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Kapitel 8

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Wir verbrachten den ganzen Samstagmorgen im Bett und wechselten Sex mit Schlafen ab. Zum Brunch bestellten wir Croissants und Kaffee. Ich erfuhr, dass der Portier des Gebäudes Reece auf Abruf zur Verfügung stand. Und ich erfuhr auch, dass es ziemlich cool war, jemanden auf Abruf zur Verfügung zu haben. Ich hatte so eine Art Kater von dem Cocktail aus heißem Sex und emotionaler Überlastung. Reece gab mir das Gefühl, die schönste Frau auf der Welt zu sein. Er bewunderte meinen Körper mit seiner Zunge, seinen Augen und seinem Körper. Er gab mir das Gefühl, lebendig zu sein.

Er hatte es nicht eilig, mich an diesem Tag nach Hause zu schicken, aber am frühen Nachmittag dachte ich, es wäre gut, mich bei Becky zu melden.

„Hi“, sagte ich, als sie das Telefon abnahm. „Alles in Ordnung bei dir?“

„Sicher.“ Das Lächeln in ihrer Stimme war unüberhörbar. „Hast du Spaß?“

„Ja“, sagte ich. Zur Hölle, ja. Vielleicht zu viel. „Vielleicht komme ich erst später nach Hause.“

„Morgen“, murmelte Reece und kuschelte sich von hinten an mich. „Sag ihr, dass du bis morgen nicht nach Hause gehst. Spät.“

„Ist er das?“, fragte Becky. „Wie heißt er?“

„Ich, ähm, muss Schluss machen“, sagte ich schnell. „Ruf mich an, wenn du irgendwas brauchst.“ Ich legte auf, bevor sie irgendwelche komischen Fragen stellen konnte.

Reece rollte mich auf den Bauch und deckte meinen Körper mit seinem zu. Er streckte meine Hände über meinen Kopf und hielt sie mit einer seiner großen Hände fest, aber nicht so fest, dass ich nicht entkommen konnte. Nicht, dass ich das wollte. Ich wollte wissen, was er mit mir machen würde, wollte ihn in mir spüren. Er schob mit der anderen Hand mein Haar zur Seite und liebkoste meinen Hals. Es kitzelte und ich begann, zu kichern, aber das war alles vergessen, als er meine Beine mit seinem Knie auseinanderdrückte. Ich hob meinen Hintern einladend an und er ließ sein großes Teil von hinten in mich hinein gleiten.

Er stöhnte. „Gott, du fühlst dich soooo gut an, Cleo. Ich schlafe so gerne mit dir. Ich bin gerne in dir, fühle gerne, wie du vor Lust zitterst, fühle gerne deine Wärme. Ich liebe es, meinen Namen aus deinem Mund zu hören und deinen Duft zu riechen, wenn du kommst.“

Ich hätte nicht gedacht, dass ein paar gemurmelte Worte mich auf immer höhere Höhen heben konnten, aber ich war so erregt, dass er alles hätte mit mir machen können und es wäre mir egal gewesen.

Aber er nutzte das nicht aus. Er trug mich auf Händen. Er stellte meinen Genuss über seinen und fragte immer, bevor er etwas Neues ausprobierte. Ich fühlte mich wie eine gleichberechtigte Partnerin und hatte immer die Kontrolle über die Situation.

Es ergab keinen Sinn. Ich hatte einen fordernden und beherrschenden Reece Kavanagh im Bett erwartet, weil er außerhalb so war. Aber er war der perfekte Gentleman.

Dadurch fühlte ich mich noch schuldiger.

„Reece“, sagte ich als wir uns wieder erschöpft und befriedigt in den Armen lagen. „Ich kann nicht heute und morgen den ganzen Tag hierbleiben.“

Er stützte seinen Kopf auf die Hand und fuhr mit einer Fingerspitze die Kurve meines Rückens entlang. „Warum nicht?“

„Zum einen habe ich nichts zum Anziehen.“

Er küsste mich auf die Schulter. „Du brauchst nichts zum Anziehen.“

„Und zum anderen habe ich eine Schwester, um die ich mich kümmern muss.“

„Ist sie nicht alt genug, um auf sich selbst aufzupassen?“

„Ja schon, aber sie ist unreif. Ich lasse sie nicht gerne lange allein.“

Er lehnte sich zurück und kam auf meine Augenhöhe. „Warum nicht? Ist alles o. k. mit ihr?“

Ich schluckte heftig. Ich wollte ihm nicht von ihren früheren Gesundheitsproblemen erzählen. Sie mochte zwar geheilt sein, aber sie wurde oft müde und ich machte mir Sorgen um sie. Aber ihm das zu erzählen, würde mich ihm gegenüber noch verletzlicher machen. Im Endeffekt durfte ich ihn nicht zu nahe kommen lassen. Reece Kavanagh war nichts langfristiges. Sex mit ihm konnte ich handhaben, Intimität nicht.

