Mit dem kleinen, albernen Trip zur Mall am Wochenende nach dem Erntedankfest hatte sich alles verändert. Denn es lief darauf hinaus, dass der Trip alles andere als albern war. Es zeigte mir, wie sehr er Seri in seinem Leben haben wollte. Ich werde nicht einmal so tun, als sei es anders, denn so wie er mich in der Öffentlichkeit für sich beansprucht hatte, ließ mich tagelang einen Ständer haben.
Als mich also Grahams Mutter zu deren Familien-Weihnachtsfest einlud, das noch Wochen vor dem eigentlichen Weihnachten stattfand, zögerte ich nicht, die Einladung anzunehmen, auch wenn es etwas komisch war, dass die Mutter deines Freundes anrief und dich zu irgendwas einlud. Ich schätze mal, dass mir das auf eine seltsame Art das Gefühl gab, willkommen und akzeptiert zu sein.
Es war außerdem eine gute Ablenkung. Nachdem ich die Nachricht von meinem Chef bekommen hatte, oder jedenfalls meinem ehemaligen Chef Jack, war ich mit den Nerven am Ende. Ich würde ihn bestimmt nicht kontaktieren, wenn gerade eine FBI-Ermittlung lief. Ohne Zweifel wusste ich, dass ich genau gegen null Gesetze verstoßen hatte und dass ich nicht einmal Zugang zu den Sachen hatte, die irgendwas mit den Finanzen zu tun hatten. Nein. Ich hatte vor, in dieser Angelegenheit still zu bleiben.
Die Fahnder würden schließlich kommen.
Ich bildete mir nichts ein. Aber zu diesem Zeitpunkt war alles, was ich wusste - nichts. Und ich hatte auch vor, dass es so bleibt. Mir tat Jack aber doch irgendwie leid. Er war schon immer ein Lakai… wenn auch ein eingebildeter. Die Chancen, dass er unter einen Bus geschubst wurde, standen gut.
Ich war so froh, nicht der Busfahrer zu sein.
Klopf klopf klopf.
Ich trottete zur Tür und öffnete sie, sah nicht nur den sexiesten Alpha aller Zeiten, sondern auch einen, der eine Weste und eine Krawatte trug.
Ich schaute runter auf meine Jeans und den Weihnachtspulli und begann sofort zu überlegen, was ich noch im Schrank hatte. Wenn es Krawatten sein sollten, war ich schrecklich underdressed.
„Denk nicht einmal darüber nach.“ Graham kam hinein und küsste mich, bis mir die Luft wegblieb. Was Ablenkung anging, war das meine Lieblingsform davon.
„Netter Versuch.“ Ich küsste ihn auf die Wange und versuchte immer noch, von unserem Kuss die Luft wiederzuerlangen. „Nie im Leben werde ich der einzige mit einem Weihnachtspulli sein.“ Und nicht einmal einem hässlichen. Er hatte ein schönes rot-grünes Karomuster.
„Da liegst du falsch. Das…“ Er drehte sich herum, um seinen wunderschönen Körper zur Schau zu stellen. „…ist das Ergebnis einer verlorenen Wette.“
„Dass du so sündhaft sexy aussiehst und ich jedes Gramm an Willenskraft aufbringen muss, ist das Ergebnis einer verlorenen Wette? Verlier bitte mehr davon.“
„Ich gebe zu, die hier zu verlieren war eine gute Idee. Ist Seri fertig?“, fragte er, schaute sich nach ihr um.
„Sie schläft, aber sie hatte sich ein bisschen zu winden angefangen, deswegen gebe ich ihr höchstens noch zehn Minuten.“ Das bedeutete für mich auch sehr oft eine Wenn-du-duschen-willst-ist-jetzt-die-Gelegenheit-also-mach-schnell Warnung.
