sie auch dies aushalten müssen. Sie konnte momentan einfach nicht allein sein und hatte ihrer Mutter gestattet, für eine Weile bei ihr einzuziehen. Zur Beisetzung waren überraschend viele Leute gekommen, neben den nahen und entfernteren Verwandten auch Klienten, Geschäftspartner, Bekannte und ein trauriges Häuflein Freunde. Die ließen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Gavla war nicht unter ihnen. Sie hätte ihn auch dann nicht eingeladen, wenn er nicht in U-Haft säße. Heute konnte sie ihn nicht mehr zum Freundeskreis zählen. Den Schmutz in der Blesk würde sie ihm nie verzeihen, und auch nicht, dass er sie die ganzen Jahre über zum Narren gehalten hatte. Er musste von all den Schweinereien ihres Mannes gewusst haben und hatte kein einziges Wort gesagt, nie eine Andeutung gemacht oder sich sogar selbst an ihnen beteiligt. Ein Männerkomplott eben, den die Frauen nicht verstehen können. Ihr wurde ganz übel, wenn sie an den Morgen zurückdachte, als sie neben ihm in einem Bett aufgewacht war. Damals hatte sie ein schlechtes Gewissen gehabt, dabei wäre es ihrem Mann wahrscheinlich vollkommen egal gewesen.

Der Beweis dafür war eine weitere verdammte Rechnung, die auf dem Schreibtisch lag. Die erste hatte sie bezahlt und geglaubt, damit einen dicken Strich unter alles gezogen zu haben. Nur war ihr Mann inzwischen seit fast zwei Monaten tot, aber die Rechnungen für erotische Dienste kamen weiterhin. Gab es im Bordell etwa so etwas wie ein Abo? Wie viele solcher Rechnungen würden noch angeflattert kommen? Irgendjemand wollte sie abzocken. Sie steckte sich die nächste Zigarette an. Die Slim waren Mädchenzigaretten, die konnten ihr nicht schaden, sie verschafften ihr jedoch auch keine große Befriedigung. In ihrer jetzigen Stimmung war ihr danach, sich mit der ekelhaftesten Zigarette zu vergiften, die sich nur auftreiben ließ. Jana konnte ein leichtes Händezittern nicht unterdrücken. Sie starrte auf das verdammte Stück Papier und überlegte, was sie mit ihm anstellen sollte. Die Rechnung belief sich wieder auf dreißigtausend für Waren, die angeblich schon vor einigen Monaten geliefert worden waren. Korsetts, Handschellen, Peitschen. Falls die Sachen wirklich existierten, waren sie bestimmt bei seinem Flittchen. Sie drückte die Zigarette aus und ging zu ihrer Mutter in die Küche, aus der schon der Lendenbraten duftete. Ihr Lieblingsessen.

Der Mäuserich saß bereits bei Heš im Büro und trank einen heißen Kaffee. Er würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass der Nachmittag am Stellwerk reine Zeitverschwendung gewesen war, aber der ganze Tag hatte ihm gehörig die Laune verdorben. Er war durchgefroren und vor allem verstand er nicht, wie jemand freiwillig an einem so unerfreulichen und hässlichen Ort wohnen konnte.

– Die Chemikalien allein werden als Beweismittel nicht reichen. Aceton bekommt man in jeder Drogerie, das ist klar. Der Mäuserich schlürfte an seinem Kaffee. Heš griff sich den Laborbericht und studierte ihn sorgsam.

– Carbofuran ist ein Stoff, der sich nicht so leicht auftreiben lässt. Furadan wird seit mehr als vier Jahren nicht mehr verkauft, und Sýkora hat fast ein halbes Kilo davon im Regal stehen …, überlegte Heš und starrte finster auf das Blatt Papier. – Braucht man dafür nicht sogar eine Genehmigung? Er nahm die Brille ab und sah den Mäuserich an. Der schüttelte den Kopf.

– Bestimmt nicht. Ein normales Pestizid für die Landwirtschaft. Früher war es normal zugänglich und ich würde wetten, dass so mancher Landwirt es noch in seinem Keller hat. Das ist legal. Wozu es jedoch der Sýkora brauchte, das verstehe ich nicht, überlegte der Mäuserich.

– Hier steht, dass er es vielleicht gegen Schädlinge auf den Präparaten benutzt hat, aber in Anbetracht dessen, dass es sich um ein starkes Gift handelt, ist das eher unwahrscheinlich.

Heš sah trotzdem nicht zufrieden aus.

