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Kapitel 5

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Ich arbeitete in dieser und der darauffolgenden Woche jeden Abend lang und nahm auch an den Wochenenden Arbeit mit nach Hause. Becky beschwerte sich, dass sie mich kaum noch sah, aber ich sagte ihr, dass ich einen guten Eindruck machen musste.

„Ist dein Boss nett?“, fragte sie eines Abends, als ich mir das Hühnchen mit Reis, das sie zuvor gekocht hatte, aufwärmte.

„Er ist o. k.“

„Wie heißt die Firma noch mal? Ich glaube, du hast es mir nicht erzählt.“

„Es ist ein Finanzunternehmen. Sie kaufen und verkaufen Grundstücke, Aktien, Unternehmen und solche Sachen.“

„Klingt langweilig.“

Ich lachte und war erleichtert, weil sie nicht bemerkt hatte, dass ich nicht direkt geantwortet hatte. „Es ist eigentlich ziemlich interessant.“

„Ich bin froh, dass es dir gefällt, Cleo. Ich würde es nicht gern sehen, wenn du so hart an etwas arbeiten müsstest, das du hasst.“ Die Mikrowelle piepte und sie nahm den Teller heraus, ließ ihn aber nicht los, als ich danach griff. Sie musterte eingehend mein Gesicht. „Du würdest doch nicht in einem Job bleiben, den du hasst, nur wegen des Geldes, oder? Du würdest mir doch sagen, wenn wir finanzielle Probleme hätten.“

„Natürlich.“

Sie ließ los und ich setzte mich auf einen Barhocker am Tresen. „Ich mag den Job.“ Zumindest das war keine Lüge. „Man lässt mir jede Menge Freiraum, ihn mit Leben zu füllen.“ Reece hatte mich weitestgehend mir selbst überlassen, wofür ich dankbar war. Es bedeutete, dass ich herumschnüffeln und so viel wie möglich über das Serendipity Bend Projekt herausfinden konnte. Bisher hatte ich sehr wenig erfahren. Er hatte vorläufige Pläne für ein Boutique Hotel auf dem Grundstück ausarbeiten lassen und ein Bauunternehmer stand zum Baubeginn bereit, sobald die Pläne genehmigt waren.

Soweit ich sehen konnte, gab es nichts Betrügerisches daran. Kein schnelles Durchwinken der Pläne, was normalerweise auf eine geheime Zahlung an das Bauamt hindeutete. Und der Verkauf war sauber. Er hatte Cassies Bruder eine Menge Geld für das Haus bezahlt, so dass ich noch nicht einmal behaupten konnte, Reece hätte ihn zum Verkauf gezwungen.

Was ich allerdings seltsam fand, war, dass es direkt neben dem Haus seiner Eltern, wo er aufgewachsen war, lag. Obwohl ihr Anwesen so groß war, dass kein Neubau ihr Haus und die unmittelbare Umgebung in den Schatten stellen konnte, würde es die Wohngegend verschlechtern. Der alte Geldadel, der in The Bend wohnte, würde keinen modernen Schandfleck in seiner Mitte haben wollen.

Eines Tages würde ich ihn fragen, was seine Familie davon hielt, aber jetzt noch nicht. Soweit es ihn anging, wusste ich nicht, wo er  groß geworden war.

„Wie geht es Cassie?“, fragte ich. „Hat sie schon Fortschritte damit gemacht, Reece Kavanaghs Pläne zu stoppen?“

Mit einem kühlen Glas Wasser in der Hand stützte Becky ihre Ellenbogen auf den Küchentresen. „Nein. Er ruft sie nicht zurück.“

Ich runzelte die Stirn. Ich hatte keine Anrufe von Cassie durchgestellt. Sie musste auf seinem Handy oder einer anderen privaten Nummer angerufen haben. Sie hatte zugegeben, dass sie sich kannten, und anscheinend waren sie als Nachbarn aufgewachsen, deshalb war es keine Überraschung, dass sie ihn nicht über das Büro kontaktierte.