„Ich habe einen Kindersitz für mein Auto gekauft, der Gleiche, wie der in deinem Auto.“ Er reichte mir seine Schlüssel. „Ich dachte, du könntest mal nachschauen, bevor wir gehen, und sicherstellen, dass ich ihn auch richtig angebracht habe. Ich dachte mir, das wäre einfacher, als den Sitz wieder von einem Auto ins andere zu bringen.“
Ich konnte kein Wort sagen, während ich die Tränen zurückhielt, die sich in meinen Augen formten. So viele Dinge daran waren so perfekt. Er wollte, dass sie sicher war, in dem Ausmaß, dass er mich bat, zu checken, ob der Sitz richtig angebracht war. Und niemand kaufte einen dreihundert-Dollar Kindersitz, wenn es nur eine Affäre wäre. Nein, damit zollte er seine Hingabe an mich und sie, auch wenn er es nicht ausgesprochen hatte.
Ich joggte zu seinem Auto und er hatte es perfekt gemacht. So wie ich ihn kannte, hatte er zig Videos darüber auf YouTube angeschaut.
So verdammt hinreißend.
Als ich wieder in die Wohnung kam, sah ich Seri und Graham, wie sie auf dem Boden mit einem Kartonbilderbuch saßen und auf alle Kühe zeigten, während Seri „Muh“ sagte. Und dann lachten sie sich beide schlapp.
Er konnte so unglaublich gut mir ihr. Ich war froh, dass ich nicht der einzige Erwachsene in ihrem Leben war.
Meine Familie war so viele Kilometer weit weg und obwohl wir oft Video-Calls hatten, war es einfach nicht dasselbe.
„Bist du dir sicher wegen dem Pulli?“, fragte ich, als er mit Seri in seinen Armen aufstand und sich ihren kleinen Kindersitz-Poncho schnappte.
„Absolut. Du wirst schon sehen. Ich wette, Jeremy macht mindestens fünf Witze darüber, ehe meinen Mama den Eierpunsch rausholt.“ Er gab mir Seri, während er seinen Mantel anzog und meine kleine Sammlung an Geschenktüten nahm, die für seine Familie und mit deren Namen beschriftet waren. Er hatte mir gesagt, ich solle nichts kaufen, aber er gab schnell nach und half mir, das hübscheste Paar Ohrringe für seine Mutter auszuwählen und Videospiele für seinen Bruder, der, wie sich herausstellte, ein Dreißigjähriger war, der gerade fünfzehn wurde.
„Worauf wetten wir?“
„Wenn ich gewinne, darf ich mit dir nach Hause.“
„Und wenn ich gewinne?“
„Dann darfst du mich mit nach Hause nehmen.“ Er zwinkerte.
„Also ist es für alle ein Gewinn? Das ist die beste Feiertags-Wette“, neckte ich und streifte zufällig und mit Absicht seinen Hintern beim Rausgehen.
Die Fahrt zu seiner Mutter war kürzer, als ich es in Erinnerung hatte. Aber dann wiederum - bei der letzten Fahrt war ich ja in Schrecken versetzt.
„Was für ein wunderschöner Baum“, schmeichelte ich seiner Mama, als sie die Hände nicht von Seri nehmen konnte und ein riesiges Grinsen im Gesicht hatte. Beide hatten es, um genau zu sein.
„Danke! Ich liebe deinen Pulli“, schmeichelte sie zurück und ich wusste sofort, warum. Wir hatten unabsichtlich ein sehr ähnliches Muster für unsere Outfits gewählt, sie für ihren Rock und ich für meinen Pulli.
„Ja, tatsächlich.“ Jeremy kam nach vorn, küsste mich auf die Wange, nur um eine Reaktion von seinem Bruder zu provozieren, wenn ich jemand wäre, der wetten würde. Was ich nicht war, es sei denn, es war eine sichere Sache - wie etwa Graham nach Hause und in mein Bett zu bekommen.
