KAPITEL 22
Ich bin so wütend auf sie, brenne innerlich, will sie an den Schultern packen, schütteln, damit sie aufwacht, und gleichzeitig will ich, dass jemand mich aus diesem Albtraum herausholt. Wie kann sie mir das antun? Wieso macht sie nicht das, was ihr die letzten Wochen so leichtgefallen ist, und bleibt unsichtbar? Aber sie kann es nicht lassen, hat sich etwas ganz Besonderes für ihr Höllenfinale aufgehoben und mich als ihren Spielpartner auserkoren, der selbstverständlich bereitsteht, wenn sie ruft.
Ich wollte nicht kommen, und das schrieb ich ihr auch. Mit eisernem Willen habe ich mich gegen meine Gefühle gestemmt und gegen die Nachrichten, die ich wochenlang nicht von ihr erhalten habe. Auf einmal hatte ich nur noch den Drang, sie sofort zu löschen, und empfand so etwas wie Stolz dabei, weil ich es schaffte. Doch die richtige Folge der falschen Worte und das Schloss war geknackt.
Der Klumpen, der einmal ein von Gefühlen durchtränktes Herz war, ist bei ihr angekommen und schmerzt noch stärker als je zuvor. Was soll ich denn denken, wenn sie mir schreibt, es tue ihr leid, sie hoffe, ich könne ihr irgendwann verzeihen und sie könne nicht mehr? Es ist so, als würde sie genau wissen, welche Fäden sie ziehen muss, um mich tanzen zu lassen, weil sie mich so gut kennt. Ich bin ein offenes Buch, sie eines mit sieben Siegeln. Verdammt schön, verflucht anziehend, entsetzlich wechselhaft, gefährlich zerstörerisch und vielleicht trotzdem die Liebe meines Lebens.
Wieso tut sie mir das an? Wir haben nie über meine Mutter gesprochen, okay, aber sie muss doch irgendetwas davon mitbekommen haben, oder nicht? Es spricht sich doch immer rum. Egal, ob man es will oder nicht, plötzlich ertönt es aus jeder Ecke. Woher hatte sie diese Tabletten und warum liegen sie hier herum? Ich habe Sturm geklingelt, niemand öffnete und einem unüberlegten, glücklichen Impuls folgend schaute ich unter der Fußmatte nach und fand den Schlüssel, der das Schloss öffnete und mir Zutritt verschaffte. Im Flur diese Scherben, Blut, ein starker Kontrast zu den weißen Fliesen, der mich in Panik versetzte.
Ohne einen weiteren Atemzug abzuwarten, sprintete ich die Stufen nach oben, hörte sie weinen und schluchzen und öffnete die Tür. Sie schrie und ich erwiderte irgendetwas, vollkommen aus der Puste. Es ist erst Minuten her, aber ich weiß nicht mehr, was es war, nur dass ich ihr ins Gesicht schlug, um ihre Schreie zu beenden. Ich wollte das nicht, aber da ist so viel Wut in mir und es soll einfach aufhören. Doch selbst diese Berührung, dieser Schlag setzte mich so unter Strom und dieser jagt jetzt durch meinen ganzen Körper.
Ich zerrte sie ins Bad, steckte ihr meinen Finger in den Hals, dachte nicht nach, sondern war diesem verzweifelten Drang ausgesetzt, ihr das beschissene Leben zu retten. Dann fand ich mich plötzlich in ihrem Zimmer wieder und sah ihren Abschiedsbrief auf dem Boden, der das alles noch einmal verschlimmerte. Noch wütender, kochend vor Zorn, funkelte ich sie an und wollte nur hören, dass es nicht wahr ist, zitterte und war nicht fähig zu verhindern, dass meine Sicht verschwamm und sich die Tränen ihren Weg über mein Gesicht brannten. Das Blatt Papier glitt aus meinen Händen, und ich dachte, mein Kopf würde explodieren. Am liebsten hätte ich das Fenster geöffnet und wäre gesprungen.
