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Kapitel 1

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Männer sind wie Kinderbücher - leicht zu lesen, manchmal unterhaltend, aber ihnen fehlt die Substanz, um eine erwachsene Frau langfristig zu fesseln. Meine Chefin sagt, ich wäre für eine 28-jährige zu zynisch, aber das passiert nun mal, wenn man das macht, was ich seit zwei Jahren mache, nur um die Rechnungen zu bezahlen.

Ich bin keine Nutte, ich bin eine Fallenstellerin. Das ist ein Unterschied. Nutten schlafen für Geld mit Männern. Ich werde dafür bezahlt, dass ich sie dazu bringe, mir zu vertrauen und manchmal, sich in mich zu verlieben. Manche Fallenstellerinnen überschreiten die Grenze und landen für ein bisschen Extra-Kohle mit ihrer Zielperson im Bett, während andere glauben, sie spielen in Pretty Woman mit. Ich nicht. Mir ist meine geistige Gesundheit zu wichtig. Ich könnte keinen Sex mit einem Mann haben, der nicht mein Freund ist.

Wenn nur Freunde in meinem Berufszweig nicht so schwer zu finden wären, würde es mir auf dem Gebiet ganz gut gehen. Leider haben nicht allzu viele Typen Verständnis, wenn man erklärt, was man beruflich macht. Sagen wir eher kein einziger. Sie sehen den Unterschied zwischen einer Nutte und einer Fallenstellerin nicht. Und dann ist da auch noch die ganze Mangel an Substanz Sache.

"Der Typ ist groß," sagte meine Chefin Ellen. Sie gab mir einen USB Stick in Form eines Teddy-Bärs, der nicht größer als zwei meiner Finger war. Das war eine Abwechslung zu ihrem üblichen roten Ninja. Anders als bei dem Ninja musste ich den Kopf des Teddys entfernen und seinen Hals in meinen Laptop einstecken. Der Ninja hatte den USB-Anschluss aus seinem Po ragen und sah deshalb so aus, als würde er in den Computer furzen. Der Teddy sah nur kopflos aus.

"Wie groß?", fragte ich, als ich die Dateien auf mein Festplatte kopierte.

Ellen schlug ihre langen Stelzen-Beine übereinander und lehnte sich mit einem Lächeln auf den vampirroten Lippen in ihrem Stuhl zurück. "Du wirst schon sehen."

Ich rollte mit den Augen, weil sie so melodramatisch war. Sie hielt sich wohl für M aus James Bond mit hochkarätigen geheimen Leben auf der Jagd nach den bösen Jungs. In Wirklichkeit jagten wir jeden, für dessen Ergreifung unsere Kunden bereit waren, zu zahlen. Glücklicherweise waren unsere Zielpersonen bisher immer Geschäftsleute mit fragwürdiger Moral gewesen. Andernfalls hätte ich ein Problem mit meinem Job gehabt. Es machte mir aber nichts aus, ein paar Arschlöchern die Geschäfte zu vermiesen.

Das beschrieb so ziemlich Ellens Geschäftsmodell. Sie heuerte uns Mädels im Auftrag ihrer Kunden an, um die Geheimnisse der Mächtigen und Reichen Geschäftsmänner herauszufinden. Ihre Klienten waren deren Rivalen, die oft die gleichen Deals abschließen wollten. Sie beauftragten Ellen - uns -, um die Geheimnisse und Schwächen ihrer Wettbewerber herauszubekommen oder geheime Dokumente aufzuspüren, die betrügerische Absprachen oder unethische Geschäftspraktiken bewiesen. Unsere Aufgabe bestand darin, uns eine Zeit lang den Zielpersonen anzunähern, bis sie uns genug vertrauten, um uns in ihr innerstes Heiligtum vordringen zu lassen. Manchmal fragte ich mich, ob ich mein Ziel schneller erreichen würde, wenn ich doch mit ihnen schliefe. Die Leute verraten eine ganze Menge Zeug, wenn sie blind vor Lust sind. Aber ich vermied diese Art Arrangement und Ellen setzte mich nie unter Druck. Ich spielte die Rolle der freundlich flirtenden Assistentin. Wenn ein paar von meinen Zielpersonen sich dabei ein bisschen in mich verliebten, umso besser. Ihre Frustration und ihre Versuche, mich ins Bett zu bekommen, dienten meinen Zielen ungemein.

