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Graham

3 Monate später

Was zum Teufel hatte ich mir gedacht? Ich steckte mein Hemd in die Hose und zog dann den Kragen im Nacken nach oben, um zu sehen, ob das half. Nein, ich sah immer noch aus wie ein verzweifelter Alpha, der von seinem Arschlochbruder zu einem Blind Date an Heiligabend überredet wurde.

Okay, Jeremy war nicht immer ein Arschloch. Manchmal war er tatsächlich ziemlich cool. Aber seit er angefangen hatte, einen Online-Gaming-Freund aus Norwegen online zu daten, war er überzeugt davon, dass jeder die Liebe finden und so glücklich sein sollte, wie er es war. Ich hätte seinen romantischen Worten vielleicht schneller glauben können, wenn er seinen sogenannten Seelenverwandten mindestens einmal persönlich getroffen hätte. Aber da der mysteriöse Henrik am Tag vor Jeremy´s erstem persönlichem Besuch eine Staphylokokken-Infektion bekommen hatte, hatte ich meine Zweifel. Zweifel an Henriks tatsächlicher Persönlichkeit und der Möglichkeit, dass wahre Liebe überhaupt existierte.

Es war nicht so, dass ich skeptisch war. Ich glaubte, dass einige Menschen die Liebe gefunden hatten und bis ans Ende ihrer Tage glücklich leben würden. Ich glaubte nur einfach nicht daran, dass das die Norm war. Tatsächlich war ich ziemlich zuversichtlich, dass dies die sehr seltene Ausnahme war. Deshalb hatte ich überhaupt nicht danach gestrebt.

Ich hatte vor Jahren beschlossen, einfach… nur zu sein. Ein Alpha zu sein. Single zu sein. Eine Affäre zu sein. Was auch immer ich sein musste, um ein angenehmes Leben zu führen, war das, was ich sein würde. Und bis jetzt bedeutete das, Blind Dates wie die Pest zu meiden. Aber als mein kleiner Bruder mich herausforderte, mich mit einem seiner örtlichen Gaming-Freunde zu verkuppeln, konnte ich nicht Nein sagen. Ich wollte Nein sagen, glaubt mir, ich wollte wirklich, wirklich nein sagen.

Aber ich konnte es nicht.

Nicht, wenn er mich herausforderte.

Da war ich also, starrte in meinen Flurspiegel und versuchte zu entscheiden, ob mein Kragen besser aussah, wenn er aufgestellt war.

Was war aus meinem Leben geworden?

Als ich auf den Parkplatz von Maldonado fuhr, war ich so ziemlich über alle Bedenken hinweggekommen, die ich zuvor wegen meines Outfits hatte. Immerhin war ich kein junges Mädchen. Dieser Typ würde entweder auf mich stehen oder nicht. Wenn er auf mich stand, würden wir wahrscheinlich ficken, bevor wir Gute Nacht sagten, und wenigstens würde ich mich vor Weihnachten entladen. Und wenn er nicht auf mich stand, würde ich am Ende das gleiche tun, was ich sonst an Heiligabend getan habe. Ich ging alleine ins Bett und wachte neben meinem Fernseher auf, auf dem der Kamin-Kanal lief, bevor ich zu meiner Mutter ging, um mit der Familie zu frühstücken.

In jedem Fall würde ich mit ein paar der besten Enchiladas der Stadt und ein oder zwei Margaritas in meinem Bauch von hier verschwinden, sodass die Nacht in beiden Fällen okay werden würde.

Als ich ankam, waren in der Lobby schon viele Menschen aber Erik, der Typ, den ich treffen sollte, war noch nicht angekommen. Ich gab der Hostesse meinen Namen und schickte Erik einen kurzen Text, um ihn wissen zu lassen, dass ich an der Bar auf ihn warten würde. Die geschätzte Wartezeit war fünfzehn bis zwanzig Minuten, was die perfekte Länge für Erik und mich war, um etwas zu trinken und uns zu unterhalten, bevor wir zum Abendessen Platz nahmen.

Da es Heiligabend war, war es an der Bar voll. Ich überlegte kurz, ob ich in der Nähe der Eingangstür bleiben sollte, damit ich Erik gleich erwischen könnte, wenn er hereinkam, aber ich wollte wirklich etwas trinken, also ließ ich mich auf einen Hocker in der Ecke fallen und bestellte eine Herradura Margarita. Die anderen Gäste in der Bar waren eine Mischung aus Kindern im College-Alter, die in den Ferien zu Hause waren, und Paaren, die ohne ihre Kinder etwas trinken wollten. Der erschöpfte Ausdruck und der Mangel an echten Gesprächen zwischen den Paaren erinnerten mich daran, warum ich Single bleiben musste. Sich niederzulassen machte keinen Spaß. Tatsächlich sah es aus meiner Sicht langweilig und ein wenig deprimierend aus.

Als mein Getränk ankam, nahm ich einen Schluck und drehte mich auf dem Hocker um, damit ich die Tür im Auge behalten konnte. Erik und ich hatten Fotos ausgetauscht, damit ich eine Vorstellung davon hatte, wie er aussah, aber die Leute sahen nicht immer so aus wie auf den Bildern. Deshalb wollte ich es ihm leicht machen, mich auch zu erkennen.

