28.

Cabral hatte aus dem Abdruck, den sie von einem Mann aus Lissabon erhalten hatten, eine Kopie aus Metall angefertigt. Unter der Lupe hatte er den Bart gefräst. Millimeterarbeit.

Der Mann aus Lissabon verfügte über besondere Talente. Er nannte sich Manuel Ronaldo, was ganz gewiss nicht sein echter Name war. Er verlangte nicht weniger als zehn Prozent dessen, was sie heute abräumen würden. »Sie besorgen nur den Schlüssel«, hatte César ihn bei ihrer Verhandlung über die Bezahlung abblitzen lassen. Mal wieder eine vorschnelle, unüberlegte Reaktion, wie man an Ulisses’ Miene ablesen konnte.

Ronaldo hatte nachsichtig gelächelt: »Nur den Schlüssel? Haben Sie mal ein Theaterstück besucht, nein? Wissen Sie, was es an Können erfordert, den Text für eine Rolle von drei oder vier Stunden einzustudieren? Für diese Zeit in die Haut eines anderen Menschen zu schlüpfen. Sehen Sie, man sitzt da im dunklen Saal und weiß doch, dass es eine Aufführung ist. Meine Senhora wird das nicht wissen. Ich spiele die Rolle nicht für drei oder vier Stunden, schminke mich dann ab und gehe nach Hause, ich spiele sie über Wochen. Ohne Pause, immer.

Ich bin der Mann, auf den die Senhora nicht mehr gehofft hatte. Ich muss ihn jede Minute verkörpern. Ich muss ihr Vertrauen gewinnen. Ich muss ihre Freundinnen von meinen hehren Absichten überzeugen. Es darf nirgends Nahrung für einen Zweifel geben. Gibt es nur den geringsten, bleibt ihr Safe für mich verschlossen. Und Ihre Unternehmung, meine Herren, geht den Bach runter, bevor sie begonnen hat.«

Nach diesem Monolog machte »Senhor Ronaldo« eine kurze Kunstpause, bevor er sie vor die Wahl stellte: »Ich offeriere die zehn Prozent aus einer Geste der Freundschaft gegenüber Ulisses. Ich werde für gewöhnlich mit 15 Prozent beteiligt. Und Sie können sicher sein: Ich werde mich nicht dort aufdrängen, wo ich nicht erwünscht bin.«

Also engagierten sie ihn.

»Das, was wir mit der Axt machen, macht dieser Mann mit dem Florett«, hatte Ulisses gesagt.

 

Und so hatte Clara Miranda die beste Zeit ihres Lebens gehabt. Senhor Ronaldo beobachtete und analysierte seine Opfer aufs Genaueste, ihre Gewohnheiten und Ticks, ihre Abneigungen und Begierden – seine Recherche glich einer kompletten Durchleuchtung. Einer Inventur. Am Ende wusste er alles, was man über eine Person herausfinden konnte, ohne jemals selbst mit ihr gesprochen zu haben. Und das war viel.

Clara Miranda liebte Diderot. Das war durchaus speziell, aber für Senhor Ronaldo eine Routinesache: Er wartete in ihrer Lieblingsbuchhandlung (sie wohnte direkt darüber) und blätterte sich die Finger wund in einem Diderot, bis sie ihn sah und sofort Interesse zeigte.

Einmal angebissen, wusste er exakt, welche Knöpfe er zu drücken hatte. Er präsentierte sich als gebildeter, belesener Mann, sportlich, aber auch musikalisch (Klavier), sagte, dass er nur leidlich koche, und kochte dann großartig, also auch noch ein Gentleman, dessen zweite Natur das Understatement war. Er machte sich rar, er ließ sie kommen, er war – ganz wichtig – ein guter, einfühlsamer Zuhörer. Und – als es dann so weit war – ein leidenschaftlicher und rücksichtsvoller Liebhaber.

Clara hatte, wie ihre Mutter das genannt hatte, als sie noch lebte, nie ein glückliches Händchen bei Männern gehabt. Genau genommen hatte sie in den letzten Jahren dann gar kein Händchen mehr dafür gebraucht, weil sie keine mehr kennengelernt hatte. Die Hoffnung auf Mr Right hatte sie längst aufgegeben, und natürlich hätte sie weit von sich gewiesen, dass ihr zum Lebensglück was fehlte. Sie hatte Erfolg im Beruf und besetzte eine äußerst respektable Position. Und sie war zufrieden allein. Dachte sie. Und dann kam er. Und sie hatte die Zeit ihres Lebens mit ihm. Die beste Zeit.

Er war Kunst- und Schmuckhändler, ein für sie fremdes, aber faszinierendes Gewerbe. Und es lag einfach nahe, dass er eine besonders kostbare Diamantbrosche, die er kurzfristig erworben hatte und sicher unterbringen musste, in ihrem Safe aufbewahrte. Neben dem Tresorschlüssel für die Banco de Portugal, deren Direktorin sie war.

Und eines Morgens waren alle drei weg: der Schlüssel, die Brosche und Senhor Ronaldo.