„Natürlich geht es ihr gut“, sagte ich vielleicht ein wenig zu fröhlich. „Warum auch nicht?“

Seine Hand war immer noch auf meinem Rücken. „Ich bring dich nach Hause, wann immer du willst.“

„Ist schon o. k.. Ich nehme ein Taxi.“

„Nein, ich fahre dich.“

„Reece, ich bin schon ein großes Mädchen. Ich kann ein Taxi nehmen.“

Er sagte nichts, kletterte vom Bett und nahm sein Telefon. Es hatte den ganzen Tag geklingelt, aber er hatte es nicht abgenommen.

„Ich meinte nicht jetzt sofort“, sagte ich und setzte mich auf. „Ich kann noch länger bleiben.“

Er nickte, ohne vom Display aufzusehen. „Entschuldige, Cleo, ich sollte lieber ein paar von denen zurückrufen.“ Er tappte barfuß aus dem Schlafzimmer.

Ich seufzte. Verdammt. Ich hatte den Augenblick verdorben und ihn beleidigt, indem ich darauf bestand, ein Taxi zu nehmen. Super gemacht, Cleo.

Ich hörte entfernt seine Stimme, aber ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Die meisten Anrufe klangen nach Arbeit, aber einer erregte meine Aufmerksamkeit. Er begrüßte seinen Bruder, Ash, aber sein Tonfall wurde unwirsch und dann musste er wohl weiter weg gegangen sein, denn ich konnte ihn nicht mehr hören. Mein Instinkt brachte mich auf die Beine, um ihn zu suchen. Ich fand ihn mit seinem breiten, nackten Rücken zur Tür in einem Raum, der anscheinend ein Arbeitszimmer war. Ich blieb in der Nähe der Tür, aber außer Sicht stehen.

„Geht dich verdammt noch mal nichts an“, sagte er ins Telefon. „Ich will nicht darüber reden.“ Er machte eine Pause und hörte zu, dann fügte er hinzu: „Darüber will ich auch nicht reden.“ Wieder Stille, gefolgt von: „Sag Mom und Dad, es geht nicht um sie. Es geht um keinen von euch. Mein Geschäft ist es, Geld für meine Investoren zu machen, und meine Investoren wollen ein Hotel auf dem Grundstück bauen. Die Lage ist perfekt.“ Er hörte wieder zu, dann seufzte er. „Ja, ich weiß“, sagte er als Antwort auf etwas, das Ash gesagt hatte. „Aber sie kann ein neues Studio woanders eröffnen. Ich bin nicht für sie verantwortlich.“ Wieder Stille und dann bekam ich von Reeces Schreien einen Kloß im Hals. „Halt sie verdammt noch mal da raus! Es dreht sich nicht alles um sie. Verstehst du mich? Du denkst, ich tue alles wegen dem, was passiert ist, aber hör mir zu, kleiner Bruder. Manchmal geht es nur ums Geld.“

Er musste aufgelegt haben, denn irgendwas in dem Raum zerbrach. Das Telefon? Ich rannte schnell zurück ins Schlafzimmer und legte mich auf das Bett. Er kam nicht zurück und im nächsten Moment hörte ich im Badezimmer Wasser laufen. Ich sah noch einmal im Arbeitszimmer nach und tatsächlich lag das Telefon zerbrochen auf dem Boden. Ash hatte etwas gesagt, das Reece fuchsteufelswild gemacht hatte. Etwas, das mit einer Frau und einem Vorfall, in den Reece verwickelt war, zu tun hatte. Hatten sie über Cassie gesprochen?

Ich ging ins Schlafzimmer zurück und suchte in seinem Schrank nach einem Morgenmantel. Es war wohl besser, zu gehen, wenn er schlechte Laune hatte, aber ich musste zuerst duschen. Der Schrank war so groß wie mein Schlafzimmer und halb leer. Es war eine Schande, so viel Platz an einen Mann zu verschwenden.

