18.

Maja Witt führte Carlos und Leander zu ihrem Büro.

Heavenly Homes stand in einer pinken, verspielten Schreibschrift auf einem weißen Holzschild, das über der Tür angebracht war. In der Scheibe rechts neben dem Eingang hingen Farbfotos einiger Immobilienobjekte. Ein paar Neubauten, einige Grundstücke mit Ruinen samt Baugenehmigung, außerdem zwei Häuser und ein paar Apartments. Das Büro selbst bestand nur aus einem Raum, in dem zwei Schreibtische mit Computern und Telefonen samt Stühlen für Besucher standen. Dahinter zwei identische Holzregale mit Büchern und Aktenordnern.

»Einen kleinen Moment«, sagte Maja Witt und ging zu dem Computer auf der linken Seite, schaltete ihn ein. Nachdem er hochgefahren war, gab sie den Rechner mit dem Passwort frei.

»Bitte.«

Leander nahm Platz und öffnete die Mediathek, Kachel für Kachel wurden die einzelnen Bilder sichtbar. Und tatsächlich: Es wurden mehr Fotos angezeigt, als Isadora Jordão heruntergeladen hatte.

»Diese drei gibt es in der Cloud nicht mehr«, sagte er Carlos und klickte sie an: Innenaufnahmen eines Hauses.

»Das ist die Villa Ria, oder?«, fragte Carlos an Witt gewandt.

Sie nickte: »Das ist die Küche. Mit Blick auf den Golfplatz, hier durchs Fenster.«

Sie deutete auf das Fenster, über das man einen Ausschnitt des Greens sah.

Ein Teil des Wohnzimmers und dann Ameisen am Boden an einer Ecke der Küche.

Carlos beugte sich weit vor und schaute sich die drei Fotos genauer an. »Haben Sie schon etwas entdeckt, das im Tätersinne irgendwie auffällig erscheint?«, fragte er Leander, doch der verneinte. »Bis jetzt nicht. Aber der Täter hat nur diese drei Fotos gelöscht. Auf einem davon oder auf allen dreien muss es einen Hinweis auf das Mordmotiv geben. Wenn nicht, wäre nicht plausibel, weshalb sogar Folter angewendet wurde, um das Cloud-Passwort zu erpressen.«

»Karen ist gefoltert worden?« In Witts Blick war Entsetzen getreten.

»Ja. Haben Sie eine Idee, was sie fotografiert haben könnte und vielleicht nicht zur Villa Ria gehört?«, fragte Lost und drehte den Monitor, damit sie die Fotos besser sehen konnte.

»Gott, die Arme … hat er noch mehr … an ihr … vorgenommen? «

»Man hat ihr Steine in die Kleidung gepackt, um sie im See zu versenken.«

Die Maklerin sah Lost irritiert an. Carlos räusperte sich.

»Wenn Sie das meinen«, übernahm Carlos. »Nein. Sie ist nicht vergewaltigt worden.«

»Sehen Sie hier vielleicht Dinge, die nicht ins Haus gehören?«, fragte Lost.

»Das hier gehört nicht dazu«, sagte die Immobilienmaklerin. Und zählte dann in Folge auf den Fotos auf: zwei Stifte, ein Block Papier, eine Weinflasche, zwei Tageszeitungen, ein Stock. Mehr entdeckte sie nicht. Und Carlos Esteves und Leander Lost erging es nicht anders.

Sie kopierten die Fotos für eine genauere Analyse durch Mãe und verabschiedeten sich.

 

Marcos Serra fanden sie sehr aufgeräumt in seinem Büro wieder.

»Ich habe die Bänder«, verkündete er stolz, »und ich habe schon etwas herausbekommen.« Er hatte eine Flasche Weißwein geöffnet, an der sich auch Carlos gerne bediente.

Serra deutete auf den Monitor vor sich, auf dem ein neuer Bildausschnitt des Golfresorts zu erkennen war, der Blick Richtung Sternerestaurant. Er drückte auf Play. Aus dem Eingang trat ein Mann, der sich anschließend über den befestigten, unbeleuchteten Weg auf die Kamera zubewegte, die in einer Laterne untergebracht war. »Gestatten«, sagte Serra, »das ist unser Gast mit dem falschen Namen: Mario Guerra. Und gleich werden Sie auch sehen, warum ich mir da so sicher bin.«

Der Mann passierte zunächst ein Ferienhaus, schaute sich unauffällig um und näherte sich dem Objekt über einen durch eine Hecke geschützten Weg. Dann verschwand er hinter der Hecke. Es war nicht zu sehen, was er dort tat – doch dann erlosch das Außenlicht über der Eingangstür.