– Sicher ist, dass es jemand in die Spritze gefüllt haben muss, der sich mit Chemikalien auskennt und normal Zugang zu ihnen hat, was von allen Verdächtigen nur auf Sýkora zutrifft, das ist schon richtig, meinte der Mäuserich nachdenklich und trank den letzten Rest Kaffee. Jemand klopfte an die Tür. Der Kopf der Sekretärin tauchte auf.

– Hier ist ein aufdringlicher Herr, der darauf besteht, unbedingt mit Ihnen sprechen zu müssen, meinte sie verlegen. Es war ihr peinlich, dass sie es nicht geschafft hatte, ihn abzuwimmeln, und Heš’ Blick bestätigte nur ihre Annahme, als Sekretärin versagt zu haben.

– Sagen Sie, dass wir eine Besprechung haben, verdammt!

Sie sah verzweifelt aus.

– Na gut, soll er hereinkommen, meinte er resigniert und einen Moment später stand Kotrba in der Tür. Er verneigte sich leicht und lächelte servil, was Heš’ Widerwillen nur noch verstärkte. Er selbst nahm in einem Sessel Platz, dem Hereinkommenden bot er nicht einmal einen Stuhl an, beobachtete ihn nur wie ein Raubtier.

Kotrba rasselte los.

– Ich will den Mord an meinem Freund Erik Sýkora anzeigen.

Ohne dass er eine Miene verzog, musterte Heš ihn und überlegte, ob er ihn sofort hinauswerfen oder warten sollte, was dieser Wirrkopf sonst noch zu sagen hatte.

– Hier habe ich den Beweis, dass seine Tochter Jana Bittnerová sich mit dem Typen zusammengetan hat, der nach Erik herumfragte. Eilig holte er einen Umschlag mit zwei Fotografien aus seiner speckigen Tasche. Darauf waren Jana Bittnerová und Gavla zu sehen. Sie saßen im Auto und Gavla beugte sich zu ihr hinüber. Es war nicht zu erkennen, ob er ihr etwas ins Ohr flüsterte oder sie küsste. Ohne ein Wort zu verlieren, griff Heš sich die Fotografien und warf einen beiläufigen Blick darauf, bevor er sie an den Mäuserich weiterreichte.

– Nur zu Ihrer Information, Erik Sýkora ist momentan bei uns in Haft, er ist also ganz offensichtlich am Leben. Für Ihre Wahnvorstellungen haben wir hier leider keine Zeit. Wenn Sie nicht auch hinter Gittern landen wollen, spucken Sie sofort aus, woher Sie die Fotos haben.

Kotrba sah beunruhigt aus, er blinzelte überrascht. Eine solche Behandlung hatte er nicht erwartet. Er half der Polizei auf Schritt und Tritt, und die wollten ihm dafür jetzt Scherereien machen? Wenn es ihn nicht gäbe, wüssten die überhaupt nichts. Auch dieser junge Lackaffe, Kodler, oder wie er sich vorgestellt hatte, hatte ihn ausgefragt, um etwas von ihm zu erfahren. Aber er hatte geschwiegen wie ein Grab. Er würde doch nicht alles einem jungen Schnösel ausplaudern.

– Ich, also, das sind geheime Informationen, stammelte er.

– Guter Mann, wenn es um einen Mord geht, ist überhaupt nichts geheim. Sagen Sie uns bitte alles, was Sie wissen, mischte der Mäuserich sich ins Gespräch. Er hatte bemerkt, dass Heš purpurrot zu werden begann.

– Na ja, ich habe ein paar Bekannte bei der Zeitung, so … Er schluckte. – Ich arbeite eben auch daran und habe herausgefunden, dass die Bittnerová etwas mit diesem Typen hat, der sich neulich nach Erik erkundigte. Und deshalb glaube ich, dass beide bei dem Mord und Eriks Verschwinden ihre Finger im Spiel haben, denn Erik hat keinen getötet, dafür lege ich meine Hand ins Feuer, zog Kotrba in den Kampf.

– Sind Sie sich bewusst …, platzte Heš beinahe der Kragen, aber der Mäuserich bedeutete ihm unauffällig, dass er sich beruhigen solle.

– Gut, ich hole einen Kollegen und Sie sagen ihm alles, was Sie wissen oder glauben zu wissen, sagte er gereizt und wählte Kodlers Nummer. Der Kollege kam sofort herbei und führte Kotrba weg. Der war enttäuscht, dass er wieder bei dem unerfahrenen Milchbart gelandet war. Dem würde er gar nichts sagen. Mit der Polizei hatte er abgeschlossen. Das waren undankbare Idioten und nach der Samtenen Revolution hatte sich nichts geändert. Dass sich seit den kommunistischen Zeiten etwas verbessert haben sollte, das war nur dummes Gewäsch von denjenigen, die nicht mal bis um die Ecke schauen konnten. Zornig verließ er das Chefbüro und verschanzte sich in sich selbst.