„Hi“, hörte ich Reeces leise Stimme von der Tür hinter mir. Ich drehte mich um und wusste nicht, welche Reaktion mich erwartete, aber es gab keine Anzeichen von seinem früheren Ärger. Er war wieder ganz schiefes Lächeln und Schlafzimmeraugen.

„Ich habe etwas zum Anziehen gesucht “, sagte ich.

„Nimm dir jedes Hemd, das du willst. Später. Jetzt will ich, dass du mitkommst.“ Er nahm mich an die Hand und führte mich ins Badezimmer.

Blütenduft schlug mir entgegen, als wir eintraten. Das Wasser lief noch und mir wurde klar, dass es nicht die Dusche sondern ein Whirlpool war.

„Ich dachte, wir könnten ein Bad nehmen“, sagte er mit den Händen auf meinen Schultern und seiner Brust an meinem Rücken.

Ich legte meinen Kopf zurück, um zu ihm hoch zu sehen. „Woher wusstest du, dass meine Muskeln das brauchen?“

Er küsste mich auf den Mund. „Nur so geraten.“

Der Mann hatte eine unglaubliche Fähigkeit, ein Gefühl abzulegen und es durch ein anderes zu ersetzen. Oder war es eine Maske, kein Ersatz? War er innerlich immer noch sauer auf seinen Bruder, aber entschlossen, es mich nicht merken zulassen?

Oder war entschlossen, zu vergessen?. Das Gespräch zu vergessen, die mysteriöse Frau zu vergessen und was auch immer zwischen ihnen geschehen war?

Wir kletterten hinein und ich lehnte mich zurück gegen seine Brust und meinen Kopf an seine Schulter. Er massierte unter Wasser sanft meine Oberschenkel, machte aber nichts Sexuelles daraus. Ich schloss meine Augen und seufzte.

„Gefällt dir das?“, murmelte er in mein Ohr.

Ich nickte. „Es ist himmlisch. Danke, Reece. Ich hatte Angst, dass ich dich wegen dem Taxi beleidigt habe.“

Ich fühlte wie er die Achseln zuckte. „Du willst noch nicht, dass ich deine Schwester kennen lerne“, sagte er. „Das ist in Ordnung. Ich verstehe das.“

„Du hast sie schon kennengelernt.“

„Nicht als dein ...“

„Boss?“ Offensichtlich hatte er Schwierigkeiten, das, was wir jetzt für einander waren, zu benennen, genau wie ich.

„Boss“, stimmte er zu.

„Wir werden sehen, wohin uns das führt. Es gibt keine Eile. Außerdem scheinst du auch nicht allzu erpicht darauf zu sein, über deine Familie zu sprechen“, wagte ich einen Vorstoß.

„Du hast Ash kennengelernt.“

„Aber nicht, weil du uns einander vorgestellt hast.“

„Das hätte ich aber.“

Ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

„Irgendwann“, gab er zu und sah weg.

„Was ist mit den anderen? Ash hat mir von Blake und den Jüngeren erzählt. Er nannte sie Chaoten.“

Er lächelte. „Das sind sie. Der eine kriegt mit seinem Charme jede Frau ins Bett und der andere ist einfach nur wild. Die beiden im Zaum zu halten ist eine Vollzeitbeschäftigung für unsere Eltern.“

„Das ist das erste Mal, dass du über deine Brüder sprichst“, sagte ich. „Erzähl mir von ihnen.“

Er bewegte seine Hände zu meinen Brüsten, umfasste sie und massierte mit den Daumen über die Brustwarzen bis sie ganz empfindliche, prickelnde Spitzen waren. „Da gibt es nichts zu erzählen.“

Ich hob meine Arme und schlang sie um seinen Hals, um ihn zum weitermachen zu ermutigen. „Was ist mit deinen Eltern?“, flüsterte ich und mein Kopf war schon nicht mehr bei der Unterhaltung. „Du sprichst auch kaum von ihnen.“

„Du willst jetzt über meine Eltern reden?“

„Hmmm, vielleicht später. Du hast offensichtlich das Thema mit deinen magischen Händen erfolgreich vermieden.“

„Magisch, ja?“ Er zwickte beide Brustwarzen und direkt ging ein Ruck durch meine Vagina.