Ellen kicherte, weil ich mit den Augen rollte. „Darum bist du perfekt dafür, Cleo.“

„Was meinst du?“

„Du bist lustig und vorlaut. Und clever. Diese Eigenschaft mag er an einer Frau. Natürlich schadet es auch nicht, dass du hinreißend und auf Lehrerinnenart sexy bist.“

Ich konnte mir keine meiner alten Lehrerinnen vorstellen, wie sie das machten, was ich bald machte. Vielleicht wäre die alte Französischlehrerin von Becky mit einem Doppelleben durchgekommen. Die Jungs schmachteten sie im Unterricht immer an. Sie war außerdem reizend und gab sich große Mühe, herauszufinden, ob ich etwas brauchte, als Becky krank wurde. Natürlich sagte ich immer „Danke, nein“. Was ich ihr nicht sagte, war, dass ich nur Becky brauchte. Erst später, als Becky auf dem Weg der Genesung war, verstand ich, dass ich Geld brauchte, um ihre Arztrechnungen zu bezahlen. Jede Menge Geld. Darum hatte ich mich auf eine Anzeige gemeldet und war wider besseres Wissen eine Fallenstellerin geworden. Zwei Jahre später war der Kredit, den ich aufgenommen hatte, immer noch da und ich war immer noch Fallenstellerin.

Ich lachte und Ellen lachte auch, ein herzliches, kehliges Lachen, das ihren ganzen Körper erzittern ließ. Manchmal konnte sie ninja-mäßig sein und dann überraschte sie mich wieder und wurde zum Teddybär.

Genau wie bei Bonds M kannte ich weder Ellens Nachnamen, noch wusste ich, ob sie verheiratet war oder Kinder hatte und auch nicht, wo sie wohnte. Sie war ungefähr sechzig Jahre alt und so perfekt gestylt wie ein Vogue Model. Sie war eine lebendige Chanel Werbeanzeige und keines der blonden Haare auf ihrem Kopf war jemals nicht an seinem Platz. Ich konnte mit vom Wind zerzausten Haaren in ihr Büro im 101. Stock kommen, aber sie sah immer makellos aus. Sie sagte einmal, das sei mein Charme im Vergleich zu den anderen Mädels. Für die sprach das schmale Model-Aussehen, das perfekt war für Zielpersonen, die auf diesen Typ standen. Sie nahm mich für alles andere und ich hatte nie zu wenig zu tun. Ich schätzte, auch arrogante Arschloch-Milliardäre mögen den sexy Lehrerinnentyp. Oder sie vertrauen ihnen mehr.

Ellens Assistentin brachte zwei Tassen Kaffee herein und stellte sie auf den Glastisch zwischen Ellen und mir. Es gab viel Glas in ihrem Büro. Der Tisch, der Schreibtisch, ein großer Spiegel über einem niedrigen Sideboard. Auch die gesamte Länge einer Wand bestand aus Fenstern. Das Gebäude hatte einen Ausblick auf die Bucht und heute sprenkelten Segelboote das klare blaue Wasser. Keine Wolke war am Himmel. Es war ein perfekter Sommermorgen. Später würde die Autobahn vom Verkehr verstopft sein, wenn alle aus der Stadt hinaus wollten, um ein Wochenende bei schönem Wetter auswärts zu verbringen. Aber ich nicht. Ich würde arbeiten.

Die Assistentin ging so leise, wie sie gekommen war, und schloss die Tür. Die Dateien waren endlich fertig geladen und ich öffnete sie nacheinander. Das erste Dokument war eine Auflistung seiner Geschäftsbeteiligungen sowie seiner Partner und detaillierte, wie er mit nur dreiunddreißig Jahren Gründer und Vorstandsvorsitzender der RK Financial Group geworden war. Das nächste Dokument behandelte sein Privatleben: Geburtstag, bekannte Adressen, die Namen seiner Eltern, Schulen und Ex Freundinnen. Dann öffnete ich das nächste Dokument. Es enthielt verschiedene Nahaufnahmen der Zielperson. Ich wusste wer er war. Ich hatte ihn schon mal in den Nachrichten gesehen.

