Ich hatte schon von extremen Preppern gehört, die alle Vorbereitungen trafen, um auf den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang vorbereitet zu sein. Diese Leute gaben ein Vermögen für Nahrungsmittel, Brennstoff und Getreidesamen aus, um auch nach der Vernichtung der bisherigen Gesellschaftsordnung durch Kommunisten oder Zombies oder durch wen auch immer ihr Dasein fristen zu können.
Doch wenn die Angaben in dem Dossier, das Mahoney uns zugeschickt hatte, stimmten, dann hatte wohl kaum einer mehr Geld für seine Vorbereitungen ausgegeben als Dwight Rivers. Er war der betriebswirtschaftliche Kopf einer von einer Gruppe älterer, ehemaliger Militärs gegründeten, weltweit agierenden Söldneragentur namens TRUAX gewesen. Beim Verkauf des Unternehmens hatte Rivers ein Vermögen verdient.
Das FBI hatte zahlreiche Gespräche mit ortsansässigen Maschinenführern und Bauunternehmern geführt, hatte die Lieferlisten von UPS und FedEx studiert sowie unzählige Augenzeugenberichte gelesen und war zu dem Schluss gelangt, dass Rivers, kaum hatte er das Anwesen erworben, eine atemberaubende Einkaufstour unternommen hatte. Während der beiden ersten Jahre hatte er die Ausschachtung des Grundstücks, den Einbau der unterirdischen Container sowie den Bau des oberirdischen Ameisenhügels beaufsichtigt. Im dritten Jahr hatte sich dann ein steter Strom von Bauarbeitern, Elektrikern und Klempnern um die Fertigstellung des Innenbereichs gekümmert.
Dann waren die Vorräte angeliefert worden, genug, um Rivers und einer kleinen Armee das Überleben bis weit nach dem Ende der Apokalypse zu sichern. Drei Benzintanks mit jeweils fünftausend Litern Fassungsvermögen waren in der Wiese neben dem Ameisenhügel vergraben worden, während die Sonnenkollektoren gewaltige Batteriebanken irgendwo im Inneren fütterten.
Alles das hatte sich zunächst einmal unter dem Radar des FBI abgespielt. Dann hatte Rivers angefangen, große Mengen Sturmgewehre zu kaufen. Er hatte seine unterirdische Waffenkammer mit so vielen Schusswaffen und der passenden Munition bestückt, dass er sich lange, sehr lange hätte verteidigen können. Doch nicht einmal das hatte die Aufmerksamkeit der Bundesregierung erregt.
Dazu kam es erst, als Rivers’ Name im Zusammenhang mit gemeinsamen Ermittlungen des FBI und der Behörde für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen aufgetaucht war. Dabei war es um einen Schmugglerring von ehemaligen Soldaten und Söldnern gegangen, die mit Waffen, darunter auch Handgranaten, Panzerfäuste und Antipersonenminen, gehandelt hatten.
Als die Beamten der BATF und des FBI Rivers verhört hatten, hatte er jede Mitwisserschaft abgestritten. Doch als sie ihn um eine Besichtigung des Ameisenhügels gebeten hatten, hatte er unter Berufung auf seine verfassungsgemäßen Rechte abgelehnt.
Ohne konkreten Anlass war dem FBI nichts anderes übrig geblieben, als darauf zu hoffen, dass Rivers einen Fehler beging. Und Sampson, Mahoney und ich mussten uns damit begnügen, das Gelände mit einer Drohne zu beobachten.
Nirgendwo war eine Bewegung zu erkennen, darum ließ Mahoney die Drohne umkehren. Ich überflog den Rest des Dossiers und stieß dabei auf ein paar interessante Fakten.
Rivers war zweimal geschieden. Die Gerichtsakten waren zwar unter Verschluss, doch die FBI-Agenten hatten Kontakt mit seinen Exfrauen aufgenommen. Sie hatten ausgesagt, dass er eine gewalttätige Ader besaß und sich für Aufsehen erregende Mordfälle, besonders solche, an denen Serienkiller beteiligt waren, interessierte und gerne auch darüber dozierte.
Seine Exfrauen hatten weiter ausgesagt, dass er sich oft über die Polizei lustig gemacht hatte: Die meisten seien Idioten, die von einem schlauen Kriminellen ohne Weiteres manipuliert und hinters Licht geführt werden konnten.
Vor den Ermittlungen zu dem Waffenschmugglerring war Rivers zweimal ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten. Beide Male war er der sexuellen Belästigung bezichtigt worden. Die Opfer hatten ausgesagt, dass sie von Rivers unter Drogen gesetzt und vergewaltigt worden seien. Doch die anschließenden Tests hatten kein eindeutiges Ergebnis erbracht, und der Multimillionär hatte alles abgestritten. Er hatte sogar Alibis für die Zeiten seiner angeblichen Gewalttaten präsentiert.
Als er das Anwesen gekauft hatte, war Rivers Ende vierzig gewesen und hatte viel Zeit mit ständig wechselnden, deutlich jüngeren Freundinnen dort verbracht. Eine von ihnen, Cora James, siebenundzwanzig, hatte gegenüber einem FBI-Agenten ausgesagt.
In ihrer Aussage hatte sie erwähnt, dass Rivers manisch-depressiv sei und dass seine Stimmung von einem Augenblick auf den anderen von charmant und geistreich in gewalttätig und paranoid umschlagen könne. Außerdem sei er wahnsinnig geheimniskrämerisch gewesen, insbesondere in Bezug auf den Ameisenhügel.
»Ich habe jedes Mal eine Gänsehaut bekommen, wenn er aus dem Haus da rübergegangen ist«, hatte sie gesagt. »Weil, na ja, schon möglich, dass es bloß ein sicherer Aufenthaltsort ist, wenn alles außer Kontrolle gerät, so wie Dwight gesagt hat. Aber ich bin den Gedanken nie ganz los geworden, dass es ja auch ein Gefängnis sein könnte, verstehen Sie?«
Auf die Frage, wie sie darauf gekommen war, hatte Cora James erklärt, dass sie eines Abends allein zum Ameisenhügel gegangen war. Rivers sei schon dort gewesen. In der Seitenwand des Bunkers befanden sich Lüftungsschlitze.
»Ich glaube, ich habe da drin eine Frau weinen hören«, sagte sie.
Sie habe Angst bekommen und Rivers darauf angesprochen. Er hatte gelacht und nur gesagt, das sei das Quietschen eines Speiseaufzugs gewesen.
Er hatte ihr sogar angeboten, sie durch den Bunker zu führen, aber irgendetwas an seiner Körpersprache hatte sie misstrauisch gemacht, und sie hatte abgelehnt. Danach hatte Rivers versucht, jede ihrer Bewegungen zu überwachen und einzuschränken.
»Ich habe gewartet, bis er ein paar Tage später zum Einkaufen in die Stadt gefahren ist, dann bin ich so schnell wie möglich abgehauen. Zu Fuß«, hatte sie dem FBI-Beamten gesagt.
Die Drohne landete, und Mahoney brachte sie zu seinem Wagen zurück.
Ich klappte das Dossier zu und starrte in die Ferne.
»Was denkst du gerade, Alex?«, wollte Sampson wissen.
Es dauerte einen Moment, bis ich die richtigen Worte gefunden hatte. »Falls Rawlins mit seinem Algorithmus recht hat, falls Dwight Rivers tatsächlich M ist, dann wüsste ich zu gerne, was da im Inneren seines Ameisenhügels vor sich geht.«