Ich wand mich und stöhnte. „Fass mich da an“, sagte ich und führte seine Hand nach unten.

„Mach du es. Ich will, dass du dich selbst zum Kommen bringst.“

Mein Gesicht und mein Hals wurden heiß. Ich hatte das noch nie vor jemandem gemacht. Ich zog die Hand von meiner Scham weg, aber er fing sie wieder ein.

„Ist schon in Ordnung, Süße. Du brauchst dich nicht zu schämen. Alles, was du tust, ist schön und fantastisch. Das hier auch.“ Er führte meine Hand tiefer und tiefer, bis sie in Position war. „Steck deinen Finger rein.“ Er hielt seine Hand über meine und ich schob den Mittelfinger langsam zwischen meine Schamlippen. „Fühl mal, wie heiß du bist“, murmelte er und seine Stimme floss wie Honig über meine Haut. „Fühl mal, wie magisch deine Hände sind. Jetzt zeig mir, wie du's dir machst.“

Ich hätte nicht gedacht, dass ich es mit einem Zuschauer tun könnte, aber nach wenigen Augenblicken war es mir egal. Ich wollte, dass er mir zusah. Ich massierte und er nahm meine Brüste in die Hände und stimulierte meine Brustwarzen zu herrlich harten, schmerzenden Spitzen. Ich begrüßte freudig die vertraute Hitze, die mich überkam und rief seinen Namen, als meine eigenen Finger mich zum Höhepunkt brachten.

Ich lag in seinen Armen und mein Körper war eine kraftlose Hülle. Verdammt, er war clever. Er hatte es erfolgreich vermieden, über seine Eltern zu reden und ich hatte nichts Neues über seine Familie erfahren.

***

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Wir verbrachten den Rest des Tages und den Großteil des Abends zusammen, aber am späten Samstagabend fuhr ich mit einem Taxi, das er mir gerufen hatte, nach Hause. Er schien sich damit abgefunden zu haben, dass ich noch nicht bereit dazu war, Becky wissen zu lassen, dass wir miteinander schliefen, vielleicht weil er selbst auch noch nicht bereit dazu war, mich seiner Familie vorzustellen. Das machte das Ende dieses wundervollen Wochenendes ein wenig seltsam. Das Festival der Lust hatte einen süßen Unterton, der mich überrascht hatte und mich in Reeces Bann zog. Dennoch war der Abstand zwischen uns so groß wie immer. Es war sehr offensichtlich, dass er mich nicht als Teil seines Lebens außerhalb seines Schlafzimmers und Büros wollte.

Und das war mir recht. Total, vollkommen recht. Ich wollte dem Mann, dessen Projekt ich ruinieren sollte, nicht noch näher kommen. Die kleine Öffnung in meinem Herzen, die sich aufgetan hatte, würde heilen, sobald das alles hier vorbei war und ich eine Chance bekam, weiterzumachen und ihn zu vergessen.

Becky begrüßte mich mit Kichern und Fragen, deren vollständige Beantwortung ich vermeiden konnte. Wir verbrachten den Sonntag zusammen mit Hausarbeit und Herumhängen bis sie etwas malen musste und ich der Arbeit nicht länger fern bleiben konnte. Mir war sehr bewusst, dass es nun, wo ich Reeces Aufmerksamkeit genoss, nicht sehr viel länger dauern würde, bis ich den Job für Ellen erledigt hatte.

So fühlten sich also Fallenstellerinnen, die mit ihrer Zielperson schliefen. Stark, mächtig. Aber wie verschlossen sie ihre Herzen? Wie gingen sie mit der Angst, die einem auf den Magen schlug, und dem schrecklichen Gefühl der Vorahnung um? Sie begleiteten mich den ganzen Sonntag lang. Ich konnte kaum etwas essen und in der Nacht schlief ich schlecht, weil ich an all die Dinge dachte, die schief gehen konnten, und wie sehr ich wünschte, dass sie nicht schief gingen.

Dummes, dummes Mädchen. Ich hatte die eine Sache gemacht, von der ich geschworen hatte, sie nicht zu tun. Ich hatte mich in Reece verliebt.