Ich bin da schon einmal durch und ein zweites Mal überlebe ich es nicht, und das meine ich nicht metaphorisch oder um dem Ganzen noch mehr Drama beizumischen, nein, ich meine es so, wie ich es sage: Wenn ich ein zweites Mal in solch eine Situation geschleudert werde, will ich tot sein.
Genau da, als mir dieser Wunsch ins Gehirn schoss, fiel sie um, dieser schlanke, leichte Körper in meinen Armen, und plötzlich saßen wir auf dem Boden und wechselten Sätze, an die ich mich jetzt nicht mehr erinnere. Wieso ist es so schwer, sie zu lieben und mit ihr zusammen zu sein? Warum bereitet es mir diese Höllenqualen? Ich kann diese Sucht nicht kontrollieren, küsse sie schon wieder. Immer wieder. Höre nicht auf, muss sie schmecken, ihre weichen Lippen fühlen und meine Hände an ihr nasses Gesicht legen, um ihren Puls zu spüren. Dass sie am Leben ist. Sie ist schlecht für mich, aber ich gebe es auf. Gebe mich auf. Sterben werde ich so oder so, warum dann nicht auf ihre Weise?
Keuchend sitzen wir voreinander, meine Hände an ihren Wangen, ihre in meinem Nacken verschränkt. Die letzten Nächte, teilweise pechschwarz und schlaflos, sie alle endeten damit, dass ich alleine aufwachte und mich nach ihr sehnte. Diese toxische Verbindung ist tödlich, aber wie sagte Barbossa in Fluch der Karibik3? Der Tod macht den Tag erst lebenswert.
Ich höre ihr Wimmern, öffne meine Augen und sehe, dass ihre geschlossen sind. Ich will sie sehen, ihren Blick festhalten, der leuchtet und mich anzieht wie das Licht die Motten. Mein kleines Glühwürmchen, ich muss ihr Leuchten sehen.
»Vio? Bitte guck mich an«, flüstere ich.
Das helle Braun ist verschwommen und das Weiß von feinen roten Äderchen durchzogen. Nie hat sie schöner ausgesehen, verletzter und ehrlicher als jetzt.
»Wieso hast du deine Jacke an?«, fragt sie leise.
Verwirrt schaue ich zu meiner Kleidung. Wann hätte ich sie denn ausziehen sollen? Meine Schuhe habe ich auch noch an. Jede Sekunde wäre zu viel gewesen, um sie mit dem Ausziehen dieser Sachen zu verschwenden. Vielleicht würde dann ihre leblose Hülle jetzt in meinen Armen liegen, anstatt ihres zitternden Körpers.
»Sonst wäre ich zu spät gekommen.«
Sie klammert sich an mich und ich merke, wie ihre Tränen mein Shirt tränken. Sie brennen wie Säure, und obwohl ich habe, was ich wollte, macht sich keine Erleichterung in mir breit. Der Gedanke, dass sie jetzt tot sein könnte, wäre ich nicht gekommen, verdrängt alles ins Nichts. Ich höre ihren leisen Atem, der die Stille durchbricht, und fühle ihren Puls. Sie lebt, nur das ist wichtig.
Mein Blick fällt auf die Flasche neben ihr und ich überlege, ob ich mich auch daraus bedienen sollte. Bei genauerer Betrachtung stelle ich zu meinem Bedauern jedoch fest, dass kaum mehr etwas übrig ist. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als sie weiter zu halten, und ich könnte damit leben, das für den Rest meines Lebens zu tun. Egal wie falsch es ist, unbestreitbar falsch, die Definition davon, fühlt es sich jedoch in dieser Sekunde so richtig an.
Mir ist bewusst, dass ich die Waffe gerade selbst lade.
»Beruhige dich. Es wird alles gut, hörst du?«
Sie hebt ihren Kopf, schaut mich aus ihren großen geröteten Augen heraus an und ich muss lächeln, als dieser Blick mein Herz durchbohrt.
