„Du siehst fantastisch aus“, sagte Becky, als ich mich um mich selbst drehte, um mein Outfit vorzuführen. Das schwarze Kleid stellte sich aus und enthüllte viel Oberschenkel. Ich musste daran denken, nicht auf der Tanzfläche herumzuwirbeln. Nicht, dass ich erwartete, dass bei einer Produkteinführung getanzt wurde.
„Sind diese Ohrringe o. k.? “, fragte ich und berührte die konservativen goldenen Creolen mit den Diamanten. Dad hatte sie unsere Mutter zum zwanzigsten Hochzeitstag geschenkt. Sie waren der teuerste Schmuck, den Becky und ich besaßen.
„Perfekt.“ Sie setzte sich mit ausgestreckten Beinen auf das Bett, so dass ihr feuchter Nagellack nicht die Tagesdecke beschmutzte. Sie hatte sich entschieden, die Nägel in dem selben Pink wie meine zu lackieren. „Und mir gefällt dein Haar so offen. Es ist eine nette Abwechslung zu den konservativen Frisuren, die du in letzter Zeit trägst.“
Ich betrachtete mich im Spiegel. Meine Haare waren lang geworden. Ich war zu beschäftigt gewesen, um sie schneiden zu lassen, aber mir gefielen die Wellen, die Becky mit dem Lockensstab, mit dem ich nicht umgehen konnte, gezaubert hatte.
„Er wird beeindruckt sein“, sagte sie.
Ich schnappte nach Luft. „Wer?“
„Beruhig dich, Cleo. Ich weiß nicht, in wen du verknallt bist. Ich habe nur angenommen, dass bei der Veranstaltung irgendein Typ ist, den du beeindrucken willst.“
“Oh. Ach so. Nein, niemand. Es werden nur eine Reihe alte, glatzköpfige, fette Geschäftsmänner da sein.“
„Ja, klar. Du würdest dir nicht solche Mühe geben, wenn es nur ein paar AGFs wären.“ Sie kicherte. „Wer immer es auch ist, er wird mit dir schlafen wollen, sobald er dich sieht.“
Ich funkelte sie durch den Spiegel an. „Ich will nicht mit ihm schlafen. Irgendjemandem.“
Sie grinste nur.
Ich sah mich selbst erneut an. Vielleicht sollte ich niedrigere Absätze anziehen und einen Teil vom Make-up entfernen. Und die Locken mussten weg. Eigentlich sollte ich sie hochbinden.
Becky sprang vom Bett und nahm mich bei den Schultern. „Den Gesichtsausdruck kenne ich“, sagte sie zu meinem Spiegelbild. „Verändere ja nichts. Du wirst perfekt dorthin passen. Ich habe diese Veranstaltungen in der Zeitung gesehen und alle Frauen sehen aus wie Filmstars, aber du wirst sie alle übertreffen.“
Ich schnaubte. „Das bezweifle ich.“
„Ich kann nicht glauben, dass du eine Einladung bekommen hast! Du hast so ein Glück. Ich liebe ihre Telefone. Du kannst nicht zufällig ein neues für mich mitnehmen?“
„Ich werde sehen, was ich tun kann, aber ich bin nicht zum Schmarotzen dort.“
„Worum geht es dann?“
„Meine Firma zu repräsentieren, weil mein Boss es nicht schafft.“ Ich hatte Becky alles über die Einführung des Telefons erzählt und war sogar so weit gegangen, ihr zu sagen, dass die Firma, für die ich arbeitete, dort investiert hatte. Ich nannte ihr nicht den Firmennamen und sie fragte nicht danach. Es gab hinter den Kulissen bestimmt ein Dutzend Großinvestoren und es war ja nicht so, dass Becky wüsste, wie man diese Informationen beschaffen konnte. Drinnen waren nur offizielle Kameras erlaubt und sie würden nicht das Publikum sondern nur die Bühne filmen. Da drin wäre ich sicher.
Das Taxi hupte draußen. Ich nahm meine Clutch und küsste Becky auf die Wange. „Warte nicht auf mich.“
„Viel Spaß!“, rief sie, als ich zur Tür hinaus ging. „Schick mir eine SMS, wenn du heute Nacht nicht nach Hause kommst.“
„Becky!“
***
Ich hasste große Festveranstaltungen, wo ich niemanden kannte. Ein Teil von mir hatte sich daran gewöhnt, da ich im Laufe der Zeit von der Arbeit aus zu einigen eingeladen worden war. Aber meine introvertierte Seite wollte sich umdrehen und nach Hause gehen. Ich zwang mich, zu bleiben, und nahm ein Glas Champagner vom Tablett eines vorbeikommenden Kellners. Ich suchte die Menge nach Reece ab, aber ich war sogar mit Absätzen zu klein, um über die Köpfe hinweg zu sehen.