***

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Die frischen Blumen auf meinen Schreibtisch waren eine schöne Überraschung und ein gutes Zeichen, dass er mich im Büro nicht abweisend behandeln würde. Während mein Computer hochfuhr, klopfte ich an seine Tür und ging hinein. Er begrüßte mich mit dem berüchtigten Kavanagh Lächeln, ganz hinterhältige Sinnlichkeit.

„Hi“, sagte er und kam um seinen Schreibtisch herum. Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände. Seine Daumen strichen mit schmerzlicher Zärtlichkeit über meine Wangen. „Ich habe dich gestern vermisst.“

„Ich dich auch.“ Wir küssten uns leidenschaftlich, als hätten wir uns seit Monaten nicht gesehen. Als wir uns voneinander losmachten, wurde mir klar, dass die Tür noch offenstand. Jeder, der aus dem Aufzug stieg, hätte uns sehen können.

Er folgte meinem Blick mit gesenkten Liedern. „Du willst nicht, dass jemand im Büro das von uns weiß“, sagte er geradeheraus.

Ich versuchte seine Gedanken zu lesen, aber es war unmöglich zu erkennen, was er hinter der kühlen Fassade dachte. Zum Glück klingelte mein Telefon auf  meinem Schreibtisch und ersparte mir eine Antwort.

Den restlichen Vormittag arbeiteten wir getrennt und sahen uns nur in Meetings. Mittags kam er an meinen Schreibtisch und bat mich, mit ihm Mittagessen zu gehen. Ich lehnte ab.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte die Stirn. „Freitagabend habe ich es durchgehen lassen“, sagte er mit vorsichtig gewählten Worten. „Es war eine verrückte Umgebung und die Paparazzi haben gewartet. Aber jetzt ... Cleo, stimmt etwas nicht mit mir, dass du nicht mit mir in der Öffentlichkeit gesehen werden willst?“

„Nein. Natürlich nicht.“

„Entspreche ich nicht deinen üblichen Standards?“

Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu und er zuckte unschuldig mit den Achseln. „Ja klar, ich gehe immer mit heißen Billionären aus und du bist nur ein Milliardär, also ...“

„He“, sagte er, „ich arbeite daran.“

Ich warf meinen Bleistift nach ihm und er fing ihn lächelnd auf, obwohl eine gewisse Unsicherheit dahinter war.

„Wir haben eine Nacht miteinander verbracht“ sagte ich zu ihm. „Lass es uns langsam angehen und sehen, wohin das führt, bevor wir es jeden wissen lassen. O. k.?“

Er neigte den Kopf und nickte. „Wenn du nicht mit mir zum Essen gehen willst, muss ich das Essen wohl herbringen lassen.“

Er ging in sein Büro zurück und schloss die Tür. Dreißig Minuten später kam ein Caterer mit einem Korb voller Essen für Reece. Ich drückte den Knopf der Gegensprechanlage und er kam heraus.

„Hunger?“, fragte er mich.

Ich sah hinüber zur Aufzugtür, die sich hinter dem Caterer schloss. „Du willst, dass ich mit dir hier draußen zu Mittag esse?“

„Nein. Das ist zu öffentlich und ich habe in der letzten halben Stunde keine Billion Dollar verdient. Sieht so aus, als müsstest du dich in meinem Büro verstecken und heimlich essen, bis mein Börsenmakler anruft.“

„Haha. Du bist ein lustiger Typ.“

Er nahm den Korb und folgte mir in sein Büro. Er hatte eine Picknickdecke in einem sonnigen Rechteck beim Fenster ausgelegt und eine Flasche Weißwein in einem Kühler am Rand platziert. Er stellte den Korb ab und lud mich ein, mich zu setzen. Dann servierte er eine Auswahl von Käse, Salaten und kaltem Fleisch zum Mittagessen.

„Das ist sehr süß von dir, Reece. Danke.“

Er beäugte mich über den Rand seines Glases hinweg. „Du siehst mich an, als hättest du nicht erwartet, dass ich so etwas tun würde.“

„Ich gebe zu, das habe ich nicht.“

„Mein Ruf als Arschloch eilt mir wieder einmal voraus, wie ich sehe.“

Ich biss mir auf die Wange und beschloss, ehrlich mit ihm zu sein. Oder zumindest teilweise. „Ich habe alle möglichen Sachen über dich gehört, aber die Worte skrupellos und grausam kamen wiederholt vor.“

