Nur ein Angebot
– Liam –
»Kann mir einer von euch einen Kaffee holen?« Mir sitzt die Nacht in den Knochen, gemeinsam mit dem, was Kitao über Gage erzählt hat.
»Klar, Doc.« Etienne springt auf, rennt los.
Zu motiviert für einen unausgeschlafenen Shiva. Wahrscheinlich ist ihm der Medi-Scan suspekt und er ist froh, Distanz zwischen sich und dem Gerät zu schaffen.
Es mag überaltert sein, doch es liefert mir Daten, die ich sonst hätte erraten müssen. Bei Gelegenheit werde ich mich angemessen bei Hao Jun bedanken. Vermutlich hat er es aus den Hilfslieferungen abgezweigt, die Marvin Jones in heuchlerischem Eifer nach der Blockade organisiert hatte.
»Sir? Sind Sie fertig?« Naomi schielt zu den bunten Comic-Pflastern in der Klarsichtbox.
Jede Wette, sie sind ebenfalls eine milde Gabe des Konzernchefs. Statt im Krankenhaus sind sie auf dem Schwarzmarkt gelandet. Ich erstand sie zu einem Wucherpreis, aber das musste sein. Eine kleine Erinnerung an die Zeit, als ich noch in einer richtigen Praxis arbeitete.
Ich frage mich, ob es überhaupt etwas von Jones’ Carepaketen am Schwarzmarkt vorbei geschafft hat.
»Kann ich eines davon bekommen?« Ihr Augenaufschlag ist fast so rührend wie Juens.
»Du willst ein Kinderpflaster?« Ein Shiva sollte nicht einmal auf die Idee kommen, sie auch nur wahrzunehmen.
Ihr Blick bleibt beharrlich an der Box kleben.
»Ich habe dir nur ein bisschen Blut abgenommen.« Der Pikser war winzig, geschweige denn, dass er nachbluten würde.
»Die sind hübsch.«
Ihr Lächeln lässt mein Herz schmelzen, also pappe ich ihr einen bunten Hund auf den Unterarm, der je nach Lichteinfall mit dem Schwanz wedelt. Zumindest sieht es so aus. Mein Lohn ist ein Zwei-Ohren-Kontakt-Grinsen, bevor sie vom Stuhl aufspringt und aus dem Zimmer tänzelt.
Für einen winzigen Moment bilde ich mir ein, sie wäre ein normaler Teenager, der ab und zu wegen Liebeskummer heult und an den Wochenenden zu obskuren Partys geht.
Normalität. So etwas existiert in Kowloon nicht.
Wische meinen Trübsinn zusammen mit den Papierstreifen vom Tisch. Möge Naomis sonniges Gemüt ihr stets erhalten bleiben.
Der Scanner zeigt bei ihr ähnlich erhöhte Stresshormonwerte wie bei allen anderen, dabei arbeitet sie nie in der Oase und schien mir auch nicht sonderlich aufgeregt zu sein. Blutzucker und Puls sind in Ordnung. Ebenso alle anderen Werte.
Ich schüttele das Ding, aber an den Werten ändert sich nichts. Vielleicht reagiert es aufgrund seines Alters etwas träge.
»Der Nächste bitte!« Grundgütiger, diesen Satz habe ich seit Jahren nicht mehr gesagt und heute flutscht er mir im Minutentakt von den Lippen.
Bao kommt zögernd zu mir, den Blick auf den Scanner in meiner Hand gerichtet. »Muss das sein, Sir?«
»Nur ein kleiner Stich und ich weiß, ob dich der Hyper-Tripper heimgesucht oder die Retro-Pest am Wickel hat.« Letzteres wäre fatal.
Bao hält mir den Arm hin, schließt die Augen. »Machen Sie schnell.«
»Du bist ein Shiva. Ich erwarte ein bisschen mehr Mumm.«
»Das ist etwas anderes, Sir«, nuschelt er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich mag keine Nadeln. Sie gehören zu meinen Tabus.« Er versucht sich an einem tapferen Lächeln, zuckt jedoch zusammen, als der Scanner seinen Job macht.
»Ist vertraglich geregelt«, erklärt er kleinlaut. »War meine erste Bedingung.«
Seine Werte sind ebenfalls erhöht. Allerdings ging ihm der Stift, also kommt es hin.
»Willst du auch ein Pflaster mit einer Comic-Katze?« Kleine Freuden beruhigen die Nerven. »Es gibt auch Mäuse und blinzelnde Sonnen.« Ich schüttele den Behälter.
Seine Hand zuckt, doch er ballt sie zur Faust. »Nein danke, Sir.«
Und ob er gern eins nehmen würde. »Los.« Ich halte ihm die Box näher hin. »Kleb’s dir an die Zimmerwand oder an den Zahnputzbecher.«
»Piao wird sich über mich lustig machen.« Schon wühlt sein Finger in der Box.
»Nur weil er dein Zimmergenosse ist, hat er dir nichts vorzuschreiben.«
»Macht er aber.« Sein Finger rotiert weiter im Glas.
»Dann bring ihm eines mit.« Zeit für einen Schwank aus meiner traurigen Jugend. Im Vergleich mit der der Shivas war sie allerdings ein Zuckerschlecken. »Als ich ein Kind war, hatte ich ein Faible für bunte Sticker. Das sind kleine Klebebildchen, ähnlich wie die hier. Ich musste sie heimlich sammeln, weil mein Vater die Dinger für Mädchenkram hielt.« Möge der alte Sack in allem möglichen ruhen, aber sicherlich nicht in Frieden.
Bao grinst mich an, wählt einen Halbmond mit Pfeife und eine Wolke samt Regenbogen. Fasziniert dreht er die Pflaster im Licht hin und her. Der Mond pafft silbernen Rauch aus dem Mund und die Wolke lässt es Babyblau regnen.
Er verlässt das Zimmer ebenso motiviert wie Naomi.
»Der Nächste bitte!« Wenn das so weitergeht, beginne ich noch, meine alte Praxis zu vermissen. Fällt mir an einem Tag wie diesem erschreckend leicht. Ständig muss ich daran denken, was Gages Handlanger prophezeit hat.
Auf die Arbeit konzentrieren. Auch wenn es schwerfällt. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist ein Absturz in Trübsinn.
Reik lässt die Prozedur kommentarlos über sich ergehen, Mingtong rümpft lediglich die Nase und Jana fordert gleich zwei bunte Pflaster ein.
»Der Nächste!«
»Ich bin der Letzte, Sir.« Mit all seiner Grazie schreitet Juen auf mich zu. Professionell gelassen hält er mir den Unterarm hin und zuckt nicht einmal mit der Wimper, als ihn die Nadel trifft.
»Sehr gut«, lobe ich ihn ebenso professionell. »Hat doch gar nicht wehgetan.« Der musste einfach raus.
Er straft mich mit einem Blick, den er sich bei Joseph niemals gewagt hätte.
»Es war ein Scherz.«
Statt einer Antwort hebt er die Brauen.
Seine Stresswerte sind ebenfalls oben. Sicher, er macht einen harten Job, aber der kleine Fick mit Joseph müsste ihn mehr als entspannt haben.
»Warte mal.« Ich fühle seinen Puls. Eigenartig. Sein Herz schlägt passend zur Gelassenheit seines Besitzers. Wo kommen die Werte her? Ob das Ding kaputt ist? Am besten, ich teste es bei mir.
Keine Überraschungen. Meine Leberwerte waren schon besser, aber auch schon bedeutend schlechter. Der Rest bewegt sich im Rahmen. Bis auf die Stresshormonwerte. Gut, ich habe Stress. Seit Monaten. Trotzdem, mit diesem Ding stimmt etwas nicht. Vielleicht muss ich es vor der Anwendung resetten. Eine Gebrauchsanweisung wäre nett. Ob es für diesen Dinosaurier welche im Internet gibt?
»Mr. O’Farrell?« Viktor klopft an die offenstehende Tür. »Das hier ist für Sie.« Er reicht mir eine Tüte. »Von Apotheker Han. Ich soll Ihnen seine Entschuldigung überbringen, dass es so lange gedauert hat, aber sein Neffe hätte die richtigen Materialien erst auftreiben müssen.«
Die Knie-Orthese für Kun! Vor zwei Wochen gab ich sie in Auftrag. Han versicherte mir, sein Verwandter wäre ein Meister im Konstruieren seltsamer Gegenstände und ein Stützgestell für ein Knie wäre für ihn kein Problem.