„Ich verstehe ihn nicht“, sagte Becky mit einem Kopfschütteln. „Cassie hat gesagt, dass er früher nicht so ein Arschloch war, aber sich verändert hat.“

„Warum hat er sich verändert?“

„Hat sie nicht gesagt, aber ich glaube, dass sie es weiß.“

„Geheimnisse“, murmelte ich und nahm etwas Reis auf die Gabel. „Jeder hat welche.“

***

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Sie haben schwer gearbeitet“, sagte Reece an meinem dritten Donnerstagvormittag bei RK. Er setzte sich auf die Ecke meines Schreibtischs und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte seine Krawatte und sein Sakko abgelegt und die Ärmel bis zum Ellbogen aufgekrempelt. Alle seine Meetings des Tages waren erledigt und sein Kalender war für den restlichen Nachmittag frei, wie jeden Donnerstag. Als ich begonnen hatte, hatte er klargestellt, dass nichts für Donnerstag nach ein Uhr eingeplant werden sollte. „Sie verdienen eine Pause.“

Ich beobachtete ihn vorsichtig. Er schien zu fröhlich. „Sie werden mich doch wohl nicht an einer  Paint-Ball Firmenrunde teilnehmen lassen, oder?“

Er lachte. „Nein, aber das werde ich mir merken.“

Ich lachte auch. Reece schien sich in den letzten paar Tagen ein wenig entspannt zu haben. Am Morgen, nachdem wir den Betrug entdeckt hatten, hatte er Austin rausgeworfen und mehr als eine Woche lang über die Sache gebrütet. Er war von dem Betrug tief getroffen und ich bemerkte, wie er von dem Moment an seine ganze Belegschaft anders behandelte. Er scherzte nicht mehr mit ihnen und fragte nicht mehr nach ihren Familien. Er hielt alle auf Distanz.

Außer mich.

Je mehr er sie wegschob, desto näher holte er mich. Er fragte mich nach Becky, aber ich erzählte ihm so wenig wie möglich. Ich behielt ihre gesundheitlichen Probleme für mich. Er fragte mich nie nach meinen Eltern und ich erwähnte sie nicht. Ich wollte unbedingt mehr über seine Vergangenheit erfahren, aber ich wollte nicht zu interessiert wirken. Er sprach ein paar Mal liebevoll über seine Brüder, aber das Thema Eltern kam nie auf. Soweit ich das beurteilen konnte, besuchte er sie nicht und es kamen keine Anrufe von ihnen für ihn. Natürlich hatte seine Familie wohl seine Privatnummern, aber sein Schweigen in der Sache faszinierte mich dennoch. Er mochte seine Dates in der Öffentlichkeit zur Schau stellen, aber alles andere behielt er strikt für sich, so auch, was er donnerstagnachmittags tat.

Wir unterhielten uns aber über Politik und Wirtschaft, Bücher und Filme, aktuelles Geschehen und Geschichte. Unsere Unterhaltungen reichten von tiefschürfend bis albern. Wir arbeiteten lange, manchmal am selben Schreibtisch und am selben Monitor. Seine Wirtschafts- und Finanzkenntnisse waren beeindruckend und ich fühlte mich überfordert, aber er zeigte mir Schritt für Schritt, wie er zu seinen Schlussfolgerungen gekommen war. Langsam übernahm ich mehr von dem internen Alltagsgeschäft des Unternehmens, um seine Zeit für das, was er am besten tat, freizuschaufeln: Geld für seine Stakeholder zu verdienen.

Ich war noch nie so sehr einer Wellenlänge mit meinen Chefs gewesen. Mit keinem einzigen. Es war eine perfekte Partnerschaft. Darum machte es mir eine höllische Angst.

Was würde er tun, wenn er herausfand, dass ich ihn belog?

Aber ich durfte nicht so denken. Keiner meiner früheren Bosse hatte jemals von den Betrug erfahren und es war unwahrscheinlich, dass Reece es tun würde. Sobald ich etwas gefunden hatte, das seine Serendipity Pläne durchkreuzen konnte, würde ich es an Ellen weitergeben, den Arbeitsvertrag mit der Begründung, dass es Zeit für etwas Neues sei, beenden und still und leise die Anstellung bei ihm verlassen.