„Grausam“, murmelte er. „Kommt das von Cassie?“

Ich wollte ihm keine Antwort geben. Wenn ich nein sagte, würde er vielleicht weiter fragen und ich konnte ihm nicht von Ellen erzählen. Ich konnte es einfach nicht. „Reece, was ist zwischen euch beiden passiert? Warum hasst sie dich so sehr?“

„Sie denkt, dass ich ihr Haus abreißen werde.“

Warte mal, was? „Sie denkt, dass du es abreißen wirst? Heißt das, du wirst es nicht tun?“

„Ich gebe zu, dass ich Zweifel habe.“

Wow. „Seit wann?“

„Seit Samstag.“

Ich sah ihn stirnrunzelnd an, aber er erwiderte meinen Blick nicht. Ich war die ganze Zeit mit ihm zusammen gewesen und er hatte nichts davon erwähnt, von dem Plan abzurücken. Vielleicht hatte einer dieser Anrufe seine Meinung geändert oder etwas, das Ash gesagt hatte, hatte das bewirkt.

„Ist der Bauunternehmer abgesprungen?“, fragte ich. „Oder hat sich einer der Investoren zurückgezogen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe es ihnen noch nicht gesagt. Ich überlege noch, wie ich es ihnen am besten beibringe. Sie werden nicht glücklich sein.“

„Du wirst eine Menge Geld verlieren.“

Er zuckte die Achseln.

Ich wartete, aber er sagte nichts mehr. Der Mann war ein Buch mit sieben Siegeln. Einerseits schien es ihm sehr wichtig zu sein, Geld für seine Investoren zu verdienen, andererseits machte er eine komplette Kehrtwendung und war bereit, ihren Zorn auf sich zu nehmen, um das Haus einer alten Freundin zu retten. Einer alten Freundin, die ihn jetzt anscheinend hasste.

„Cassies Abneigung gegen dich reicht noch weiter zurück“, sagte ich und das war halb geraten. „Eigentlich hat sie erwähnt, dass sie deine ganze Familie nicht leiden kann.“

„Nicht uns alle. Sie versteht sich gut mit Ash. Wobei sich jeder gut mit Ash verträgt.“

„Du weichst schon wieder vom Thema ab.“

„Nicht sehr erfolgreich“, sagte er ironisch.

„Ist schon in Ordnung, wenn du dich darüber reden willst. Ich bin deine persönliche Assistentin, nicht deine ... Vertraute.“

„Ich will es ja erzählen“, sagte er ruhig. „Aber es gibt Dinge, über die kann man nicht reden. Verstehst du?“

Das tat ich und ich sagte es ihm. Manche Dinge waren so tief verwurzelt, dass, wenn man über sie sprach, es so war, als würde man das Fundament mit den Wurzeln herausreißen und die ganze traurige Geschichte wieder dahin hochkommen lassen, wo man sie nicht haben wollte.

„Danke.“ Er umklammerte meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. „Ich mag dich, Cleo. Ich will nicht, dass du denkst, du bist für mich nur eine persönliche Assistentin, denn jetzt ist mehr zwischen uns. Oder nicht?“

Er klang verletzlich und so gar nicht nach dem Reece Kavanagh der vergangenen Wochen, dass ich sprachlos war. Was war mit diesem Mann geschehen, dass er sich in den wenigen Tagen so völlig verändert hatte? Eigentlich seit Freitagabend.

Es hatte sicher nichts mit mir zu tun.

Ich wollte nicken und ihm sagen, dass mehr zwischen uns war als Chef und Assistentin. Ich wollte ihn küssen, bis die Unsicherheit aus seinen Augen verschwunden war. Aber ich konnte nicht. Ich musste die Wärme wieder durch Kühle ersetzen. Ich brauchte die Distanz und die beherrschende Natur des alten Reece Kavanagh zurück. Es war einfacher so. Sicherer.

Ein Klopfen an der Tür ersparte mir eine Antwort. Er fluchte leise und rief hinaus. Einer seiner leitenden Angestellten antwortete.

„Ich gehe lieber an meinen Schreibtisch“, sagte ich und packte eilig die Picknicksachen in den Korb. „Mein Boss ist ein Tyrann und hasst es, wenn ich lange Mittagspause mache.“

Er schmunzelte und half mir. Wir ließen gemeinsam alle Beweise unseres Picknicks verschwinden und ich öffnete mit Stift und Notizblock in der Hand die Tür.