Ich bahnte mir den Weg vorbei an einer Menge AGF Männer, die sich mit Eroberungen und anderen AGFs unterhielten, bis ich endlich den Hinterkopf sah, der mir bekannt vorkam. Eigentlich waren es zwei. Sie steckten in der Nähe eines Vorhangs an der Seite der Bühne die Köpfe zum Gespräch zusammen und sahen sich nicht um, als ich mich näherte. Ich war mir sicher, einer von ihnen war Reece und der andere musste einer seiner Brüder sein. Nicht allzu viele Kerle hatten einen Körperbau wie die Kavanagh Männer.
Ich wollte sie gerade begrüßen, als ich hörte, wie der, der nicht Reece war, sagte: „Wegen gestern.“
Ich hätte mich beinahe direkt umgedreht und wäre weggegangen. Auf keinen Fall, wollte ich dem Mann begegnen, der wusste, dass ich Reece gefolgt war. Es war schon erniedrigend genug gewesen, als es passierte, und ich wollte es nicht noch einmal durchleben.
Aber Reeces Antwort hielt mich davon ab, weg zu gehen. „Die Donnerstage sind fürs Surfen reserviert, nicht den anderen Mist“, knurrte er. „Du hast versprochen, kein Gerede übers Geschäft.“
„Du hast uns keine Wahl gelassen. Du hast von niemandem die Anrufe angenommen und es ist die einzige Gelegenheit, wo wir dich sehen. Wir sind daran gewöhnt, dass du nicht nach Hause kommst, aber nicht an die telefonische Funkstille.“
Also stimmte es, dass Reece nie nach Hause fuhr. Ich positionierte mich so in dem Vorhang, dass ich vor ihren Blicken versteckt war, wenn sie sich umdrehten, aber nah genug, um mitzuhören. Unglücklicherweise konnte ich sie jetzt auch nicht mehr sehen.
„Ich habe eure Anrufe nicht angenommen, weil ihr immer wieder dasselbe sagt“, sagte Reece.
Der Bruder seufzte. „Weil uns die Zeit davon läuft. Du musst jetzt damit aufhören, bevor es aus dem Ruder läuft.“
„Zu spät. Es läuft.“
„Jesus, Reece, tu Cass das nicht an. Das hat sie nicht verdient, nach allem, was sie durchgemacht hat.“
„Es geht nicht um sie.“ Die Schärfe in Reeces Stimme war unüberhörbar. Die meisten Normalsterblichen würden klein beigeben, wenn er so mit ihnen spräche, aber sein Bruder nicht.
„Es trifft sie sehr“, sagte er in dem selben frostigen Ton wie Reece. „Wenn du mal deine Augen aufmachen würdest, würdest du das erkennen.“
„Vergisst du, wie sie Blake behandelt hat?“
„Vergisst du, wie sehr er sie liebt?“
„Geliebt hat. Vergangenheit.“
„Bist du da sicher?“ Es folgte eine bleischwere Stille. Ich stellte mir vor, wie sie sich kampfbereit machten und sich vielleicht mit den gleichen blauen Augen niederstarrten. Schließlich, als ich mir Sorgen machte, dass sie weggegangen waren, sagte der andere Kavanagh: „Wen suchst du?“
„Cleo.“
„Ah. Dein Hündchen.“
Ich wurde sauer. Hündchen? Was zum Teufel? Nur weil ich Reece einmal gefolgt war, machte mich das noch nicht zu einem verdammten Hündchen.
„Lerne ich sie heute Abend kennen?“, fragte der Bruder.
„Vielleicht.“
„Wirst du mit ihr schlafen?“
„Geht dich nichts an.“
Der Bruder lachte in sich hinein. „Empfindlich. Das sieht dir gar nicht ähnlich, wenn es um deine Frauen geht.“
Es folgte eine weitere Pause. Sie dauerte dieses Mal lange. Ich spähte hinter dem Vorhang hervor und sah, dass sie verschwunden waren. Ich verließ mein Versteck und ging in die Mitte des Raums, gerade als jemand mit einem legeren Hemd die Bühne betrat.
