Zugeständnisse
– Joseph –
»Joseph?« Steves Zopf baumelt in meinem Sichtfeld. »Komm in den Knick. Unten steht ein Kerl. Er sagt, Hao Jun schickt ihn und er hätte etwas für dich.«
»Warum zum Teufel kommst du ohne zu klopfen in mein Appartement?« Meine Lider fallen zu. »Und sag nicht, es wäre ein Notfall.« Dazu ist es zu früh. Im Monk beginnen Notfälle erst nach Mitternacht.
»Weil du das Klopfen überhört hast und ich den Sicherheitscode kenne.« Er zieht mir die Decke weg. »Außerdem hast du lange genug geschlafen. Es ist fast zehn.«
»Zehn?« Ich bin erst vor fünf Stunden ins Bett gekommen. Jedenfalls, um zu schlafen.
Liams Duft auf dem Kopfkissen. Ich streiche über den Stoff, bilde mir sein stoppeliges Kinn ein.
»Hör auf, dein Bettzeug zu streicheln und beeil dich. Hao Juns Laufbursche hat was Grimmiges an sich.«
»Das gibt dir nicht das Recht, so früh bei mir reinzuplatzen.« Ich schwinge mich aus dem Bett, versuche, mir die Müdigkeit aus den Gliedern zu strecken. »Richte ihm aus, ich wäre in zehn Minuten bei ihm und biete ihm einen Tee an.«
»Habe ich beides längst getan.« Er lümmelt sich auf meinen Sessel, sieht mir beim Anziehen zu. »Abraham hat mir von der Scheiße mit diesem Gage und den toten Shivas erzählt.«
»Darüber müssen wir reden und jetzt raus mit dir, oder willst du mir beim Zähneputzen zusehen?«
»Auf so was war ich nie scharf.« Er hievt sich aus dem Sessel, bleibt in der Tür jedoch stehen. »Hast du mit dem Doc gesprochen?«
»Nein.« Dafür habe ich ihn gevögelt.
Ich will es wieder.
»Lass dir nicht zu lange Zeit damit.«
»Werde ich nicht.« Weder mit dem einen noch mit dem anderen.
Endlich geht er.
Ich beeile mich im Bad. Hao Juns Männer lässt niemand warten. Selbst ich nicht, aber halbnackt und unrasiert werde ich mich keinem von ihnen präsentieren.
Auf dem Weg nach unten ziehen meine Gedanken Kreise. Was auch geschieht, meine Leute wissen Bescheid, werden vorsichtig sein. Sie vertrauen mir und sie vertrauen einander. Hoffentlich genügt das, um das Übel des Lotosgartens fernzuhalten.
Der Bote sitzt bei einer Tasse Tee in der bis auf ihn leeren Bar.
Ich habe ihn noch nie in Hao Juns Gefolge gesehen.
Als er mich bemerkt, erhebt er sich und begrüßt mich mit einer Verbeugung. »Der ehrenwerte Hao Jun bittet Sie, dieses Geschenk anzunehmen.« Ein Päckchen ruht in seinen behandschuhten Händen, kaum größer als eine Zigarettenschachtel. »Es ist ein Medi-Scan. Bedauerlicherweise ein älteres Modell.« Er klingt heiser, als wäre er krank. »Hao Jun hofft, dass es Dr. O’Farrell dennoch gute Dienste erweisen wird.«
Liam wird sein Glück nicht fassen können. »Richten Sie dem ehrenwerten Hao Jun meinen tiefempfundenen Dank und meine Grüße aus.« Offenbar beunruhigt ihn die Situation ebenso wie mich.
Der Mann verabschiedet sich und lässt mich mit dem Gerät allein.
Mit einem ähnlichen Ding hat mich Nim damals gescannt, bevor er mir aufs Loch rotzte und mich wie einen herrenlosen Shiva durchfickte.
Es war mein Fehler gewesen. Ich hätte nie zu ihm in diese sterile Plastikwelt gehen dürfen.
Gallebittere Gefühle verätzen meinen Magen.
Wut und Scham. Die Gifte meines Lebens. Sie werden mich bis zum letzten Atemzug begleiten.
Werfe den Kaffeeautomaten an, versuche, meine Gedanken zu zähmen. Es gelingt mir erst, als der Duft aufsteigt.
»Guten Morgen Sir.« Juen tappt verschlafen zum Tresen. »Ist noch zu früh für Kun, hm?«
»Für dich auch.« Ich schiebe ihm die Tasse hin. Seinem Aussehen nach braucht er Liams präferiertes Getränk dringender als ich.
Er bedankt sich mit einem Lächeln, das viel eher zu einem Jungen als zu einem Shiva passt.
Unter den Ärmeln seines Shirts lugen schwarzverfärbte Verbandsstreifen hervor.
»Wie verlief die Session mit dem neuen Gast?« Offenbar stand er auf Klassiker.
Juens Miene verfinstert sich. Er nippt am Kaffee, weicht meinem Blick aus.
»Da du in der Lage bist, mit mir zu reden, haben sich seine Anforderungen an dich in Grenzen gehalten. Wo ist das Problem?«
»Er war respektlos.«
»Du bist ein Shiva.« Das klärt die Sache.
»Sie wissen, was ich meine, Sir.«
Ja. Aber ich werde den Teufel tun, es zuzugeben. »Sag Bescheid, wenn du ein Problem damit hast, dich wie Dreck behandeln zu lassen.«
»Sir?« Juen starrt mich an. »Ich wollte nicht …« Langsam stellt er den Kaffee ab. »Ich meine, ich habe …«
Verdammt. Er trägt keine Schuld an meiner Laune und erst recht nicht an ihrer Ursache.
»Die Stammgäste schätzen dich und lassen es dich spüren. Sei nicht erschüttert, wenn dich ein Neuer wie Scheiße behandelt.« Ich gehe um den Tresen, ziehe ihm vorsichtig das Shirt hinauf.
Der Schaden hält sich wie erwartet in Grenzen.
»Bin ich das?«, fragt er ungewohnt kleinlaut.
»Was? Erschüttert? Offensichtlich.«
»Scheiße.«
»Nein, und das weißt du auch. Wer hat dich verarztet?« Es ist gute Arbeit.
»Dean.« Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. »Mr. O’Farrell war noch nicht zurück und da bot er sich an, mir zur helfen.«
»Dean hat sich angeboten?« Bisher schlug er einen Bogen um die Shivas.
»Ich glaube, es war nicht leicht für ihn, aber zusammen bekamen wir es gut hin.« Er grinst bis zu den Ohren.
»Lass mich raten: Du hast es als Ehre empfunden, dass dich der Held Kowloons verarztet hat.«
Er beißt sich auf die Lippen, doch das Grinsen bleibt.
»Ist dir etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Dean hat mich …«
»Nicht an Dean.« Für ihn ist es ungewöhnlich genug, dass er sich aus seiner Ecke gewagt hat. »An dem neuen Gast.«
»Bis auf seine Verachtung mir gegenüber?« Er präsentiert mir einen Augenaufschlag, der zu unschuldig für ihn ist.
»Juen. Es ist dein Job.« Ich lasse zwei Zuckerwürfel in seinen Kaffee plumpsen. Das wird seinem angeschlagenen Ego hoffentlich auf die Beine helfen.
Juen pickt sich einen dritten aus der Packung, rührt ihn energisch in den Kaffee.
Ich kenne keinen Shiva, der nicht zuckersüchtig ist.
»Im Ernst. Sag mir Bescheid, wenn du nicht mehr damit klarkommst.« Ein bis maximal fünf Jahre. Länger hält diese Arbeit niemand aus und Juen ist schon drei Jahre dabei. »Du hast bei mir ein kleines Vermögen angesammelt. Das reicht, um sorgenfrei zu leben.«
Das Rotieren des Löffels endet abrupt.
»Was meinen Sie damit?«
»Dass du dir ein Haus in den New Territories leisten und eine Familie ernähren kannst.«
»Ich will kein Haus.« Er kommt einen Schritt näher zu mir. »Und ich habe eine Familie.«
»Ich meine nicht deine jammernde Mutter und deine ewig nörgelnde …«
»Ich auch nicht.« Er stellt sich auf die Zehenspitzen, küsst mich sanft auf den Mund. »Sie brauchen mich, Sir. Und Sie wissen ebenso gut wie ich, dass mich niemand ersetzen kann.« Er nimmt seinen Kaffee, schlendert mit einem verboten lasziven Hüftschwung Richtung Küche.
Der Junge ist eine Diva.
Eine, die verdammt viel aushält.
– Liam –
Reglose Körper. Sie treiben wie angeschwemmter Müll in der Kowloon Bay. Jungen und Mädchen. Vernarbte Haut schimmert nass durch neonfarbene Fetzen. Möwen picken ein seltsam verklärtes Lächeln aus den Gesichtern. Sie schlingen es hinunter wie Stücke toter Fische.
Der Bug eines Bootes schiebt eine Schneise in den Leichenteppich. Gage sitzt darin. Mit Mao-Anzug und einem vietnamesischen Kegelhut auf dem Kopf. Mit dem dünnen Zopf sieht er aus wie eine schlechte Asien-Parodie.
Er hievt einen Mann über den Rand.
Joseph. Seine Lider sind geschlossen, seine Haut fahl. Er klatscht ins Wasser, sinkt.
Nein, nicht Joseph!
Will ins Meer springen, muss ihn retten, an Land ziehen, sein Herz zum Schlagen bringen!
Jemand hustet. Ich kenne ihn. Ein abgehalfterter Arzt ohne Approbation. Müde und ausgelaugt. Ihm sterben die Patienten unter den Fingern, während ihm die Ratten an der Seele nagen. Er kann niemanden retten. Nicht den blonden Jungen aus Charleston, nicht den berühmten Joseph Wakane, nicht sich selbst.
Er sollte sich ersäufen.
»Liam?«
Luft!
»Liam!«
Meine verfluchten Lungen!
»Du hast einen Anfall.« Dean hilft mir, mich aufzusetzen.
Ein Fehler. Dank Joseph will ich mir auf die Lippen beißen, um das Stöhnen zu unterdrücken, was nicht funktioniert. Meine Atemnot fordert jede Luftzufuhr, die sie bekommen kann.