In der Zwischenzeit musste ich meinen Verstand beieinander und meine Hormone unter Kontrolle halten. Das Erste gelang mir ganz gut, aber nicht das Letztere. Meine Hormone gerieten jedes Mal, wenn er mich streifte, in Aufruhr. Er sprach nie wieder davon, mit mir zu schlafen, aber ich hatte den Eindruck, er hatte sein Versprechen, dass er immer mit seinen Assistentinnen schlief, nicht vergessen. Es war in seinen Augen, wenn er mich ansah, und es war definitiv jedes Mal, wenn wir uns versehentlich berührten, vorhanden. Es war nur eine Hand hier oder ein Arm dort, aber der Kontakt ließ jedes Mal mein Herz schneller schlagen und mein Blut in Wallung geraten.

„Was für eine Art von Pause haben sie sich vorgestellt?“, fragte ich. Vielleicht würde er mich einladen, mitzukommen, wo immer er auch donnerstagnachmittags hingehen.

„Ich wurde von dem Vorstandsvorsitzenden von einer Firma, in der ich investiert bin, zu einer Party zur Produkteinführung eingeladen. Sie bringen eine neue Version von ihrem Telefon auf den Markt.“

Ich lehnte mich zurück und blinzelte ihn an. „Sie wollen, dass ich ihr Date bin“, sagte ich platt.

Er zuckte die Achseln. „Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich bitte Sie, mich zu begleiten.“

„Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nicht mit Ihnen schlafen werde.“

„Ich mache beim ersten Date nie mehr als den ersten Schritt“, sagte er mit blitzenden Augen.

Ja, sicher. Als ob ich darauf hereinfallen würde. Außerdem wusste ich über die Einführung des Telefons Bescheid. Ich hatte sogar die Einladung gesehen, als sie über meinen Tisch ging. Die Medien würden da sein und Klatschreporter würden die hochkarätigen Geschäftsleute beobachten. Jeder könnte mich an Reeces Arm sehen und schlussfolgern, dass ich seine neueste Bettgeschichte war. Nein danke. Dafür war ich nicht eingestellt und es war sicher keine gute Idee, was Becky betraf. Sie würde mich hassen, wenn sie es herausfand.

„Mit Ihnen auszugehen, ist nicht meine Vorstellung von einer Pause“, log ich. Ein ruhiges Date ohne Aufmerksamkeit klang wunderbar, aber das sagte ich ihm nicht. „Anders als Sie, vermische ich nie Arbeit mit Vergnügen.“

Er zog die Lippen zusammen und starrte hinab auf meinen Schreibtisch. Nach einem kurzen Augenblick blies er den Atem aus und stand auf. „Bringen Sie mich nicht dazu, Sie zu feuern“, sagte er langsam, als er in sein Büro ging. „Sie sind zu gut, um sie zu verlieren.“

Ich starrte seine geschlossene Tür an. Ich wusste nicht genau, was ich mit dem Kommentar anfangen sollte. Ich wusste nur, dass es mir gefiel, wenn er auf meinem Schreibtisch saß und mit mir flirtete und mich einlud. Es gefiel mir sehr. Wenn die Umstände andere wären ...

Nein. Vergiss solche Gedanken. Die Umstände waren nicht anders. Es hatte keinen Sinn, mich nach etwas zu sehnen, dass ich nicht haben konnte. Typen wie Reece Kavanagh brachen Herzen. Sie wollten nichts langfristiges, nur was kurzfristiges. Der Beweis dafür war das Dokument mit der Liste seiner Ex-Freundinnen, das Ellen mir gegeben hatte. Seine vielen, vielen Ex-Freundinnen. Oder vielmehr Dates. Freundin implizierte, dass ihm etwas an ihnen lag. Ich bezweifelte, dass Reece etwas an den Allys dieser Welt lag. Seine nonchalante Zurückweisung, nachdem er sie in dem Abstellraum gevögelt hatte, bewies das. Auf keinen Fall würde ich ihn mir das antun lassen. Im Grunde war ich nicht anders als Ally. Ich wollte keinen Mann wie Reece in mein Bett haben, nur um ihn zu verlieren, nachdem ich mich heftig verliebt hatte.