Vorsichtig packe ich die Kostbarkeit aus. Auf den ersten Blick macht sie einen ordentlichen Eindruck. Die Plastikteile wirken stabil, entbehren dennoch nicht einer gewissen Flexibilität und sind stellenweise sogar gefüttert. Gut, das Ziegenfell verleiht der Orthese einen archaischen Touch, aber das wird Kun nicht stören.
Zwei Gurte sind aus Leder, der Rest aus Kunststofffasern. Alles in allem wird das Ding seine Funktion erfüllen.
»Was will er dafür haben?« Freue mich auf Josephs entgleisende Gesichtszüge, wenn ich ihm dieses Unikum in Rechnung stelle.
»Sie sollen vorbeikommen.«
Han will nachträglich verhandeln? Der Komiker. Was ich habe, habe ich.
»Ist gut.« Vielleicht kann ich ihn im Preis drücken.
»Sind Sie mit den Shivas durch?« Mit einer gewissen Grundskepsis mustert Viktor den Scanner. »Dann sind wir wohl die Nächsten.«
»Das gesamte Personal.« Das wird ein Fest, wenn ich Maybe klarmachen darf, dass der Medi-Scan zuverlässiger ist, als Krankheiten über Geruch und Geschmack von Urin oder morgendlichem Zungenbelag zu orakeln. »Aber erst später. Vorher will ich die Auswertungen der Shivas abspeichern und anständige Patientenakten anlegen.« Endlich habe ich etwas zum Eintragen außer schlecht verheiltes, daher bei Wetterwechsel schmerzendes Narbengewebe oder augenscheinlich anämisch . Die erhöhten Hormonwerte werde ich vorläufig in Klammern setzen.
»Fein.« Er lächelt erleichtert. »Gehst du mit mir einen Tee trinken?«
Da er mich nicht duzt, ist die Frage an Juen gerichtet.
»Dann kann ich dir gleich die Sicherheitsbelehrung für die Oase verpassen.« Er führt ihn etwas beiseite. »Stimmt es, dass dich der Boss …«
»Raus!«
Viktor hebt die Hände. »Ist ja gut! Ich wollte nur Gerüchten vorbeugen.«
Ich halte den beiden die Tür auf, schließe sie relativ laut, kaum, dass die draußen sind.
Es war klargewesen, dass die Sache durchs gesamte Monk getratscht werden würde. Die Geschwindigkeit überrascht mich dennoch.
Ob Kun bereits von seiner Bastmatte gekrochen ist? Sein Knie hat ihn lange genug gequält. Danach werde ich Han aufsuchen. Mein Morphinvorrat neigt sich dem Ende entgegen. Bei dem Asthmaspray sieht es nicht besser aus. Han verrät mir immer noch nicht seine Quelle, aber sowohl Verpackung als auch Wirkung sind identisch mit dem, was ich aus Hongkong Island herübergerettet hatte. Wo es herstammt, muss es weitere sinnvolle Medikamente geben, doch wenn ich ihn danach frage, lenkt er mit Floskeln über das Wetter oder den bedenklichen Zustand meines Chis ab.
Als ob der mich je interessiert hätte.
Ich werfe mir meine Jacke über, verschließe die Tür hinter mir.
»Hey Doc.«
Fast wäre mir die Tüte aus der Hand gefallen.
»Habe gehört, du hast ein neues Spielzeug?« Steve lehnt an der Wand, mustert mich durch den Rauch seiner Zigarette. »Alle gecheckt?«
»Bisher nur die Shivas. Aber spätestens morgen bist du dran.«
»Ich?« Er drückt die Zigarette an der Wand aus, schnippt sie weg. »Das vergiss mal wieder.«
»Wieso sollte ich?« Leidet er ebenfalls an einer Nadelphobie? »Keine Bange. Du wirst den Piecks überleben. Selbst Bao kam damit klar.«
»Nee, Doc. Lass gut sein.« Er dreht sich um, schlendert Richtung Treppenhaus.
Der scheint der Uralttechnik noch weniger zu vertrauen als ich.
Auf dem Weg zu Kuns Quartier gehe ich die Möglichkeiten durch, das Ding auf akkurate Funktionsmöglichkeit zu testen. Vielleicht muss ich es vor der Anwendung eichen. Eventuell mit einer simplen Natriumchloridlösung?
Oder es funktioniert einfach nicht und Hao Jun hat sich Schrott andrehen lassen.
Aus Kuns Zimmer dringt ein Schnarchen, das die Wände erzittern lässt. Besser, ich lasse ihn schlafen.
Ich hänge sein Geschenk an die Klinke. Dann weiß er, was ihn nachher erwartet.
Auf dem Weg zur Bar tönt mir das Geschnatter der Shivas entgegen. Kitao befindet sich ebenfalls unter ihnen. Mit düsterer Miene steht er abseits, und scheint der Einzige zu sein, der schweigt.
Er wird es als Überläufer der Konkurrenz nicht leicht haben. Dafür wird Juen sorgen.
Ich nicke ihm zu, dränge mich an dem Pulk vorbei zum Ausgang und schnappe mir einen der zerfransten Schirme. Sie warten in einer Bodenvase exakt auf die Art Wetter, das sich draußen abspielt.
Es schüttet wie aus Eimern, was für diese Jahreszeit ungewöhnlich ist. Kein Wunder, dass die Media-Folie an der Hauswand gegenüber flackert.
… Bestürzung über den selbst gewählten …
Ich sollte mir eine Rikscha nehmen.
… Familie in aller Stille …
Keine Rikscha weit und breit. Also laufen und das zügig.
Nett, wenn das Wasser in den Schuhen quatscht und die Hose kalt und nass an den Beinen klebt.
Ich bin der Einzige, den das zu stören scheint. Von den Handwagen werden weiterhin Wasserbeutel und Gemüse verkauft, vor den mobilen Garküchen wird an frittierten Insekten gekaut oder Suppe geschlürft.
Der Regen tropft in die Schalen eines Mannes, lässt ihm die Brühe beim Trinken ins Gesicht spritzen. Er senkt lediglich die Lider und genießt den sich verdünnenden Snack mit stoischer Ruhe.
Ich beneide ihn um diese Haltung.
Bis ich Hans Apotheke erreiche, bin ich von der Brust abwärts bis auf die Haut durchweicht. Ich schleudere das Wasser aus dem Schirm, lehne ihn an die Hauswand.
Das Klimpern des Tür-Mobiles mischt sich mit martialischem Fluchen. Es klingt nach Mann, stammt jedoch von einer Frau.
Beeindruckend schöne Jugendstil-Motive zieren ihre muskulösen Oberarme und Schultern. Dafür prangt an ihrem kahlrasierten Hinterkopf eine Dämonenfratze, die garantiert den Weg in meine Träume finden wird.
Sie hebt ihre Fäuste, schmettert sie auf den Tresen. Ihr Brüllen klingt eher nach Verzweiflung als nach Wut.
»Madame Nikobe!« Mr. Han fuchtelt mit den Händen durch die Luft. »Bitte beruhigen Sie sich!« Hektisch räumt er ein paar Tiegel aus ihrer Reichweite. »Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie sowohl von der Ausstattung meiner Apotheke als auch von meinem Fachwissen profitieren, und das bereits seit neun Jahren.«
»Sie sind tot!« Dieses Mal kracht eine ihrer Fäuste ins Regal.
Hans Aufschrei geht im Klirren der Porzellangefäße unter.
»Madame Nikobe?« Sicherheitshalber nähere ich mich ihr mit gehobenen Händen. »Ich bin Liam O’Farrell. Der Arzt aus …«
»Ich weiß, wer Sie sind!« Sie ballt die Fäuste erneut, doch nur, um sie sich gegen die Stirn zu pressen.
Die Besitzerin des Fleur du Mal. Bisher bin ich ihr nie persönlich begegnet. Joseph redet manchmal von ihr, nennt sie eine Dämonin, allerdings mit jeder Menge Respekt in der Stimme.
Ich sollte nicht Zeuge ihres Leides sein. Schlimm genug, wenn sie vor Han die Nerven verliert. Das ist etwas, das sich keiner aus diesem Metier leisten kann. Andererseits bin ich Arzt und reißende Nerven fallen wiederum in mein Metier. Mit der richtigen Medizin lassen sie sich vorübergehend therapieren. Zum Beispiel mit einem Whiskey. Fragt sich, ob Han so etwas in seinem Sortiment führt.
»Sagen Sie es ihm!« Er zeigt auf mich, nickt entschieden. »Alles! Sie können ihm vertrauen. Er ist Arzt. Vielleicht kann er helfen.«
Bin mir sicher, er will ihren Zorn lediglich von sich und seiner Einrichtung auf mich lenken.