„Entschuldigung“, sagte ich zu dem Mann, der draußen stand. „Wir mussten ein Diktat beenden.“

Der Mann sah über mich hinweg zu Reece und zwinkerte. Ich manövrierte mich an ihm vorbei und schloss die Tür hinter ihnen. Ich arbeitete bis fünf Uhr an meinem Schreibtisch, als Becky mich auf dem Handy anrief.

„Ich bleibe noch eine Weile bei Cassie“, sagte sie. „Sie brauchte jemanden zum Reden und ich habe angeboten, dass ich nach dem Kurs noch bleibe.“

„Geht es ihr gut?“

„Sie ist immer noch aufgeregt wegen dem Haus und dem Studio.“

„Gab es niemand anderen, mit dem sie reden konnte?“

„Warum kann sie nicht mit mir reden?“, fragte sie gereizt.

„Aus keinem bestimmten Grund“, sagte ich schnell. „Es ist nur, dass sie weiß, wie krank du warst und sie sollte dich nicht belasten.“

„Jesus, Cleo, mir geht es jetzt gut.“

„Du wirst noch müde.“

„Ich rede mit ihr und laufe keinen Marathon!“

„Es ist eine weitere Last auf deinen Schultern, wo du doch schon so viel zu ertragen hast.“

Sie schnaubte und brummte etwas, das ich nicht verstehen konnte, weil sie flüsterte. „Ich habe nur angerufen, um es dir zu sagen. Jetzt wünschte ich, ich hätte es nicht getan.“

„Ich hole dich um sieben Uhr ab.“

„Ich kann den Bus nach Hause nehmen.“

„Nein, warte dort auf mich. Es ist nicht deinetwegen“, sagte ich, bevor sie protestieren konnte. „Ich will Cassie etwas fragen.“ Es kam aus meinem Mund, bevor ich es zu Ende denken konnte, aber ich erwärmte mich schnell für die Idee. Wenn Reece schon nicht mit mir sprach, würde Cassie es vielleicht tun.

Das einzige Problem war, wie ich sie fragen sollte, wenn Becky da war, ohne ihnen zu sagen, warum es mich interessierte.

***

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Der Vorort Serendipity Bend bestand aus einer Mischung von alten und neuen Häusern, die alle eins gemeinsam hatten: sie waren riesig. Die Grundstücke allein waren riesige Flächen von gepflegten Gärten, manche mit Teichen und Objekten, die so aufgestellt waren, dass man sie vom Haus aus optimal sehen konnte. Ich wusste das alles, weil ich eine Dokumentation auf dem Lifestyle Channel gesehen hatte, in der die Eigentümer den Moderator auf ihren zweihundert Jahre alten Anwesen herumführten.

Die einzige Bekanntschaft, die ich mit dem Vorort gemacht hatte, war die Straße, auf der Cassie lebte. Der Ausdruck 'schlechtestes Haus auf der besten Straße' traf es ziemlich genau. Der Willow Crescent folgte grob der Kurve des Flusses und die Grundstücke auf der einen Seite erstreckten sich bis ans Flussufer hinunter. Dies waren die Häuser, die am Markt die höchsten Preise erzielten. Nicht, dass die Eigentümer sie jemals verkauften. Die Häuser auf dem Willow Crescent wurden von einer Generation zur nächsten weitergegeben, sehr zum Leidwesen der Immobilienmakler. Cassies Haus war eine Ausnahme, auch wenn der Verkauf privat abgewickelt worden war.

Das Einfahrtstor stand weit offen im Gegensatz zu denen der anderen Häuser auf der Straße. Ich fuhr daran vorbei bis zur Kavanagh Familienresidenz nebenan. Hinter dem Eisentor mit den scharfen Spitzen wand sich eine asphaltierte Auffahrt. Sie war von großen Bäumen gesäumt, die die Sicht auf das Haus verdeckten. Es gab kein Zeichen von Ash oder irgendjemand anderem. Ich drehte um und fuhr durch Cassies Tor.

Ihr Haus war wohl alt, aber im Gegensatz zu den anderen Villen am Willow Crescent, sah man ihm sein Alter an. Spannungsrisse liefen einige Wände entlang und ein Fenster oben war schon vernagelt, seit Becky hier Kurse besuchte. Ich wusste, dass Cassie nur im östlichen Flügel wohnte und den Rest des Hauses abgeschlossen hatte, als das Heizen im Winter unwirtschaftlich wurde. Ihr Studio war im Wintergarten auf der Flussseite des Hauses untergebracht, weil dort das Licht am besten war.

