5.

Es war exakt 17:48 Uhr, als César mit dem Lieferwagen von der Nationalstraße 125, kurz: N 125, in Höhe eines Supermercados nach rechts Richtung Norden abbog und dem Werttransporter der Firma Frederic Bilt folgte.

Gepanzert, mit Sehschlitzen, kugelsichere Scheiben.

César trug wie Ulisses eine Sonnenbrille, was gerade jetzt, da die Sonne tief im Westen stand und die Autofahrer blendete, ganz natürlich wirkte.

Links von ihnen zogen ein paar typische, einstöckige Häuser mit roten Tonziegeldächern vorbei, danach folgten auf beiden Seiten Felder mit Oliven- und Feigenbäumen im Wechsel mit Orangen- und Zitronenplantagen. Auf einigen wurde gerade geerntet.

César blickte zu den Plantagenarbeitern hinüber, musterte ihre dürren Gestalten und die Schweißflecken auf der Rückseite ihrer T-Shirts und Hemden. Er schüttelte den Kopf: »Trottel.«

Ulisses brummte Zustimmung. Er wählte über sein Handy Sols Nummer, die ungefähr einen Kilometer weiter nördlich in einem Kombi in einer Seitenstraße auf sie wartete.

»Sim?«

»Noch achthundert Meter. Ist kein Wagen vor ihm.«

Klack.

Sie antwortete nicht einmal, sondern unterbrach einfach die Verbindung.

Da sie mit dem Lieferwagen jetzt in eine lang gezogene Kurve fuhren, konnte César an dem Bilt-Fahrzeug vorbei auf den weiteren Straßenverlauf schauen. Tatsächlich bog rund dreihundert Meter weiter der Kombi von rechts auf die Straße und setzte sich so vor den Werttransporter, der sich nun zwischen ihnen befand.

Ulisses Cruz zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. Er sah auf die Landschaft, die rechts an ihm vorbeizog. Bäume, Einmündungen, Häuser, Palmen, ein paar Wolken am Himmel, alles verwischte zu horizontalen Streifen. Die Formen lösten sich auf und zerflossen. Alles verlor seine Gestalt. Wie ein Leben, das zu schnell vorbeizog.

Er riss sich davon los und kontrollierte die Uhrzeit. Dann wählte er die Nummer des »Boten «.

Der wiederum wartete weiter nördlich an der Ausfallstraße, die von der nächsten Ortschaft hoch zum Autobahnanschluss führte, über den man in null Komma nichts an der spanischen Grenze war.

Er saß in einem Fahrzeug von Hermes, das der Kurierdienst eigentlich ausgemustert hatte. Es war frisch lackiert, und der Bote steckte in einer passenden Uniform. Von hier führte ein Weg an einer karminroten Mauer entlang zu einem offiziellen Gebäude. Ganz so, als hätte er dort gerade etwas abgeliefert. Niemandem würde das Fahrzeug zu dieser Zeit und in dieser Zufahrt in irgendeiner Weise auffallen.

»Fahr los«, wies Ulisses ihn lediglich an, um die Verbindung auch schon wieder zu beenden und nun den dritten Akteur ins Spiel zu bringen: den Monteur.

Ein Polizeiwagen der GNR kam ihnen mit hoher Geschwindigkeit entgegen – mit Blaulicht und Sirene. Am Steuer ein auffallend attraktiver Beamter und daneben eine GNR -Polizistin, die ihre Fingernägel überprüfte.

Der Monteur. befand sich bereits an einer Kreuzung in dem Ort, den sie bald durchqueren würden, unbemerkt von den Leuten, unten in der Kanalisation. Über ihm rauschte der Verkehr entlang und so spürte er nur das Vibrieren des Smartphones, denn er hatte es stumm geschaltet.

»Sim.«

»Zwei Minuten.«

»Claro.«

 

Nach dem Passieren des Ortsschildes machte die Straße noch einen letzten Schlenker, vorbei an einer mannshohen, weiß gekalkten Mauer, die oben abgerundet war. Dann folgte ein gerader Abschnitt – und eine Kreuzung mit einer Ampel. Es war die einzige im ganzen Ort. Und sie war grün.