»Helfen? Meine Shivas sterben!«
»Wie?« Mein Herz schlägt doppelt so schnell. »Bitte, ich brauche so viele Informationen darüber wie möglich.« Das Übel des Lotosgartens. Es breitet sich aus.
»Damit Sie das Monk davor bewahren können?«
»Auch.« Ich will jeden Shiva davor bewahren. »Gestern Nacht wurde ich in ein No-Name gerufen. Ich sollte dort einem Jungen helfen. Seine Symptome glichen …«
»Sie gingen in ein No-Name?« Sie neigt den Kopf, betrachtet mich wie etwas absolut Fremdes. »Ich weiß, dass Sie viel für die Menschen hier auf sich nehmen.«
»Darum geht es nicht. Ich will …«
»Jeder in Kowloon hält Sie für einen klugen und fähigen Arzt.«
»Danke, aber …«
»Sie sind ein Idiot.«
»Was?«
»Die No-Names sind Orte des Sterbens. Das weiß jeder. Sie riskierten Ihr Leben für eine Leiche.«
»Leichen schreien nicht vor Schmerz.« Muss mich zusammenreißen, um ruhig zu bleiben. »Sie flehen nicht um Hilfe.« Sehe Tiens Blick vor mir. Es brauchte keine Worte, um ihn zu verstehen.
»Doch, das tun sie.« Sie stellt sich vor mich. So nah, dass ich die grünen Einsprenksel der Iriden erkenne. »Manchmal flehen sie sogar um Hilfe. Das sind die Augenblicke, in denen sie vergessen, dass ihnen nicht mehr zu helfen ist.«
»Nein.« Ich will das nicht hören. »Sagen Sie mir jetzt, was geschehen ist und ich werde einen Weg finden, weitere Morde zu verhindern.« Exakt darum handelt es sich.
»Und gleich danach ziehen Sie los und machen alle No-Names dem Erdboden gleich. Richtig?«
»Richtig.« Warum ich mich nach Schild und Schwert sehne, statt nach Plastiksprengstoff und einer Panzerfaust, bleibt mir ein Rätsel.
Sie lacht.
Möchte sie dafür niederschlagen.
»Ich weiß nun, warum Joseph Sie hütet wie einen Schatz.« Federleicht streichen ihre Finger über meine Wange. »Machen Sie es ihm nicht so schwer, Sie zu beschützen. Ihr Verlust bräche ihm das Herz. Es ist nur halb so hart, wie er uns glauben lassen möchte.«
»Josephs Herz geht Sie nichts an.« Mein eigenes klopft im Hals. »Reden Sie!«
»In vier Nächten verlor ich zwölf meiner besten Shivas.« Sie nimmt ihre Hand von mir. »Es war, als würden sie nichts mehr ertragen können. Jeder Reiz war zu viel für sie. Ich versuchte, ihnen zu helfen, doch ich konnte es nicht. Schließlich brachen sie zusammen, wurden still.« Sie schluckt, schüttelt den Kopf, als könnte sie es immer noch nicht fassen. »Doch als der Tod kam, war es, als würden sie einschlafen und von schönen Dingen träumen, so friedlich wirkten ihre Mienen.«
Sehe Tien vor mir.
»Glowing Eyes?«, fragt Han vorsichtig.
Ihr Blick schmettert ihn in Stücke.
Han zieht den Kopf ein. »Natürlich, Madame. Ich weiß, dass Ihre Shivas niemals Drogen nehmen würden.«
Ich will beiden um die Ohren schlagen, dass mir der Stolz der Bordellbesitzer scheißegal ist. Tien nahm Drogen. Die Symptome sind gleich. Also haben sich Nikobes Leute dasselbe eingeworfen. Ob sie davon wusste oder nicht.
»Machen wir doch eine Pause.« Hans Lächeln ähnelt einem Kieferkrampf. »Wir trinken etwas zusammen und kommen zur Ruhe.« Hektisch winkt er uns zu einem Vorhang, ehe er dahinter verschwindet.
»Nach Ihnen.« Dämonin oder nicht, Frau ist Frau und ich bin ein Gentleman.
Madame Nikobe zuckt mit den Brauen, folgt Han jedoch als erste in einen Raum, der eine Mischung aus Küche, Labor und Rumpelkammer zu sein scheint. Ein Tisch mit Bunsenbrennern und einer wilden Konstruktion von Schläuchen und Glaskolben, gestapelte Kisten, in denen etwas raschelt, überfüllte Regale.
Zwischen den verstaubten Schraubgläsern erwarte ich, dicke Spinnen weghuschen zu sehen.
Meine Fantasie geht mit mir durch. In Kowloon existieren keine dicken Spinnen. Sie werden gefangen, frittiert und gegessen.
Han ruckelt ein Tischchen in die Mitte. »Setzen Sie sich.«
Er angelt zwei Plastikklappstühle aus einer Nische, stellt sie schwungvoll zurecht. Drei Gläser landen auf der mit eingeätzten Flecken übersäten Tischplatte, gefolgt von einer Flasche mit trübweißem Inhalt.
Der stechende Geruch beim Entfernen des Korkens lässt mich husten. Ich bin erstaunt, dass es beim Eingießen nicht qualmt.
Nach einem knappen Zuprosten kippen wir drei das Zeug synchron.
Jesus! Von der Zunge bis in den Magen eine einzige Brandspur. Allerdings bin ich der Einzige, der sich keuchend auf die Brust schlägt.
Han stößt auf und Madame Nikobe leckt sich seufzend die Lippen.
»Das Übel des Lotosgartens.« Sie klingt so aufgeräumt, als hätte sie bloß an einem Tee genippt. »Wenn ich herausfinde, wer dahintersteckt, blüht ihm ein angemessener Tod.« Sie hält Han das leere Glas hin, der es bereitwillig füllt.
Mein Respekt für diese Frau wächst mit jedem ihrer Schlucke.
»Hat Ihnen jemand angeboten, Ihre Shivas abzukaufen?« Bloß so eine Idee. »Ein Amerikaner vielleicht?«
»Sie reden von Gage?«
Der Klang seines Namens genügt, um in mir den Wunsch zu wecken, ihm die Faust in die blasierte Miene zu schmettern.
»Heute Morgen kam ein Mann zu mir. Er behauptete, für Gage zu arbeiten und nannte eine Summe, die Gage bereit wäre, für das Fleur du Mal zu bezahlen. Ich schmiss ihn raus.« Sie spuckt auf den Boden, was Han nicht zu tangieren scheint. »Ich werde Gage niemals verzeihen, dass er Kowloon in der größten Not im Stich ließ und die Seiten wechselte. Ein Mensch, der sein Wohl über das seiner Leute stellt, hat in Kowloon nichts verloren.«
Ich muss lachen, auch wenn es alles andere als fröhlich klingt. Sie redet, als wäre diese Halbinsel ein Hort für Heilige und Helden.
Nächte wie die vergangene lehrten mich eines Besseren.
»Sie denken, ich scherze?«
»Nein.« Vermutlich glaubt sie den heroischen Schwachsinn. »Aber ich sah mit eigenen Augen, was in den No-Names geschieht, und die Machenschaften der Rattenfänger sind mir ebenfalls vertraut.« Mir pocht die Wut in den Schläfen.
»Ich rede von Menschen, O’Farrell. Nicht von Dreck.« Sie leert ihr Glas, wischt sich über den Mund »Der Dreck trifft keine Entscheidungen. Er existiert lediglich, wie alles Böse unter der Sonne. Ob in Kowloon oder sonst wo. Niemand kann ihm das verbieten.«
»Genau das will ich.« Dem Abschaum verbieten, zu existieren. Dann müsste ich nie wieder das Leid hinnehmen, das er anrichtet.
»Gott lässt ihn zu.« Nebenbei greift sie zur Flasche und gießt sich den restlichen Inhalt ins Glas. »Sich gegen seine Weitsicht und Gelassenheit zu stellen, heißt ihn herauszufordern.«
»Dazu bin ich hier.« Um ihn herauszufordern. Um ihm um die Ohren zu schlagen, wie viel Scheiße er baut. Wegen seiner Weitsicht und Gelassenheit renne ich Tag für Tag, Nacht für Nacht durch die Elendsviertel und versuche wenigstens ein bisschen von dem wiedergutzumachen, was er zugelassen hat.