»Alles gut?« Er reicht mir das Spray. »Ehrlich, dieses Pfeifen und Rasseln klingt nicht gesund. Du musst weniger arbeiten. Stress macht es schlimmer.«
Stress? Was ist mit dem verdammten Smog?
Ich inhaliere das Zeug, warte, bis ich das Gefühl habe, nicht mehr durch einen Strohhalm atmen zu müssen.
Vor dem Fenster herrscht graues Tageslicht. In Kombination mit dem Bindfadenregen und meinem desolaten Zustand gibt mir der trostlose Anblick den Rest.
»Ruh dich noch ein bisschen aus. Ich hole mir einen Kaffee und übe Zeichnen.«
»Du übst was?« Warum holt er mir keinen Kaffee?
»Gestern war ich mit Joseph zusammen bei Meister Hiato.«
»Vergiss das mit dem Tattoo.« Ich muss husten. »Dein Rücken ist …«
Dean legt mir den Finger auf die Lippen. »Bleib locker. Hiato hält dich offenbar für einen grandiosen Arzt und gibt dir recht.«
Guter Mann.
»Er will, dass ich es wie Joseph mache. Erst der Laser, dann das Tattoo.«
Meine Rede.
»Aber die Bedingung ist, dass ich das Motiv selbst zeichne und es muss gut genug sein, dass es ihn überzeugt.« Er nimmt den Finger von mir, sieht mich zerknirscht an. »Dass ich keinen geraden Strich aufs Papier kriege, ist ihm egal.«
Hiato will ihn hinhalten. Der Mann kennt sich mit Haut wahrscheinlich besser aus als ich. Sehr diplomatisch, es auf diese Weise anzugehen.
»Hiato meint, dass Hao Jun für dich vielleicht einen Hautregenerator auftreiben könnte. Dann bräuchte ich die Laserbehandlung nicht.«
Ich muss lachen. »Die Dinger rangieren in der Hitliste medizinischer Raffinessen noch über den Medi-Scans. Selbst gebraucht kosten sie ein Vermögen.«
«Du bist reich.«
»Bin ich.«
»Fahr nach Hongkong Island und besorge so ein Ding. Vielleicht geht es dann schneller mit meinem Rücken und ich muss kein halbes Jahr warten.«
»Hast du die Kontrollen an Pier sieben vergessen?« Die einzige Fährlinie, die zwischen Kowloon und Hongkong Island pendelt, legt dort ab. »Den Ganzkörperscannern der Sicherheitsleute entgeht nichts, was mit Technik, Waffen, Luxusgütern oder gar Medikamenten zu tun hat.« Seit die Halbinsel zum Sperrgebiet erklärt wurde, herrscht bis auf wenige Ausnahmen ein Einfuhrverbot für alles, was ich dringend brauche. Daher blüht der Schmuggel aus dem Hinterland. Er versorgt den Schwarzmarkt, bestimmt die Preise und limitiert das Angebot. Ohne Josephs freundschaftlichen Kontakt zu Hao Jun könnte ich weder meinen Lieblingswhiskey schlürfen noch anständigen Kaffee trinken.
»Dann warte ich eben.« Dean lässt den Kopf hängen. »Gibst du mir bis dahin Zeichenunterricht?«
»Für deinen Phönix?« Mir fehlt die Muße, um Hiato bei seinem zugegeben cleveren Plan zu unterstützen. »Fantasy-Motive liegen mir nicht, aber wenn du Zeichnen lernen willst, solltest du mit etwas Vernünftigen anfangen.« Ich nicke zu dem Stapel uralter Anatomie-Bücher. Bereits an meinem ersten Arbeitstag im Monk wurde mir klar, dass meine kaum vorhandenen chirurgischen Kenntnisse mehr gefragt sein würden als meine allgemeinmedizinischen Erfahrungen. Also beschaffte ich mir alles zum Thema, was sich auftreiben ließ, und ackerte mich mithilfe eines Online-Übersetzungsprogramms durch die in chinesischer, russischer und finnischer Sprache verfassten Standardwerke. Was ich dennoch nicht begriff, fütterte ich mit YouTube Videos nach.
Der Dinosaurier im Netz macht immer noch einen hervorragenden Job.
Dean nähert sich den Büchern so vorsichtig, als könnte ihn eines davon anspringen. »Ich will einen Phönix.« Er fischt eines aus dem Stapel, blättert darin.
Eine beachtliche Staubwolke steigt hervor.
»Hier drin sind nur Menschen ohne Haut und mit bloßgelegten Knochen.« Er schüttelt sich, was auch an dem penetranten Schimmelgeruch liegen kann.
»Komm schon, Liam.« Er kniet sich neben mich auf die Matratze. »Bring du es mir bei.«
»Du meinst, in einer ruhigen Minute?« Davon gibt es im Moment nicht viel. »Ich kann dir höchstens anbieten, einen Blick auf deine Versuche zu werfen und dir die Schwachstellen um die Ohren hauen.« Diese Methode ist effizient und funktioniert immer.
»Ich kenne meine Schwachstellen.«
Uns ist beiden klar, dass er nicht vom Zeichnen spricht.
»Ich habe euch gestern Nacht beobachtet.« Mit einem beinahe verträumten Ausdruck sieht er seinen Knien beim Dasein zu. »Ihr habt es lange nicht mehr miteinander getan und schon gar nicht so.«
»So?« Weiß genau, was er meint.
»So wild.«
Ein scheuer Blick trifft mich.
»Mann, Liam! Joseph hat dich so gewaltig durchgefickt, dass ich hart geworden bin.«
Spontan setzt mein Husten wieder ein.
»Das erste Mal, seit mich …« Er blickt sich ziellos im Raum um, zuckt die Schultern. »Ehrlich, ich dachte, ich erlebe das nie mehr.«
Was würde ich darum geben, ihn umarmen zu dürfen.
»Als ich bei Meister Hiato war, wollte ich Josephs Hand küssen.« Er nimmt meine, fährt mit den Lippen darüber. »Es war mehr als ein Wunsch. Ich musste es einfach, aber konnte es nicht.«
Halte den Atem an, bete, dass ich mir seine Zutraulichkeit nicht bloß einbilde.
»Erst, als mir Hiato sagte, ich sollte es tun.«
»Und?« Muss mich räuspern. »Hast du es getan?«
Dean nickt. »Ich wünschte mir in diesem Moment, Joseph würde mich nehmen. Einfach über meine Ängste hinweg. Ich wusste, er wollte genau das von mir hören, aber ich schwieg.«
»Sei vorsichtig mit deinen Wünschen.« Joseph ist exakt der Mann, der sie rücksichtslos erfüllen würde.
»Ich weiß.« Er beißt sich auf die Lippe, sieht mich schweigend an. Plötzlich klammert er sich an mich. »Ich will nicht mehr in diesem Kokon leben!«
Schließe die Arme um ihn, erwarte, dass er sich versteift, mich abwehrt.
Nichts davon geschieht.
Für einen wundervollen Moment halten wir uns fest.
»Ich habe vergessen, wie gut sich das anfühlt.« Er schmiegt sich enger an mich.
Spüre seinen Herzschlag an meiner Brust. Er ist viel zu schnell.
»Du hast Angst.«
»Ein bisschen, aber es fühlt sich trotzdem gut an.«
»Soll ich dich wieder loslassen?«
»Auf keinen Fall.«
Mir ist egal, was bei Hiato passiert ist. Ich bin einfach nur dankbar dafür.
Dean runzelt die Stirn. »Da hängt eine Träne in deinen Wimpern.«
»War gestern keine gute Nacht.« Mir fehlt die dritte Hand, um sie abzuwischen, und meine beiden anderen werden Dean freiwillig nicht loslassen. »Sie hat ein paar Stücke von mir weggebissen und die sind noch nicht nachgewachsen.« Ein Seelenregenerator wäre schön.
Mit zwei Fingern streicht er mir übers Kinn, betrachtet meinen Mund. »Würdest du mich gern küssen?«
»Oh Gott, Dean!« Verstecke mich für einen Moment in seinen verwuschelten Haaren. »Seit Monaten signalisierst du auf sämtlichen Kommunikationsebenen, dass dich niemand berühren darf, und jetzt das.« Das Händchenhalten beim Einschlafen ausgenommen.
Zögernd legen sich seine Lippen auf meine.
Ein Kuss, flüchtiger als ein Hauch.
Wage kaum zu atmen, um ihn nicht zu verscheuchen, dabei wäre genau das wichtig für mich.
Nichts ist wichtiger als Deans wiedererwachtes Nähebedürfnis. Ich habe es viel zu lang vermisst.
»Ich kann die Vorstellung immer noch nicht ertragen, dass mich jemand berührt«, gesteht er leise. »Aber seit gestern gibt es ein paar Ausnahmen.«
»Und die wären?«
»Du und Joseph.« Seine Hand wandert meinen Oberschenkel hinauf, bleibt auf meiner Hüfte liegen. »Und Juen.«
»Juen?« Ist mir etwas entgangen?
»Du warst nicht da, also musste ich ihm nach seinem Job helfen.«
»War es schlimm?« Streiche ihm mit der Nasenspitze über die Wange, genieße, dass er es zulässt. »Joseph hat mich nicht kontaktiert.«
»Es ging.« Sein Blick sucht meinen. »Er hat überall Narben. Bis auf sein Gesicht an jeder Stelle.«
»Ich weiß.« Ich kenne Juens Körper fast so gut wie Josephs. »War das nicht der Grund, dich von den Shivas fernzuhalten?«
»Das war dumm von mir.« Er sieht an mir vorbei. »Mein Leben ist ein Spaziergang verglichen mit ihrem.«
»Bewunderst du sie?« Das darf er nicht. Wer bewundert, eifert nach. Das ist das Letzte, was ich mir für ihn wünsche. »Du kannst dich nicht mit ihnen vergleichen. Niemand kann das. Ich bin dankbar, dass du anders bist.«
»Aber sie sind stark, kommen mit dem Leben hier zurecht, sie …«
»Dean!« Mein Gott! »Hätten sie die Chance, würden sie ein anderes Leben wählen!«
»Ist ja gut.« Er rutscht von mir zurück. »Ich will keiner werden. Krieg dich wieder ein.«
Die Schreie aus dem No-Name-Bordell hallen mir im Kopf.
»Noch bevor ich meinem ersten Gast auch nur Hallo gesagt hätte, wäre ich vor Angst erstickt.«
Die Art, wie er das sagt, gefällt mir nicht. Was geht in ihm vor?