***

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Ich aß wie so oft Mittagessen an meinem Schreibtisch. Ich war gerade fast mit meinem Sandwich fertig, als er mit der Aktentasche in der Hand vorbeiging.

„Bis morgen, Cleo. Arbeiten Sie nicht so lange. Sogar Sie brauchen manchmal eine Pause.“

„Haben Sie heute Nachmittag irgendwelche Pläne?“, fragte ich unschuldig.

„Das wissen Sie doch.“

Ich sah zu, wie er in den Aufzug stieg und die Türen zuglitten. Sobald sie fest geschlossen waren, sprang ich auf und nahm meine Tasche. Ich lief ihm hinterher und drückte auf den Knopf, bis der zweite Aufzug kam. Ich klopfte mit dem Fuß auf den Boden und erntete komische Blicke von allen, als ich nach unten ins Erdgeschoss fuhr. Zum Glück war gerade ein Taxi vorgefahren, um jemanden aussteigen zu lassen. Ich kletterte hinein, nahm meine Tasche auf den Schoß und spähte durch die Windschutzscheibe.

„Warten Sie“, sagte ich zu dem Fahrer. Das Tor der Tiefgarage ging auf und Reeces schnittiger, schwarzer Jaguar fuhr heraus. „Folgen Sie dem Wagen.“

Der Fahrer trat aufs Gaspedal. Wir schlängelten uns durch den Stadtverkehr und behielten den sportlichen Jaguar direkt vor uns. Sobald wir auf die Autobahn kamen, hatte der Fahrer Schwierigkeiten, mitzuhalten. Reece überschritt zwar nicht die Geschwindigkeitsbegrenzung, aber fädelte sich so zwischen den Autos hindurch, als würde er Super Mario Brothers spielen.

Wir fuhren dreißig Minuten, dann bogen wir in eine kleinere Straße ein, dann in eine noch kleinere. Hier war wenig Verkehr und ich machte mir Sorgen, dass Reece uns leicht entdecken konnte, aber er wurde nicht langsamer. Die Straße verengte sich auf eine einzige Spur mit ungepflegten Kanten und überhängenden Zweigen, die seinen Jaguar peitschten. Schließlich kamen wir um eine Kurve und ich konnte ihn vor uns langsamer werden sehen. Zwei andere Autos, die beide Surfbretter auf dem Dach befestigt hatten, parkten in der Nähe. Ich wies den Fahrer an, anzuhalten.

„Warten Sie auf mich“, sagte ich und öffnete die Tür. „Ich bin in ein paar Minuten wieder da.“

Ich ging den Rest der Strecke zu Fuß und hielt mich im Schatten. Meine Absätze versanken in dem sandigen Boden und ich zog wegen der warmen, salzigen Brise meine kurze Jacke aus. Wellen brachen sich an den Felsen in der Ferne, aber es war kein Strand, den ich erkannte. Wo immer wir waren, es kamen wenige Leute her.

Hinter einem Busch versteckt, sah ich zu, wie Reece ein paar Typen begrüßte. Es überraschte mich, dass sie alle ähnlich aussahen. Sie waren groß, gebräunt und sahen besser aus, als die Polizei erlaubte. Es bestand für mich kein Zweifel, dass sie Reeces Brüder waren. Es waren allerdings nur drei, nicht vier, und sie schienen auf niemanden sonst zu warten. Sie holten Neoprenanzüge aus ihren Kofferräumen und zogen sich in der Nähe der Autos aus.