Vejnar war zu dieser Zeit in Přívoz, um erneut Sýkoras Freunde zu befragen. Jetzt wo Sýkora verhaftet war, würden sie bestimmt mit etwas herausrücken, um nicht selbst Scherereien zu kriegen.

Zur üblichen Stunde traf er im „U Dlouhých“ nur den Professor an. Er konnte nicht ahnen, dass Kotrba gerade bei seinem Chef im Büro war und dass Pavel damit beschäftigt war, sein letztes Geld an einen Spielautomaten in irgendeiner Bar zu verlieren.

Der Professor sah traurig aus. Er saß allein am Tisch, nippte an einem Bier und verfolgte das Eishockeyspiel im Fernsehen.

– Kann ich mich dazusetzen?, riss Vejnar ihn aus seinen Gedanken, nahm Platz, ohne auf eine Antwort zu warten, und bestellte eine Kofola. Er hatte sich geschworen, mindestens eine Woche keinen Alkohol mehr zu trinken, seinen Vorsatz jedoch schon am Tag zuvor gebrochen und musste nun von vorn beginnen. Der Professor nickte nur und schaute weiter zum Fernseher hin.

– Spielen Sie denn heute keine Karten?, wunderte Vejnar sich. Er hatte gedacht, alle schön hier beisammen zu finden.

– Ach, schade um jedes Wort. Der Professor winkte ab, bevor er ins Reden kam. Er war wütend auf seine Mitspieler und brauchte jemanden, bei dem er sich Luft machen konnte.

– Das ist doch alles Scheiße. Seit fünf Jahren treffen wir uns hier, und jetzt, wo Erik verschwunden ist, pfeifen die plötzlich auf alles. Mariáš kann man doch auch zu dritt spielen.

– Wissen Sie denn, wo die anderen sind? Ich müsste mit ihnen sprechen.

Erneut wedelte der Professor wütend mit der Hand.

– Also Kotrba hat sich in den Kopf gesetzt, ein neuer James Bond zu werden, der ist ständig zu irgendwelchen Bekannten unterwegs, klappert Ämter und Archive ab und sucht, wie er sagt, nach Spuren. Na, und der Junge, das überrascht mich gar nicht, das ist auch so eine unzuverlässige Kreatur, der zeigt sich hier nur, wenn er schön im Warmen bei seinem Papi wohnt. Ich glaube, dass ihn der Papi mal wieder aus seiner Bude gejagt hat. Ist ja auch kein Wunder. Wenn ich zu Hause einen Sohnemann hätte, der fast dreißig ist, dann hätte ich den schon längst an die frische Luft gesetzt. Das ist doch unmöglich, dass das erwachsene Söhnchen zu Hause sitzt, nicht arbeiten geht und auf alles scheißt. Die Jungen von heute wissen doch gar nicht, was Verantwortung ist. Als ich so alt war wie er, da hatte ich schon zwei Kinder, da musste ich mich um die kümmern und malochen gehen. Spaß hat mir das nicht gemacht, aber danach hat keiner gefragt, arbeiten muss man nun mal!

Es regte ihn auf. Die Karten waren ihm heilig, vor allem waren sie seine einzige Freude. Und wenn seine Mitspieler so auf ihn pfiffen, dann fühlte er sich von ihnen aufs Schlimmste betrogen.

– Ich wundere mich nur, was der zu Hause noch will, wo sein Vater ihn ständig vermöbelt. Wenn mich jemand so verdreschen würde, dann würde ich mich doch da nicht mehr blicken lassen. Also das kapiere ich auch nicht.

– Sie kennen seinen Vater?

– Na aber. Wir haben jahrelang im gleichen Betrieb gearbeitet, also er als Schlosser in der Produktion, ich beim Betriebsschutz, aber manchmal sind wir uns in irgendeiner Kneipe begegnet, aber wir haben nie viel miteinander geredet. Das ist ein komischer Kerl. Der Professor schüttelte den Kopf.