»Komm her.« Ich strecke ihm die Hand hin.
Er zögert, ergreift sie schließlich und rutscht wieder näher zu mir.
»Du besitzt etwas, das ihnen fremd ist.« Lehne meine Stirn gegen seine, versinke erneut in seiner Nähe. »Ich kann es nicht benennen, doch es fühlt sich weich wie dein Haar und zart wie deine Haut an.« Ich klinge, als hätte ich Schmirgelpapier verschluckt. »Lass es dir von Kowloon nicht wegnehmen.«
»Ist doch schon passiert.«
»Nein, ist es nicht.« Marvin Jones ist nicht Kowloon.
»Lass uns nicht mehr darüber reden.« Noch ein Kuss, dieses Mal ein wenig fester. »Ich will daran denken, wie ihr euch geliebt habt.«
»Hat dich beeindruckt, hm?« Behutsam erwidere ich den Kuss.
»Und wie.« Seine Hände finden den Weg zu meinen Knien, wandern empor zu meiner Hüfte. »Berühr mich«, wispert er mir gegen den Mund. »Nur so, ohne mich festzuhalten.«
»Darf ich überall?« Streiche ihm über die Wange, fahre ihm durch die blonde Mähne.
Sein verhaltenes Seufzen macht mir Mut.
Lasse meine Fingerspitzen seinen Hals entlang tanzen, tiefer, bis zu den zarten Nippeln.
Ein wenig reiben, ein bisschen necken.
Sie werden hart, treten deutlich hervor.
Fühle mich wie der Sieger eines Zehnkampfes und nicht wie ein asthmatischer Enddreißiger.
Seine Hand in meinem Nacken, sein Kuss, der drängender wird.
Heute ist ein guter Tag. Er darf nicht enden.
Streiche ihm über den Bauch, reize mit den Fingernägeln seine Leisten.
Dean zuckt zusammen, lacht leise.
»Mach das noch mal.« Necke sie erneut.
Dieses Mal entkommt ihm ein Seufzen. »Was denn?«
»Lachen.«
»Es kitzelt.« Sein Lächeln ist schüchtern, als wäre er nie zuvor auf diese Weise berührt worden.
Schiebe ihm den Bund der Shorts etwas tiefer. Seine Erektion spannt den dünnen Stoff, doch ich wage es nicht, sie zu befreien.
»Ich bin so hart, dass es pocht.« Er sieht meinen Fingern dabei zu, wie sie ihm an den Härchen zupfen. »Als es mir gestern Nacht passierte, konnte ich es kaum glauben.«
»Genieße es.« Fahre mit der Zungenspitze an seinen Lippen entlang. »Du hast lange genug darauf verzichtet.«
»Ich weiß.« Er kostet meinen Mund auf dieselbe Weise.
Wie ich seinen Geschmack vermisst habe.
»Willst du mehr?« Streichle ihn zwischen den Beinen, genieße sein verhaltenes Keuchen.
Er nickt, spreizt die Schenkel etwas weiter.
Ein leises Geräusch, eine Bewegung. Ich nehme sie aus dem Augenwinkel wahr.
Joseph. Er betritt das Appartement, legt den Zeigefinger auf die Lippen. Ein angedeutetes Nicken sagt mir, dass ich weitermachen soll.
Seine Anwesenheit erregt mich zusätzlich.
Reibe über Deans Härte, nehme seinen Mund tiefer.
Dean stößt einen Laut aus, der mir durch die Nerven rieselt.
Ein Luftzug lässt die Tür hinter Joseph zufallen.
Dean fährt zusammen, bemerkt meinen Blick. Erschrocken dreht er sich um.
»Joseph!« Er springt aus dem Bett, schnappt sich zwei der Anatomiebücher und meine Stiftmappe. »Ich muss los.« Er hält die Bücher vor seine Mitte, bevor er an Joseph vorbei aus dem Zimmer huscht.
Verdammt!
Joseph sieht ihm nach, flucht ebenfalls. »Ich wollte euch nicht stören.«
»Ist mir klar.« Geschehen ist es dennoch. »Er hat uns in der Nacht beobachtet. Das scheint die eine oder andere Mauer bei ihm eingerissen zu haben.«
»Ich weiß.« Joseph kommt zu mir, reicht mir eine Tasse.
»Du hast ihn bemerkt?«
Seine Miene taucht sich in lässige Arroganz. »Meinst du, mir würde entgehen, wenn jemand in meinem Appartement steht und mich beim Vögeln beobachtet?«
»Mir ist es entgangen.«
»Das will ich hoffen.« Sein Brauenzucken strotzt vor Überheblichkeit.
Während ich am Kaffee nippe, wirft er mir das Päckchen in den Schoß.
»Mit freundlichen Grüßen von Hao Jun. Er sorgt sich um unsere Sicherheit.«
Reiße das Papier ab.
Ein Medi-Scan. »Sein Ernst?« Das Gerät hat ein paar Jahre zu viel auf dem Buckel und verdient streng genommen seinen Namen nicht. Statt wie seine Nachfolger zu scannen entnimmt es mithilfe einer kleinen Nadel Blut und analysiert es binnen weniger Sekunden. In meiner Praxis benutzte ich bereits eines, mit dem ich bloß um die Patienten herumhuschen musste, und schon präsentierten sich mir sämtliche relevanten Werte. Aber besser ein Dinosaurier als gar kein Analysegerät.
»Gestern war Lin bei mir.« Er setzt sich neben mich. »Seine Shivas sterben.«
»Ich weiß.« So knapp und sachlich wie möglich erzähle ich ihm von Tien und seinem Todeskampf. Ich muss mich zusammenreißen, um meine Stimme zu kontrollieren.
»Du warst in einem Bordell in Sham Shui Po?« Joseph starrt mich entgeistert an. »Hast du den Verstand verloren?«
»Ja.« In diesem dreckigen Verschlag, inmitten der Schreie. »Ich kann nicht zulassen, was dort geschieht.«
»Du wirst es zulassen müssen. Selbst Hao Jun greift nicht ein. Er respektiert das Gleichgewicht …«
»Einen Scheiß muss ich!« Gott! »Du warst nicht dort! Aber ich! Und was ich sah, roch, fühlte, wird mich bis zu meinem Ende nicht loslassen!«
»Finde dich damit ab, solche Dinge hinzunehmen.« Sein Gesicht wird zu einer Maske. »Du kannst nicht jedes Mal helfen.«
»Wozu bin ich dann hier?« Knalle die Tasse auf den Nachttisch, halte bloß noch den Henkel in der Hand. »Die Shivas gestern Nacht waren Kinder! Sie ließen sich von Männern quälen, die gut und gern deine Stammgäste hätten sein können!«
»In Kowloon gibt es keine Heiligen.« Gelassen betrachtet er die braune Pfütze zwischen den Scherben. »Aber du siehst nur Monster und Opfer und deshalb lässt du zu, dass dich Kowloon fertigmacht.«
»In dir sehe ich weder Monster noch Opfer.« Sonst wäre ich längst gegangen. »Doch ich begreife nicht deine Ignoranz gegenüber …«
»Und das wirst du auch nie.« Langsam steht er auf, blickt zu mir herab. »Du kommst aus einer anderen Welt und bildest dir ein, Kowloon über deine Maßstäbe brechen zu können.«
»Joseph, ich …«
»Was ist mit dir? Bist nicht auch du ignorant?«
»Keine Ahnung.« Lasse mich zurücksinken, starre auf die fleckige Zimmerdecke. »Der Junge, der gestern starb, war ein Freund von Kitao.« Rette mich in den Themenwechsel, obwohl ich weiß, dass er keiner ist, aber ich brauche den Fake. Ohne ihn wird Joseph aus dem Zimmer gehen und mich einsamer zurücklassen, als ich jemals war. »Ich traf ihn, kurz nachdem ich über die einhändige Leiche gestolpert bin.«
»Was hat er gesagt?«
»Dass er nicht für Gage arbeiten will. Nur für dich.«
»Das ist ein Problem.«
»Ich weiß, dass er unter Vertrag steht.«
»Das meine ich nicht.« Er setzt sein emotional unterkühltes Geschäftsführer-Gesicht auf. »Angenommen Lin schließt den Lotosgarten und Kitao wäre frei. Dann …«
»… wird dir Juen ins Genick springen.«
»Juen und Kitao hassen einander. Sie sind erbitterte Konkurrenten und werden sich nicht scheuen, ihren Kampf unter meinem Dach auszutragen.« Seine Miene wird finsterer als der Morgen hinter der Scheibe. »Es wird damit enden, dass sie sich beide zu Tode quälen lassen, bloß um dem anderen eins reinzuwürgen.«
»Kannst du ihnen das nicht verbieten?« Wie war das? Er ist der Boss?
Sein Blick zweifelt an meiner Auffassungsgabe.
»Liam, du weißt, wie lange Juen braucht, um Hilfe zu erbitten. Bis dahin ist kaum noch was an ihm funktionstüchtig. Bei Kitao wird es nicht anders sein.«
Das Zimmer wirkt plötzlich dunkler, die Farben verblassen. Eine Kaimauer, Leichen, die auf dem Wasser treiben.
Joseph fällt. Höre das Aufklatschen, weiß, dass ich ihn verloren habe.
»Was ist los? Du wirst blass.«
»Ein Albtraum.« Nicht mein erster und nicht der Letzte, den ich Kowloon verdanke.
»Du bist Arzt und lässt dich von Träumen schockieren?«
Sein Spottlächeln holt mich zurück in die Realität, in der das Phänomen Joseph Wakane unsterblich ist.
Noch eine Lüge, die nicht wahr wird, weil ich mich an sie klammere.
»Was ist, wenn Gage hinter den Morden steckt?« Dieser Gedanke kam mir bereits letzte Nacht. »Ohne den Verlust würde Lin einen Verkauf niemals in Betracht ziehen.«
»Nein.« Joseph steht auf, geht zum Fenster, stützt sich auf dem Sims ab. »Er ist ein skrupelloser Bastard, aber kein Mörder.«
»Bist du dir sicher?« Ich bin geneigt, dem Kerl alles zuzutrauen.
Statt mir zu antworten, sieht er schweigend in den Regen.