„Hier sind Sie“, hörte ich Reeces honigsüße Stimme ganz nah hinter mir sagen. „Ich habe Sie gesucht.“
„Ich war die ganze Zeit hier“, sagte ich, drehte mich aber nicht um. Ich konnte spüren, wie er hinter mir stand, ohne mich zu berühren, aber nah genug, um meine Haut mit einem Prickeln zu überziehen.
„Das Kleid gefällt mir an Ihnen.“
„Danke.“
„Es wird mir noch besser gefallen, wenn Sie es ausziehen.“
Oh Mann. Meine Entschlossenheit bröckelte mit jedem weiteren geflüsterten Wort. Eigentlich konnte ich mich gar nicht daran erinnern, warum ich beschlossen hatte, ihm zu widerstehen. Irgendwas mit Moral und kurzfristigen Arrangements ...
Musik dröhnte aus den Lautsprechern und der Moderator erhielt höflichen Applaus. Ich applaudierte auch, hörte aber kein Wort von der Präsentation. Die nächsten dreißig Minuten waren verschwommen. Ich nahm Reece hinter meinem Rücken wahr und nur Reece. Es war, als wären wir in einer luftdichten Blase unter Wasser. Nur wir beide, sonst niemand.
Endlich war die Präsentation beendet und die Leute begannen wieder, sich zu unterhalten und zu trinken. Der spaßige Teil des Abends begann gerade. Ich drehte mich um und erwischte Reece dabei, wie er auf mich herunter starrte. Sein Gesicht war der Inbegriff von Leidenschaft. Ich glaubte, seinen Atem aussetzen zu hören, aber ich konnte mich auch irren.
„Du bist wunderschön“, raunte er.
Ich wurde rot bis unter die Haarwurzeln. „Das liegt an dem Kleid“, murmelte ich und schwenkte mein leeres Glas herum. „Und meine Schwester hat mir die Haare gemacht.“ Konnte ich noch idiotischer klingen?
Er nahm mir das Glas aus der Hand und tauschte es gegen ein volles, als ein Kellner vorbeikam. Er hielt es mir hin, ließ aber nicht los. Unsere Finger berührten sich. Die Kombination von dem kühlen Glas und seiner warmen Haut verursachten bei mir ein Chaos der Sinne, aber einer Sache war ich mir sicher: ich nahm ihn mit jeder Faser war. Nur ihn. Die restlichen Leute hätten ebenso gut nicht da sein können. Es gab nur uns beide. Wir waren allein und berührten uns. Es reichte bei weitem nicht, um mich zu befriedigen.
„Ich will dich mit nach Hause nehmen, Cleo.“ Er ließ meinen Namen klingen wie das Schimmern des Mondlichts auf dem Wasser, weich und himmlisch und wunderschön.
Ich hätte ihn daran erinnern sollen, dass ich nicht mit ihm schlafen würde, aber mir versagte die Stimme. Mein Mund wollte nicht leugnen, was mein Körper wollte.
„Kavanagh!“, unterbrach der Moderator und klopfte Reece auf die Schulter. „Sie habe ich gesucht.“
Frustration flackerte kurz in Reeces Augen, aber er brachte seinen Gesichtsausdruck schnell unter Kontrolle und wandte sich dem Mann zu, dessen Präsentation ich dank Reece verpasst hatte.
„Davies“, grüßte ihn Reece. „Gut gemacht da oben. Es wird ein weiterer Hit.“
Davies grinste „Ich lasse dir am Montagmorgen ein Dutzend ins Büro schicken.“
„Meine Mitarbeiter werden sich freuen. Cleo bekommt zwei.“ Er zog mich sanft mit einer Hand an meinem Ellbogen in die Unterhaltung. „Cleo Denny ist meine persönliche Assistentin. Cleo, das ist Jarrod Davies.“
Jarrod Davies´ Augen wurden wärmer, als er mich betrachtete. „Erfreut, Sie kennen zu lernen, Cleo. Kavanagh hat Glück.“ Er lehnte sich vor und zwinkerte. „Wenn sie es jemals satt haben, für ihn zu arbeiten, rufen Sie mich an.“
Mein Rücken verspannte sich. Ich sah rote Blitze vor Augen, ein sicheres Zeichen, dass die Wut in mir hochkochte. „Ich bin Mr. Kavanaghs persönliche Assistentin“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Reeces Hand umfasste meinen Ellbogen fester. „Und eine verdammt gute“, sagte er. „Sie hat nicht nur mein Büro neu organisiert, sie hat mir in einer Reihe von Abteilungen Geld gespart. Beleidigen Sie sie nicht, Davies.“ Der bedrohliche Ton, mit dem seine ruhige Stimme durchsetzt war, ließ mich erschaudern. „Ich kann es mir nicht leisten, sie zu verlieren.“
Davies´ Zunge schnellte hervor und leckte seine Unterlippe. Er nickte schnell. „Also, wie hat Ihnen die Präsentation gefallen? Brauchen wir nächstes Mal noch mehr Tamtam? Vielleicht ein paar hübsche Mädchen?“
Ich entschuldigte mich und machte mich auf den Weg zur Toilette. Auf dem Rückweg, wurde mir der Weg von einem Mann, der Reeces Bruder sein musste, abgeschnitten. Ich hatte sein Gesicht noch nicht aus der Nähe gesehen, aber die Ähnlichkeit mit Reece war unübersehbar. Er hatte dieselben starken Gesichtszüge, nur etwas anders ausgeprägt, aber dennoch umwerfend gut aussehend. Seine Augen hatten einen anderen Blauton als die von Reece. Sie waren dunkler, wie ein tiefer Ozean und beängstigend intensiv.