– Andauernd wütend, nichts war ihm gut genug, auf der Arbeit konnte den auch keiner groß leiden. Den Pavel hat er auch nicht besonders erzogen, seine Alte war wohl irgendwie krank, oder was weiß ich, ich habe sie nicht besonders gut gekannt, aber um Pavel hat sie sich auch nicht groß gekümmert, da brauchen die sich heute nicht wundern, was aus dem geworden ist. Der interessiert sich doch nur für Spielautomaten, der ist doch total süchtig. Er drehte sich zu Vejnar hin. – Jo, und dann tut der dauernd so, als wäre er dicke befreundet mit Erik, aber jetzt, wo Erik verschwunden ist, da interessiert der sich überhaupt nicht mehr für ihn. Glauben Sie, dass er mal nach ihm gefragt hat? Nicht ein einziges Mal! Und dabei ist er ihm andauernd nachgelatscht, sogar bis nach Hause, und Erik war so eine gute Haut, der hat ihn sogar bei sich übernachten lassen, und Kohle hat er dem zugesteckt, ach … Zum Zeichen, dass es nicht lohnte, weiter darüber zu reden, wedelte er mit der Hand.

– Pavels Alter hat Erik gehasst wie die Pest und der Junior hat sich an ihn rangeklebt wie eine Zecke. Ausgesaugt hat er ihn, im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Zecke. Erik hat im Wirtshaus für ihn bezahlt – und das wohlgeratene Söhnchen sah das als selbstverständlich an, ich habe nie gesehen, dass der Erik was zurückgegeben hätte. Der hat sich nur für die Kohle interessiert, für nichts weiter. Diese ganze Sippe interessiert sich für nichts anderes als für Zaster, fügte er leise hinzu und trank den Rest Bier aus.

– Haben Sie nicht Lust, mit mir eine Partie zu spielen?, unternahm er einen verzweifelten Versuch bei Vejnar, weil er sich bei seinem Ausbruch ausreichend beruhigt hatte.

– Das nächste Mal, lächelte Vejnar und brach auf. Er musste unbedingt mit den Kloceks sprechen. Mit Pavel und seinem Vater, der ihm mehrere Tage lang aus dem Weg gegangen war. Er war nicht zum Verhör erschienen, obwohl ihm die Vorladung gleich nach Šárkas Tod zugestellt wurde. Er hatte noch einen zweiten Termin, aber bis dahin konnte er sich sonst was ausdenken oder sich sogar aus dem Staub machen. Vejnar wäre überhaupt nicht überrascht. An diesem Tag jedoch erwischte er weder den einen noch den anderen. Pavel trieb sich irgendwo herum und sein Vater öffnete wieder nicht die Tür, dafür hatte er schließlich seine Kinder. Er brachte noch nicht einmal so viel Neugier auf, um sich aus dem Sessel zu erheben und aus dem Fenster zu sehen. Ganze Tage lang hockte er in seinem Sessel und starrte in die Glotze, bis ihn der Hunger nach draußen trieb, aber das geschah nur selten. Oder er war tatsächlich nicht zu Hause. So verhörte Vejnar wenigstens die alte Nachbarin, die Alois Klocek seit seinem Einzug kannte. Sie konnte ihn nicht ausstehen, und deshalb war sie sehr mitteilsam und bereit alles auszuplaudern, was ihr schon die ganzen Jahre lang auf der Zunge lag. Sie bestätigte, dass sie heute sogar gesehen hatte, wie er auf die Straße ging, wusste allerdings nicht, ob er schon zurück war.

Klocek war Invalide, er war in Rente gegangen, als seine Frau erkrankte, um die er sich damals gekümmert hat. Gekümmert war eigentlich übertrieben, er kassierte einfach das Pflegegeld und gab ihr von Zeit zu Zeit was zu essen. Den Rest mussten die Kinder erledigen. Am Ende war es ein Segen, als man sie ins Krankenhaus brachte. Die ganze Familie hat er verdroschen, aber die Frauen ließen sich das nicht gefallen, sie hielten zusammen und wehrten sich gegen den Vater, deshalb konzentrierte der sich schließlich vor allem auf seinen Sohn, der einen passablen Sandsack für seine unerwarteten Wutausbrüche abgab.

Für Klocek hätten ein Gitter mit einem Vorhängeschloss und eine Tür mit einem gewöhnlichen Schloss kein großes Hindernis dargestellt. Den Körper des Toten bis zum Stellwerk zu schleifen, hätte er ohne einen Komplizen nicht geschafft. Er hatte allerdings einen Grund, Sýkora zu hassen, angeblich war er seinetwegen für fünf Jahre ins Gefängnis gewandert, und auch zuvor hatten die beiden wohl keine großen Sympathien füreinander gehegt. Hatte Šárka in jener Nacht bei ihm angerufen?