Ich bringe ihm seinen Kaffee, doch er reagiert nicht. »Joseph?«
»Es hieß The Heaven .« Er trinkt einen Schluck, starrt weiter geradeaus. »Das Bordell, in dem er uns arbeiten ließ.«
Den Arm um ihn legen.
Reine Theorie.
»Er wusste, wie weit er einen Shiva treiben konnte, bevor er zerbrechen würde. Diese Grenze überschritt er niemals und sorgte dafür, dass sich die Gäste ebenfalls daran hielten. Wenn einer von uns trotzdem draufging, ließ er den Schuldigen im Hinterhof zusammenschlagen. Extra dafür hatte er einen Security angeheuert. Ähnlich groß und hübsch wie Abraham.«
»Sprach sich das nicht herum?« So etwas schreckt alle Gäste ab. Nicht bloß den Abschaum.
»Natürlich, aber er wollte es. Jeder sollte wissen, dass es im Heaven Regeln gibt. Die Gäste kamen trotzdem. Nim verkaufte Qualität und sie wussten das.« Er wendet sich zu mir, sieht mich herausfordernd an. »Qualität wie mich.«
Kann den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten.
»Damals besaß er den einzigen sauberen Laden in Kowloon.«
»Deshalb ist mir Gage immer noch nicht sympathischer.« Und wenn er Kindern aus brennenden Häusern gerettet hätt.
Doch, dann vielleicht schon.
»Er brachte mir bei, wie es funktioniert. Ohne ihn …«
»Er brachte dir bei, Unsummen an Arztkosten für einen kaputtgespielten Teenager auszugeben?« Das ich nicht lache! »Er brachte dir bei, dass es fair ist, einen vor Schmerz wimmernden Shiva in Zärtlichkeit zu betten und damit seine Würde wiederherzustellen?«
Er schweigt? Warum nur!
»Wahrscheinlich brachte er dir auch bei, dich um verlorengegangene Jungs wie Dean zu kümmern und dein Herz an alte Krüppel wie Kun zu hängen.« Nett, wenn mich die Wut schon kurz nach dem Aufwachen übermannt und allemal besser als meine Morgendepression. »Wenn du jetzt sagst, dass du diesem Scheißkerl alles verdankst …« Balle die Faust rein probehalber.
»Er tötet keine Shivas.«
»Was ist mit Drogenhandel?«
»Dazu müsste er mit den Triaden zusammenarbeiten, was aufgrund seiner Vergangenheit unmöglich ist.« Sein Blick gleitet an mir hinab, bleibt an meiner Faust hängen. »Willst du mich damit schlagen oder ihn?«
»Eventuell euch beide.« In jedem Fall würde ich mich danach besser fühlen. »Kitao behauptet, der Lotosgarten wäre clean. Aber was er mir beschrieb, gleicht den Symptomen, die Tien zeigte und der stand definitiv unter Drogen und es war nicht Glowing-Eyes.«
»Eine Krankheit?«
»Was weiß ich?« Eine neue Droge oder eine neue Seuche. Beides ist tödlich und kann sich in diesem Moloch wie ein Flächenbrand ausbreiten. Spätestens dann schließen sich die Grenzen erneut. Insel-Hongkong wird jedes Übel lieber hier ersticken, gleichgültig, wie viele Opfer es kostet, als es über die Meerenge oder ins Hinterland schwappen zu lassen.
Die Gesichtslosen sind ein entbehrliches Ärgernis für Leute wie Sun Haidong.
Mir wird schlecht bei dem Gedanken.
Ich brauche eine Dusche, einen Kaffee und das Gefühl, dass es Gott trotz allem gibt.
»Was im Lotosgarten geschieht, wird das Monk nicht erreichen.« Sein Blick gleitet mühelos bis zu der Stelle, an der ich umsonst versuche, meine Angst zu verstecken. »Das verspreche ich dir.«
»Das kannst du nicht.«
Er senkt die Lider, wendet sich erneut zum Fenster.
Starre dem Samurai in die Augen. Was gäbe ich darum, wenn der grimmige Mut in seinem Blick auf mich überspringen würde.
»Ich will, dass dieser Krug an uns vorübergeht.«
»Ich auch.« Er ist randvoll mit Gift.
Lege ihm die Hände auf die Schultern, spüre, wie sich die Muskeln darunter bewegen.
»Scanne die Shivas.« Energisch dreht er sich zu mir. »Ich will wissen, ob mit ihnen alles in Ordnung ist.«
»Und wenn es das nicht ist?«
»Wirst du einen Weg finden, ihnen zu helfen.«
Sein Kuss ist hart, drückt mir die Lippen gegen die Zähne.
Zwänge meine Zunge in seinen Mund, überlasse sie seiner Zudringlichkeit. Zeit beginnt, keine Rolle mehr zu spielen. Diesen Zaubertrick beherrscht Joseph perfekt.
Kann mein enttäuschtes Seufzen nicht unterdrücken, als sich seine Lippen von meinen trennen.
Er verlässt mein Appartement. So entschlossen, als zöge er in eine Schlacht.
– Dean –
Weshalb bin ich vor Joseph geflohen? Damit er mich nicht dabei erwischt, wie mir Liam einen runterholt?
Als ob ihn das erschüttert hätte.
Mein Fluchtinstinkt ist übersensibel. Auf diese Weise wird das mit dem Sex nie was bei mir.
Es wäre der nächste Schritt gewesen. Nach dem Handkuss bei Hiato und der Geschichte mit Juen ist es logisch, langsam ans Eingemachte zu gehen. Ich hatte die Angst zwar nicht komplett im Griff, aber die Lust überwog eindeutig.
Mein Herz schlägt immer noch zu schnell, dabei ist nichts passiert.
Joseph ist sicherlich gekränkt. Wird sich seltsam anfühlen, wenn ein Freund panisch den Raum verlässt, weil man selbst ihn betritt.
Ich könnte mich bei ihm entschuldigen.
Am besten für meine gesamte Existenz.
Scheiße, es wird Zeit, dass ich etwas Grundlegendes ändere. Vorher werde ich mich verstecken und in Reue und Selbstmitleid ertränken.
Es gibt einen Ort dafür, die Tiefgarage. Tagsüber bin ich da allein, weshalb ich mich zu oft dort aufhalte.
Mein Magen knurrt. Okay, Frühstück ist ebenfalls eine gute Idee.
Aus der Küche weht mir eine Mischung aus Bratfischduft und Gemüsesuppe entgegen. Lecker, aber nicht zum Frühstück, auch wenn Akuma behauptet, eine Morgensuppe wäre besser als Porridge.
Ich will weder Haferbrei noch Suppe, sondern irgendetwas Normales wie Erdnussbuttertoast oder Cornflakes.
Darauf kann ich in Kowloon lange warten.
Akuma steht an seinem gigantischen Küchenblock und hackt Lauch in winzige Röllchen.
»Guten Morgen, Sir.«
»Guten Morgen.« Er sieht über die Schulter, verzieht den Mund zu einem knappen Lächeln. »Süß oder deftig?« Er fegt die Lauchkringel in den Topf, schnappt sich einen Rettich.
»Ich habe die Wahl?« Seit wann das denn? »Dann süß.«
Mit dem Messer weist er in eine Ecke.
Auf einem Plastiktisch steht eine riesige Schüssel. Je näher ich ihr komme, umso intensiver duftet es nach Reisbrei und heißer Aprikosenmarmelade.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
Es ist Reisbrei, auch wenn er sich unter einer braunen Zuckerkruste versteckt.
»Akuma? Alles okay mit Ihnen?«
Statt einer Antwort hackt er den Rettich kurz und klein.
»Er hat heute seinen freundlichen Tag.« Juen kommt aus der Speisekammer, ein Schälchen mit Rosinen in der Hand. »Die orangefarbenen Stückchen darin sind gedämpfte Aprikosen.« Er leckt sich seufzend die Lippen. »Lecker!«
Ich weiß noch, wie sein Kuss geschmeckt hat.
»Ich bin schon fertig.« Er pickt sich eine der Rosinen. »Möchtest du Gesellschaft beim Essen?«
Ob er mich heute wieder küsst?
»Du musst dich nicht verpflichtet fühlen, ich kann auch einfach irgendwo hingehen, wo ich dich nicht störe.« Langsam senken sich seine Lider, sein Kopf folgt der Bewegung. »Wirklich, es macht mir nichts aus.«
»Nein.« Was redet er da? »Ich würde mich freuen. Ist doch klar.«
Sein Lächeln lässt mich lächeln.
»Hast du gut geschlafen?« Er schmiegt sich an mich, schiebt mir eine Rosine in den Mund. »Hoffentlich besuchten dich süße Träume.«
Seine Nähe tut mir gut. Es ist wie gestern Nacht. Es fühlt sich rundum fantastisch an.
»Dean?«
»Ja?«
»Hast du etwas Schönes geträumt?«
»Ich kann mich nicht erinnern.« Zumindest war es kein Albtraum, was ein Fortschritt ist.
Er zieht den niedlichsten Schmollmund, den ich je gesehen habe. »Ich dachte, du hättest von mir geträumt.«
»Hätte ich gern.«
»Ich konnte gar nicht schlafen.« Seine Lider klappen dieses Mal samt Wimpern in einem beeindruckenden Bogen nach oben. »Rate, warum?«
»Wegen der Wunden?« Der Arme.
»Nein.« Er fischt eine zweite Rosine aus der Schale, hält sie mir vor die Lippen. »Ich musste an dich denken.« Statt mich damit zu füttern, steckt er sie sich selbst in den Mund. »Wenn du Lust hast, darfst du mich gern noch einmal glücklich machen. Oder ich dich. Würde dir das gefallen?«
»Oh ja.« Ich grinse. Wie ein Idiot. Um das zu wissen, brauche ich keinen Spiegel. Akumas Blick genügt völlig.
»Lass uns in die Bar gehen. Um diese Zeit sind wir dort ungestört.« Er zwinkert Akuma zu, der entnervt mit den Augen rollt.
»Gute Idee.« Ich klemme mir die Bücher samt Stiftmäppchen unter den Arm, schnappe mir Löffel und Schale aus dem Geschirrschrank und schaufele mir Reisbrei hinein. »Was ist mit den anderen?«
Er lacht. »Für die ist es zu früh. Hätte ich nicht meinen Pausentag, würde ich ebenfalls noch schlafen.«
»Ich dachte, du hättest nicht geschlafen.«
Statt einer Antwort beißt er sich auf die Lippe und lächelt mich auf eine Weise an, die es in mir kribbeln lässt.