»Sie trinken mit einer Frau, die mit dem Leid anderer Geld verdient.« Sie lehnt sich zurück, lächelt schmal. »Sie arbeiten für einen Mann, der dasselbe tut und verdienen, wie ich vermute, ebenfalls eine Menge Geld damit.«
Mir ist danach, den Kopf gegen die Wand zu schlagen.
»Die Shivas arbeiten in Läden wie dem Fleur oder dem Monk, oder in der Gosse. Das wissen Sie.« Ihre Geste ist zu leichtfertig für das steinschwere Thema. »Die einen suchen das Leid, die anderen fügen es zu. Wir sind lediglich diejenigen, die diese Bedürfnisse organisieren.«
Ich will ihr entgegenschleudern, dass sich die Shivas verkaufen, weil sie sonst verhungern würden, aber das ist ein Klischee, das in Kowloon nicht greift.
Nikobe hat recht und ich hasse es.
Was tut diese Halbinsel ihren Bewohnern an? Was macht sie mit ihnen, dass sie sich ein Leben im Schmerz suchen, um überhaupt leben zu können?
Eine lächerlich pathetische Frage. Ich kenne die Antwort und sollte den Mund halten und meinen Job erledigen.
Leere mein Glas mit zwei Schlucken. Und wenn mir der Hals in Flammen aufgeht, ich brauche das Zeug, um meine bigotte Moral darin zu ersäufen.
Gütiger, mir bricht der Schweiß aus. Meine Kehle brennt tatsächlich wie Feuer.
»Es tut mir leid, aber ich muss los.« Diejenigen zusammenflicken, die sich angeblich freiwillig zerstückeln lassen. »Die Orthese …« Was soll dieses Ziehen in meinen Schritt? »Gute Arbeit, Mr. Han. Grüßen Sie Ihren Neffen und richten Sie ihm meinen Dank aus.« Ich muss raus hier. Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Mein Herz galoppiert und das diffuse Gefühl von Panik macht ebenfalls keine Freude.
Verdammt, da war noch was. »Außerdem benötige ich Morphin und Asthmaspray.« Letzteres habe ich gleich selbst nötig.
Han verschwindet hinter dem Vorhang. Auf der anderen Seite klimpert es.
Meine Hände zittern. Es muss an dem Schnaps liegen, oder was immer es gewesen ist. Er treibt mir eine Hitze in den Körper, die sich alles andere als gut anfühlt. Warum es mir dennoch im Unterleib pocht, weiß ich nicht.
Endlich kommt Han mit einer Tüte und einem Zettel in der Hand zurück.
Mir wird schwindelig beim Aufstehen. Das verdammte Brennen macht mich wahnsinnig.
Die Tüte gibt er mir sofort, den Zettel überreicht er mir mit beiden Händen während einer endlos scheinenden Verbeugung.
Die Rechnung. Sie wird alles bisher Dagewesene übersteigen.
»Ich schicke Ihnen das Geld morgen.« Ich bin nicht mehr in der Lage, um den Preis zu feilschen. »Madame Nikobe.« Mühsam bringe ich eine wacklige Verneigung zustande. »Ich bedaure Ihren Verlust. Sollte ich etwas erfahren, mit dem ich Ihnen helfen kann, werde ich es Sie wissen lassen.« Schweißperlen kitzeln an meinen Schläfen.
Sie steht auf, verneigt sich ebenfalls. »Danke.«
Dass ich mich von Han verabschiede, registriere ich nur am Rand.
Knülle die Rechnung in meine Hosentasche, taumele aus der Apotheke.
Ein paar Schritte bis zu einer Litfaßsäule. Lehne mich an sie, versuche, mich zu beruhigen.
Keine Chance. Mein Hals verätzt aber meinem Schwanz ist es scheißegal. Er pocht unerträglich.
Gott, ich bin kurz davor mir eine Ecke zu suchen und gegen die Mauer zu wichsen.
… verstarb in den frühen Morgenstunden …
Diese elenden Media-Folien gehen mir auf den Sack! Kein Mensch auf der anderen Seite der Meerenge interessiert, was hier los ist. Warum sollte uns interessieren, wer dort ins Gras beißt?
Presse meinen Unterleib gegen die Säule, bete, dass es niemand mitbekommt.
… die Familie hat sich aus der Öffentlichkeit …
Das Gesicht der Nachrichtensprecherin verschwimmt.
Ganz ruhig. Ich bin diesen Chinesenschnaps nicht gewohnt. Das ist alles. Wer weiß, was Han alles da reindestilliert hat? Seine Mischungen sind oft gewagt und schrammen hin und wieder nur knapp an Körperverletzung vorbei.
Mein Herz hämmert mir in der Brust, über mein Gesicht rinnt Schweiß. Trotzdem bin ich so geil, dass ich mich vor mir selbst schäme. Flüchte in die nächste Gasse, befreie dieses schmerzend harte Stück Fleisch. Reibe es wie besessen. Keuche, will schreien. Beiße mir auf die Lippen, höre Laute, die unmöglich von mir stammen können.
Es tut so weh, dieses verfluchte Ziehen!
Gleich, gleich ist es vorbei. Es muss vorbei sein.
Mein Unterleib krampft. Keine Luft, schreie trotzdem.
Reibe weiter, und wenn mir der Ständer abfällt, es muss aufhören!
Die Welle, sie schmettert mich nieder. Falle auf die Knie, beiße mir in den Unterarm. Feuer spritzt aus mir, versengt mich bis in die Seele.
Das bin nicht ich. Nicht ich krümme mich auf dem Boden, nicht ich zerre an diesem Schwanz, quäle ihn, bis es endlich Ruhe gibt.
Regen. Er rinnt mir über die Haut, nimmt den Schmerz mit.
Keuche, als hätte ich nie in meinem Leben geatmet.
Der Spuk ist vorbei. Was immer es war, es hat aufgehört.
Kämpfe mich auf die Beine. Langsam kehrt die Kraft in meinen Körper zurück.
Eine Frau neigt sich aus einem Fenster, fragt, ob ich Hilfe brauche.
Ich winke ab, will nur noch nach Hause.
Der Weg durch den Regen tut mir gut. Als ich das Monk erreiche, bin ich annähernd wieder lebensfähig.
Ein Kaffee, dann Kuns Knie in das Gestell zwängen und eine Kleinigkeit essen. Vielleicht einen Moment hinlegen.
»Sind Sie der Doc vom Begging Monk?« Ein Junge zupft mich am Ärmel.
Zehn? Eher acht Jahre.
Ich könnte nein sagen, durch die Drehtür gehen und ihn vergessen.
»Meiner Mutter geht es schlecht. Wenn sie hustet, ist das Tuch danach rot und Fieber hat sie auch.«
Nein, könnte ich nicht. »Warte hier. Ich hole meine Tasche.« Vielleicht macht mir Kun einen Kaffee für unterwegs.
Er steht hinter dem Tresen, lächelt mir entgegen. »Mr. Liam! Herzlichen Dank für den Kniekäfig!«
»Bedanke dich beim Boss, der wird das Ding bezahlen.« Ich sollte vorher einen Blick auf die Rechnung werfen. »Wenn ich nachher wiederkomme, helfe ich dir dabei.«
Warum schaut er mich so komisch an?
»Sir, Sie sehen sehr müde aus.«
»Weiß ich.« Wenn ich mich jetzt an den Tresen setze, schlafe ich ein. »Mach mir einen Kaffee zum Mitnehmen. Ich muss zu einer Patientin.«
Er hebt zweifelnd die Brauen. »Stark?«
»Sehr stark.« Der Junge wartet.
»Sir?«
»Was?« Ich habe es eilig, verdammt!
Kun zuckt zusammen. »Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, aber würde es das, würde ich Ihnen den Rat geben, sich für den Rest des Tages ins Bett zu legen.«
»Wie du gesagt hast, es steht dir nicht zu.« Müde oder nicht, ich würde kein Auge zubekommen.
Höre mein Herz in den Ohren pochen. Ich muss mich ablenken.
Warum ist es hier so kalt? Schlottere am ganzen Körper. Richtig, meine Sachen sind nass. Ich muss mich umziehen. Also hoch in den fünften Stock.
Bloß nicht schwächeln.
Ich sollte Han wegen Körperverletzung verklagen.
Lache nur innerlich über den Witz.
Konzentriere mich auf den nächsten Schritt, stehe irgendwann in meinem Appartement, kurz darauf stecke ich in frischen Anziehsachen.
Aneinandergereihte Filmrisse?
Wieder nach unten. Meine Tasche, richtig.
Die Tür zum Sanitätszimmer steht offen.