Sol Pinho steuerte darauf zu. Ihr kam der Transporter von Hermes entgegen, der die Kreuzung überquerte und recht genau fünf Meter nach der Ampel stoppte. Warnblinker. Der Fahrer sprang mit einem Paket heraus und ging damit zu einem der Hauseingänge.

Die Ampel sprang auf Rot.

Sol bremste ab und stoppte den Wagen haargenau so, wie sie es mit Ulisses geprobt hatte. Der rechte Außenspiegel musste sich auf einer Höhe mit einer Türklinke der Nummer 61 befinden. Wie jetzt.

Sie blickte in dem Innenspiegel auf den Werttransporter, der nun mit etwa einem Meter Abstand hinter ihrem Kombi ebenfalls anhielt.

Ideal.

Ulisses hatte dafür gesorgt, dass aus einer Menge Variablen in dem Plan Konstanten geworden waren, die die Unwägbarkeiten seines Plans minimierten.

Der Abstand, mit dem der Transporter von Bilt hinter ihr zum Stehen kam, gehörte zu den Faktoren, die sich nicht beeinflussen ließen.

Aber der eine Meter spielte ihnen in die Hände – und konkret nun dem Monteur, dessen Smartphone in genau dem Moment vibrierte, in dem der Transporter zum Stehen kam.

»Jetzt«, gab Ulisses durch.

Der Monteur stemmte sich mit den Armen von unten gegen den sicher 40 Kilo schweren Gullydeckel und wuchtete ihn hoch.

Ein unterdrückter Seufzer, dann hatte der ihn heraus gewuchtet und vorsichtig zur Seite geschoben. Es war, als stünde Nuno, so sein richtiger Name, unter einer fahrbaren Schildkröte, die an allen Seiten gepanzert war.

Er musste sich beeilen und griff zu der Apparatur: einem elektrischen »Zerstäuber«, nichts weiter als eine schmale Metallflasche mit Spühverschluss, kombiniert mit einem Empfänger samt kleiner Antenne. Er legte sie unter dem Transporter auf dem heißen Asphalt ab, dazu zwei halbe Rohrschellen, an denen schon das Gaffertape befestigt war, das über ihre Enden hinausragte.

 

Die Ampel sprang auf Grün.

Sol Pinho drückte den Knopf der Warnblinkanlage.

Sie beobachtete, wie der Fahrer des Werttransporters hinter ihr auf die Gegenfahrbahn blickte, um an ihrem Kombi, der offenbar eine Panne hatte, vorbeizufahren. Die beiden Wachmänner hinter der Windschutzscheibe wirkten relativ jung. Sie trugen dunkelblaue Uniformen mit dem Logo von Bilt.

Aber der Hermes-Transporter blockierte die andere Seite, sodass für sie kein Vorbeikommen war. Der Fahrer ließ die Seitenscheibe herunterfahren und rief zu dem Boten hinüber – zu Ricardo, der ihm mit einem lässigen »Patiença, patiença « antwortete, aber gleichzeitig mit einer alten Frau sprach, die ihm die Tür geöffnet hatte.

Sol musste schmunzeln – Ricardo würde erst seinen Wagen wegfahren und damit die Spur wieder freigeben, wenn Nuno, der Monteur, unter ihnen seinen Job erledigt hatte.

 

Der schickte wiederum eine vorbereitete Textnachricht an Ulisses, der das Jetzt auf dem Display las und daraufhin César zunickte.

Der presste seine Handfläche auf die Mitte des Lenkrads, und während die Hupe kurz alle anderen Geräusche übertönte, bohrte Nuno mit einem Akkubohrer mit Diamantaufsatz ein Loch in die Lüftungsanlage. Er flanschte den Anschluss des Druckbehälters daran und presste ihn dann mithilfe der Rohrschellen und des Klebebands an die Unterseite.

Sofort schickte er Ulisses das zweite Signal – woraufhin das Hupen endete.