»Was ist das für ein Haus?«, fragte Esteves.

»Das ist die Nummer 22«, Serra schob den Lageplan des Monte Rainha über die Tischplatte in den kreisrunden Lichtkegel der Schreibtischlampe und tippte auf ein Haus, »die Villa Vinte-e-Dois«.

»Einfallsreicher Name«, stellte Carlos fest, »ganz offensichtlich weiß er, wo sich die Hauptstromleitung zu dem Haus befindet und wie man sie kappt, ohne dass der Hausalarm ausgelöst wird.«

Serra nickte: »Ja, er hat den Alarm auch stillgelegt. Anschließend passiert zehn Minuten lang nichts.«

Er spulte vor, bis wieder Bewegung in das Video kam – die Gestalt verließ das Haus über die Eingangstür, wischte mit einem Tuch über den Türknauf und machte sich auf den Weg zurück.

»Wer hatte sich an dem Abend dort eingemietet?«

Marcos Serra nickte mit einer Spur Stolz, weil er auch das bereits recherchiert hatte: »Eine Senhora Nadine Deveraux aus Vichy. Während der Mann sich an ihrem Haus zu schaffen machte, saß sie übrigens im Restaurant. Das hier sind ihre Kontaktdaten, die wir beim Check-in aufgenommen haben.«

Er reichte Carlos eine fein säuberlich beschriftete Karteikarte.

Es handelte sich um ihre Anschrift in Vichy und eine Kontaktmöglichkeit via Mail oder Mobilnummer.

Carlos wählte umgehend ihr Handy an, es gab ein Klicken, dann meldete sich auf Französisch eine weibliche Stimme. Er versuchte es auf Englisch, aber die Frau am anderen Ende sprach beharrlich weiter ihre Sprache: »Non, je ne suis pas Madame Deveraux. Je suis sa secrétaire, Madame Leroc.«

»Ich glaube, das ist sie nicht selbst. Falsche Nummer vielleicht?«

»Monsieur?«

Carlos reichte sein Handy an Serra, der aber keine Anstalten machte, es entgegenzunehmen: »Was soll ich damit?«

»Sie können doch sicher Französisch, oder? Bei so vielen französischen Touristen hier in der Gegend.«

»Nicht bei uns! Die meisten Franzosen fahren auf die Campingplätze. Zum Ärger der Wirte, wie ich weiß, weil sie nämlich nicht in Restaurants essen, sondern sich ihr eigenes Essen auf den Plätzen brutzeln. Sogar im Winter! Um zu sparen.«

»Monsieur? «

Carlos seufzte und warf Leander einen ratlosen Blick zu.

»Sie können nicht zufällig ein wenig Französisch?«

Auf eine Fragestellung, deren Antwort man durch die Arbeit einiger Synapsen eigenständig hätte erbringen können, hatte Tucker eine passende Replik (Kap. 4-2: Sprachökonomische Bumerange ):

»Ist Wasser nass?«

Leander nahm ihm das Gerät ab.

 

»Was hat sie gesagt?«, fragte Carlos, als Lost aufgelegt hatte.

»Es war tatsächlich die Sekretärin. Senhora Deveraux hat beruflich in London zu tun. Vor morgen, 11:45 Uhr, gibt es keinen freien Platz in ihrem Terminkalender. Den habe ich vorsorglich geblockt.«

»Na, fein – danke. Senhor Serra, wann ist Senhora Deveraux aus dem Monte Rainha wieder abgereist?«

Serra schenkte Carlos und sich nach und warf dann einen Blick in seinen Rechner.

»Am 23. September«, sagte er, »also am Morgen danach.«

»Hat sie beim Check-out irgendwas erwähnt? Dass sie irgendetwas vermisst, zum Beispiel?«

Serra scrollte hinunter und schüttelte dann den Kopf: »Wir haben hier extra einen Bereich, in dem Beschwerden und Kritik dokumentiert werden …«

»Und was steht da?«, unterbrach Carlos.

»Nichts,«, antwortete er mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in der Stimme, »wie üblich.«