„Danke.“
„Zum Nachdenken, mein Bruder.“ Das Geräusch von Jeremys Hieb auf die Schulter seines Bruders hallte im Raum wider und brachte mich dazu, aus dem Weg zu gehen. „Du hättest einen passenden Kilt zum Pulli deines Mannes tragen können, wenn du diese blöde Wette nicht mit mir eingegangen wärst. Ahhh, Mist, es sieht aber so aus, als hättest du durchs Verlieren eher gewonnen, nicht?“
„Das hast du richtig erfasst, Bro.“ Graham hieb ihn zurück, ehe er seine Hand auf mein Kreuz legte und mich in den Sitzbereich führte, wo seine Mama vergnügt mit dem Baby spielte.
„Er hat mit mir gewettet, dass, wenn ich zu diesem Blind-Date gehe, es mein Leben verändern würde. Und das hat es.“ Er küsste die Stelle genau unter meinem Ohr, als wir die Couch erreichten. „Ich hätte es besser wissen müssen, als so ungewisse Wetten abzuschließen.“
„Ich bin froh, dass du verloren hast.“ Ich nahm seine Hand in meine, als wir uns setzten. „Das bedeutet, dass ich dich mit einer Krawatte sehen darf. Es sei denn, die Sache mit dem Kilt ist noch nicht vom Tisch?“
Und darauf lachte sich Jeremy krumm und schief. Es war nett. Da in dem Zimmer zu sitzen, einfach nur mit der Familie zu sein, auch wenn es nur eine war, die ich mir für einen Abend ausgeliehen hatte.
„Ich glaube, es ist Zeit für Geschenke“, verkündete Jeremy mit einem Klatschen, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Wann machen wir die Geschenke auf, Sohn?“ Seine Mutter seufzte erbittert. Offensichtlich kam das nicht zum ersten Mal vor, wenn man nach ihrem Augenrollen urteilen konnte.
Ich liebte es.
„Nachdem wir gegessen haben, Mutter.“ Er erwiderte ihr Augenrollen und verschwand aus dem Zimmer, kam ein paar Momente später wieder mit einem Servierwagen zurück, der mit allen möglichen Snacks vollgeladen war, nur um dann wieder zu gehen und mit einem zweiten zurückzukommen, auf dem Süßes und Eierpunsch waren, Rum und eine Schnabeltasse mit gelblich aussehender Milch, von der ich annahm, dass sie wahrscheinlich pasteurisiert und nicht hausgemacht war. Diese Familie war unglaublich überwältigend. Kein Wunder, dass Graham der wundervolle Alpha war, der er war.
Wir aßen und plauderten, Seri verbrachte die ganze Zeit mit Carol, die darauf bestand, Oma genannt zu werden, und es so sehr genoss, dass beide so in einander vernarrt waren.
Schließlich kamen wir zu Jeremys Wunsch des Geschenke auspackens und es war einfach nur großartig. Seri wurde mit Büchern, Spielzeug und Klamotten verwöhnt. Das verstand ich komplett. Ich verwöhnte sie auch. So wie sie einen Raum zum Leuchten brachte, war es fast unmöglich, das nicht zu tun.
Und zu meiner Überraschung wurde ich auch verwöhnt.
Klar, da waren Pullis und Socken und Handschuhe - die üblichen Weihnachtsgeschenke, aber das war es nicht, was mich so verwöhnt hatte. Nein, es war die komplette Akzeptanz, mit der mich seine Familie aufgenommen hatte, die noch nicht einmal meine war.
Graham war aber für immer mein. Ich fühlte das in meinem tiefsten Inneren. Wir hatten die Worte noch nicht ausgesprochen oder überhaupt eine Andeutung gemacht, aber ich wusste, dass es wahr war. Ich war sein Omega.
Seri hatte es auch begriffen, so wie sie Carol nicht nur einmal sondern ganze drei Mal Oma nannte. Das wussten wir alle ziemlich genau, denn Grahams Mutter hatte ganze drei Mal Freudentränen geweint.
Ja, wir gehörten auch zu ihnen. Es war wahrscheinlich an der Zeit, die Worte auszusprechen.
Wo war der Mistelzweig, wenn man ihn brauchte?
All unsere Magie schien darunter zu passieren.