Auf dem Weg zum Entree bleibt mein Blick an seinem Hintern kleben. Er ist mindestens so süß wie sein Nasekräuseln, vor allem weil ihn Juen bei jedem Schritt mit diesem sexy Hüftschwung betont.
Ich möchte irgendetwas mit ihm machen. Küssen, oder kneten, vielleicht auch reinbeißen. Nicht zu fest, sondern eher zärtlich.
»Wollen wir uns dorthin …« Er bleibt stehen, starrt zu einem Jungen.
Der Aufmachung und den Narben nach ist er ein Shiva, aber ich habe ihn bisher nicht im Monk gesehen.
Er mustert Juen von oben bis unten und verlässt die Bar. Allerdings nicht durch den Ausgang, sondern Richtung Treppenhaus.
Juen stößt einen Laut zwischen den Zähnen hervor, das exakt zu seinem Blick passt. »Tut mir leid, ich muss gehen.« Mit einer Miene, die Joseph an seinen sturmfinsteren Tagen Konkurrenz macht, eilt er dem Jungen hinterher.
Schade, ich hätte mich gern mit ihm unterhalten. Ich hätte ihn auch gern geküsst.
Allein ist es mir zu still.
Ich schalte den Folienmonitor an, zappe mich durch die Kanäle. Der Empfang ist jämmerlich, dabei sind die chinesischen Satelliten angeblich um einiges weniger altersschwach als die amerikanischen.
… aufgrund subversiver Elemente in Kowloon …
Nachrichten.
… aus Sicherheitsgründen soll …
Will ich mir das antun?
… Sun Haidong rät der Bevölkerung zu …
Auf keinen Fall.
Nächster Sender.
Grell geschminkte Mädchen tanzen wie aufgezogene Puppen zu einer schauerlichen Musik.
Nächster Sender.
Ein Mann erklärt einer Frau, warum er sein Leben einer Gesichtsmaske verdankt.
Nächster Sender.
Ein Moderator mit einrasierten Mustern im Vollbart sieht mit ernster Miene in die Kamera.
… Marvin Jones hat für Hongkong mehr getan, als …
Ich will’s nicht hören.
Nächster Sender.
Godzilla brüllt mir entgegen.
Okay. Wieder zurück zu den Nachrichten.
… ausdrücklich davor gewarnt, Kowloons Vergnügungsviertel zu besuchen. Noch ist nicht geklärt, ob es sich bei den Todesfällen …
»Sieh dir nicht diesen Schwachsinn an.« Steve schlendert zum Tresen. »Alles Lügen. Darauf kannst du dich verlassen.« Ohne mich zu frage, ob ich ein Problem damit habe, schaltet er den Receiver aus. »Sun Haidong versucht schon wieder, die von drüben gegen uns aufzuhetzen.«
»Die von drüben?«
»Die von den Inseln.« Er schlurft hinter den Tresen, schnuppert an einer der Teekannen. »Dem Kerl passt es nicht, dass wir unser eigenes Ding machen. Ginge es nach ihm, würde er ganz Kowloon mit Mann und Maus in die Luft sprengen, bloß damit die Schlipsträger keinen Fuß mehr in die Bordelle setzen.«
Schön zu hören, dass er dieses Arschloch ähnlich schätzt wie ich.
»Der ganze Wirbel wegen ein paar toter Shivas.« Offenbar hat er sich für eine Kanne entschieden, denn er schenkt sich eine Tasse ein.
Lilafarbener Tee?
»Der Regierung war immer scheißegal, wie es um uns steht«, mault er vor sich hin. »Alles Panikmache und politisches Kalkül.«
»Welche tote Shivas?«
»In dem ein oder anderen Laden scheint was schiefzulaufen.« Er schlürft lautstark einen Schluck, lehnt sich seufzend an die Arbeitsfläche. »Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.«
»Joseph hat mir nichts davon erzählt.«
»Warum sollte er?«
Gute Frage. Bin ich Steve? Oder Liam? Sogar Maybe ist tausendmal nützlicher für Joseph als ich. Weshalb sollte er mich ins Vertrauen ziehen? Ich wohne hier nur und esse ihm das Essen weg. Nicht einmal vögeln lasse ich mich von ihm.
Schaufele mir das Frühstück hinein. Je schneller ich in der Tiefgarage verschwinde, umso besser.
– Joseph –
»Boss?« Abrahams Klopfen lässt die Wände erbeben. »Der Doc braucht Ihre Hilfe im Sani-Zimmer.« Sein kantiger Schädel schiebt sich durch den Türspalt. »Scheint dringend zu sein.«
»Was ist so schwer daran, ein paar Teenager zu scannen?«
»So weit ist er noch nicht.« Sein Blick fällt auf mein Frühstück, bleibt an der Schale mit Natto hängen. Er verzieht das Gesicht, schüttelt sich. »Wie können Sie dieses schleimige Stinkezeug nur essen?«
»Indem ich es mit dem Rest der Mahlzeit kombiniere.« Ich weise mit den Stäbchen auf das eingelegte Gemüse und den gebratenen Fisch.
»Ist ja auch Ihre Sache, Sir.« Er schluckt, fährt sich über den Mund. »Kitao ist bei ihm.«
Beinahe wären mir die Stäbchen aus der Hand gefallen.
»Juen hat’s mitbekommen und kriegt sich nicht mehr ein. Er droht, Seppuku zu begehen, wenn Kitao nicht für immer und ewig das Monk verlässt.«
»Juen ist Chinese. Seppuku geht ihn nichts an.«
»Versuchte ich ihm zu erklären, Sir.« Hilflos hebt er die schaufelgroßen Hände. »Daraufhin fauchte er mich an, ich hätte ihn nicht zu diskriminieren. Wenn ihm nach Selbstmord wäre, hätte das nichts mit seiner Nationalität zu tun und im Übrigen wäre ich ein Rassist.« Betrübt senkt er den Blick. »Aber das bin ich nicht. Sie wissen das.«
Umgeben von mindestens einem Dutzend unterschiedlicher Nationalitäten wäre das auch schwer umzusetzen.
Ich schiebe das Tablett von mir und folge Abraham zum Sanitätszimmer.
Juens Gezeter dringt uns von Weitem entgegen.
Für Kitaos Aufenthalt im Monk kann es nur einen Grund geben: Lin hat den Lotosgarten geschlossen. Wenige Stunden nach seinem Besuch.
»Ich hab’s Ihnen ja gesagt.« Abraham legt seine Pranke auf die Klinke, sieht mich zweifelnd an. »Können wir?«
Ich nicke. Je schneller ich das Ärgernis hinter mich bringe, umso besser.
Kaum schwingt die Tür auf, schlägt mir Juens Brüllen entgegen.
»Sie dürfen ihn nicht untersuchen!« Wie angestochen geht er auf ihn los. »Er gehört zur Konkurrenz! Er wird Unglück über das Monk bringen!«
Liam fängt ihn ein, kurz bevor er seinen Kontrahenten erreicht hat. »Beruhig dich endlich!«
»Ein Komplott!« Juen zappelt wie ein Fisch in Liams Armen. »Töten Sie ihn!«
»Haben sie dir ins Hirn geschissen?« Liam schüttelt ihn. »Noch mal so einen Satz und …«
»Er oder ich!«
Seine vor Wut schrille Stimme lässt es in meinen Schläfen pochen.
»Schluss jetzt!«
Juen zuckt zusammen, starrt mir entgegen.
»Wurde auch Zeit.« Liam seufzt erleichtert. »Er schoss hinter Kitao ins Zimmer und seitdem versuche ich, Morde zu verhindern.«
Ich wünschte, er würde übertreiben, aber die Situation spricht für sich.
Juens Kopf glüht in tiefstem Rot. Noch ein bisschen und er platzt.
»Sir! Ich werde vor Schmach sterben, wenn Sie diesen verlausten …«
»Juen.«
»… ausgeleierten …«
»Juen!«
»… Gossenshiva unter demselben Dach leben lassen wie mich!«
»Ob er bleibt oder geht, entscheide ich allein.«
Er sieht mich entsetzt an. »Aber Sir! Wenn Sie Kitao ins Monk holen, verliere ich alles, wofür ich hart gearbeitet habe.«
»Und was soll das sein?« Ich lege eine Spur Kälte in meine Stimme. »Deine Ehre? Deinen Stolz? Du bist ein Shiva! Ich dachte, wir hätten das vorhin geklärt.«
Juen starrt mich fassungslos an.
»Du wirst unter diesem Dach nie wieder eine Szene wie diese veranstalten. Mit deinem Verhalten beschämst du nicht nur dich, sondern auch mich.«
Er versucht, das Schluchzen zu unterdrücken. Es gelingt ihm lediglich für ein paar Sekunden.
»Du bist die Nummer eins«, erinnere ich ihn an die noch bestehenden Tatsachen. »Wenn du willst, dass es so bleibt, verhältst du dich dementsprechend, oder Kitao wird deinen Job übernehmen.«
Kitao senkt gehorsam den Kopf, was bedeutet, dass er kein Problem damit hätte.
»Juen? Hast du mich verstanden?«
In seinen Augen zerbricht eine Welt.
»Ob du mich verstanden hast?«
Er schluckt, nickt.
»Das nächste Mal brüllst du Jawohl, Drill Sergeant, Sir! «, sagt Liam zu ihm, sieht jedoch mich dabei an. »Aber denken darfst du: Was für ein beschiss… «
»Liam, wenn du ein Problem mit meinem Führungsstil hast, behalte es für dich.«
Liam schürzt die Lippen, schüttelt den Kopf.
Wenn er meint, dass es damit getan ist, irrt er gewaltig.
»Sir?« Kitao tritt mit ernstem Blick vor mich, verneigt sich tief. »Bitte verzeihen Sie, dass ich mich zuerst an Mr. O’Farrell wandte. Doch mir schien es angebracht, meine Bitte durch ihn übermitteln zu lassen.«
»Sir, bitte!« Juens Stimme überschlägt sich. »Er soll …«
»Himmelherrgott!«, poltert Liam. »Du verpasst mir einen Tinnitus!« Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht wendet sich zu mir. »Ich wollte Kitao untersuchen, bevor ich ihn zu dir oder den anderen lasse.«
»Mach das.« Ich werde kein Risiko eingehen. Auch nicht für ein Versprechen.