»Komm, du musst ins Bett. Ich helfe dir.«
Unbeholfen stehen wir auf. Im Bett ist sie besser aufgehoben, kann sich hinlegen und ausruhen und hat keine Gelegenheit dazu, sich eine dieser Pillen doch noch vom Boden zu schnappen und es zu Ende zu bringen. Wir gehen ein paar Schritte, ich stütze sie und langsam bekomme ich sie zu der Matratze und lege sie hin. Sie lässt mich nicht los und ich falle mit ihr aufs Bett. Sie stöhnt auf, als mein Gewicht für einen kurzen Augenblick auf ihr lastet, und schnell stütze ich mich ab und sehe ihr ins Gesicht. Sie hat aufgehört zu weinen, ihre Augen sind leer, fangen meinen Blick ein und dann schleicht sich die bekannte Angst in ihren Ausdruck, die ich mittlerweile benennen kann.
»Wieso hast du Angst vor mir?«, flüstere ich.
»Das habe ich nicht.«
»Doch, ich sehe es dir an. Du hattest schon immer Angst vor mir.«
Sie macht ihre wundervollen Augen zu und beißt sich auf ihre Unterlippe. Ich streiche ein paar Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, betrachte ihre verzerrte Miene aufmerksam und lasse die Hand auf ihrer Wange liegen, streichle sie und ihre Haut fühlt sich so unfassbar weich an. Sie ist so blass und erschöpft, mein kleines, erloschenes Glühwürmchen.
»Ich … ich habe einfach … Angst.«
Ihre Lider heben sich, sie schaut mich an und es kostet sie so viel Überwindung weiterzusprechen.
»Ich … ich weiß es nicht, Leon. Ich verstehe doch auch nicht, was das hier ist … aber … ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe.«
»Was meinst du?«
Ihr Blick huscht hin und her und sie zittert. Sie wird gleich von Neuem anfangen zu weinen. Ich senke den Kopf, küsse ihren Mund und versuche sie zu beruhigen.
»Sag es mir.«
Sie schüttelt den Kopf. Die ganzen letzten Wochen waren auch für sie nicht leicht, mit Sicherheit nicht, doch bestimmt war es einfacher als das jetzt. Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir tanzen, doch es gibt keinen anderen Weg als diesen. Sie legt ihre Hände an mein Gesicht, hält es fest, doch schaut mich nicht an, sondern schließt die Lider, als sie sich überwindet und sich die Schlinge um den Hals legt, die ich einfach nur zuziehen müsste, um all dem ein Ende zu bereiten.
»Ich kann dir … nicht gerecht werden. Das mit Jonas … o Gott, ich bin es nicht wert. Ich habe doch irgendetwas an mir, dass ich … das verdiene, oder? Er hat es gesehen und Noah und David … zu mehr bin ich nicht gut genug. Ich bin bedeutungslos und ich weiß nicht, warum. Leon … für dich werde ich auch nicht gut genug sein.«
So sieht es also aus, wenn ein Glühwürmchen stirbt.
Ich weiche zurück und setze mich hin, rutsche nach hinten, bis ich die Wand im Rücken habe, und ziehe sie mit mir. Sie lässt es mit sich geschehen, ist vollkommen am Ende und kraftlos und auf mich angewiesen in diesem Moment, in dem sie ihr Innerstes nach außen stülpt. Mein Arm ist um ihre Schultern gelegt, ihr Kopf neben meinem und der verführerische Duft ihres Haars in meiner Nase. Regungslos liegen ihre Hände in ihrem Schoß, nur das Zittern ihres Körpers verrät, dass sie noch bei mir ist.
»Ich habe dir gesagt, dass du schlecht für mich bist, und ich habe dich nicht angelogen. Du … hast mich durch die Hölle geschickt, weißt du das? Ich habe es am Anfang nicht so wahrgenommen, als du bei mir warst und wir miteinander geschlafen haben. Ich wollte dich. Ich war schon so lange in dich verliebt. Auf der Brücke … du hast den Kuss erwidert und ich witterte meine Chance, endlich mit dir alles zu haben, was anderes wollte ich nicht, und dann bist du gegangen. Hast du mir überhaupt nur eine Sekunde geglaubt, dass es mir nicht nur um den Sex ging?«
Ich seufze und streiche ihr über den Kopf.