»Mr. Wakane!« Kitao huscht mir aus einer Ecke entgegen. »Abraham bat mich, die Vorräte in den Spielzimmern aufzufüllen.« Er zeigt mir eine Schüssel, gefüllt mit Kondomen. »Sie waren nicht da, also bediente ich mich.«
»Kein Problem.« Ich habe das Gefühl, mein Körper klebt schon wieder vor Schweiß.
»Mr. O’Farrell?«
»Ja?«
»Geht es Ihnen gut?«
»Ja und jetzt raus hier!« Den Nächsten, der mich das fragt, schmeiße ich aus dem Fenster.
– Joseph –
… Die Kontinentalregierungen beschlossen beim diesjährigen Time-after-Treffen eine engere Zusammenarbeit bei den Themen …
Nim lockt die Shivas aus Kowloon fort. Er geht dafür hohe Risiken ein, nimmt jede Menge Geld in die Hand. Wozu?
… Ausbau neuer Handelsabkommen, Sanierung des globalen Kommunikationssystems, wobei sich Asien bereit erklärte, den Großteil der anfallenden Kosten bei der Instandsetzung und Erneuerung der Satelliten zu …
Einen eigenen Klub? Angemessenes Startkapital? Handlungsfreiheit, selbst im reglementierten Insel-Hongkong? Abseits der besiedelten Küsten, in den Bergen, wäre es möglich, einen geheimen Ort zu schaffen, der für Überwachungsdrohnen unsichtbar und für Einsatzkräfte kaum zugänglich ist. Ebenso auf einer der Inseln, die vor der Südküste Lantaus lagern. Einige von ihnen sind unbewohnt.
Niemand, der die morbide Sinnlichkeit Kowloons kennenlernte, wird sie gegen einen geschichtslosen Ort in den Bergen tauschen. Es sind nicht nur die Shivas, die die Gäste süchtig machten. Auch die Atmosphäre der Ruchlosigkeit. Die Verkommenheit dieser Halbinsel ist über Jahrhunderte gewachsen. Man kann sie nicht aus dem Boden stampfen.
… letzte Meldung: Der langjährige Vorsitz…
Schalte den Receiver aus. Ich muss denken. So klar wie möglich.
Mit Kitaos unheilverheißenden Worten im Ohr gelingt es mir nur mühsam.
Es ergibt keinen Sinn, einen Klub dieser Art geheim zu halten. Sobald sich die ersten Gäste einfinden, werden sie darüber reden. Die Erlebnisse dort lassen sich nicht verschweigen. Sie berühren Körper und Seele zu tief.
Irgendwann wird ein Wort davon an verbotene Ohren dringen. Sobald Sun Haidong davon erfährt, wird er alles daransetzen, diesen Ort aufzuspüren.
Weshalb geht Nim dieses Risiko ein? Außerhalb Kowloons stehen auf Menschenhandel ebenso hohe Strafen wie auf Zuhälterei. Er wird den Rest seines Lebens im Gefängnis in Stanley verbringen. Dafür muss er Lantau nicht einmal verlassen. Selbst vor den Triaden ist er dort nicht zwingend sicher. Ihr Arm reicht weiter, als es Hao Jun zugeben würde.
Seit ich Nim kenne, kalkuliert er Risiken mit größter Vorsicht. Wer oder was zwingt ihn, seine eigenen Regeln zu brechen?
Auf dem Display des Kommunikators erscheint die Miniatur von Kuns Gesicht. Eine Bitte um eine Direktnachricht.
Ich gebe sie frei.
Über meinem Schreibtisch schwebend sieht mich der Barkeeper mit sorgenvollem Blick an. »Verzeihen Sie, Sir. Aber ich fürchte, dass mit Mr. Liam etwas nicht stimmt.«
»Wie kommst du darauf?« Vorhin war alles in Ordnung mit ihm.
»Sein Chi.« Betrübt schüttelt er den Kopf. »Es ist so verzerrt, dass es auseinanderreißen wird.«
»Kun, mit seinem Chi brauche ich Mr. O’Farrell nicht kommen, er würde …«
»Bitte, Sir! Sehen Sie ihn sich an! Wahrscheinlich will er seine Tasche holen. Er sagte etwas von einer Patientin.«
»Er ist überarbeitet.«
Kun schüttelt den Kopf. »Sie dürfen ihn nicht gehen lassen. Reden Sie mit ihm!«
»Ist gut.« Ich beende die Verbindung.
Kun würde es nie wagen, mich grundlos zu bedrängen. Ich weiß selbst, dass Liam dringend eine Pause braucht.
Auf dem Weg zum Sanitätszimmer wächst erneut der Wunsch in mir, Liam Befehle erteilen zu können. Es wäre zu seinem Besten.
Die Tür steht offen, Liam stützt sich auf den Tisch, atmet schwer.
»Liam?«
Er winkt ab. »Verkneif dir die Frage, ob es mir gut geht.«
»Offensichtlich nicht.«
»Ist heute nicht mein Tag.« Sein Lächeln zu mir ist fahrig. »Ich komme zurück, sobald ich der Mutter des Kleinen ein Antibiotikum verpasst habe.« Er greift in das Regal neben sich, wirft eine Tablettenpackung in seine Tasche.
Sein Gesicht ist blass, glänzt vor Schweiß.
»Bis später, ich muss los.«
»Heute nicht mehr. Du musst dich ausruhen.« Ich trete ihm in den Weg, berühre seine Wange.
Sie ist heiß.
»Nein, muss ich nicht.« Er will mich aus dem Weg schieben.
Ich bleibe, wo ich bin, fasse ihn an den Schultern. »Ich werde nicht zulassen, dass du in deinem Zustand durch die Elendsviertel stolperst und fremdes Leid kurierst! Sieh dich an. Du bist es, der Hilfe braucht.«
»Ich bin Arzt! Wirfst du mir vor, dass ich meinen Job mache?« Seine Augen glühen vor Fieber.
Oder ist es Zorn?
»Ich werfe dir vor, dass du dein Leben in den Slums vergeudest!«
»Ganz Kowloon ist ein Slum!« Er schlägt meine Hände von sich. »Mongkok glitzert ein bisschen mehr, das ist alles!«
»Ich meine es ernst, Liam.«
»Ich ebenfalls.« Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, hebt mir die Hand entgegen, als wollte er mich abwehren. »Ich arbeite für dich, ficke dich und lebe unter deinem Dach. Aber ich gehöre dir nicht und das wird sich nie ändern. Also spar dir diesen Feudalherrenscheiß!« Er will erneut an mir vorbei.
Ich packe ihn am Kragen, stemme ihn gegen die Wand. »Dir geht es beschissen. Ich lasse dich so nicht da raus!«
»Du willst mich einsperren?« Er greift nach meinen Handgelenken, zerrt vergeblich daran. »Mach es und du bist mich los.«
»Liam! Ich werde …«
»Ich sage dir nicht, wie du diesen Puff zu führen hast, und du hältst dich gefälligst aus meinem Job raus, verstanden?«
Puff?
»Was ist?«, herrscht er mich an. »Verlierst du dein Gesicht, wenn ich dein Lebenswerk als das bezeichne, was es ist?«
Ich will ihn niederschlagen. Stattdessen lasse ich ihn los.
Fluchend drängt er sich an mir vorbei, schmeißt die Tür hinter sich zu.
In meinen Ohren rauscht es.
Ich sollte ihm hinterherrennen, ihn k. o. schlagen und in sein Appartement sperren.
Mit jedem dahergelaufenen Shiva hätte ich es getan.
– Dean –
An den Rohren rinnt Wasser hinab. Das leise Plätschern stört mich nicht, das Flackern der Notbeleuchtung schon. Es liegt am Regen. Zu viel Nässe halten die provisorischen Elektroleitungen nicht aus.
Versuche, mich auf die Abbildungen in Liams Büchern zu konzentrieren, aber mein Blick schweift immer wieder zu Josephs dunkelblauem Jaguar. Ich würde ihn gern fahren. Nicht in den engen Gassen, sondern irgendwo, wo ich Gas geben kann.
Mein eingeschlafener Hintern holt mich aus meinen Tagträumen.
Der Platz auf der halb eingestürzten Begrenzung zur Ausfahrt ist der einzige mit Tageslicht. Durch das Flackern sehe ich sonst kaum etwas. Zum Glück habe ich das Zeichenpapier vergessen. Ich könnte die Staubtitel der beiden Bücher herausreißen und stattdessen benutzen.