Reece Kavanagh war großartig. Kohlschwarzes Haar, gebräunte Haut, deren Perfektion durch keinen Makel getrübt wurde, und ein kräftiger Knochenbau. Die Nase war gerade, das Kinn kräftig. Sein Mund verzog sich entweder einseitig zu einem ironischen Lächeln oder senkte sich zu einem intensiven finsteren Ausdruck je nach Aufnahmewinkel des Fotos. Es waren jedoch seine Augen, die mich gefangen nahmen. Die Augen verrieten einen Mann immer und Reece Kavanaghs waren blassblau und standen im Kontrast zu seinem warmen Hautton und seinem spitzbübischen Mund. Sie erinnerten mich an einen gefrorenen See im Winter: kalt, tief und gefährlich.

Ein kleiner Schauer lief mir die Wirbelsäule hinunter und ich wünschte, ich hätte etwas wärmeres an, als mein gelbes, ausgestelltes Kleid.

„Er macht dich nervös“, sagte Ellen. Es war keine Frage. Sie hatte meine Reaktion gesehen. Ellen sah alles.

„Ich bin noch nicht sicher“, sagte ich mit einem lässigen Achselzucken. Niemand konnte nur anhand von Fotos beurteilen, wie ein Mensch war. Es war nicht seine Schuld, dass seine Augen himmelblau waren. Er könnte sehr freundlich sein.

„Nach allem, was man hört, ist er ein Mistkerl“, sagte Ellen. So viel zu meiner Theorie. „Manche sagen sogar, er sei grausam, dafür habe ich aber keinen Beweis gefunden.“

Ich schluckte heftig. „Weißt du, warum er so kaltherzig ist?“

„Abwesende Eltern, die seine Erziehung vermasselt haben. Kein Zweifel, dass er ihnen immer noch die Schuld für alle seine früheren, aktuellen und zukünftigen Probleme gibt.“ Sie schüttelte den Kopf, als hätte sie das alles schon mal gehört. Ellen glaubte nicht daran, dass Leute durch die Fehler ihrer Eltern versaut wurden. Ihrer Meinung nach wurden aus Kindern Erwachsene und Erwachsene mussten die Verantwortung für ihre eigenen Probleme übernehmen. Natürlich hatten ihre Eltern sie möglicherweise missbraucht oder einfach nicht geliebt, aber darüber mussten sie endlich hinwegkommen.

Das hatte sie mir einmal gesagt. Deshalb glaubte ich, dass sie tatsächlich Kinder hatte, sie ihr aber die Schuld für ihre wie auch immer gearteten eigenen Probleme gaben. Meine Eltern waren vor sieben Jahren bei einem Autounfall gestorben. Ich vermisste sie noch immer.

„Hat dein Klient behauptet, dass Reece grausam ist?“, fragte ich und starrte auf den Bildschirm. Ich konnte nicht weggesehen. In dem Gesicht lag eine Selbstsicherheit, die wahrscheinlich im wirklichen Leben in Richtung Arroganz kippte. Das war das Problem mit gut aussehenden reichen Männern. Sie dachten alle, sie seien Gottes Geschenk an die Frauenwelt. Ich schätzte, ich würde es nicht sicher wissen, bis ich ihn kennen lernte.

„Nicht mein Klient.“ Ellen klapperte mit ihren manikürten Fingernägeln auf ihrer Kaffeetasse. Die blutrote Farbe stand im krassen Gegensatz zu dem Weiß des Porzellans und das Klick-Klack hatte ein zügiges Tempo. „Seine Rivalen, einige Ex Freundinnen, Bekannte ... alle, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass er gerne die Distanz wahrt.“

„Was ist mit Freunden? Hat er welche?“

„Sehr wenige.“

„Hier steht, er ist der älteste von fünf Söhnen der Familie Kavanagh. Sie leben noch in Serendipity Bend“, sagte ich und sprach damit Roxburgs exklusivsten Vorort an. „Steht er ihnen nahe?“

„Die Familie ist in ihren eigenen Angelegenheiten sehr verschwiegen.“ Sie klang verärgert wegen des seltenen Misserfolgs bei der Informationssammlung.

Ich klickte rüber zu der Seite mit der Liste seiner früheren Freundinnen. Sie war lang. Ich erkannte drei Models, mindestens vier Stars und ein paar, deren Beschäftigung man wohl nur als 'Promi' bezeichnen konnte. Reeces Trophäensammlung war beeindruckend. Ich fragte mich, welche von denen ihn als grausam beschrieben hatte und was das bedeutete.