„Sie müssen Cleo sein“, sagte er und streckte die Hand aus. „Ich bin Ash Kavanagh. Reeces Bruder.“
Ich schüttelte ihm die Hand. „Erfreut, Sie kennen zu lernen. Wo stehen Sie in der Hackordnung?“
„Der Dritte, genau in der Mitte. Direkt nach den zwei Herrschsüchtigen und vor den zwei Chaoten.“
„Macht Sie das zum Friedensstifter?“
Er dachte einen Moment darüber nach und nickte dann. „Ich schätze, das beschreibt mich ganz gut. Ich kümmere mich um die Geschäfte der Familie. Darum bin ich heute Abend hier.“
„In welcher Branche ist die Familie tätig?“
„In derselben wie Reece. Kavanagh Corporation hat in verschiedene Dinge groß investiert. Dad hat sich mehr oder weniger zur Ruhe gesetzt, also ist es jetzt an mir, die Geschäfte zu führen.“
Jetzt hatte ich die Chance, mehr über Reece zu erfahren, aber ich musste es tun, bevor er uns entdeckte. Ich hatte den Verdacht, dass es ihm nicht gefallen würde, wenn ich seinen Bruder über ihn ausfragte. „Warum hat er sich selbstständig gemacht und ist nicht in das Familienunternehmen eingetreten?“
„Er ist in den letzten Jahren nicht viel dagewesen. Genauso wenig wie Blake.“ Sein Mund wurde zu einer geraden Linie und Schatten machten sich in seinen Augen breit. Was immer den Brüdern auch passiert war, es hatte sie alle in Mitleidenschaft gezogen. Der Drang, danach zu fragen, nagte an mir, aber ich konnte nicht. Noch nicht. Ich wollte meine einzige Informationsquelle nicht verscheuchen. „Als Nächstältestem, fiel mir das Unternehmen in die Hände. Wir versuchen, meine jüngeren Brüder dazu zu bewegen, mehr Verantwortung zu übernehmen, aber sie sind zu sehr mit Partys beschäftigt. Es gibt zu viele Ablenkungen, wenn man in den Zwanzigern ist.“
Ich lachte. „Sie müssen doch sicher auch noch in den Zwanzigern sein. Wenn Reece der Älteste und nur dreiunddreißig ist, müssen Sie maximal dreißig sein. Es sei denn, sie sind ein Zwilling von Bruder Nummer zwei?“
„Kein Zwilling und Sie haben recht. Ich bin dreißig. Aber den Frieden aufrecht zu erhalten, kann einen Mann vorzeitig altern lassen.“
„Ich weiß, was Sie meinen“, sagte ich. „Ich habe eine Schwester und sie in Schach zu halten, kann manchmal ein ganz schöner Balanceakt sein.“
„Reece sagte, sie wäre jünger als Sie.“
„Er hat mich erwähnt?“
Seine Mundwinkel hoben sich zu einem kleinen Lächeln. „Ein oder zwei Mal.“
Das verschmitzte Lächeln erinnerte mich an etwas. „Ich sollte mich für gestern entschuldigen“, sagte ich widerstrebend. „Ich hatte mich gefragt, wo Reece Donnerstagnachmittags hinging und er wollte es mir nicht sagen. Ich schätze, die Neugier hat mich überwältigt.“
„Er hat ihn nie erzählt, dass er sich mit uns trifft?“ Er wurde blass. „Er kann zurückhaltend sein, aber ich dachte, er hätte Sie informiert. Ich bin froh, dass sie wegen unserem kleinen Spaß nicht böse sind. Ich schiebe die Schuld auf die beiden Chaoten, weil sie mich ermutigt haben, mitzumachen.“
„Ich finde auch, dass es immer funktioniert, den Chaoten die Schuld zu geben. Und natürlich bin ich nicht böse. Mir wurde ein vierfacher schöner Anblick geboten. Was gibt es da, böse zu sein?“
Er lachte. „Kein Wunder, dass Reece Sie mag. Sie haben Humor. Ist eine nette Abwechslung zu seinen anderen ... persönlichen Assistentinnen.“ Er räusperte sich und senkte den Blick.