Ich traf Cassie und Becky auf der breiten hinteren Veranda an, wo sie etwas tranken, Cassie Weißwein und Becky Limonade. Das Licht war verblasst und tauchte das Gewirr von wuchernden Bäumen und Gebüsch in einen übernatürlichen goldenen Glanz. Rosen und andere Sommerblumen blühten in den Beeten und boten Inspiration für die Künstler. Es war die Art von Garten, von dem kleine Mädchen erwarteten, dass dort Feen lebten.

Cassie begrüßte mich mit einem Kuss auf die Wange und verschwand im Haus, um ein weiteres Glas zu holen. „Alles in Ordnung?“, fragte ich Becky, während sie weg war.

„Sicher. Warum auch nicht?“ Sie schob Ihr Haar hinter das Ohr und es sprang sofort wieder heraus. Ich unterdrückte den Drang, es ihr festzustecken.

„Ich frage ja nur“, sagte ich und versuchte, fröhlich zu klingen.

„Ich verstehe nicht, warum du hier bist, Cleo. Stimmt etwas nicht?“ Sie schnappte nach Luft und senkte ihr Glas in den Schoß. „Wir können uns die Kurse doch noch leisten, oder?“

„Natürlich. Ich würde dich um nichts in der Welt zum Aufhören zwingen, Becky. Ich weiß, wie sehr du es liebst.“

„Das tue ich, aber wenn es um Geld geht ...“

„Geht es nicht.“ Ich schob ihre Bedenken mit der Hand beiseite, als Cassie rauskam.

Sie gab mir das Glas und setzte sich in den großen Korbstuhl neben meinem. Sie warf ihr langes rotes Haar über die Schulter und lächelte mir düster zu. „Ich schätze, du bist hier, um mich nach meinen Plänen zu fragen. Ich weiß, dass ihr besorgt seid und ich möchte euch für eure Unterstützung danken.“

„Ich bin besorgt“, sagte ich und nahm das Stichwort, das sie mir gegeben hatte, auf. „Aber es würde vielleicht helfen, wenn ich wüsste, warum du dich so sträubst, zu gehen. Warum kannst du nicht einfach ein neues Studio anderswo in Roxburg eröffnen? Deine Studenten würden mitkommen.“

„Ich kann das hier nicht irgendwo anders in Roxburg machen. Ich kann es einfach nicht. Das hier ist mein Zuhause. Es gehört seit Generationen meiner Familie. Meine Schwester ...“ Sie trank einen Schluck Wein, versuchte aber nicht, das Schimmern in ihren Augen zu verstecken.

„Ich weiß“, sagte ich mitfühlend. „Es muss schlimm für dich sein, zu denken, dass Reece Kavanagh mit Bulldozern kommt und dir dein Haus wegnimmt.“

Sie nickte.

„Vielleicht kannst du mir etwas erklären, denn ich verstehe es nicht. Warum ist der so darauf erpicht, dieses schöne Haus abzureißen und es durch ein Hotel zu ersetzen? Es kann nicht nur ums Geldverdienen gehen, sonst würde er es woanders machen, irgendwo weit weg von seinem Elternhaus. Es muss noch einen anderen Grund geben.“

„Cleo“, zischte Becky. „Das geht uns nichts an.“

„Ist schon in Ordnung“, sagte Cassie zu ihr.

„Sicher ist doch seine eigene Familie dagegen“, sagte ich.

„Das haben Sie mir gesagt“, sagte Cassie resigniert. „Aber Reece Kavanagh hört nicht auf sie. Das tut er schon lange nicht mehr. Nicht seit ...“ Sie presste die Lippen zusammen und betrachtete eingehend ihren Wein.

„Du musst nicht antworten.“ Becky starrte mich an.

Cassie wandte mir ihre großen Augen zu. „Es ist kein Geheimnis. Außerdem will ich, dass die Welt erfährt, was für ein Arschloch Reece Kavanagh ist.“

Ich umklammerte mein Glas fester bis ich befürchtete, der Stil würde brechen. „Was hat er getan?“

„Er hat meine Schwester umgebracht.“