Vejnar war müde. Er müsste einmal vernünftig ausschlafen, um sich zu konzentrieren und alles durchdenken zu können, um mögliche und unmögliche Varianten zu skizzieren, Verbindungen zwischen Gavla, Bittner, der Bittnerová und der ganzen Familie Klocek zu finden, die auf die eine oder andere Art in den Fall verwickelt sein musste, daran hatte er keinen Zweifel. Vielleicht hatten sie es hier auch mit einem Komplott der Familie Klocek zu tun. Wenn es Geld einbrachte, schreckten die wahrscheinlich vor gar nichts zurück, weder vor Mord noch vor Erpressung. Es hätte die Klocková gewesen sein können, die den Bittner vergiftet hat, sie hatte ihm das Gift in den Körper injiziert und es vermutlich in die Ampulle gefüllt. Und dann musste man nur noch den Gavla erpressen und ihm als Mariage sein Geld abknöpfen. Gavla hatte offenbar seine Nerven nicht im Griff, er wollte sich nicht länger erpressen lassen und hatte sie sich deshalb vom Halse geschafft. Er hatte das wohlüberlegt getan, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen. Vater und Tochter wären ein perfektes Team gewesen. Der Vater als Schlosser, und mit seinem Hass auf Sýkora.

Vejnar ging zu Fuß die Hauptstraße entlang, die von zahlreichen Spielhallen und Secondhandshops gesäumt war. In einem der Läden saß vielleicht gerade Pavel Klocek. Aber Vejnar steuerte sein Zuhause an, wo er sich auf eine heiße Wanne und Kristýnas leckere Lasagne freuen konnte. Sie hatte versprochen, schon nachmittags zu Hause zu sein, eine Flasche Wein mitzubringen und zusammen mit ihm Fernsehen zu schauen. So einen ruhigen Abend ohne Besucher hatte er schon seit Wochen nicht mehr erlebt. Oft kam er erst gegen Abend von der Arbeit zurück, genau wenn Kristýna losmusste. Sie gingen in der Tür aneinander vorbei. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie insgesamt irgendwie aneinander vorbeiliefen. Trotzdem wusste er, dass er sie liebte.

Das Stadtzentrum versank langsam in der Abenddämmerung, die Straßenlampen beleuchteten den Platz und den Boulevard, der heruntergekommen und verlassen dalag. Die Kinos in den Shoppingmalls hatten jegliches abendliche Leben eingesaugt, alle Trinker wurden von der Stodolní-Straße geschluckt. So konnten in der Fußgängerzone ungestört Tauben flanieren und in die leeren Schaufenster bankrotter Geschäfte äugen. Anstelle von Konsumgütern erblickte Vejnar nur schmutzige Scheiben, die mit einer dicken Schicht von Plakaten beklebt waren. Das Zentrum von Ostrava sah traurig und verlassen aus. Vejnar betrachtete sein Spiegelbild in einem der Schaufenster. Er kam sich wie der letzte Mensch auf einem Planeten vor, auf dem alle einem heimtückischen Bakterium zum Opfer gefallen waren und nur er aus einem unbekannten Grund der Ansteckung getrotzt hatte und noch lebte. Die Fenster waren dunkel, lange Risse zogen sich über den Bürgersteig, und anstatt auf bunte Reklame in den Geschäften, starrte er auf seinen eigenen Schatten. Die Stadt war entvölkert und in den alten schäbigen Häusern lebten nur noch diejenigen, die nirgendwo anders hingehen konnten.

Er bemerkte, dass auch in seinen Fenstern kein Licht brannte. Kristýna war nicht zu Hause. Er zog sich in den Fernsehclub gegenüber zurück, die einzige Oase inmitten der Einöde, um nicht die Einsamkeit der leeren Wohnung ertragen zu müssen. Am Ende würde er sowieso vor dem Fernseher einschlafen und Kristýna würde leise wie ein Mäuschen um ihn herumschleichen, um ihn nicht zu wecken. Da trank er doch lieber einen starken Kaffee und hörte sich die abgedroschenen Hits der Achtziger an. Der einstige Glanz des noblen Lokals war längst verblichen, die roten Polster der abgesessenen Sofas verströmten die Atmosphäre einer Dorfdisco. Vejnar setzte sich in eine Ecke und betrachtete die welken Gesichter der Gäste, die sich wie müde Komparsen aus einem Miloš-Forman-Film ausnahmen.

Der Kaffee im Glas war längst kalt geworden und die Fenster seiner Wohnung lagen in der noch immer gleichen Dunkelheit. Er zahlte und machte sich auf in das Viertel hinter dem Fluss, zur Turková. Er gestand es sich ungern ein, aber sie war die Einzige, mit der er gerade Lust hatte zu reden.