Wow. Möglicherweise fielen mir die Augen aus dem Kopf. Ich hatte die perfekte Sicht auf Reeces perfekten Rücken und Arsch. Sogar aus der Entfernung konnte ich die starken, gerippten Muskeln auf seinen Schultern und an seinem Rücken erkennen. Sein Hintern war fest und zum Anbeißen. Das ganze bildete ein sexy, maskulines V. Ich kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen, aber er zog sich schnell den Neoprenanzug hoch bis zur Taille. Dann drehte er sich herum und ich konnte die Vorderseite bewundern.

Sie war so, wie ich es erwartet hatte. Er hatte Bauchmuskeln wie ein Athlet, voller Höhen und Tiefen, und einen Oberkörper wie ein Schwimmer. Ich konnte meinen Blick nicht losreißen. Ich war gefesselt und sehr wahrscheinlich sabberte ich auch.

Plötzlich stellten sich die drei anderen Typen neben ihm auf. Sie hatten alle ihre Neoprenanzüge bis zur Taille geöffnet. Reece wandte sich an sie und sagte etwas. Die anderen drei ignorierten ihn und winkten immer noch mir zugewandt in meine Richtung.

Ich duckte mich hinter den Busch. Sie hat mich gesehen! Verdammt noch mal. Das bedeutete, dass Reece die ganze Zeit gewusst haben musste, dass ich da war. Ich schaute durch die Blätter und sah wie er dem Typ neben ihm in den Arm stieß. Die drei Brüder lachten. Reece nicht. Er ließ sie zurück, wo sie ein Surfbrett von einem der Autos losbanden. Schließlich gesellten sie sich zu ihm und alle vier verschwanden durch das Gestrüpp, hinter dem ich die heranrollenden Wellen der Brandung hören konnte.

Ich wollte ihnen folgen und zusehen, aber ich wusste, das wäre nicht gut für mich. Ich musste dort abhauen und mir eine Ausrede ausdenken, die meine Würde bewahren würde. Aber mir fiel nichts ein. Mein Kopf war leer. Nein, nicht leer. Ich stellte mir immer noch den besten Arsch, den ich jemals gesehen hatte, vor - und den besten Oberkörper, die besten Schultern, den besten Bauch ...

Ich seufzte. Jetzt da ich das Gesamtpaket, was ich die ganze Zeit abgelehnt hatte, gesehen hatte, war ich doppelt froh, dass ich seine Einladung, ihn am kommenden Abend zu begleiten, bereits abgelehnt hatte. Es war absolut unmöglich, dass ich der Wirkung von Reece Kavanagh widerstehen könnte, wenn er mich noch einmal fragte, weil ich einfach nicht mehr wollte.

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Am folgenden Morgen lag eine Einladung zu der Produkteinführungsparty mit meinem Namen auf meiner Tastatur. Ich starrte sie an und überlegte, ob ich sie zerknüllen und verschwinden lassen sollte, bevor Reece sie sah. Aber Reece wusste wahrscheinlich schon, dass sie da war. Er wusste einfach alles.

Seine Tür öffnete sich und er füllte den Türrahmen. Das Lächeln, das er mir schenkte, war die pure Boshaftigkeit. Er nickte in Richtung der Einladung. „Ich hasse es, zu verlieren. Ich dachte, das hätten sie mittlerweile mitbekommen.“

Wenigstens hatte er nicht erwähnt, dass ich ihm zum Strand gefolgt war. Bis jetzt. Ich stellte meine Tasche ab und schaltete den Computer ein. „Sie haben jemanden angerufen und sie per Kurier raus schicken lassen. Das ist hinterhältig.“

„Ich ziehe 'einfallsreich' vor.“ Er kam in meinen Teil des Büros und schien auch diesen mit seiner Präsenz auszufüllen. Er ging an meinem Schreibtisch vorbei und drückte auf das Wandpanel, um die Kitchenette zu enthüllen. „So können Sie teilnehmen, aber nicht mit mir. Sie müssen nicht mit mir gesehen werden, wenn Sie nicht möchten.“

„Warum wollen Sie mich dann überhaupt dort haben?“

„Für später“, murmelte er und sah mich über die Schulter hinweg an. Seine kühlen Augen prüften mein Gesicht.

