Ich gab Gas, zog gleichzeitig meine Pistole aus dem Schulterhalfter und legte sie in meinen Schoß.
Der BMW kam mit aufgeblendeten Scheinwerfern näher.
Ich griff mit der linken Hand nach der Steuerung für die Seitenspiegel, legte den Schalter nach rechts und nahm den Fuß vom Gas. Auf Höhe der Metrostation Minnesota Avenue hatte der SUV die Lücke fast geschlossen.
Er wollte sich dicht an meine hintere Stoßstange heften. Das Licht seiner Scheinwerfer erfüllte den Innenraum meines Wagens. Aber dann verschob ich die Position des rechten Seitenspiegels.
Vor zwei Jahren hatte mein ältester Sohn Damon beim Zurücksetzen auf einem voll belegten Parkplatz mit diesem Außenspiegel einen Telefonmasten gestreift. Dabei war der Spiegel ganz leicht verbogen worden, was, wie wir irgendwann später festgestellt hatten, einen eigenartigen, aber ziemlich nützlichen Effekt hatte: Wenn jemand mit aufgeblendeten Scheinwerfern dicht auffuhr, dann musste man den Spiegel nur ein wenig nach oben und innen drehen, dann wurde das grelle Licht so reflektiert, dass es dem auffahrenden Fahrer direkt in die Augen fiel.
Der Kerl riss die Hand nach oben und trat auf die Bremse. Gleichzeitig gab ich Vollgas und hatte auf der Höhe des lauschigen Wohnviertels Eastland Gardens bereits einen Vorsprung von sechzig Metern herausgefahren.
Doch das nahm ich kaum wahr. Ich war viel zu schockiert über das, was ich gerade eben gesehen hatte.
In dem Sekundenbruchteil, bevor der Fahrer des BMW die Hand vors Gesicht gehalten hatte und auf die Bremse gestiegen war, hatte ich ihn voll im Blick gehabt: ein Mann in einem dunklen Anzug und Krawatte, schwarze Handschuhe, Alter ungefähr Mitte vierzig, getönte Brille, rötlich blonde Haare und dazu die Nase, die Wangenknochen und das markante Kinn des infamen und längst verstorbenen, ehemaligen FBI-Agenten Kyle Craig. Unverkennbar!
Das Bild, wie Craig die Hand nach oben riss, um sich vor den blendenden Lichtstrahlen zu schützen, nahm mich so sehr in Beschlag, dass ich beinahe einen Lieferwagen übersehen hätte, der vom Maryland State Highway 50 auf den I-295 abbiegen wollte.
Ich bremste, und der Lieferwagen zog schwankend und unter lautem Hupen auf meine Spur. Wir entgingen nur haarscharf einem Zusammenstoß.
Als ich mir sicher sein konnte, dass das noch einmal gut gegangen war, warf ich hastige Blicke in meine Rückspiegel und suchte nach dem BMW. Er war nicht mehr zu sehen.
Um genau zu sein, ich konnte überhaupt keine Scheinwerfer mehr sehen. Aber das war völlig unmöglich.
Ich schwenkte den rechten Außenspiegel so weit wie möglich nach rechts und sah, dass der BMW die Scheinwerfer ausgeschaltet hatte. Im Licht der Straßenlaternen war er kaum zu erkennen und kam so schnell wieder näher, dass ich mich regelrecht erschrak.
Mir war klar, dass ich eigentlich versuchen müsste, zu bremsen und ihn vorbeiziehen zu lassen. Doch stattdessen ließ ich das Beifahrerfenster herab und starrte immer wieder hinüber, um durch die getönte Fensterscheibe einen Blick auf Kyle Craig zu erhaschen … obwohl ich nicht den geringsten Zweifel daran hatte, dass dieser Kerl tot war, ein und für alle Mal.
Der Lieferwagen vor mir bremste. Ich hatte keine Wahl, als ebenfalls langsamer zu werden. Der BMW schoss an mir vorbei und schob sich in den Lichtkegel meiner Scheinwerfer.
Dann wurde das Seitenfenster herabgelassen. Ich konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, aber dafür hörte ich seine Stimme. Sie dröhnte mir in den Ohren.
»M hat gesagt, du würdest es niemals lernen, Cross!«
Dann streckte er seine behandschuhte Hand zum Fenster heraus und warf etwas in meine Richtung. Ein blauer Ballon prallte auf meine Windschutzscheibe. Dunkle Flüssigkeit breitete sich darauf aus und versperrte mir die Sicht.
Ich trat auf die Bremse und schleuderte nach links, hoffte darauf, wenigstens in dem verbogenen Seitenspiegel etwas sehen zu können. Schließlich kam ich auf dem Seitenstreifen zum Stehen, keuchend und schweißgebadet. Die Flüssigkeit aus dem Ballon hatte sich auf der ganzen Windschutzscheibe verteilt, und auch das Licht meiner Scheinwerfer hatte eine kupferne Tönung angenommen.
Ich wollte schon die Scheibenwaschanlage in Gang setzen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Stattdessen holte ich meine Maglite aus dem Handschuhfach und stieg auf der Beifahrerseite aus, um nicht von einem der vorbeifahrenden Fahrzeuge mitgerissen zu werden.
Von dem BMW und dem Lieferwagen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Ich stellte mich neben den rechten vorderen Kotflügel und richtete den Strahl der Taschenlampe auf meine Windschutzscheibe. Die dunkelrote Flüssigkeit wurde in der kühlen Brise bereits klebrig.
Ich berührte eine Stelle vorsichtig mit dem Zeigefinger, verrieb das Zeug zwischen den Fingerspitzen und roch daran. Der Kupfergeruch war deutlich wahrnehmbar, und mir war sofort klar, dass es sich nicht um Kunstblut handelte.