Obwohl er mit Handschuhen gearbeitet hatte, besprühte Nuno alles mit Desinfektionsmittel und wischte noch mal eilig mit einem Tuch darüber.

 

Parallel dazu hatte Ulisses dem Boten via Smartphone Entwarnung signalisiert.

 

Nuno tauchte wieder unter der Straße ab und zog den Gullydeckel mit einem Metallhaken über sich zurück in die Öffnung.

 

Der Bote stieg in den Kurierwagen und fuhr weiter in Richtung Küste.

Der Werttransporter scherte daraufhin ebenso wie der Lieferwagen mit den Brüdern Cruz dahinter aus und passierte den liegen gebliebenen Kombi vor ihnen.

Ulisses kontrollierte mit einem Blick den Sitz des Gullydeckels im Vorbeifahren, falls Nuno noch nachjustieren musste – aber alles war perfekt.

Sie passierten die Kreuzung und folgten Bilts Leuten nach Norden.

César, der vor der nächsten Kurve über den Außenspiegel noch einmal nach dem Kombi hinter ihnen schaute, sah, wie der sich in Bewegung setzte, der Warnblinker erlosch und Sol Pinho abbog und aus seinem Blickfeld verschwand.

 

Nach dem Ort schlängelte sich die Straße weiter Richtung Autobahn. Links erhob sich eine mit Pinien bewaldete Bergkette, die im 400 Meter hohen São Miguel gipfelte. Von dort konnte man die ganze Ostalgarve samt der Ria Formosa überblicken, von Faro bis über Tavira hinaus zur spanischen Grenze. Und über den Atlantik bis an jene feine Linie, an der das Meer und der Himmel sich berührten.

Funk- und Radioantennen bildeten dort oben auf dem Berg eine kleine Gruppe, die wie eine eng beieinanderliegende Ansammlung metallischer Bäume wirkte.

Sie passierten streunende Hunde und zwei Esel, die im Schatten dösten und ihnen träge nachblickten.

Tatsächlich bog der Bilt-Transporter nach links ab und ächzte die immer schmaler werdende Straße in Richtung Gipfel hinauf.

Rechter Hand erhob sich der Berg. Links gingen immer wieder schmale Sandpfade ab, übersät mit Steinen, flankiert von Pinien und Sträuchern – Abfahrten für besonders waghalsige Mountainbiker.

Eine weitere Kurve. Sie befanden sich sicherlich schon 100 Meter über dem Meeresspiegel.

Ulisses griff hinter sich und zog eine große Sporttasche nach vorne, die er auf seinen Oberschenkeln absetzte. Er zog zwei Sturmgewehre deutschen Fabrikats heraus. Ein Geruch von Plastik, Metall und Öl hing in der Luft.

César öffnete seine Jacke – und mit Ulisses’ Hilfe streifte er sie ab. Darunter kam eine kugelsichere Weste zum Vorschein.

Nachdem Ulisses zweimal mit den Fingerknöcheln gegen die Zwischenwand zum Laderaum geklopft hatte, öffnete sich ein kleines Schiebefenster und das Augenpaar von Gonçalves Amado erschien.

»Zwei Minuten«, sagte Ulisses.

Amado deutete ein Nicken an. Und hielt den Blick, als wolle er noch etwas hinzufügen.

»Und Schalldämpfer«, fügte Ulisses Cruz hinzu.

»Sim  – wegen Braga damals, Ulisses …«

»Damals ist damals, Gonça, heute ist heute.«

Mit diesen Worten nickte er ihm zu und schloss das Sichtfenster, um sich ebenfalls der Jacke zu entledigen. Dann sah er seinen Bruder an. Sie waren beide etwa gleich groß, aber César war sehniger. Und mit einem Geduldsfaden, der sich in Millimetern bemaß. Ein echter Hitzkopf.

Aber eben sein Bruder.

»Was ist?«, fragte César, der Ulisses’ Blick aus den Augenwinkeln bemerkte.

»Nichts«, antwortete der. Nichts zumindest, was er in Worte fassen konnte.