»Ich habe nicht sofort verstanden, warum ich das überhaupt mache, dir hinterherjage. Eigentlich hätte ich nach dem Abend auf dem Kiez, als du mich angeschrien hast, schon einsehen sollen, dass es zwecklos ist.«
Eine Pause entsteht und ich hole Luft. Was ich jetzt sage, wird mir nicht leicht über die Lippen kommen und ich brauche einen Moment, mich darauf vorzubereiten. Jetzt oder nie. Alles oder nichts. Und ich zähle von drei runter …
»Meine Mutter ist vor vier Jahren gestorben. Sie hat sich das Leben genommen. Ein paar Tage, nachdem das mit uns passiert ist, war ihr Todestag, und ganz ehrlich, dein Timing hätte kaum beschissener sein können.«
Freudlos lache ich auf.
»Jedes Jahr war schlimm, aber noch nie so wie dieses. Auf einmal war es zu viel und ich erkannte mich selbst nicht wieder. Ich wollte mich mit Annika ablenken, habe getrunken, mir sonst was eingeworfen, war feiern, um irgendwie meinen Kopf frei zu bekommen. Stattdessen wurde mir immer stärker bewusst, dass es nichts gibt, das mich davon ablenken konnte.«
Ich schaue ihr in die Augen.
»Die Tage vorher waren schon eine Tortur, doch plötzlich war alles leichter, als wir zusammen waren. Dabei dachte ich, es würde sich niemals was an diesem Zustand ändern, und glaub mir, ich habe mir mehr als einmal Gedanken gemacht, ob ich mit dem Ganzen nicht einfach abschließen soll.«
Eine kurze Pause.
»Ich habe es vorher nicht geschafft, es dir zu erzählen, keine Ahnung wieso. Vielleicht dachte ich, dass es dich vertreibt, weil du es nicht verstehst. Dann wollte ich es dir sagen, es endlich aussprechen, weil du mir die ganze Angst genommen hattest, aber da warst du schon verschwunden.«
Sie schlingt einen Arm um meine Mitte, drückt sich fester an mich und ich vermute, dass sie den Atem anhält, weil ich das Geräusch nicht mehr hören kann.
»Ich habe wirklich alles versucht, niemanden mehr an mich heranzulassen. Meine Eltern sind beide tot, meinen Bruder sehe ein oder zwei Mal im Jahr und du stolpertest einfach in mein Leben und hast dich so darin eingewoben, dass ich dich nicht mehr herausbekomme. Das habe ich einsehen müssen, als ich mich noch schlimmer als die letzten Jahre in alles Mögliche gestürzt habe, um mich abzulenken. Du hast es geschafft, dass ich dich an mich herangelassen habe, seelisch, und den Bruch habe ich nicht ertragen. Dann habe ich beschlossen, mich notfalls auch gewaltsam von dir frei zu machen, weil mir alles zu viel wurde, aber …«
Ich schüttle den Kopf. Sie hebt den ihren und ich drehe meinen. Uns trennen nur Millimeter und ich spüre ihre Lippen, die meine ganz leicht streifen, als sie spricht. Ihre Worte sind ängstlich und ehrfürchtig und ihre Stimme zittert.
»Es tut mir so leid. Ich wollte dir nie so wehtun. Ich hatte keine Ahnung.«
Ich lege meine Stirn an ihre, ziehe den Arm von ihren Schultern und halte ihr Gesicht in meinen Händen. Mein Mund ist frei und ich kann meinen angefangenen Monolog zu Ende führen.