Ich kann es auch bleiben lassen. Ich will keine Menschen malen, die wie aufgeschnittene Leichen aussehen, und mir ist egal, was in einem Brustkorb los ist oder wo die Harnröhre verläuft. Hautlose Muskelstränge und Beckenknochen springen mich ebenfalls nicht an.
Doch. Wenn sie zu Joseph gehören und über den Bund seiner tief sitzenden Jeans hervorstechen.
Liams sind auch nicht zu verachten. Ich sehe ihm gern zu, wenn er sich nachts bis auf die Shorts auszieht, um sich zu mir zu legen.
Es war schön, ihn zu küssen. Es hat sich gut angefühlt, von ihm berührt zu werden. Gar nicht danach, die Kontrolle zu verlieren, aber trotzdem intensiver als bei Juen.
Schritte auf der Notfalltreppe.
Weglaufen oder hoffen, dass es jemand ist, den ich kenne und dessen Gesellschaft ich ertrage?
Zu spät. Ein Mann kommt aus dem Treppenhaus. »Mr. Dean Fitzgerald?«
Mann, ist der heiser.
»Schön, dass ich Sie hier finde.« Mit ausholenden Schritten kommt er näher. »Ich soll Ihnen ein Geschenk überbringen.« Er hält mir ein Päckchen hin, steckt nebenbei den Zipfel seines Halstuchs in den Kragen zurück. »Der Inhalt möge Ihren jugendlichen Geist erhellen und Ihnen dabei helfen, eine kluge Entscheidung zu treffen.«
»Was für eine Entscheidung?« Ich war nie gut darin, welche zu treffen.
»Das werden Sie wissen, wenn Sie das Geschenk sehen.« Er deutet eine Verneigung an, dabei ist er kein Asiate, dreht sich um und geht denselben Weg zurück, den er gekommen ist.
Hübsche Verpackung. Seidenpapier, ein in einer hellgrünen Schleife eingefasster Zweig mit einer Lotosblüte.
Warum macht mir ein Fremder Geschenke?
Josephs warnende Stimme hallt mir im Kopf.
Ich bin der Junge aus Zimmer drei. Derjenige, der Jones ans Messer liefern könnte und der deshalb auf Hongkong Island keine Stunde überleben würde.
Josephs Gerede hat zu meinen zehntausend Ängsten auch noch Paranoia gepackt. Herzlichen Dank.
Der Einzige, der Jones wirklich an den Eiern hält, ist Hao Jun. Er kann das Video jederzeit unzensiert über irgendwelche Piratenkanäle ausstrahlen. Der Darsteller der tragischen Nebenrolle wäre Jones dann vermutlich schnurzegal.
Das Päckchen wirkt harmlos. Ist es naiv, es auszupacken? Wenn es mir um die Ohren fliegt oder ich von einer Giftwolke umhüllt werde, macht mich Joseph fertig. Ich habe ihm genug Ärger bereitet. Besser, ich zeige es ihm vorher. Dann kann er überlegen, ob er mit mir zusammen explodieren will.
Ich wähle seine Kontaktnummer und nach ein paar Sekunden erscheint sein Gesicht auf dem verkratzten Display.
Auf Hongkong-Island besitzt jedes Kind die Holo-Variante.
Und wenn schon.
»Hi Joseph«, beginne ich sinnigerweise die Unterhaltung. »Störe ich dich?«
»Was ist los?«, faucht er. »Ich habe zu tun.«
Alles klar. Ich störe ihn. »Ein Typ hat mir ein Päckchen gegeben. Ein Geschenk von irgendwem.« Ich halte es in sein Sichtfeld.
Zwischen Josephs Brauen bildet sich ein Krater. »Hat er einen Namen genannt?«
»Nein.«
»Warum hast du nicht danach gefragt?«
»Weil ich …«
»Komm in mein Büro.«
»Okay«, informiere ich das plötzlich wieder dunkle Display.
Weshalb habe ich es nicht einfach ausgepackt und fertig? Wieso muss ich jemand anderes fragen, wenn ich Post bekomme? Ich bin erwachsen! Ich kann machen, was ich will!
Guter Witz. Als ob ich das jemals gekonnt hätte. Nicht hier in Kowloon und in Charleston auch nicht. Sonst wäre ich dortgeblieben und Dad hätte sich die Sache mit dem Selbstmord noch mal durch den Kopf gehen lassen.
So hat das die Kugel übernommen.
Meine Kehle wird eng. Schlecht. Das Notfall-Spray liegt in Liams Appartement. Seltsam, dass Erinnerungen einen ersticken können.
Schleppe mich die Treppen hinauf, stolpere in Josephs Büro.
Ein Blick und er erkennt meinen Zustand.
Kein Wunder, er sieht ihn oft genug.
Zwei dieser energischen, beneidenswert geschmeidigen Schritte und er steht vor mir.
»Entspann dich.«
Gute Idee. Wäre ich nie drauf gekommen.
Er legt mir die Hand ins Genick, drängt mich mit sanfter Gewalt zu sich.
Ich schnappe nach Luft, versuche, mich zu wehren.
»Idiot«, murmelt er mir ins Haar. »Lass es zu. Du weißt, dass ich dir helfen will.«
Ja, weiß ich. Aber was mein Kopf weiß und mein Körper umsetzt, ist schon länger nicht mehr kompatibel.
»Leg deine Stirn auf meine Schulter und atme so ruhig wie du kannst.«
Da ist etwas in seiner Stimme. Es hüllt mich ein, ohne mich zu bedrängen. Komisch, dass es traurig klingt. Dennoch tut es gut, mich an ihn zu lehnen, auch, dass er mir dabei den Nacken massiert und ich in der Zwischenzeit unauffällig an ihm schnüffeln kann. Ich weiß nicht, wie er das anstellt, aber er riecht unsagbar gut.
»Anscheinend gelingt dir das Atmen wieder.«
Er hat es bemerkt. Fairerweise lässt er mich an meinem Platz.
»Hier«, nuschle ich gegen seine glatte Haut und halte das Päckchen hoch. »Es klappert und tickt nicht.«
»Warum sollte es klappern und ticken?« Er lauscht trotzdem.
»Es ist ein Scherz, von wegen Briefbombe und so.« Er ist schlapp. Wahrscheinlich haben die Dinger zum letzten Mal vor zweihundert Jahren getickt und geklappert.
Ich trenne mich von der Erste-Hilfe-Zärtlichkeit, um mich weniger wie ein Junge und dafür mehr wie ein Mann zu fühlen.
Es gelingt nur im Ansatz.
»Ich werde das Paket für dich öffnen.«
Mit dieser Entscheidung untergräbt er meinen Plan.
Er wickelt das Seidenpapier ab, reicht mir den Lotoszweig. »Er ist wie du. Bezaubernd schön, duftend, doch leider zerbrechlich.«
»Duftend?«
Sein Zwinkern ist lediglich angedeutet.
Er denkt an den Nachmittag nach meiner Rettung aus dem Container.
Ich auch.
Meine Wangen fühlen sich plötzlich heiß an. Offenbar versteht er unter duften etwas anderes als ich.
»Wie kommt ein Fremder dazu, dir Geschenke zu machen?«
»Bist du eifersüchtig?« Er klingt so.
Sein Blick lässt mich schrumpfen.
»War nur eine Frage.« Ich muss mir endlich wieder angewöhnen, vor dem Reden zu denken.
»Ein Multi-Kom.« Er zieht das Gerät aus der Verpackung, betrachtet es mit kritischem Blick. »Das neueste Modell.«
Kein Touchscreen. Wie bedient man das Teil?
Eine kleine Karte segelt auf den Boden.
Mit freundlichen Grüßen,
Nimrod Gage
Joseph nimmt sie mir aus der Hand.
Was immer er flucht, es klingt bedrohlich.
»Status.«
Offenbar meint er damit nicht mich. Mein Status ist ihm bekannt: beklagenswert bis jämmerlich.
Eine holografische Fläche breitet sich über dem Gerät aus. Laut Informationszeile befindet sich lediglich eine Datei im Speicher.
»Öffnen.«
Ein ebenfalls holografischer Origami-Vogel mit erstaunlich langem Schwanz schwebt in die Mitte der Fläche und entfaltet sich zu einem in Dämmerlicht getauchten Raum.
Ein Gesicht. Es taucht so plötzlich auf, dass ich zusammenzucke.
Kalkweiß, aufgerissene Augen.
Ich.
Eine Hand greift mir in die Haare, reißt mir den Kopf in den Nacken.
Fesseln um Hand- und Fußgelenke.
Etwas Rotes läuft mir über den Rücken.