Ich rief wieder die Fotos von Reece auf. „So attraktive Männer sieht man nicht oft in einflussreichen Positionen. Normalerweise sind sie alt, glatzköpfig und fett.“

„Und verheiratet“, ergänzte Ellen. Sie klapperte weiter auf ihrer Kaffeetasse. Es war nervig, aber das hätte ich ihr nie gesagt. Ich wollte meinen Job behalten. Plötzlich hörte sie auf und schenkte mir ein schiefes Lächeln.

„Du wärst überrascht. Ich kenne verschiedene Milliardäre, die genauso reich und einflussreich sind wie Kavanagh - und genauso gut aussehend und verfügbar.“

„Warum sind sie nicht vom Markt?“

„Mit dem Job verheiratet, oder der Macht, oder sie haben Probleme mit einem großen P.“ Sie bedachte mich mit einem ihrer seltenen Lächeln.

Ich lächelte zurück. „Hat nicht jeder Probleme?“

Ihr Lächeln verschwand und sie betrachtete eingehend den Kaffee. „Einige mehr als andere.“ Sie nippte und starrte wieder auf Reece.

Dann schloss ich den Laptop. Diese Augen gingen mir an die Nieren. „Wann lerne ich ihn kennen?“

„Heute Abend.“

Verdammt. Es musste heute Abend sein, oder? Ich ging nie aus, ging nie irgendwohin außer zur Arbeit und in den Supermarkt. Und dieses eine Mal, wo ich doch mal irgendwohin musste, kollidierte es mit Ellens Plänen. Und Ellen mochte keine Komplikationen. Sie hatte es gern, wenn es nach ihr ging. Mädchen waren schon wegen mangelndem Einsatz 'entlassen' worden, weil sie ihr echtes Leben über die Arbeit gestellt hatten. Ellen wusste zwar von Becky, sie wusste aber nicht, wie wichtig die Ausstellung heute Abend für meine kleine Schwester war. Und für mich.

Beckys Genesung war langwierig und beschwerlich gewesen, aber sobald sie die Entwarnung bekommen hatte, wurde sie lustlos und gelangweilt. Sie sah keinen Sinn darin, wieder in die Schule zu gehen. Sie hatte fast ihr Leben verloren und wollte keine wertvolle Zeit eingesperrt in einem Raum mit Kids, die jünger waren als sie, verschwenden. Sie hatte ihr komplettes Abschlussjahr versäumt und zurückzugehen bedeutete, den Abschluss mit Leuten zu machen, die nicht in ihrem Alter waren. Obwohl mir bei dem Gedanken, dass sie die Schule nicht abschloss, schauderte, konnte ich sie nicht zwingen. Ich konnte einfach nicht. Sie hatte recht. Das Leben sollte gelebt werden und man konnte einem Krebs-Überlebenden unmöglich etwas anderes erzählen. Als sie so krank war, dass ich bei jedem mühsamen Atemzug dachte, es wäre der Letzte, schwor ich, dafür zu sorgen, dass sie ein erfülltes und glückliches Leben führte, wenn sie überlebte. Jetzt, wo sie wieder gesund war, würde ich nicht kneifen.

Das war leicht gesagt, aber herauszufinden, was ein Teenager tun will, war etwas ganz anderes. Wir konnten es uns nicht leisten, zu reisen. Da machten uns die Behandlungskosten einen Strich durch die Rechnung. Aber dank Ellen hatten wir so viel Geld, dass sie zur Kunsthochschule gehen konnte. Becky hatte schon immer eine Begabung fürs Zeichnen gehabt und es schien ihr den Frieden zu geben, den sie suchte. Ihre erste Ausstellung gemeinsam mit anderen Studenten sollte heute Abend in einer Galerie, die von einer Freundin ihrer Dozentin betrieben wurde, stattfinden.

Und ich würde sie verpassen.

„Ist heute Abend ein Problem?“, fragte Ellen und ihre lebhaften blauen Augen löcherten mich über den Rand ihrer Tasse hinweg. Verdammt noch mal, sie wusste es. Wie machte sie das? Ich war sicher, dass ich keine Enttäuschung gezeigt hatte, aber sie empfing trotzdem die Schwingung von mir.