Er zog den kleinen Sender mit der noch winzigeren Antenne hervor, richtete ihn auf den Werttransporter gut 20 Meter vor ihnen und löste aus.

Unter dem Wagen öffnete sich das Ventil und der kleine Elektromotor sprühte das Sevofluran über den Druckbehälter in das Lüftungssystem des Werttransporters. Es war ein farbloses, nahezu geruchsloses Anästhetikum, das sehr zügig seine Wirkung entfaltete.

Keine 300 Meter weiter verlor der Transporter der Firma Bilt rapide an Tempo, schlingerte kurz und fuhr dann über den Seitenstreifen, um erst mit den rechten Reifen in den flachen Graben zu geraten, an ein paar Felsblöcken entlangzuschleifen, durch die diese Straße einst gesprengt worden war, und schließlich mit laufendem Motor zum Stillstand zu kommen.

César stoppte direkt dahinter. Er und Ulisses streiften sich Motorradmasken über die Köpfe und stiegen mit den Sturmgewehren aus. Ulisses zog eine Pistole, die in seinem Gürtel steckte. Für den engen Raum zwischen dem Werttransporter und der Felsformation rechts war die kleine Waffe besser geeignet als das G36K. Er vergewisserte sich durch einen Blick über den Außenspiegel, dass die beiden Männer ohnmächtig waren. Erst dann ging er nach vorne und sah in die Fahrerkabine.

Der Beifahrer war nach vorne gesackt und seine linke Hand ruhte auf den Armaturen, recht nahe an einem extra gesicherten Knopf, von dem Ulisses Cruz wusste, dass es sich um eine Direktleitung zu der Zentrale von Bilt in Lissabon handelte.

Zwei Autos, die vermutlich von einem Ausflug auf dem Gipfel zurückkehrten, näherten sich, und die beiden maskierten Männer duckten sich weg. Aber die Fahrer konzentrierten sich offenbar sowieso mehr auf die steile Straße und den Ausblick Richtung Küste und nahmen keinerlei Notiz von ihnen. Als sie fort waren, steckte Ulisses Cruz die Pistole wieder weg und unterbrach die weitere Zufuhr des Betäubungsmittels mithilfe des kleinen Senders. Die beiden Fahrer würden so schon für Stunden außer Gefecht sein.

César hatte mit ein paar präzisen Handgriffen die Türen zum Laderaum ihres Wagens geöffnet und Gonçalves Amado dabei geholfen, die beiden Motorräder auszuladen.

Amado würde bei ihm als Sozius mitfahren. Wenn es Ärger gab, würde er ihre Verfolger unter Beschuss nehmen. Dafür trug er einen speziellen Gurt, mit dem er sich bei César einklinken und sicher umdrehen konnte.

 

»Tempo«, verlangte Ulisses, der mit den anderen dreien über sein kleines Knopfmikro in Funkkontakt stand. Die eine war Sol. Die anderen beiden der Bote im Hermes-Transporter und schließlich Nuno, der Monteur, der den Polizeifunk abhörte und inzwischen in einer Airbnb-Wohnung in dem Gebiet von Bias do Sul unten an der Küste saß. Ihre Antworten hörte er über einen winzigen Empfänger in der rechten Ohrmuschel.

Ulisses Cruz hatte sich diese Stelle hier ausgesucht. Nur vierhundert Meter weiter befand sich ihr Ferienhaus.

 

Es gab keine Abzweigung: die Straße führte hinauf oder hinab. Die Polizei würde also aus maximal zwei Richtungen kommen. Die Beamten aus Olhão, Tavira und São Brás de Alportel kämen auf jeden Fall zu spät, weil ihre Anfahrtstrecke zu weit war. Blieben noch die GNR aus Moncarapacho und Polizeieinheiten, die gerade zufällig in der Gegend unterwegs waren.

Und die kämen allesamt höchstwahrscheinlich von unten.

 

Wer auch immer diesen Streckenabschnitt erreichen wollte, musste unten im Tal Sol passieren – die dort erneut eine Panne vortäuschte – oder den Boten in seinem Kurierfahrzeug, der etwa zwei Kilometer oberhalb seine Position bei den Funkmasten bezogen hatte, die man von hier aus sehen konnte.