Ich gebe Kitao ein Zeichen, dass er sich ausziehen soll.
Juen brüllt empört auf.
Liam hält ihm fluchend den Mund zu. »Mach so weiter, und ich verpasse dir eine Tracht Prügel, dass du tagelang nicht mehr sitzen kannst!«
Juen rollt mit den Augen, nuschelt etwas in Liams Hand, das mit ein wenig Fantasie mir doch egal heißen könnte .
Kitao streift sich anmutig Shorts und Top ab, ignoriert das unangemessene Verhalten seines Konkurrenten mit bewundernswerter Gelassenheit. Statt sich Liam zuzuwenden, präsentiert er sich mir. Mit bescheiden gesenktem Blick dreht er sich einmal um sich selbst und lässt mir Zeit, seine zahlreichen Narben zu betrachten.
»Ich will einen Hautregenerator«, keucht Liam unter der Anstrengung, die Juen ihm zumutet. »Ich bin diesen Anblick satt!«
»Als du noch auf der anderen Seite gelebt hast, bist du da in ein Restaurant gegangen und hast den Text von der Speisekarte gelöscht?« Lasse meine Hände über Kitaos Schultern wandern, streichle mit den Fingerspitzen die vorstehenden Schlüsselbeine. »Seine Narben sind sein Aushängeschild. Das weißt du.« Erstaunlicherweise sammeln sie sich an Hüfte und Leisten. Auch hier berühre ich ihn. Das winzige Zucken in seinem Schwanz entgeht mir nicht. Er ist wohlgeformt und ebenso wie der Rest seines Besitzers gezeichnet.
Juen bäumt sich in Liams Umklammerung auf.
Anscheinend braucht er eine zweite Lektion, um seine Selbstbeherrschung wiederzufinden.
Ich streiche erneut über Kitaos Leiste. »Hebe dein Glied für mich an.« Seine Hoden sehen schwer aus, ich will wissen, ob sie es auch sind.
Während er nach wie vor mit gesenktem Blick gehorcht, erstarrt Juen. Mit weitaufgerissenen Augen beobachtet er, wie ich Kitaos Hoden befühle.
Schwer und prall liegen sie in meiner Hand. Es bereitet Freude, sie zu massieren.
»Du verweigerst dir den Höhepunkt?« Den Trick wandte ich oft an, wenn mich Meister Hiato reserviert hatte. Auf diese Weise steigerte ich meine Sensibilität. Hiato war geschickt darin, mich am Scheitelpunkt des Schmerzes kommen zu lassen.
»Ich wusste nicht, auf welche Weise Sie mich prüfen würden.« Seine Finger schließen sich fester um seine beginnende Erektion. »Ich wollte Sie im Zweifelsfall nicht enttäuschen.«
»Das war weitsichtig von dir.« Clever trift es eher. »Wie lange hast du dieses Treffen mit mir geplant?« Verstärke meine Zuwendung. »Dein Boss war erst gestern Nacht bei mir, aber was ich hier fühle, wurde länger als wenige Stunden vernachlässigt.«
»Seit der Amerikaner Mr. Lin anbot, uns zu kaufen.« Er beherrscht seine Stimme ebenso gut wie seine Miene. Lediglich sein praller Schwanz verrät, was er empfindet.
Mit meinem Griff dirigiere ich ihn so nah zu mir, dass seine Spitze meinen Oberschenkel berührt. Mit der anderen Hand umschließe ich seine Erektion samt seiner Finger, lasse seine zarte Haut sanft über den Jeansstoff reiben.
Kitao schließt seufzend die Augen.
»Ein einziger Tropfen auf meine Hose und du kannst den Job bei mir vergessen.«
Er beißt die Zähne zusammen.
»Joseph?« In Liams eisblauen Augen steht Sadist . »Mir fallen langsam die Arme ab.«
Juen steckt immer noch in seiner Umklammerung, doch er rührt sich nicht. Sein Blick haftet an meiner Hand in Kitaos Schritt.
»Der Lotosgarten existiert nicht mehr, nehme ich an.« Erneut reibe ich mit seiner Spitze über meine Jeans.
Durch Kitaos Körper fährt ein Schauder.
»Sonst stündest du nicht hier.«
»Nehmen Sie mich unter Vertrag.« Er flüstert so leise, dass ihn Juen nicht hören kann. »Bitte, Sir. Es ist schlecht für einen Shiva meiner Qualität, ohne vertragliche Bindung zu sein.« Die Not seiner Situation und die steigende Erregung zaubern einen faszinierenden Ausdruck in sein Gesicht.
»Das entscheide ich, wenn ich mir ein umfassendes Bild deiner Leistungen gemacht habe.«
»Sir, Sie kennen meinen Ruf.«
Kitao ist eine Augenweide. Ich will wissen, wie er aussieht, wenn es ihm kommt. Der Vertrag hat Zeit.
Juen wird verzweifeln, doch diese Lektion bin ich ihm schuldig. Sein Diva-Verhalten ließ ich ihm die längste Zeit durchgehen.
Ich drehe Kitao mit dem Rücken zu ihm, öffne meinen Gürtel und ziehe den ohnehin tiefen Hosenbund noch weiter hinab. »Meine Jeans ist tabu. Triff meinen Bauch oder du lernst mich kennen.«
Er starrt mich erstaunt an, schluckt. »Sir?«
»Ich will keinen Laut von dir hören. Zeige mir deine Lust allein mit deinem Blick.« Ich pflücke seine Hand von ihm, ersetzte sie durch meine. »Du kannst geschickt mit deiner Zunge umgehen?«
Er nickt.
»Ich gebe dir Gelegenheit, es mir zu beweisen.«
»Du willst, dass er dich vollspritzt?« Liams Blick fragt mich, ob es mein Ernst ist.
Mir ist bewusst, dass ich mit dieser Aktion auf dünnem Eis wandle. Kitao ist ein Shiva. Mein Samen sollte seinen Körper zieren und nicht umgekehrt. Dennoch kann ich mir dieses Vergnügen leisten. Niemand käme auf die Idee, meinen Status zu hinterfragen.
»Du hast einen Test erwartet.« Ich fasse Kitaos Kinn, genieße die Unsicherheit in seinen Augen. »Hier ist er. Selbstkontrolle und das geschickte Handhaben unerwarteter Situationen. Etwas, das jeder Shiva beherrschen muss.«
Liam hebt die Brauen, behält seine Meinung jedoch für sich. Er weiß, dass ich es genieße, die warme Nässe auf mir zu fühlen und wie sehr ich es schätze, wenn sie mit geschickter Zunge abgeleckt wird.
Dicht an mir beginne ich, Kitao zu reiben. Seine Spitze bleibt dabei in Kontakt mit dem rauen Stoff. Mit der anderen Hand massiere ich seine mittlerweile wahrscheinlich vor Lust schmerzenden Hoden.
Er sieht mir in die Augen, atmet durch den leicht geöffneten Mund.
Es dauert nicht lange, bis in seinem Blick die Bitte nach Erlösung steht, doch statt sie ihm zu erfüllen, halte ich ihn hin.
Sein Atem wird tiefer, sein Blick flehender.
Hinter ihm schluchzt Juen auf.
Die Lektion ist hart für ihn. Wenn er sie annimmt, werde ich ihn belohnen.
Ein winziger Fleck auf dem Stoff.
Kitao beißt sich auf die Lippen.
Necke mit seiner feuchten Spitze meinen Bauch.
Sein Blick schweift nach unten. Dorthin, wo sich meine Lust Raum verschafft.
Ich drücke zu, um ihn an die Absprache zu erinnern.
Er keucht erschrocken, konzentriert sich erneut auf mich.
Sein Schwanken bleibt mir nicht verborgen, auch nicht das Zittern seiner Beine. Sein Atem wird tiefer, seine Pupillen weiten sich bis zu den Rändern der Iriden. Ein Schweißtropfen rinnt ihm über die Schläfe.
Ich küsse ihn fort, genieße Kitaos kaum hörbares Seufzen. Es ist nur für mich bestimmt und ich weiß seine Diskretion zu schätzen.
Wie konnte sich Lin von diesem Jungen trennen? Er ist brillant.
Lasse meinen Daumennagel über die pralle Spitze gleiten, reibe ihn etwas schneller, doch keinesfalls fester.
Sein Blick verliert sich.
Ich genieße den tiefen, lautlosen Rausch, der sich in seinen Augen spiegelt. Heiß und ausgiebig ergießt er sich über meinen Bauch.
Falle in diesen Moment der Lust, teile ihn mit dem Jungen vor mir.
»Lin ist ein Dummkopf, dich fortzuschicken.« Lege ihm die Hand in den Nacken, dirigiere seine Stirn zu meiner Schulter. Eine kleine Pause steht ihm zu. »Dennoch nimmt Juen den ersten Platz im Monk ein und ich erwarte, dass du das respektierst.«
»Werde ich, Sir.« Er keucht vor Anstrengung.
Mich trifft Juens Blick. In seinen Augen glänzen Zornestränen.
Hat er es immer noch nicht begriffen? Er hat meine Entscheidungen hinzunehmen. Sie müssen ihm nicht gefallen.
Ich drücke Kitao auf die Knie. Sein Job ist nur zur Hälfte erledigt. Seine Nässe nähert sich bereits meinem Hosenbund.
»Darf ich, Sir?« Zögernd legt er mir die Hände auf die Hüften.
Ich nicke, ohne den Blick von Juen zu nehmen.
Zärtliche Küsse bedecken meinen Bauch, beseitigen die Spuren seiner Lust, während meine wächst.
Er tastet sich vor bis zu der Beule in meiner Jeans, blickt fragend zu mir auf.
Über Juens Wangen rinnen Tränen. Der Zorn verlässt seine Miene, macht einer stillen Verzweiflung Platz.
»Es ist genug.« Ich gebe Kitao ein Zeichen, dass er aufstehen soll. »Mr. O’Farrell wird dich untersuchen. Danach entscheide ich alles Weitere.«
Er huscht in die hinterste Ecke des Zimmers, stößt so heftig an ein Regal, dass es klirrt.
