Als der Rettungswagen mit der toten Deutschen ohne Blaulicht und – noch wichtiger – ohne Sirene das Gelände des Monte Rainha verließ, bekreuzigte sich Marcos Serra.
Weil das Innere des Hauses ein möglicher Tatort war, musste er draußen bei offener Tür auf der Terrasse warten. Drinnen sahen sich Graciana Rosado, Carlos Esteves, der Deutsche im schwarzen Anzug und Miguel Duarte näher um.
Das Interieur war recht übersichtlich und verriet nichts über seinen Besitzer, denn es wirkte unpersönlich.
Doch auch von der Toten fand sich nichts: Kein Handy, keine Handtasche, nicht mal ein Schlüsselbund.
Carlos’ Magen knurrte, und er warf einen Blick in den Kühlschrank. Nur mal so. Es gab ein paar Aufmerksamkeiten in Form von Wasser, Wein und zwei Bieren. Aber nichts zu essen.
»Ich möchte, dass Sie sich jeden Raum genau ansehen, Senhor Lost«, sagte Graciana zu Leander. Mittlerweile war das ihr Standardvorgehen an Tatorten, denn egal, was später verändert oder gar vernichtet wurde – über Losts fotografisches Gedächtnis hatten sie stets Zugriff auf den ursprünglichen Zustand.
Carlos’ Blick wanderte durch das Fenster hinüber zu dem Hauptkomplex mit dem Restaurant. Dann wandte er sich an Duarte, der vor einem Gemälde stand, das einen Stierkampf zeigte. Natürlich.
»Du kennst das hier, Miguel?«
Der gebürtige Spanier wurde durch die Frage des Kollegen aus seinen Gedanken gerissen. »Wie bitte?«
»Das Gelände. Du kennst es.«
»Ja. Ich spiele hier manchmal.«
Carlos nickte, weil das ins Bild passte.
»Das Restaurant da, kannst du das empfehlen? Haben die was zum Mitnehmen?«
»Das O Céu hat einen Michelin, Esteves. Und«, schob er mit einem larmoyanten Lächeln hinterher, »damit ist kein Reifen gemeint. Die haben nichts zum Mitnehmen. Und außerdem …«
»Ich störe nur ungerne«, unterbrach Graciana ihn und trat dabei an die beiden heran: »Riemann. Wann war sie hier? Gestern? Heute? Arbeitet sie alleine? Für eine Agentur? Wenn ja, welche? Wird sie vermisst? Wo wohnte sie?«
»Ich telefonier mal rum«, antwortete Duarte, zückte das neueste iPhone-Modell und ging hinaus zum Pool.
»Die Agentur, die das Haus betreut, heißt Heavenly Places«, sagte Leander, der in der Tür zur Küche stand. Er hatte sich Einweghandschuhe übergezogen und hielt einen Ordner in den Händen, der Hinweise für die Besucher enthielt: Telefonnummern, Restaurants, Sehenswürdigkeiten, die nächste Klinik und vieles mehr.
»Sie befindet sich in der Rua 25 de Abril, in Cabanas.«
Cabanas. Das war ein Vorort von Tavira in Richtung Osten. Am Wasser gelegen. Mit Neubaugebieten und Ferienresorts. Und fest in britischer Hand.
»Da ist noch ein Name«, fuhr Lost fort, »Karen Riemann und Maja Witt.«
»Wir drei fahren hin«, entschied Graciana. »Miguel bleibt hier und wartet auf die Spurensicherung.«
In dem Augenblick knisterte der Funk an Carlos’ Gürtel.
»Carlos?«
Das war Toninhos Stimme. Während Carlos Esteves das Funkgerät in die Hand nahm, schaute Graciana auf ihre Armbanduhr: Stimmt, er hatte gerade seine Probeschicht bei der GNR in Moncarapacho begonnen. Es war 18:04 Uhr.
»Ja? Was gibt’s? Warum bist du nicht bei …«
»Hier ist gerade ein Notruf reingekommen«, unterbrach Toninho ihn hastig. »Von einem Sicherheitsunternehmen: Bilt. Die haben von ihrem Werttransporter ein Notsignal reinbekommen, aber die Fahrer melden sich nicht.«
»Wo?«, fragte Carlos knapp und folgte Graciana, die schon losgerannt war, hinaus zu den beiden Männern.
»Senhor Serra, Sie warten hier, bis die Spurensicherung eintrifft, und rühren nichts an und lassen niemanden rein – Miguel, komm mit.«