Ich war zur Hälfte mit meinem Getränk fertig, als eine Nachricht kam und mein Telefon gegen meine Brust vibrierte. Als ich auf den Bildschirm schaute, ging ein leises Murren durch meine Kehle, als ich überlegte, was meine Rache an Jeremy sein würde. Weil er dafür würde büßen müssen.

Der Text von Erik war einfach und komplett unaufrichtig. Werde es heute Abend nicht schaffen. Frohe Weihnachten.

Dieser Ficker hatte mich versetzt.

Am verdammten Heiligabend. Ja, die Rache würde schmerzhaft werden. Ich fragte mich, ob ich auf meinem Heimweg ein paar Dutzend Turteltauben finden könnte und sie in Jeremys neuem Tesla freilassen könnte, damit er sein ganz persönliches Frohes Weihnachten erlebte.

Ich habe nicht einmal auf den Text geantwortet. Es gab nichts zu sagen. Ich war der Dummkopf, weil ich etwas so Dummem zugestimmt hatte. Ich knallte mein Getränk auf den Tresen und nickte dem Barkeeper zu, damit er mir ein weiteres bringt. Ich hatte nicht vor, mich zu betrinken, aber ich hatte einen kurzen Rausch verdient, bevor der Pager losging und ich der Hostesse würde sagen müssen, dass aus meinem romantischen Tisch für zwei ein erbärmlicher Tisch für einen geworden war.

Mein Handy vibrierte wieder an meiner Brust, aber ich schaute nicht sofort darauf. Entweder war es Erik, der sichergehen wollte, dass ich seine Nachricht erhalten hatte, oder Jeremy, der sich für seinen Arschlochfreund entschuldigte, der mich hatte sitzen lassen. So oder so, ich hatte nicht die Absicht zu antworten, bis die Vibration zum Klingeln eines Sprachanrufs wurde.

Ich bekam nur selten Sprachanrufe, daher war ich ein wenig erschrocken, als mein Telefon anfing zu klingeln, aber als ich das Bild meiner Mutter auf dem Bildschirm sah, lächelte ich und ging ran. Ich könnte diese Frau niemals ignorieren. „Hallo Mama. Fröhliche Weihnachten.“

„Dir auch frohe Weihnachten, mein Schatz. Bist du bereit für morgen?“

Ich runzelte die Stirn, nicht sicher, worauf sie sich bezog, und griff schweigend nach meinem neuen Getränk. „Du meinst für Weihnachten? Ja, wir sehen uns um neun.“

„Perfekt.“ Ich konnte fast das Lächeln in ihrer Stimme hören. „Michael von nebenan wird kommen, nachdem wir das Frühstück beendet haben, um die Fotos zu machen. Zieh bitte nur einen schwarzen oder weißen Pullover an, damit wir alle zusammenpassen.“

Zusammenpassen? Worüber zur Hölle sprach sie jetzt? „Wer ist Michael und warum müssen wir zusammenpassen?“

„Im Ernst, Graham?“, schnaufte Mom. Das Lächeln in ihrer Stimme wurde durch Ärger ersetzt. Ich hatte es so an mir, das mit ihr zu machen. „Sag mir nicht, dass du es vergessen hast.“

Scheiße, was habe ich jetzt vergessen? Es war nicht ihr Geburtstag und wir hatten seit meinem zehnten Lebensjahr keine Weihnachtsfotos mehr gemacht. „Gib mir nur einen Hinweis…“

„Die Familienfotos für den Vorstand.“ Ihr Ton war freundlich, aber verärgert, als sie die Geschichte, die sie mir wahrscheinlich zehnmal erzählt hatte, wiederholte, auf die ich aber nie geachtet hatte. Dieses Mal habe ich wirklich versucht, mich zu konzentrieren.

„Ein bisschen mehr…“

„Ich habe dir gesagt, dass ich zur Präsidentin meines Strickclubs gewählt wurde. Ich muss ihnen ein Bild für meine Bioseite auf ihrer Website zukommen lassen. Sie meinten, es könne ein Porträt sein, aber ich möchte ein Bild mit meinen Jungs. Läuten da bei dir irgendwelche Glocken?“

Eigentlich nicht, aber ich war nicht dumm genug, das zuzugeben. „Ja natürlich. Die Sache mit dem Strickclub. Also brauche ich einen schwarzen oder weißen Pullover. Verstanden.“ Ich führte in Gedanken eine schnelle Bestandsaufnahme meines Schranks durch und fragte mich, ob ich irgendetwas Sauberes und Gebügeltes hatte, das funktionieren könnte.

„Danke, Schatz.“ Ich hörte im Hintergrund ein Knistern und wusste, dass sie wahrscheinlich Geschenke einpackte. Obwohl ich in den Dreißigern war, bestand meine Mutter immer noch darauf, Geschenke vom Weihnachtsmann unter den Baum zu legen… und diese konnten erst in der Nacht zuvor eingepackt werden, damit Jeremy und ich sie nicht sahen. Es war eine süße Geste, aber eine, die sie vor etwa zwanzig Jahren hätte aufgeben können. „Wir sehen uns morgen früh, Graham. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, Mama. Bleib wegen des Verpackens nicht zu lange auf.“