»Schade.« Liam sieht mich herausfordernd an. »Ich hätte dich gern dabei gezeichnet.«
»Kannst du haben, aber nicht mit ihm.« Für seinen ersten Tag hat der Shiva genug Aufmerksamkeit genossen. »Lass Juen los. Ich will mit ihm reden.«
Es ist Juen anzumerken, wie viel Mühe es ihn kostet, aufrecht und mit gestrafften Schultern zu mir zu kommen, lediglich sein Kopf ist gesenkt.
Ich habe ihn vor den Augen seines erbittertsten Konkurrenten gedemütigt und entehrt. Wenn ich will, dass er sich nicht aus dem fünften Stock wirft, muss ich es wiedergutmachen, und zwar ebenfalls vor Kitao.
»Juen?« Ich hebe sein Kinn an, streiche mit dem Daumen über die zitternde Unterlippe. »Du bist mein Nummer-Eins-Shiva und du wirst es bleiben.« Sacht küsse ich ihm den Salzgeschmack von den Lippen. »Doch von einem Shiva deines Niveaus erwarte ich Selbstbeherrschung. In allen Bereichen.«
»Sir, ich verstehe nicht, was hier passiert.« Er wischt sich über die Augen. »Ich dachte, ich bin wichtig für Sie.«
»Das bist du.« Ich liebkose erneut die feuchten Lippen. »Hier, vor Mr. O’Farrell und Kitao werde ich es dir zeigen.« Ich hebe ihn mir auf die Hüften, trage ihn zum Tisch.
»Du Mistkerl«, murmelt Liam und räumt ihn für mich frei. »Den Jungen so hinzuhalten.« Er greift zu Block und Stift, zieht sich den Schreibtischstuhl heran und nimmt darauf Platz. »Leg los, oder willst du ihn und mich noch länger quälen?«
»Ich tue, was immer nötig ist.«
»Ist angekommen.« Er streicht den Bogen glatt, lehnt sich zurück. »Ich werde deine Provokation genießen. Bis zum letzten Moment. Also bilde dir nicht ein, dass du mich damit abstrafen kannst wie einen deiner Shivas.«
Seine Gelassenheit ist gespielt. In seiner Stimme klingt Eifersucht und in seinem Blick liegt Glut. Eine verlockende Mischung, aber meine Aufmerksamkeit gebührt allein Juen.
»Kein schneller Fick.« Sacht streiche ich ihm über den Rücken. Er ist noch nicht verheilt, doch Juen wird es für mich aushalten. »Ich schenke dir so viel Zeit, wie du brauchst.« Ich koste seinen Mund, spiele ein wenig mit seiner Zunge, während ich meine Jeans öffne und das befreie, was er schon längst haben wollte.
–Liam –
Joseph verwöhnt Juens Mund mit Küssen, streift ihm nebenbei das Top und die Shorts ab. Er bettet ihn vorsichtig auf meinen Schreibtisch, legt sich die schlanken Beine um die Hüften.
Trotz der Verletzungen zuckt der Junge mit keiner Wimper.
Er wird den Schmerz nicht spüren. Seine Sinne sind ausschließlich auf Joseph gerichtet.
Bisher ließ Joseph seinem Trieb freien Lauf, wenn er sich einen Shiva nahm. Es diente lediglich seiner Entspannung. Ich weiß nicht, wie oft ich ihn in diesen Momenten zeichnete, aber meine Skizzenbücher sind voll davon.
Ich habe nie bemerkt, dass er einem seiner Spielzeuge so viel Aufmerksamkeit und Behutsamkeit geschenkt hätte.
Versinke in dem Anblick seiner Hände, wie sie immer wieder über die von fremder Grausamkeit gezeichneten Schenkel streicheln. Sie heilen die Wunden, die Narben, alles Hässliche, das in Kowloon schön zu sein scheint, und das mich nach wie vor bis ins Mark erschüttert.
Juen bietet seine Kehle an, streckt Joseph bittend die Hände entgegen.
Joseph beugt sich über ihn, übersät den schlanken Hals mit langsamen, innigen Küssen. Einige hinterlassen Male.
Juen seufzt leise und so glücklich, dass mir warm ums Herz wird.
Ich will die beiden auf keinen Fall stören, aber er vögelt seine Shivas nie ohne Kondom. Schon um als gutes Beispiel zu dienen.
Krame Gummi und Gleitgelspender aus der Vorratsschublade.
Worte sind fehl am Platz. Um ihm zu zeigen, was ich vorhabe, lege ich ihm für einen Moment die Hand auf die Schulter. Er hält inne, wartet, bis ich ihm das Kondom über den bildschönen Schwanz gezogen habe.
Nur ein flüchtiger Kuss. Mehr will und werde ich jetzt nicht von Joseph bekommen.
Er erwidert ihn.
Seine Lippen schmecken nach Juen. Es erregt mich, dennoch fühle ich den Stich der Eifersucht. Er hat sich lange keinen Shiva mehr genommen. Offenbar bin ich stillschweigend davon ausgegangen, dass ich der Einzige bin, mit dem er sich das Bett teilt.
Oder den Tisch.
»Liam?«
Sein Blick rieselt warm durch meinen Körper. Er bittet nicht um Verständnis oder gar Vergebung. Er lässt mich lediglich an seiner Hingabe teilhaben.
Als ob mir dieser Mann jemals allein gehören würde.
Er verteilt das Gel auf sich, massiert danach hingebungsvoll Juens Eingang. Immer wieder gleiten seine Finger in ihn.
Juen schließt genießend die Augen, ignoriert die Träne, die ihm über die Wange rinnt. Dieses Mal hat sie nicht das Geringste mit seiner Wut auf Kitao zu tun.
Joseph küsst sie fort, schiebt sich behutsam in ihn.
Juen nimmt ihn mit einem dankbaren Stöhnen auf, schlingt die Beine fester um Josephs Hüfte.
Joseph lässt sich Zeit, verwöhnt den narbenübersäten Leib mit Liebkosungen, nimmt Juen mit langsamen, tiefen Stößen.
Juens Lider sind halb geschlossen, seine Miene verklärt, als betrete er sein persönliches Paradies.
Als sähe ich ihn heute zum ersten Mal. Wie konnte mir sein Liebreiz entgehen?
Banne ihn mit dem Zeichenstift, genieße die weichen Linien seines Gesichtes.
Josephs gesamte Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet. Er wartet auf etwas. Den Moment, in dem ihm Juen wissen lässt, dass er bereit für die Erlösung ist.
Mit jedem Stoß werden Juens Atemzüge tiefer.
Fühle Joseph in mir, die Stromschläge, die er auslöst, wenn er den richtigen Punkt trifft. So wie gestern Nacht.
Presse mir für einen Augenblick den Handrücken auf den Mund, um das Echo in mir stumm auszuhalten.
Juen streckt den Kopf in den Nacken, klammert sich fester an die Tischkante.
Joseph beginnt, Juens Erektion mit derselben Hingabe zu verwöhnen wie den Rest von ihm. Auf seiner Stirn bilden sich Schweißperlen, seine Miene zuckt vor mühsam beherrschter Lust.
Gleich ist es soweit.
Mein Stift fliegt übers Papier. Keinen Moment dieser Szene darf ich verpassen.
Juen bäumt sich auf, ergießt sich mit einem erlösten Stöhnen.
Über Josephs Gesicht huscht ein Lächeln. Noch ein paar tiefe, harte Stöße und seine Miene verklärt sich ebenfalls im Rausch.
Mein Herz klopft mir im Unterleib.
Kitao scheint es ähnlich zu gehen. Er presst die Hände in den Schoß, versucht, seine Lust zu zähmen.
Joseph küsst ein letztes Mal Juens Hals, fasst ihm in den Nacken und richtet sich mit ihm zusammen auf. Er flüstert ihm etwas ins Ohr, das ein seliges Lächeln auf Juens Gesicht zaubert.
Einhändig befreit sich Joseph von dem Kondom, nickt mir zu, als ich ihm die Box mit den Papiertüchern hinhalte. Er reinigt Juen und sich von dessen Sperma, verstaut seinen noch halbsteifen Schwanz in der Jeans und wartet, bis sich Juen ebenfalls angezogen hat.
Er wirft einen Blick auf die Zeichnung, stößt einen leisen Pfiff aus.
Ich reiße das Blatt aus, gebe es Juen. »Hier, deine Trophäe.« Kann mir das Zwinkern nicht verkneifen. »Du hast sie dir verdient.«
Juen nimmt es mit bebenden Fingern, drückt es sich an die Brust. »Danke, Sir.«
Joseph verdreht die Augen. »Das hängt er sich an die Wand. Für alle sichtbar, die auch nur in die Nähe seines Zimmers kommen.«
»Ist mir klar.«
»Weißt du, was das für mich bedeutet?«
»Ist mir scheißegal.« Ich grinse ihn an, verwuschele nebenbei Juens Haare.
»Sadist«, raunt er, bevor er Juen aus der Tür schiebt.
Kitao starrt ihnen nach. »Mr. Wakane ist …« Er sieht mich hilflos an. »… anders als ich erwartete.«
»Worauf du wetten kannst.« Eine eiskalte Dusche wäre nicht schlecht. »Los, lass uns deine Untersuchung abhaken, bevor wir den Boden volltropfen.« Eine gute Gelegenheit, den Medi-Scan einzuweihen. »Bring mir das Ding da mit.« Ich zeige neben ihn ins Regal. »Das schwarze Kästchen mit den Knöpfen.«
Er nickt, nimmt zögernd die Hände von seinem besten Stück.
Es hat sich ebenso wenig beruhigt wie meines.
– Joseph –
Juen sieht zur Tür, zu mir, zu der Skizze in seinen Händen, dann wieder zur Tür.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, Sir.« Zärtlich streicht er über das Blatt.
Es hängt binnen Minuten an seiner Zimmerwand und auf dem Weg dorthin wird er es jedem unter die Nase halten, dem er begegnet.
Wenn Liam mit dieser Aktion vorhatte, sich bei mir zu revanchieren, ist es ihm gelungen.
Juen kommt näher, lässt den Kopf hängen. »Mein Benehmen vorhin tut mir leid. Ich verspreche Ihnen, nie wieder eine Szene zu machen und Ihnen nie wieder einen Grund zu geben, mich zu demütigen.«
Und mir tut es leid, dass ich dir das angetan habe.