Ich bemerkte sein Unbehagen kaum. Die Worte 'dass Reece Sie mag' hallten noch in meinem Kopf wider.
Ash blickte über seine Schulter zu den Leuten. „Sie sollten besser zu ihm zurückgehen, sonst kommt er Sie noch suchen.“
„Ich bin nicht sein Hündchen“, sagte ich, bevor ich mich selbst zurückhalten konnte. Verdammt. Ich hätte den Mund halten sollen. Jetzt wusste er, dass ich sie vorher belauscht hatte, was nur bestätigte, dass ich Reece doch hinterher schlich. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass dieser Mann mich für mitleiderregend hielt.
„Sicher. Entschuldigung.“ Er runzelte die Stirn und sein Blick fiel auf die Stelle beim Vorhang, wo er und Reece gestanden hatten. „Es tut mir wirklich leid, Cleo. Jetzt, wo ich sie kennengelernt habe, sehe ich, dass sie keine Schleimerin sind. Sie haben Rückgrat.“
„Danke. Denke ich.“ Er sah immer noch unbehaglich aus und so, als würde es ihm wirklich leidtun. Deshalb lächelte ich, um ihm zu zeigen, dass ich nicht beleidigt war. Mit ihm zu reden hatte jedoch eines bewiesen. Ich mochte ein Rückgrat haben, aber was Reece anging, musste ich es besser einsetzen. Kein Hinterherschleichen mehr.
„Ich habe noch ein anderes Motiv, warum ich mit Ihnen rede“, sagte er und hielt noch einmal über die Schulter nach Reece Ausschau. „Wir möchten, dass Sie versuchen, Reece dazu zu bringen, Cassie und ihr Haus in Frieden zu lassen.“
Aha. Interessant. Ich hatte mich schon kurz gefragt, ob Ash oder die Kavanagh Familie Ellens Klient war, aber wenn das der Fall wäre, wäre Ash jetzt nicht auf mich zugekommen. Er wüsste, dass Ellen die Sache unter Kontrolle hatte.
„Wir?“, wiederholte ich.
„Meine Brüder und ich.“
„Ihre Eltern nicht?“
„Unsere Eltern sind ...“ Er seufzte. „Unsere Eltern halten sich aus unseren Geschäften und unseren Leben heraus. Sie lassen uns unsere eigenen Fehler machen und unseren eigenen Weg nach vorn oder zurück gehen, ohne sich einzumischen. Ich schätze, das hat zu einer interessanten Erziehung führt, aber in Momenten wie diesem, wünschte ich, sie würden sich Reece vornehmen und ihn zurechtweisen.“
„Sie werden ihm nicht sagen, wie sie dazu stehen?“
„Sie sind sicher, dass er am Ende die richtige Entscheidung trifft.“
Das hatte sich etwas kalt und distanziert an. Meine Eltern waren das genaue Gegenteil gewesen. Ich würde nicht sagen, dass sie sich einmischten, sie waren nur interessiert. Da gab es einen Unterschied. Anscheinend hatten Reece und seine Brüder diesen Unterschied nie kennengelernt.
„Und Sie glauben nicht daran, dass er die richtige Entscheidung trifft?“, fragte ich.
Er seufzte auf. „Ich möchte es. Zur Hölle, ich möchte es wirklich. Aber die Zeit läuft davon und ich sehe nicht, dass er zaudert. Er scheint so entschlossen wie eh und je. Vor Jahren konnte man sich darauf verlassen, dass er das Richtige tut. Jetzt nicht mehr.“
Reece war auch kühl und distanziert, genau wie seine Eltern. Das passte, wenn man bedachte, dass er keine warmherzigen, liebenden Vorbilder in seinem Leben hatte.
