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Jemand rüttelte mich an der Schulter, und ich kam zu mir, benommen und mit kreischenden Kopfschmerzen. Ich schlug die Augen auf und stellte fest, dass ich an meinem Schreibtisch in der Dachkammer saß. Mein Kopf lag auf den Edgerton-Akten, und daneben stand eine leere Flasche Jack Daniel’s.

Bree kauerte neben mir und blickte mich besorgt an.

»Warum bist du nicht ins Bett gekommen?«

Ich sah sie einigermaßen ratlos an, bis es mir allmählich dämmerte. »Ich dachte, ich würde hier oben etwas finden, was mich weiterbringt, aber dann ist mir klar geworden, dass ich überhaupt nichts mehr im Griff habe. M nicht, und alles andere auch nicht. Dann habe ich den Kopf auf die Hände gelegt und für ihn gebetet. Dabei muss ich wohl eingeschlafen sein.«

»Kein Wunder, mit so einer Menge Whiskey im Blut.«

»Zum ersten Mal im Leben habe ich eine so schreckliche Angst gehabt, dass ich mich einfach ausknipsen wollte.«

»Ach Baby«, sagte sie und schlang die Arme um mich.

Viele Minuten lang umarmten wir uns schweigend, und die Liebe, die ich von ihr empfing und die ich ihr gab, munterte mich ein klein wenig auf.

Als wir uns voneinander lösten, gab Bree mir einen Kuss. Anschließend sah sie mich angewidert an. »Mit dem Atem könntest du einen ganzen Güterzug zum Stehen bringen, und aussehen tust du noch schlimmer.«

»Vielen Dank.«

»Gern geschehen. Sampson sagt, er hat dir eine Wickr-Nachricht geschickt?«

Ich nickte und zeigte auf ein Blatt Papier. Ich hatte zwar nicht daran gedacht, einen Screenshot zu machen, aber ich hatte mir die Worte notiert. Jedes einzelne hatte sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt:

Haben Sie eigentlich bemerkt, dass ich Ihnen immer drei Schritte voraus bin? Ihr Sohn büßt jetzt für die Sünden seines Vaters. Bald wird auch der Rest der Familie, wie er und Granny, hilflos um Atem ringen und mit den Armen fuchteln.

Bree las es. Währenddessen saugte mein verkatertes Bewusstsein sich an den Worten büßt jetzt fest. Ich bekam die Bilder, mit der meine Fantasie mich bombardierte, nicht mehr unter Kontrolle. Dann für die Sünden seines Vaters .

Was waren denn meine angeblichen Sünden? Was hatte ich M angetan, dass er mich schon so viele Jahre lang im Visier hatte? Ich konnte mir nicht …

»Ich finde, wir sollten Nana Mama und Jannie wegschicken«, sagte Bree.

Ich blickte sie nur verständnislos an.

»Er sagt, dass der Rest der Familie hilflos um Atem ringen wird, Alex«, sagte sie. »Wir müssen sie an einen sicheren Ort schaffen.«

Irgendetwas an diesen Worten irritierte mich, aber ich bekam es einfach nicht zu fassen.

»Alex«, wiederholte Bree.

Und dann wusste ich, was mich störte. Ich hob die Hand und erkannte schlagartig sämtliche Bedeutungen dieses letzten Satzes. Ich räusperte mich. »Du hast recht. Ich rufe Ned an und frage ihn, ob du mit Jannie und Nana Mama in seinem Strandhaus unterkommen kannst. Da seid ihr sicher. Und du kannst von dort aus arbeiten.«

»Was ist mit dir?«

»Ich will hier in der Nähe bleiben.«

Bree sah mich verwirrt an, dann sagte sie: »Okay. Dann fangen wir mal an zu packen.«