Ein Zoom auf aufgeplatzte Haut, ein Schwenk zurück zu dem verzerrten Gesicht.
»Stopp!«
Dem Multi-Kom ist Josephs Befehl egal. Er zeigt mich in Nahaufnahme. Die Schwänze der Männer im Hintergrund sind verschwommen. Ihre Pisse glitzert golden im Licht, vermischt sich mit meinem Blut.
Ich schreie. Ohrenbetäubend laut.
Finger bohren sich in meine Wangen.
Der Kameraschwenk geht über das haarige Handgelenk, den Arm hinauf bis zu einem faltigen Gesicht.
Weiße Haare, Augen, die vor Gier glühen.
Marvin Jones.
Er drückt mir den Mund auf, pisst hinein.
Aus meinen Schreien wird ein Gurgeln, aus dem Gurgeln ein Würgen.
Joseph schleudert den Multi-Kom an die Wand. Das Hologramm verschwindet. Zusammen mit Jones, Hao Juns Schlägern und mir.
»Ich soll eine kluge Entscheidung treffen.« Der Papierkorb. Die klügste im Moment.
Ich kotze mir die Seele aus dem Leib.
»Hat das der Bote ausrichten lassen?«
Ich nicke, bevor mich auch der Rest meines Frühstücks verlässt. Ein Jammer. Akumas Reisbrei war lecker gewesen.
Joseph faucht etwas in seinen Kommunikator.
Chinesisch für Fortgeschrittene. Ich dümpele noch in den Anfängerlektionen.
Maybe steht plötzlich neben mir. »Bist du fertig?«
»Weiß ich nicht.« Mir ist hundsmiserabel schlecht.
Sie reicht Joseph ein nasses Handtuch, entwindet mir mit sanfter Gewalt den Papierkorb. Bevor ich mich deswegen beschweren kann, hat sie das Büro bereits verlassen.
Mutig von ihr. Wenn Joseph Pech hat, landet der nächste Schwapp auf dem Fußboden.
»Weißt du, was er damit gemeint haben könnte?« Er drückt mich auf den Stuhl, wischt mir Gesicht und Hände sauber.
»Mit der Entscheidung? Keinen Schimmer.«
»Der Mann hat dir keine Frage gestellt?«
»Nein.« Meine Kehle brennt, so sauer ist sie.
Joseph reicht mir seine Kaffeetasse. »Spül den Mund damit aus. Das wird dir helfen.«
Der Kaffee ist stark, bitter, lauwarm. Nach dem Spülen schlucke ich ihn trotzdem. Kann ihn schlecht zurück in die Tasse spucken, obwohl der Gedanke da ist. Hoffentlich nimmt mir mein Magen den neuen Angriff nicht übel. Zumindest ist der eklige Geschmack verschwunden.
»Woher hat er diese Kopie?«, fragt sich Joseph offenbar selbst, denn er hängt eine Menge japanische Wörter dran, die verdächtig nach Flüchen klingen.
»Jeder Sender hat das ausgestrahlt.« Wahrscheinlich bin ich ein YouTube-Held mit Millionen Klicks. Ich sollte mich googeln.
Besser ich lass es.
»Nein.« Joseph starrt auf das kaputte Ding in der Ecke, als würde jeden Moment eine Zombie-Variante von Gage daraus hervorkriechen. »Nicht diese Version.«
Jones. Sein Gesicht war in den öffentlich gezeigten Clips nie zu erkennen.
»Hao Jun ist verpflichtet, die unzensierte Fassung wie einen Schatz zu hüten. Wie zum Teufel ist sie in Nims Hände gelangt?«
»Keine Ahnung. Vielleicht sind die beiden Kumpel?« Oh Gott, was für ein schwachsinniger Gedanke. Es wird Zeit, dass mein Hirn wieder funktioniert.
»Du sollst eine Entscheidung treffen.« Er setzt sich vor mich, legt mir die Hände auf die Oberschenkel. »Dazu muss er dir mindestens zwei Alternativen bieten, zwischen denen du wählen kannst. Aber das hat er nicht getan.«
Ich mag seine braunen Augen. Auch wenn sie mich so ernst ansehen wie jetzt.
»Wozu zeigt er dir das Video?«
Um mich kotzen zu lassen.
»Er quält dich, um mich zu provozieren. Er muss geahnt haben, dass ich es ebenfalls sehen werde.«
Je stärker ich mich auf die Wärme seiner Hände konzentriere, desto mehr entspannt sich mein Magen.
»Jemand, der es schafft, diesen Clip an sich zu bringen, besitzt Macht.«
Gestern küsste ich seine Hand. Kein Wunder, seine Hände sind schön. Feingliedrig, bronzefarben, elegant. Dennoch wirken sie stark.
»Und Nim will, dass ich das weiß.«
Sein Kommunikator blinkt.
Er öffnet die Nachricht und Gages Gesicht erscheint auf dem an den Rändern zitternden Schirm.
»Mein Lieblings-Shiva. Du hast lange nichts von dir hören lassen, also dachte ich, melde ich mich.«
»Steck dir den Shiva in den Arsch.«
Kalte Wut in jeder Silbe.
Wie schafft es Gage, trotzdem weiterzulächeln?
»Weshalb hast du deine Nummer geändert?«, fragt Joseph keinen Deut warmherziger.
»Um vor lästigen Stalker-Anrufen sicher zu sein.«
»Du hast Angst.« Josephs Lider sinken auf halbmast. »Vor wem?«
»Nicht vor dir.«
»Vor demjenigen, der dir den Clip besorgte?«
»Meinst du mein kleines Geschenk?«
Gages aufgesetztes Lachen stellt mir die Haare zu Berge.
»Es war nicht für dich gedacht, liebster Joseph.«
»Wenn du etwas mit mir zu klären hast, bin ich deine Adresse. Nicht Dean.« Josephs Hand ballt sich zu einer Faust.
Kann den Anblick nicht ertragen. Nehme sie und halte sie mir an die Wange. Keine Ahnung warum, aber es tut gut. Sie öffnet sich, wird wieder zu etwas Vertrautem.
»Es gibt nichts mit dir zu klären«, säuselt Gage in widerlich unschuldigem Tonfall. »Es geht mir allein um den Jungen. Er kann sich nicht für immer in deinem Schatten verstecken.«
»Und wenn er das will?« Josephs Daumen streichelt zärtlich über meinen Wangenknochen. »Immerhin habe ich ihn gekauft.«
»Weit unter Preis. Wir beide kennen seinen wahren Wert.« Sein Gesicht wächst bis zu den Rändern der wabernden Fläche. »Ich werde dir ein Angebot unterbreiten, das du nicht ablehnen kannst.«
Die Hand auf meiner Wange erstarrt.
»Dasselbe, das du Lin gemacht hast?« Joseph schnaubt. »Spare es dir.«
»Lin ist ein Wurm! Niemand zwang ihn, seinen Laden zu schließen. Er bekam es mit der Angst und zog den Schwanz ein. Seine Shivas können froh sein, dass ich für ihn einsprang.«
»Lantau ist die falsche Gegend für diese Art von Geschäften. Du warst lange genug im Geschäft, um das zu wissen.«
»Oh, du weißt, wohin die Reise ging?« In gespieltem Erstaunen hebt Gage die Brauen. »Ich denke, es geht dich nichts an, wo ich mich verwirkliche.«
»Mit wem arbeitest du zusammen?«
Gage lacht. »Denkst du, dass ich dich in meine Pläne einweihe?«
Wenn mich Joseph auf diese Weise ansähe, würde ich zu einem Eisblock gefrieren.
»Fakt ist, dass Dean der Junge aus Zimmer drei ist«, plaudert dieser Idiot, als würde am anderen Ende der Verbindung kein qualvoller Tod auf ihn warten. »Der Retter Kowloons und damit Held und Märtyrer in einem. Dementsprechend hoch wird er unter den Klubbesitzern gehandelt. Zumindest unter denen, die noch zum Handeln fähig sind.«
Der Mann mit dem Geldbündel.
Fühle mich wie ein Gebrauchtwagen.
»Ich verkaufe ihn nicht.« Joseph nimmt die Hand von meiner Wange. »Spar dir deine Angebote.«
»Nicht zu voreilig. Du hast den Jungen nicht unter Vertrag. Das hätte sich herumgesprochen. Mir ist egal, warum du zögerst, aber ich werde mit ihm einen aushandeln, der wasserdicht ist.«
»Scher dich zum Teufel.«
Wahnsinn, wie Josephs Kiefermuskeln die Wangen ausdellen.
