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Gegenwart

Über ein Jahrzehnt später und vier Tage nachdem es M in Ohio gelungen war, einen Frauenkopf und einen Finger auf dem Rücksitz unseres Wagens zu platzieren, betrat ich den Eingangsbereich der Haftanstalt in Alexandria. Dort hatte ich einen Termin mit Martin Forbes.

Ich traute seiner Alibiversion noch immer nicht. Es war nach wie vor denkbar, dass er in irgendeiner Akte in Quantico einen Verweis auf M entdeckt und sich alles andere ausgedacht hatte in der Hoffnung, mich dazu zu bringen, ihm zu helfen.

Lächelnd betrat Forbes die Kabine auf der anderen Seite der Panzerglasscheibe.

»Ich lese Zeitung«, sagte er. »Jetzt ist es also offenkundig. M will dich verarschen, hab ich recht, Cross?«

»Er hat mir eine Nachricht geschickt.«

»Und was steht da drin?«

»Darüber kann ich nicht sprechen.«

Das ärgerte Forbes. »Du vertraust mir nicht. Aber hier steht mein Leben auf dem Spiel.«

»Das ist mir klar, und, nein, ich traue dir nicht. Nicht voll und ganz. So ist es eben.«

Er überlegte eine ganze Weile und sagte dann: »Ich bin ein intelligenter Mensch. Ich war ein guter Agent und Ermittler.«

»Das sehe ich auch so.«

»Dann setz mich ein.« Forbes tippte sich an die Schläfe. »Ich sitze den ganzen Tag nur herum. Wer war die Frau? Von wem stammt der Kopf?«

»Das wissen wir noch nicht.«

»Komm schon, Cross, lass mich mitmachen. Ich kann euch helfen.«

Ich überlegte und beschloss dann, ihn zumindest teilweise einzuweihen. Also las ich ihm die Nachricht vor, die M uns hinterlassen hatte.

Forbes hörte zu, den Blick in die Halbdistanz gerichtet.

»Er nennt sich das Meisterhirn«, sagte er nach einigen Augenblicken. »Das war Craigs Pseudonym.«

Ich schüttelte den Kopf. »Er hat sich nicht Meisterhirn genannt. Er hat behauptet, er sei ein Meisterhirn.«

»Trotzdem. Das hat bestimmt was zu bedeuten.«

»Hat es nicht«, beharrte ich. »Craig ist tot. Ich habe selbst gesehen, wie er in Stücke gerissen wurde und verbrannt ist. Dieser Kerl benutzt bestimmte Worte, weil er weiß, dass er uns damit nervös machen kann. Das ist ein reines Ablenkungsmanöver.«

»Ich weiß, was ich gesehen habe«, erwiderte Forbes.

»Während er dir ein Betäubungsmittel injiziert hat«, wandte ich ein. »Gut möglich, dass du halluziniert hast. Oder M hat sich verkleidet, um möglichst viel Ähnlichkeit mit Craig zu haben.«

Ich merkte, dass Forbes keineswegs überzeugt war, aber er ging nicht weiter darauf ein, sondern sagte: »Er hat die Medien eingeschaltet. Das war ein ziemlich gewagter Schritt.«

»Sehr gewagt«, pflichtete ich ihm bei. »Und jetzt wissen sie, dass er einen Namen hat. Oder zumindest einen Buchstaben.«

»Wird denn jetzt mehr über die Geschichte berichtet?«

»Die Medien kennen bis jetzt nur einen Teil«, erwiderte ich. »Einen kleinen Teil.«

»Was soll das heißen?« Er musterte mich aufmerksam.

Ich überlegte, ob ich ihm auch von Ms früheren Botschaften erzählen sollte, entschied mich jedoch dagegen. »Deine Geschichte kennen sie zum Beispiel nicht«, sagte ich.

»Die wird aber rauskommen«, meinte Forbes. »Ich habe dem FBI ja alles erzählt.«

Das war mir neu, doch bevor ich ihn fragen konnte, fuhr er fort: »Und dir und meinem Anwalt habe ich es auch erzählt.«

»Das ist gut«, erwiderte ich. »Aber ich wäre dir dankbar, wenn du bis zu deinem Prozess Stillschweigen bewahren könntest. Wenn er dich hier drinhaben will, dann hat das einen ganz bestimmten Grund.«

Er starrte mich an, bevor er angewidert den Kopf schüttelte. »Du bist gar nicht wegen mir gekommen, Cross. Ich habe das völlig falsch interpretiert. Du bist gar nicht die ehrliche Haut, für die ich dich gehalten habe. Du hast bloß dich selbst im Kopf, genau wie M, genau wie alle anderen auch. Und ich kann in der Zwischenzeit hier drin verrotten.«

Bevor ich ihm eine Antwort geben konnte, knallte er den Telefonhörer auf die Gabel und warf mir noch einen letzten, wutentbrannten Blick zu. Dann stand er auf und ging.