»Ich verspreche außerdem …«
»Versprich nichts, was du nicht halten kannst.« Ich hebe sein Kinn an, küsse ihn auf die Stirn. »Aber wenn du denkst, du könntest mich mit deinen Allüren noch einmal zu einem Fick erpressen, hast du dich getäuscht.«
»Es war wundervoll, Sir.« Er schenkt mir den perfekten Augenaufschlag. »Bis jetzt hat sich nie jemand für mich zurückgehalten. Ich habe bemerkt, wie schwer es Ihnen fiel.« Eine zarte Röte überzieht seine Wangen. »Bitte machen Sie so etwas niemals mit Kitao. Lassen Sie es mein exklusives Geschenk sein.«
Es wird Zeit, den Höhenflug meiner Diva zu beenden. »Wen ich wann und wie ficke, ist meine Entscheidung.«
»Das eben war mehr.« Zögernd nimmt er meine Hand, schmiegt seine Wange hinein. »Es war viel mehr und das wissen Sie.«
»Dennoch wirst du dich Kitao gegenüber fair verhalten.«
Er beginnt, an meinem Daumen zu knabbern.
»Ich werde dafür sorgen, dass er dir nicht in die Quere kommt. Sollte es trotzdem geschehen, erwarte ich von dir Professionalität und Zurückhaltung.«
»Was heißt das konkret?«
Sein Augenaufschlag mag devot sein, der Tonfall seiner Stimme ist es nicht. In jeder Silbe schwingt Mordlust.
»Dass du ihn nicht hinterrücks erstichst.«
Er traut sich, einen Schmollmund zu ziehen.
»Juen?«
»Sie sind der Boss, Boss.«
»Schön, dass wir bei diesem Punkt einer Meinung sind. Und nun verschwinde.«
Er stellt sich auf die Zehenspitzen, küsst mich. »Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug davon träumen, dass wir uns gegenseitig glücklich gemacht haben.« Noch ein Grinsen, und er stolziert mit einem gekonnt lasziven Hüftschwung aus meinem Sichtfeld.
Kitao hat Glück, wenn er den nächsten Morgen erlebt.
Er steht kerzengerade vor Liam und scheint nicht zu bemerken, dass ich das Zimmer betrete.
»Mund auf, Zunge raus.« Liam schiebt ihm einen Holzspatel in den Rachen. »Und?«, fragt er mich nebenbei. »Konntest du die Wogen mit deiner inspirierenden Intervention nachhaltig glätten?«
»Selbstverständlich. Juen ist ein Profi.« Seine Diva-Allüren sind Teil seines Selbst. »Warum das Würg-Stäbchen? Gefällt dir der Medi-Scan nicht?«
»Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.« Er gibt Kitaos Mund frei. »Alle Werte sind okay. Zumindest für einen jungen Mann, der seine Kindheit in Kowloon verbringen musste.« Seufzend schnippt er den Spatel in den Mülleimer. »Leicht rachitisch, vitamintechnisch unterversorgt, dasselbe gilt für die meisten Mineralstoffe und Spurenelemente, es sei denn wir lassen Kadmium als Ersatz für Magnesium und Quecksilber für Kalzium durchgehen.«
»Keine Krankheiten?«
»Der Scanner sagt: nein.«
»Und du?«
»Seine Stresshormone sind erhöht.«
»Liegt am Job.«
»Liegt an deinem Fick mit Juen.«
»Es war kein Fick.« Es war mehr.
Liam hebt die Brauen, sagt jedoch nichts weiter dazu.
»Bist du mit Kitao fertig?«
»Vorerst ja.« Er klopft ihm auf die Schulter. »Zieh dich an, die Inspektion ist durch.«
»Danke, Sir.« Kitao kleidet sich mit beeindruckenden Grazie an, tritt vor mich und senkt die Lider. »Werden Sie mich behalten?«
Er ist ein Gewinn fürs Monk und damit auch für mich. Ohne einen Dollar umzudrehen, bekomme ich einen Weltklasse-Shiva. Dennoch: Die Sache hat einen Haken und der hat nichts mit Juens Eifersucht zu tun.
»Wie viele deiner Kollegen werden deinem Beispiel folgen?«
»Keiner.« Er sieht mir für einen Shiva zu lange in die Augen. »Sie folgten dem Mittelsmann des Amerikaners.«
»Wohin?«
»Zum Hafen, Sir. Sie wurden auf eine Fähre nach Lantau gebracht. Mein Cousin arbeitet an den Piers. Er beobachtete, wie sie mit dem Mann an Bord gingen.«
»Gage fehlen die Eier, die Drecksarbeit selbst zu erledigen«, knurrt Liam. »Er ist kein großes Tier wie Hao Jun. Er hat keine Mittelsmänner zu schicken.«
»Er riskiert sein Leben, wenn er sich offen in Kowloon zeigt.« Nim ist sich dieser Gefahr bewusst.
»Warum Lantau?« Liam setzt sich auf die Tischkante, verschränkt die Arme vor der Brust. »Will er inmitten von Naturidylle und Vorzeige-Dörfern ein Bordell eröffnen?«
»Das darf er nicht. Insel-Hongkong gehört zu den wenigen zivilisierten Arealen, die die Shanghai-Grippe übrig gelassen hat. Innerhalb seiner Grenzen herrschen Gesetz und Ordnung. Darauf ist Sun Haidong stolz.« Nicht umsonst ist ihm Kowloon als rechtsfreie Zone ein Dorn im Auge. »Klubs dieser Art sind verboten. Inklusive allem, was damit zusammenhängt.«
»Sklaverei, Prostitution, Menschenhandel, Mafia?« Liam lacht trocken. »Bildest du dir ein, diese apokalyptischen Reiter jeglicher Urbanisierung würden vor Grenzen oder Gesetzen halt machen?«
»Sun Haidong würde sich eher die Hände abhacken, als dass er die Missgunst der ausländischen Investoren riskiert. Ihr mühsam gerettetes Vermögen ist ihm ebenso heilig wie ihr Können. Die hergelockten Ingenieure und Wissenschaftler garantieren ihm, dass sich Hongkongs Reichtum und Einfluss vermehrt. Würden sie sich in ihrer Moral oder Sicherheit bedroht fühlen, würden sie sich einen anderen Schlupfwinkel suchen.«
»Und wo? Etwa in Dubai?«
»Durchaus möglich.« Angeblich existieren noch Enklaven im Norden Europas und in Südamerika.
»Komm schon. Dieselben Leute, die sich angeblich in ihrer Moral und Sicherheit bedroht fühlen, rennen dir an den Wochenenden die Bude ein.«
»Weil sie danach in ihre heile Welt zurückflüchten können, um von den Gefahren und Verlockungen Kowloons zu träumen.«
»Ich weiß.« Seine Geste wirkt hilflos. »Wie oft haben wir diese Diskussion bisher geführt?«
Oft.
»Deshalb begreife ich trotzdem nicht, warum Gage die Shivas nach Lantau bringt.«
»Sir?« Kitao räuspert sich leise. »Der Mann, der sie abgeholt hat, bedrängte mich, ihm zu folgen. Es wäre ein Fehler, in Kowloon zu bleiben. Was hier geschähe, wäre erst der Anfang.«
»Der Anfang von was?« Liam springt von der Tischkante, schnappt ihn an den Schultern. »Ich will jedes Wort von diesem Scheißkerl hören!«
»Ich weiß es nicht, aber er sagte, das Monk wäre keine Festung. Das, was käme, könnten seine Mauern nicht aufhalten.«
»Was kommt?« Liam schüttelt ihn. »Rede!«
»Das war alles Sir. Er ist mit den anderen in den Transporter gestiegen und weggefahren.«
»Warum hast du es nicht getan?« Er hat erlebt, was im Lotosgarten geschehen ist.
»Er misstraut Gage.« Liams Hände rutschen von den vernarbten Schultern. »Sollten wir auch. Eventuell ist diese Angstmacherei Teil seines Planes, sich billig mit hervorragenden Shivas einzudecken.«
»Nein, Sir.« Kitao schüttelt den Kopf. »Ich erkenne Angst, wenn ich sie sehe. Und dieser Mann war voll davon. Sie quoll ihm aus den Augen.«
Liam erwidert meinen Blick, presst die Lippen zusammen.
– Liam –
Als hätte jemand die Szene eingefroren. Keine Bewegung, kein Laut.
Gage weiß Bescheid, zieht die Shivas ab und bringt sie … Wohin? An einen sicheren Ort? Ich will wissen, was hier vorgeht.
Josephs Fluchen setzt der Starre ein Ende. Er informiert Abraham über den Multi-Kom, dass er sich um Kitao kümmern soll. Sein Blick zu mir strotzt vor grimmiger Entschlossenheit. Er wird weder das Monk noch Kowloon kampflos aufgeben. Gleichgültig, was auf ihn zukommt.
Ich wünschte, ich könnte seinen Mut teilen.
Abraham klopft an die Tür, betritt das Zimmer mit einem erleichterten Grinsen. »Hat sich unser Prinzesschen wieder eingekriegt?« Er registriert unserer eingefrorenen Mienen, räuspert sich. »Okay, Junge. Dann wollen wir dir mal einen Schlafplatz besorgen.« Er tritt beiseite, gönnt Kitao ein Lächeln, das den Jungen zusammenzucken lässt.
Statt dem Security zu folgen, wendet sich Kitao an Joseph. »Sir? Ich will nicht so enden wie Tien und die anderen. Aber ich will auch nicht zu diesem Amerikaner und an einen Ort, an dem ich niemanden kenne und an dem mich niemand kennt. Gehe ich dort verloren, wird es für immer sein und meine Familie wird nie erfahren, was mit mir geschehen ist.«
»Niemand will an so einen Ort.« Joseph ballt die Fäuste, bis das Blut aus den Knöcheln weicht. »Ich werde verhindern, dass es geschieht.«
Kitao folgt mit hängenden Schultern Abraham, schließt leise die Tür hinter sich.
»Du scannst die Shivas.« Josephs Augen glühen vor Zorn. »Ich werde mit Nim reden.« Er wählt einen Kontakt, runzelt die Stirn. »Seine Nummer existiert nicht mehr.«
Mir ist danach, etwas zu zertrümmern, stattdessen fauche ich Viktor über den Kommunikator an, dass er die Shivas von den Matten schmeißen und in das Sani-Zimmer scheuchen soll.