»Du bist es, Viola. Du hast mich verletzt, mir wehgetan, mich verlassen, mich beschimpft. Ich war nicht mehr ich selbst, kannte mich gar nicht in dieser Version und hasste dich dafür, dass du diesen Menschen aus mir gemacht hattest. Und jetzt weiß ich warum und ringe mit mir, dich zu verstehen, und gleichzeitig will ich dich nie wiedersehen, weil du bei Luke warst und nicht bei mir. Ich habe dich gebraucht. Und dann fällt mir wieder ein, dass ich dir nie von meiner Mutter erzählt habe. Du wusstest es nicht und trotzdem bin ich wütend.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Wir haben uns beide nicht alles gesagt.«
Ich spüre, wie ihre Wangen anfangen zu zittern und sie sich zusammenreißen muss. Nur noch einen Augenblick Geduld. Ich bleibe ruhig und spreche zu Ende.
»Es ist jetzt etwa zwei Monate her, dass du mir alles weggenommen hast. Aber … du bist es einfach. Frag mich nicht wieso oder woher ich das weiß, aber es ist so. Nach allem, durch das wir durch sind, was ich erlebt habe und was mich davon hätte abschrecken müssen hierherzukommen. Es ist schon etwas her, dass ich dachte, ich sei angekommen und hätte etwas gefunden, für das es sich lohnt, weiterzumachen. Als wir die Nacht miteinander verbracht haben. Ich war dir in jeder Hinsicht so nahe und so verliebt in dich und dachte, es geht nicht mehr. Ich war befreit. Und ich fühle immer noch das Gleiche.«
Während ich das sage, schließe ich meine Augen. Dann ist es still. Ich warte darauf, dass sie antwortet. Sie hat aufgehört zu zittern und sich nicht von mir wegbewegt. Unsere Atem sind ruhig. Ihre Hand fährt durch mein Haar und ich mache die Augen auf, um sie sehen zu können. Ihr Blick begegnet meinem, unsicher, und sie traut sich lediglich zu flüstern, so leise, dass ich es kaum verstehe.
»Meinst du das ernst?«
Ich küsse sie, nur ganz leicht.
»Ja.«
Sie lächelt. Ja wirklich, ihre Mundwinkel ziehen sich nach oben und sie ist … glücklich? Es ist surreal, dass in dieses dunkelbunte Muster auch ein heller Streifen eingearbeitet sein soll, doch ich sehe ihn deutlich vor mir.
»Ich liebe dich, Leon.«
»Bist du noch betrunken?«
»Nein, ich war noch nie so nüchtern. Und ich liebe dich.«
Ihre kleinen Hände, ihre schlanken Finger mit der blassen, gespannten, weißen Haut, so weich und kalt, berühren mein Gesicht und ich fahre mit meinen Händen durch ihr Haar, das mich verrückt macht, wie alles an ihr mich verrückt macht. Sie lehnt sich nach vorne, überbrückt die wenigen Millimeter, die uns trennen, und besiegelt dieses Versprechen mit dem ersten Kuss, der keine Nervosität, keine Angst und keine Zweifel beinhaltet. Sie liebt mich und ich liebe sie. Ich verdränge, dass sie sich umbringen wollte, habe es geschafft, sie zu retten, und jetzt sind wir glücklich. Weg ist der Gedanke, dass sie mich früher oder später töten wird, aber das nehme ich so gerne in Kauf, denn alles, was ich will, ist diese süße, trügerische und nicht abwendbare Gewissheit zu erfahren, nach der ihre Küsse schmecken.
Sie streift mir die Jacke ab. Ich kenne das, so oder so ähnlich hat es schon einmal angefangen, aber jetzt ist es anders. Ich spüre es, sie ist bei mir und ich nehme mir nicht alles, was sie mir gibt, nein, ich gebe ihr das alles zurück und zeige ihr, dass ich es ernster nicht meinen könnte. Das kann man nicht beweisen, man weiß es oder eben nicht. Man ist sich nicht sicher, denkt nicht oder vermutet, nein, es ist die Wahrheit in ihrer reinsten Form, ohne Wenn und Aber: Sie ist es, so einfach ist das.