„Ich weiß nicht, ob es Ihnen bewusst ist“, fuhr er fort, „aber Reece ist es gewöhnt, zu bekommen, was er will. Vielleicht kommt das automatisch, wenn man der Älteste von fünf ist. Er hat uns immer herum kommandiert, hatte immer die Kontrolle. Nur Blake hat ihm die Stirn geboten, als wir jünger waren, weil er damals in der Größe Reece am nächsten kam. Aber Blake ist weg.“ Er atmete aus. „Das ist kurz zusammengefasst genau das Problem.“
„Wie meinen Sie das?“ Ich begann, die Verbindung zwischen Reece, der Abwesenheit seines Bruders Blake und Cassie zu erkennen, aber etwas fehlte. Etwas Wichtiges, von dem ich glaubte, dass es in greifbarer Nähe, aber schwierig zu fassen war. Ich hoffte, Ash würde die Antwort liefern, aber er schüttelte nur den Kopf.
„Es sind seine Dämonen, nicht meine.“
Verdammt. „Ich will Ihnen helfen, Ash, aber wie soll ich ihn Ihrer Meinung nach dazu bringen, seine Meinung zu ändern?“
Er zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Manchmal glaube ich, ich kenne ihn gar nicht mehr. Er kommt nie nach Hause. Er ist seit Jahren nicht da gewesen.“
„Noch nicht einmal, um Ihre Eltern zu besuchen?“
„Nein. Neuerdings erwartet er, dass alle zu ihm kommen. Ich glaube nicht, dass es allein sein Fehler ist. Diese Dämonen, von denen ich gesprochen habe, suchen ihn oft heim und sie wohnen noch in The Bend.“
Es war herzerweichend. Es war fast undenkbar, dass der harte, kalte Reece Kavanagh Dämonen hatte, aber es ergab Sinn. Ich hatte ihn bei Gelegenheit schon verletzlich gesehen und wusste, dass mehr in ihm steckte als das schwer arbeitende Arschloch. Er konnte wirklich fröhlich sein, wenn ihn etwas amüsierte. Dennoch schien er diese Seite von sich verstecken zu wollen. Um es seinen reichen, erfolgreichen und gefühllosen Eltern recht zu machen? Oder aus einem anderen Grund?
Die distanzierte Erziehung warf ein Licht darauf, warum er nie Freundinnen hatte, sondern nur Bettgespielinnen. Offensichtlich versetzte Intimität ihn in Panik. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, wenn jemand echte Zuneigung zeigte und mehr von ihm wollte. Also stieß er sie fort, genau wie er seine Brüder fort stieß.
So lautete meine Theorie und ich dachte, sie wäre logisch. Vielleicht.
„Ich muss weg“, sagte Ash und war weg, bevor ich etwas sagen konnte. Ich brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass er gesehen hatte, wie Reece auf uns zukam. Die Menge teilte sich für ihn wie in der Bibel und er pirschte so arrogant wie ein Alpha-Löwe auf mich zu.
„Was hat mein Bruder gesagt?“, fauchte er.
Ich behauptete meine Stellung. Ich wusste jetzt mehr über den Typen. Zu hören, wie sein Bruder über ihn und ihre Eltern sprach, half mir über den echten Reece durch die Arroganz hindurch zu sehen. Aber es war trotzdem immer noch verdammt schwer, ihm die Stirn zu bieten, wenn er in so einer schlechten Stimmung war.
„Er hat sich entschuldigt, dass er mich gestern bloßgestellt hat“, sagte ich.
Seine Augen verengten sich. „Wenn das alles war, warum dann der eilige Abgang?“
„Vielleicht wollte er nicht mit seinem großen, beängstigenden Bruder sprechen.“
Ich glaubte den Anflug eines Lächelns über seine Lippen streifen zu sehen, aber es war so klein und flüchtig, dass ich mich geirrt haben konnte.
„Ich bin nicht beängstigend“, sagte er.
Er sollte mal in meiner Haut stecken. Vielleicht würde er seine Meinung ändern, wenn er seinen entschlossenen Kiefer und seine starre Körperhaltung sähe.
Sein Mund verzog sich zu einem weiteren Lächeln, aber es lag kein Humor darin. Es war einfach nur raubgierig.
„Aber ich bin groß.“
Schluck. Ja, ich wette, das war er.
Er beugte sich herunter und seine Lippen streiften warm und weich mein Ohr. „Komm mit mir nach Hause, Cleo. Ich will dich ohne das Kleid sehen und die ganze Nacht Liebe mit dir machen.“