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Wenn ich eines von Nana Mama gelernt habe, dann das: Wenn du Mist gebaut hast, dann gib es zu und nimm die Konsequenzen in Kauf. Wenn du eine Grenze überschritten hast, dann gib es zu und nimm die Konsequenzen in Kauf. Wenn du einer Fehleinschätzung erlegen bist oder voller Vorurteile warst, dann gib es zu und nimm die Konsequenzen in Kauf.

»Alles andere wäre Täuschung und Vertuschung und hätte auf lange Sicht nur noch schlimmere Konsequenzen für dich zur Folge«, hatte meine Großmutter mir schon als kleiner Junge eingeschärft. »Wenn du einen Fehler gemacht hast, Alex, dann tu alles dafür, ihn zu korrigieren, und dann lebe dein Leben weiter.«

Nana Mamas Ratschlag hatte sich immer und immer wieder als der richtige entpuppt, darum befolgte ich ihn auch jetzt in Rivers’ Krankenzimmer. Im Verlauf der folgenden zwanzig Minuten legte ich ihm die gesamte Geschichte ausführlich dar, angefangen vom allerersten Kontakt mit M bis hin zu der Wickr-Nachricht, die ich, unmittelbar bevor Rivers den abgetrennten Kopf in seinem Keller bemerkt hatte, empfangen hatte, die anschließende Verfolgungsjagd und wie ich ihn schließlich aus dem Wrack seines Sportwagens gerettet hatte.

»Da dachten wir immer noch, Sie seien M. Zum Glück waren wir bei Ihnen, bevor Ihr Wagen explodiert ist.«

»Zum Glück?«, schaltete sich Rivers’ Rechtsanwältin ein. »Mein Mandant wäre ja gar nicht verunglückt, wenn Sie ihn nicht verfolgt hätten. Er hätte sich gar nicht erst in das Auto gesetzt, wenn er nicht gehört hätte, wie Sie und Detective Sampson die Treppe heruntergerannt sind. Und auch seine Rechte wären unangetastet geblieben, wenn Sie, Herr Dr. Cross, nicht in seinen privaten Bunker eingedrungen wären. Und zwar zweimal

Ich hob die Hände. »Sie haben recht. Aber zu meiner Verteidigung möchte ich sagen, dass ich die verzweifelte Hoffnung hatte, in Mr. Rivers’ Bunker auf Diane Jenkins oder zumindest einen Hinweis auf ihren Verbleib zu stoßen.«

»Nein. Sie hatten die Hoffnung, auf einen Beweis zu stoßen, dass mein Mandant dieser M ist.«

»Das auch, gar keine Frage.« Ich sah Rivers an, der mich aufmerksam betrachtete. »Ich bin M seit Jahren auf der Spur, Mr. Rivers. Er hat mich verspottet, bedroht und macht im Grunde genommen nichts anderes, als mich, Detective Sampson und Special Agent Mahoney ununterbrochen zu ködern und an der Nase herumzuführen. Bitte verzeihen Sie mir, dass ich mich so habe hinreißen lassen, aber es ist in bester Absicht geschehen. Ich wollte unbedingt verhindern, dass M noch mehr Menschen strangulieren, enthaupten oder gefangen halten kann.«

Cowles schnaubte verächtlich. »Man kann es ja mal probieren, nicht wahr? Aber sehen Sie sich doch an, was Sie meinem Mandanten angetan haben, nur weil Sie Ihrer eigenen Besessenheit nichts entgegengesetzt haben. Das riecht nach Gerichtssaal.«

»Das haben wir also von unserer Offenheit und Ehrlichkeit.« Mahoney verzog geringschätzig das Gesicht. »Ich schätze, das war’s dann.«

»Nein«, widersprach Rivers. »Und es wird auch keine Gerichtsverhandlung geben.«

»Dwight …«, schaltete seine Anwältin sich ein.

»Keine Verhandlung, Sheila«, beharrte er. »Ich wäre auch dann viel zu schnell gefahren, wenn sie nicht hinter mir her gewesen wären. Aber wenn sie mich nicht verfolgt hätten, wäre ich jetzt vielleicht tot.«

»Das sehe ich vollkommen anders.«

Rivers sah mich mit durchdringendem Blick an. »Er ist Ihr Professor Moriarty, nicht wahr, Cross? Dieser M?«

Mir war sofort klar, dass er auf Sherlock Holmes’ Erzfeind anspielte, und erwiderte achselzuckend: »Das könnte man sagen.«

»Holmes war besessen von Moriarty, und das hat ihn beinahe das Leben gekostet.«

»Ich kann mich erinnern.«

Rivers ließ mich nicht aus den Augen. »Ich weiß nicht, ob ich mich geschmeichelt fühlen oder eher das kalte Grausen kriegen soll, weil Sie mich für M gehalten haben … oder besser: weil Ihre Computer mich für M gehalten haben.«

»Ich möchte mich für meine Handlungen ebenso entschuldigen wie für die der Computer.«

Er lachte. »Eines habe ich im Technik-Kosmos gelernt: Entschuldige dich nie für etwas, was der Computer gemacht hat. Er hat nur die Befehle des Programmierers umgesetzt. Nicht mehr. Nicht weniger.«

»Dwight«, sagte seine Rechtsanwältin. »Ich glaube, Sie …«

Seine Augen funkelten. »Aber jetzt haben Sie ihn, Dr. Cross, nicht wahr? M? Er muss auf den Überwachungsvideos zu sehen sein. Sie sind ihm dicht auf den Fersen, oder nicht?«

»Falls M der Lieferfahrer war, dann ja. Hoffe ich.«

Cowles biss sich auf die Unterlippe.

»Aber woher hat M gewusst, dass Sie mich beobachten? Wie ist er darauf gekommen, diese Köpfe in meiner Werkstatt und meinem Auto zu hinterlassen, und anschließend Sie zu alarmieren?«

»Ich weiß es nicht.«

Rivers winkte seine Anwältin zu sich. Sein Flüstern war so leise, dass sie sich noch dichter zu ihm beugen und er seine Worte wiederholen musste. Sie hörte zu, sah mich an und nickte.

Cowles kam zu mir und flüsterte mir zu: »Bringen Sie Ihr Handy aus dem Zimmer und schalten Sie es aus.«