Ich küsse sie unaufhörlich, bin ein Junkie und will mehr von dieser Droge, will sie mit jeder Faser meines Körpers, das Mädchen, das nicht mehr weint, das mich verstanden hat und das ich liebe. Wir legen uns hin und die Jacke landet irgendwo raschelnd auf dem Boden. Ich bin sehr vorsichtig, berühre mit meinen Händen den Saum ihres Shirts und fahre darunter. Ihre Haut, egal wo ich sie berühre, schmiegt sich perfekt an meine.
Wir gehören zusammen.
Sie richtet sich etwas auf, sodass ich ihr das Shirt über den Kopf ziehen kann, und damit ich mich nicht zu oft von ihr lösen muss, ziehe ich meins gleich mit aus. Mund an Mund, Brust an Brust, Körper an Körper und Herz an Herz. Wir sind zusammen.
Ich verteile meine Küsse über ihren Hals, die Brüste, den Bauch hinab und ziehe ihre Hose mit nach unten, als ich bei ihren Füßen ankomme und sanft über sie streiche. Weg mit der Hose, weg mit meiner, sie stören nur und trennen uns und ich will nicht mehr von ihr getrennt sein, nie wieder, egal auf welche Art und Weise. Der Tanz ihrer Finger, den ich auswendig kenne, sie führt ihn endlich wieder auf meinem Rücken auf. Wir drehen uns in diesem schmalen Bett, das eigentlich nur für eine Person gemacht ist, doch wir sind eins und es ist unseres.
Sie liegt auf mir, ich öffne den Verschluss ihres BHs und streife ihn ab. Ohne eine trennende Schicht Stoff schlägt ihr Herz an meiner Brust, das Herz, das jetzt mir gehört, und meines schlägt so laut und so schnell, dass es mir herausspringt, rüber zu ihr, und dieses Mal nimmt sie es in ihre schützenden Hände. Ihre Lippen pressen sich an meinen Hals und ich halte für einen Moment inne, verharre mit einer Hand an ihrer Hüfte, die andere hebe ich und vergrabe sie in ihrem Haar. Ich will, dass sie mich ansieht, bevor wir noch weiter gehen.
»Ich will alles mit dir. Ich will, dass wir zusammen sind. Es geht mir nicht um das hier.«
Sie lächelt. Ich habe es so vermisst, sie lächeln zu sehen.
»Ich will es aber. Willst du es nicht?«
Ich drehe mich mit ihr, liege über ihr und betrachte sie für einen Moment, bevor ich ihr antworte.
»Ich will nur nicht, dass du morgen weg bist, wenn ich aufwache.«
Sie hebt ihre Hand, legt sie an meine Wange und sieht mich ernst an.
»Ich laufe nicht noch mal weg, das verspreche ich dir.«
Es wäre besser, wenn ich jetzt aufhören würde, doch ich kann mich nicht mehr von ihr trennen. Es gibt keinen Ausweg. Liebe tut weh, und wenn es nur auf diese Weise geht, ist es okay. Entweder bin ich bei ihr oder sie stirbt, und das lasse ich nicht zu.
Eine zweite Spur aus Küssen nach unten, ich lasse ihren Slip verschwinden und meine Shorts, sie spreizt ihre Beine und mich überkommt eine Woge der Wärme, als ich sie spüre. Ich merke, wie sie das Gift durch meine Adern pumpt, dass ich zu schwach bin, um mich von ihr fernzuhalten, und ich liebe sie so sehr, dass ich doch nicht bereuen kann, an ihr zu zerbrechen. Physikalisch, emotional und auf jede andere erdenkliche Weise.
Es ist Freitag, die Nacht vom siebzehnten April auf den achtzehnten, wir sind zusammen und ich weiß, dass ich noch nie im Leben glücklich war. Damit muss ich leben, sonst töte ich sie, und bevor ich das tue, jage ich mir lieber selbst die Kugeln durch den Kopf, atme durch und küsse ihre Lippen.