Die Vorwarnzeit war in beiden Fällen überschaubar, das war Ulisses klar. Aber so war das eben mit Plänen. Den perfekten gab es nicht, aber die Unwägbarkeiten ließen sich reduzieren, wenn man blitzschnell umdenken und eine gute Alternative generieren konnte.

Und das konnte er.

Das war auch der Grund, aus dem Ulisses Cruz so lange kein Gefängnis mehr von innen gesehen hatte. Er war ein kluger Planer. Er konnte sich in den Kopf anderer Leute versetzen und ihr Verhalten meist im Vornherein antizipieren. Er wusste, wie sie reagieren würden, bevor sie es taten. Meist jedenfalls.

Dazu kam noch ein gewisses Maß an Kaltblütigkeit. Er hatte seinem Bruder und sich oben in Braga ohne zu zögern den Weg freigeschossen und dabei einen Beamten verletzt. Und bei der Sache in Salamanca hatten sie eine Polizeisperre durchbrochen.

Gonçalvo Amado brachte an der Rückwand des Werttransporters zwei Päckchen Plastiksprengstoff an, während César sehr routiniert den Innenraum ihres eignen Lieferwagens mit Schaum aus einem Feuerlöscher bestrich.

 

Wieder näherte sich ein Wagen, aber diesmal verlangsamte er. Ein junges Pärchen beobachtete interessiert das Geschehen aus dem offenen Fenster. Die Frau auf dem Beifahrersitz hatte ihr Handy gezückt, bereit, etwas aufzunehmen. Ulisses kannte diese Reaktion bereits aus der Sache in Salamanca – die Leute freuten sich, weil sie glaubten, sie wären auf Dreharbeiten gestoßen. Vielleicht für einen Hollywood-Blockbuster? Wer wusste das schon? Man konnte ja auch mal Glück haben im Leben.

Sie hielten Ausschau nach bekannten Darstellern. George Clooney irgendwo?

César stellte den Feuerlöscher ab und griff nach dem Sturmgewehr, aber sein älterer Bruder deutete kaum merklich ein Kopfschütteln an und trat stattdessen näher an den Wagen.

Er streckte die Hand aus. Die junge Frau schaute darauf – sie verstand nicht, was er wollte. Und wozu der Hüne bei diesen sommerlichen Temperaturen Handschuhe trug.

»Handy.«

Nach einer minimalen Verzögerung, nur eine Sekunde vielleicht, verschwand das Lächeln aus dem Gesicht der jungen Frau und Angst trat zusammen mit der Erkenntnis in den Blick: Das hier ist alles echt!

Sie ließ vor Schreck das Handy fallen, das klappernd auf den Asphalt fiel. Zweimal trat Ulisses mit der Hacke seines Springerstiefels darauf, bis nur noch Elektroschrott übrig war.

»Desaparece«, sagte er dann ruhig.

Das ließ sich der junge Mann am Steuer nicht zweimal sagen: Er schluckte aufgeregt, schaltete runter und gab Vollgas. Der Wagen jagte davon.

 

»Die Bilt-Fahrer müssen ein Notsignal abgesetzt haben«, meldete der Monteur sich per Funk bei Ulisses, »die Zentrale hat die GNR in Moncarapacho angefunkt.«

»Aber da dürfte niemand sein«, widersprach Ulisses, denn sie hatten extra dafür einen Wagen in Brand gesetzt, der unten in Höhe von Quelfes, also zwischen Fuseta und Olhão, an der N 125 stand. Und der Wagen der GNR mit dem Polizistenpärchen, der ihnen auf dem Weg hierher entgegengekommen war, sprach dafür, dass dieses Ablenkungsmanöver gelungen war.