Ich schluckte.

„Und weil Sie da sein sollten“, sagte er, während er sich einen Kaffee machte. „Dieses neue Telefon ist eine wichtige Entwicklung für eine Firma, in die RK investiert hat. Und Sie sind ein wichtiger Teil von RK.“

Ich befingerte die steife, cremefarbene Karte und fuhr mit dem Fingernagel über die schwarzen Buchstaben. „Was, wenn ich nein sage?“

„Werden Sie nicht“, sagte er.

„Woher wissen Sie das?“

„Weil ich Ihnen die Anweisung gebe, teilzunehmen. Wenn Sie nicht etwas wichtiges anderes zu tun haben, müssen Sie kommen. Außerdem ... “ Er drehte sich mit der Kaffeetasse in der Hand um und lehnte sich gegen die Küchenzeile. „ ... weiß ich, dass Sie kommen wollen.“

Ruhig, Cleo. „Wieso sagen Sie das?“

Sein Blick traf meinen über den Rand seiner Tasse hinweg. Es waren teuflische Augen, allwissend und unergründlich. „Tun Sie nicht so, als wären Sie nicht daran interessiert, mich näher kennen zu lernen. Das gestern war der Beweis.“

Mein Gesicht wurde heiß und ich wollte mich am liebsten unter meinem Schreibtisch verstecken, aber vor diesen Augen konnte man sich nicht verstecken. Sie durchschauten mich und machten mich nackt und wehrlos. „Ich habe gestern so einiges von Ihnen gesehen“, sagte ich unwillig. „Das reicht mir, danke.“

„Wirklich?“, sagte er gedehnt, so als glaubte er kein Wort. „Das werden wir ja noch sehen.“

Ich wendete mich meinem Computer zu und zwang mich selbst, mich nicht mit ihm anzulegen. Es schien immer böse auszugehen, wenn ich mich auf einen verbalen Schlagabtausch mit ihm einließ. Anscheinend hatte der Mann immer das letzte Wort und bekam immer, was er wollte.

„Das waren übrigens meine Brüder“, sagte er und kam herum zur Vorderseite meines Schreibtischs.

„Alle drei?“, fragte ich und heuchelte Unwissenheit.

Er nickte. „Ich habe vier Brüder, aber Blake war nicht da.“ Er sprach so sanft, dass ich meine guten Vorsätze vergaß und zu ihm hoch sah. Er stierte in seine Tasse und ein trauriger Zug spielte um seinen Mund. „Er ist schon eine ganze Weile weg.“

„Sie wissen nicht, wo er ist?“

„Wir haben so eine Vorstellung. Es ist unmöglich, sich ewig vor den Kavanaghs zu verstecken. Aber er kommuniziert nie mit uns.“

„Warum?“

„Ist eine lange Geschichte.“

„Ich habe Zeit.“

Seine Wimpern flatterten und schlossen sich. Als sie sich wieder öffneten, war der stählerne Ausdruck zurück in seinen Augen. Jede Spur von Verletzlichkeit war wie weggewischt. „Nein, haben Sie nicht. Wir haben Arbeit. Ich will die Sache mit dem Serendipity Bend Projekt vorantreiben.“

Einfach so schloss er mich aus. Das kleine Fenster zu seiner Seele war so schnell wieder geschlossen, wie es sich geöffnet hatte, und er war wieder ganz geschäftlich. Ich wollte ihn noch mehr zu seinen Brüdern fragen, nicht zu Blake, sondern den anderen drei. Sie schienen Spitzbuben und so ganz anders als Reece zu sein. Es war schwer vorstellbar, dass sie verwandt waren. Ich fragte mich, ob ich sie jemals kennenlernen würde.

Das feste Klicken vom Schließen seiner Tür riss mich aus diesen Gedanken. Ich wollte Reeces Familie nicht kennen lernen. Ich wollte dem Mann nicht nahe kommen. Es war mir lieber, wenn seine spitzbübische Surferseite versteckt blieb. Sie gefiel mir zu verdammt gut.