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Bald wird auch der Rest der Familie, wie er und Granny, hilflos um Atem ringen und mit den Armen fuchteln.

Diese Zeile war Ms Untergang gewesen.

In der letzten Woche, unmittelbar nachdem ich die Nachricht erhalten hatte, hatte mich ein merkwürdiges Gefühl überkommen, das ich mir zunächst nicht so recht erklären konnte.

Wie Granny hilflos um Atem ringen und mit den Armen fuchteln.

Dann wurde mir klar, dass M über Nana Mamas Schwächeanfall Bescheid gewusst haben musste.

Nur dass das vollkommen ausgeschlossen war. Genau sieben Personen hatten davon gewusst: Ich, Bree, Nana, Jannie, Sampson, Rawlins und Mahoney. Sonst niemand.

Wir hatten weder den Notarzt noch sonst irgendjemanden angerufen.

Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: M hatte unser Haus verwanzt.

Zwei Stunden nachdem Bree mit Nana und Jannie in Neds Strandhaus gefahren war, hatte Keith Karl Rawlins an meine Haustür geklopft. Der FBI-Berater und Spezialist für Cyberkriminalität hatte sich als Kammerjäger ausgegeben und behauptet, dass bei den Bauarbeiten nebenan Termiten entdeckt worden seien. Er wolle mir eine kostenlose Überprüfung unseres Hauses anbieten.

Kurze Zeit später wussten wir, dass M nicht nur in vier verschiedenen Zimmern Wanzen angebracht hatte, um uns zu belauschen, sondern dass er uns auch mithilfe zweier Endoskopkameras, eine in der Küche, die andere in meinem Arbeitszimmer, beobachtet hatte.

Wie und wann er das alles installiert hatte, konnten wir uns absolut nicht erklären, aber es gab keinen Zweifel daran, dass die Kameras und die Abhörmikrofone ihre Signale drahtlos an einen kleinen Transponder auf einem Telefonmasten auf der anderen Straßenseite gesendet hatten. Dieser Transponder hatte die Daten dann via Satellit ins Internet übertragen.

Als Rawlins und ich uns später am Tag und außerhalb des Hauses mit Mahoney trafen, schlug Rawlins vor, den Transponder abzubauen und zu analysieren, aber ich widersprach.

»Er weiß nicht, dass wir ihn beobachten«, sagte ich. »Das können wir nutzen. Wir können ihn aus der Deckung locken.«

»Aber wie?«, wollte Mahoney wissen.

»Indem ich den Köder spiele. Ich bin überzeugt, dass er letztendlich auf eine Art Endkampf mit mir hinauswill, auf den ich mich einlasse, weil ich mir davon Alis Rettung erhoffe.«

Wir beschlossen, dass ich so tun sollte, als hätte Alis Entführung mich so sehr getroffen, dass ich zu einem schwachen, niedergeschlagenen, selbstzerstörerischen Versager wurde, der nicht mehr in der Lage war, irgendwelche Spielchen zu spielen, schon gar nicht, wenn es um Leben und Tod ging. Irgendwann würde M befürchten, dass es womöglich gar nicht mehr zu dieser letzten Auseinandersetzung, die er sich vorgestellt hatte, kommen würde.

Während also Zivilbeamte mein Haus aus jedem Winkel unter Beobachtung hatten, und nachdem ich ein stecknadelkopfgroßes Mikrofon auf der Innenseite meines Kragens befestigt hatte, begann ich noch am selben Abend zu trinken.

Mit jedem folgenden Abend trank ich mehr. Manchmal spielte ich auch den Betrunkenen, aber das meiste war echt. Ich rührte an allen Ängsten, die mich angesichts dieser Situation überfallen hatten, und entließ sie in langen, betrunkenen Monologen ins Freie.

Nachdem ich sechs Abende voll mit persönlichen Erniedrigungen und einer geschädigten Leber hinter mich gebracht hatte, hatte einer von Mahoneys Männern mit einer Infrarotkamera gegen 3.00 Uhr morgens eine Person bemerkt, die das Haus der Morses’ betreten hatte. Eine Stunde später war sie dann über das Gerüst in meine Dachkammer geklettert.

Anschließend hatte derselbe Agent das pinkfarbene Vermessungsband am Gerüst angebracht, als Signal dafür, dass ich Besuch hatte.

Ich hatte mein Arbeitszimmer betreten, und Rawlins hatte sich in die Funkfrequenz eingeklinkt. Er, Mahoney und Bree saßen in einem Überwachungsfahrzeug auf der gegenüberliegenden Seite des Häuserblocks. Während M sich ganz auf mich konzentriert hatte, war Sampson auf das Vordach geklettert, von wo er freie Sicht gehabt hatte.

Er betrat in dem Moment die Eingangsterrasse, als die Sanitäter M zur Tür hinaustrugen.

»Wo ist mein Junge?«, fuhr ich M an, als er neben uns war.

»Tief unten«, lautete die Antwort.

Ich konnte spüren, dass er trotz seiner schweren Verletzung und der Lähmungserscheinungen mein Leid sehr genoss.