»Wenn ich das richtig verstehe, ist da wohl ein unerfahrener Posten im Revier, der den Funk bedient. Junge Stimme. Die GNR ist gerade aus Quelfes zurückbeordert worden, aber die kommen nicht rechtzeitig, wenn ihr in zwei Minuten weg seid. Da kommen aber welche, die oben bei Rainha sind. Scheint PJ zu sein. Die werden zuerst da sein.«

Sol und der Bote schalteten sich ein und bestätigten, dass bisher kein Polizeifahrzeug ihre jeweilige Position passiert hatte.

»In drei«, meldete Gonçalves, der nun Ohrenschützer trug.

César warf Ulisses einen kurzen Blick zu. Er musste die Frage nicht artikulieren. Sie wussten jede Geste des anderen nahezu fehlerlos zu deuten.

»Du vorne«, ließ der Ältere ihn wissen, woraufhin César sich schnell einen Platz zwischen dem Werttransporter und den Felsen suchte, von wo aus er die Straße in Richtung Gipfel im Blick hatte.

»In zwei.«

Sie setzten sich Gehörschützer auf.

Ulisses Cruz stand neben den Motorrädern. Er sicherte die Straße bergab. Von dort also, wo die Polizeikräfte vermutlich zuerst eintreffen würden.

»In eins.«

Ulisses ist ein vorbildlicher großer Bruder, dachte César in diesem Augenblick. Der nahm die Position ein, an der es ungemütlich werden würde, und schickte seinen jüngeren Bruder an die andere, sicherere. So war das sein ganzes Leben lang gewesen. Ulisses suchte nie Ärger oder Streit. Anders als César, der erst aus Prinzip und später aus der Lust, jemanden zu besiegen, keinem Kampf aus dem Weg ging. Ulisses maß sich nur mit anderen, wenn es wirklich nötig war. Zum Beispiel, weil er seinen jüngeren Bruder aus irgendeinem Schlamassel herausboxen musste.

Gonçalves Amado hatte Deckung auf der gegenüberliegenden Straßenseite gesucht. Er zündete die Sprengladung elektrisch. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, die Erde vibrierte und die Druckwelle glitt in unterschiedlicher Intensität über sie hinweg und an ihnen vorbei. Für Ulisses kam sie als herber Stoß, während César sie als kurzen Windstoß wahrnahm.

Sie setzten die Gehörschützer ab und verstauten sie. Wie von Amado errechnet, hatte der C4–Sprengstoff ein rund 10 Zentimeter großes Loch in die hintere Tür gesprengt und den Schließmechanismus zerstört. Eine der beiden Türen war bereits aufgeflogen. Ulisses, der sich eine Gasmaske übergestreift hatte, war sofort am Heck, lehnte das Sturmgewehr an den Transporter und sprang in den Laderaum.

Gonçalves und César sicherten die Straße zu beiden Seiten. Hinten aus dem Laderaum hörten sie zwei Schüsse, dann das Aufklappen eines Wertfachs.

Ulisses hatte den Rucksack am Boden abgesetzt und schüttete den Schmuck aus einer Metallkassette hinein, die er soeben gewaltsam geöffnet hatte. Dann brach er mit einem Schuss das nächste Fach auf.

Die Gasmaske verengte seinen Blickwinkel. Es war brütend heiß hier drinnen – kein Wunder: Wertsachen benötigten keine Klimaanlage. Fast sofort lief ihm der Schweiß die Wirbelsäule hinab, perlte ihm auch von der Stirn und benetzte das Gesicht unter dem Gummi.

»Ich höre eine Sirene«, gab Sol durch.

»Kannst du was sehen?«

»Nein. Nur die Sirene. Kommt näher.«

César lief zu ihrem Lieferwagen und fuhr ihn quer auf die Straße, um sie zu blockieren. Zudem verstellte er so den Blick auf die für die Flucht bestimmten Motorräder für die Polizeieinheiten, die von unten anrückten.

César bemühte noch einmal den Feuerlöscher, mit dem er nun auch den Fahrersitz und das Lenkrad von Spuren befreite.

Gerade rechtzeitig, denn jetzt kam eine Limousine den Berg hinaufgerast. Ohne Blaulicht. Ohne Sirene. Aber die pure Geschwindigkeit ließ keinerlei Zweifel.