Ich dachte darüber nach, ihr die Wahrheit zu sagen, entschied mich aber dagegen. Für den Augenblick. Trotz Ellens früherer Freundlichkeit, war die Eisigkeit ihres Blicks mir eine Warnung, nicht abzulehnen.

„Natürlich nicht.“ Ich lachte. „Wo gehe ich schon hin? Es ist nur, dass ich dachte, ich sollte Reeces Assistentin sein.“ So lief das normalerweise mit mir und meinen Zielpersonen. Ellen ließ die normale Assistentin verschwinden und ich nahm ganz flirtende Effizienz ihren Platz ein und machte mich unentbehrlich. „Sollte ich nicht am Montag anfangen?“

„Ich will dass du das Fundament heute bei einem Gala Event, dass er besuchen wird, legst. Ich habe eine Einladung ergattert. Das ist die perfekte Gelegenheit, Kontakt aufzunehmen und ihn wissen zu lassen, dass du verfügbar bist.“ Die Art, wie sie die Stimme bei 'verfügbar' senkte, ließ mich nach Anzeichen einer Stichelei suchen. Nicht, dass es ihre Art war, solche Zweideutigkeiten amüsant zu finden, aber ich erforschte trotzdem ihr Gesicht. Nichts, rein geschäftlich.

Sie stand auf und stelzte mit ihren langen Beinen wie ein Storch durch den Raum zu ihrem Schreibtisch. „Hier ist irgendwo eine Einladung.“

„Um wie viel Uhr fängt die Gala an?“, fragte ich hoffnungsvoll. Vielleicht konnte ich für eine Stunde zu Beckys Ausstellung gehen und mich dann auf den Weg dahin machen, wo Reece Kavanagh sich aufhalten würde.

Sie pickte eine schwarz-silberne Einladung heraus und schlug sie auf. Sie kam mir bekannt vor. Mein Herz schlug höher und sank dann so schnell wieder, dass mir schlecht wurde.

„Verzeihung, es ist keine Gala“, sagte sie. „Es ist eine kleine Kunstausstellung von einer Gruppe von Studenten.“ Sie gab mir die Einladung.

Ich brauchte sie nicht anzusehen, um Zeit und Ort der Veranstaltung zu erfahren, sondern ich sah weg. Es war Beckys Ausstellung. Mich überkam eine Art betäubende Verschwommenheit, als ich versuchte, dieses zufällige Zusammentreffen der Umstände zu verdauen. War es gut, dass ich gleichzeitig eine gute Schwester und eine Fallenstellerin sein konnte? Oder war es eine schlechte Idee, meine Arbeit in meine Privatsphäre eindringen zu lassen? Ich konnte das durch die Umnebelung nicht zu Ende denken und eine Antwort darauf finden.

Ich verstaute die Einladung in meiner Tasche und schob den Laptop mit hinein. In jedem Fall war ich vom Haken. Ellen wäre kein bisschen klüger. „Ich frage mich, warum er zu so einer unauffälligen Veranstaltung geht? Hat er einen Freund, der ausstellt?“

Ellen schnaubte. Schnaubte! Das war so untypisch, dass ich lachte, es aber schnell hinunterschluckte, als sie mich anfunkelte. „Seine Freunde und Familie sind keine künstlerischen Typen. Nein, es gibt einen naheliegenden Grund, warum er teilnimmt. Der Grund, aus dem wir  mit dem Job beauftragt wurden.“

„Oh?“

„Er hat die Räumlichkeiten, wo sich die Kunstschule befindet, gekauft.“

„Hat er?“ Ich wusste noch nicht einmal, dass das Gebäude verkauft worden war. „Also checkt er seinen neuen Mieter ab. Das klingt unschuldig genug.“

Sie verschränkte die Arme. „Nein, er geht heute Abend hin, um den Widerstand abzuchecken und die Entschlossenheit der Leute, mit denen er es zu tun bekommt, auszuloten.

Mir dröhnte der Puls in den Ohren. Ich hatte ein schlechtes Gefühl. „Zu tun bekommen? Was meinst du damit?“

„Er will die Schule schließen und das Gebäude abreißen, um Platz für ein Hotel zu schaffen.“