»Nicht ohne Dean.«
Mein Gott, der Kerl redet die ganze Zeit über mich. Es ist so krank, dass es mir nicht in den Kopf will.
»Denk in Ruhe darüber nach, Joseph. Wenn ich mich das nächste Mal melde, nenne ich dir konkrete Zahlen. Wir werden sehen, ob du danach weiterhin bereit bist, mein Angebot auszuschlagen.«
»Nim, du elender …«
Der Holo-Screen löst sich in Luft auf.
Joseph starrt an die Stelle, wo eben noch Gages Grinsen flackerte.
»Er will dich haben.« Sein Blick wandert langsam zu mir. »Dieser verfluchte Hurensohn will dich zu seinem Shiva machen.«
»Das ist ein Witz.«
»Siehst du mich lachen?«
Nein.
»Jeder Mensch hat seinen Preis.« Er blickt an mir vorbei zum Fenster. »Nim kennt nicht nur deinen, auch meinen.«
»Soll das heißen …« Bitte? »Ich bin kein Shiva! Ich arbeite nicht einmal für dich!«
»Das ist das Problem. Du besitzt keinen Status. Hättest du einen Vertrag, wäre das etwas anderes.«
»Liam hat auch keinen.« Was soll dieser Vertragsmist plötzlich?
»Liam besitzt genügend Autorität, um einen eigenen Klub aufzumachen. Jeder respektiert ihn. Sein Status steht außer Frage.« Er fährt sich über den Mund, starrt an mir vorbei.
Da ist etwas in seinem Blick. Wut? Nein, eher Traurigkeit.
Für einen Moment bringt es mich aus dem Takt. So hat Joseph noch nie ausgesehen.
»Liam ist sein eigener Herr. Er kann tun und lassen, was er will.«
Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. »Hast du dich mit Liam gestritten?«
»Es geht nicht um ihn, sondern um dich.«
Sein Ton faltet mich zu etwas Winzigem zusammen.
»Mir ist klar, dass ich mit meinen schlappen neunzehn Jahren null Autorität besitze.« Spätestens jetzt. »Aber …«
»Das Alter hat nichts damit zu tun«. Die knappe Geste fühlt sich nach Ohrfeige an. »Ich wurde mit achtzehn Nims Partner. Mit zwanzig eröffnete ich meinen eigenen Klub.« Mit dem Zeigefinger zieht er einen Kreis in der Luft. »Diesen.«
»Ist mir egal. Ich bin trotzdem kein Shiva.« Hingabe. Warum zum Henker taucht dieses Wort plötzlich in meinem Kopf auf?
»Hast du nichts gelernt?« Er schnappt mein Kinn. »In Kowloon bist du genau das, was die Menschen in dir sehen.«
Ich will seine Hand wegschlagen.
Er fängt meine ein, hält sie fest. »Die Rattenfänger drückten dir einen Stempel auf. In dem Moment, als sie dich an die Containerwand ketteten und mit einem Preis versahen!«
»Hör auf!« Ich hasse das Gefühl, wenn Tränen in die Augen steigen und ich sie nicht mehr wegblinzeln kann. »Ich verstehe dich nicht! Wir sind Freunde!«
»Du wirst mich niemals verstehen!« Er fährt sich durch die Haare, flucht leise. »Du nicht und Liam ebenfalls nicht.«
Sie haben sich gestritten. Anscheinend heftiger als sonst.
»Ihr seid Gäste in meiner Welt und weigert euch, mehr zu werden.«
»Das ist nicht wahr. Kowloon ist mein Zuhause.« Auf eine kranke Weise, aber das ist egal.
»Tatsächlich?« Joseph streicht mir eine Locke aus dem Gesicht. »Wie oft sehnst du dich nach Charleston zurück?«
»Gar nicht.«
Seine Braue hebt sich.
»Selten.« Das ist die Wahrheit, verdammt. »Es wäre mir dort zu eng.« Ich würde ersticken.
»Eng?« Er nickt zum Fenster. »Nirgendwo sind die Gassen enger als hier.«
»Das meine ich nicht.« Und das weiß er auch.
»Es würde dich erdrücken.« Seine Fingerspitze fährt über meine Lippen. »Die Regeln.« Sein Finger dringt in meinen Mund. So mühelos. »Die Dinge, die du nicht tun dürftest.«
Ich sollte zurückweichen, seine Hand wegschlagen. Stattdessen lasse ich es zu, während mein Herz immer lauter und härter pocht.
Es erregt mich. Mitten durch meine Angst hindurch.
Josephs Pupillen weiten sich. »Saug an ihm.« Seine Fingerspitze streichelt meine Zunge.
Ich tue es. Einfach so. Mir steigen Tränen in die Augen und ich weiß nicht, warum.
»Du bist wie ein Schmuckstück, das jemandem aus der Tasche gefallen ist.« Er neigt den Kopf, betrachtet mich mit einer Sehnsucht, die mir den Atem verschlägt. »Jeder, der dich findet, will dich behalten.« Sein Finger gleitet etwas aus meinem Mund, wieder tiefer hinein, wieder heraus. »Ich habe dich gefunden, Dean.«
Dann behalte mich!
»Ich werde nicht zulassen, dass dich jemand stiehlt.« Sein Finger gleitet aus mir, streichelt über meine Unterlippe.
Etwas in mir flattert hin und her. Ich möchte es einfangen, aber es klappt nicht.
»Dieser Bastard bekommt dich nicht.« Joseph nimmt meine Hand, das Flattern hört auf. »Dafür werde ich sorgen.«
Ich glaube ihm jedes Wort.
»Ich binde dich mit einem Vertrag, dann ist die Sache geklärt.« Er lässt mich los, zündet sich eine Zigarette an. »Ich lasse mir von Nim nicht drohen.« Als wäre es völlig normal, hält er sie mir hin.
Huste mich durch den ersten Zug. »Ich begreife nicht, warum es an einem Ort wie diesem überhaupt Verträge gibt«, stoße ich keuchend hervor. »Es ist Kowloon. Hier regiert das Chaos. Das hast du selbst gesagt.«
»Weil in Kowloon jemand wie du nur unter diesen Bedingungen einen Wert besitzt.« Genervt pflückt er mir die Zigarette aus den Fingern. »Er bemisst sich an dem, was ein anderer bereit ist, für dich zu zahlen.«
»Dieser Vertrag.« Beginne das Wort zu hassen. »Der könnte doch auch pro forma sein, damit Gage Ruhe gibt, oder?« Wer sollte er es kontrollieren?
»Pro forma?«
So, wie er mich ansieht, war die Frage saudumm.
»Etwas Bindendes dieser Art ist niemals pro forma.« Er hebt meinen Arm an, tippt an die weiche Stelle unter meiner Achsel. »Ein Schablonentattoo.« Die Zigarette wippt zwischen seinen Fingern. »Ein kleiner Mönch mit einer Bettelschale. Er bindet dich an das Monk und damit an mich.«
Spüre ihre Glut auf meiner Haut.
»Niemand in Kowloon würde es wagen, Hand an dich zu legen. Jeder wüsste, wem du gehörst und wird es respektieren. Selbst ein dreister Gaijin wie Gage.« Hauchzart gleiten seine Finger über mich.
Zusammen mit der Hitze.
Hinter meinem Brustbein breitet sich ein Ziehen aus.
»Gestern Nacht hast du uns zugesehen. Deine Shorts wurde nass vor Lust.«
»Du kannst den Fleck nicht bemerkt haben.« Dazu war es zu dämmrig im Zimmer.
Er zuckt mit der Braue.
Er hat geraten, und ich Dummkopf bestätigte seinen Verdacht.
»Liam und ich. Wir wären deine einzigen Spieler. Dafür würde ich sorgen.«
Die Art, wie seine Lippen den Filter umschließen, wie sie den Rauch nach einer Weile entlassen; ganz weich, als würden sie ihn beim Ausatmen streicheln.
»Dean?« Joseph beobachtet mich dabei, wie ich ihn beobachte.
»Ich soll dein Shiva sein?« Ein beschämender Teil von mir sehnt sich danach. Der andere flieht schreiend aus dem Büro. »Und wenn ich es nicht will?«
Seine Lider sinken, bis bloß ein Strich Dunkelheit übrig bleibt. »Dein Wille wird keine Rolle mehr spielen.«
Dieses Gespräch macht mir Angst.
»Du warst ebenfalls ein Shiva und bist keiner mehr.« Rede nur, um nicht schweigen zu müssen. »Du warst Gages Eigentum, aber jetzt bist du frei.«
Er schnippt die Glut von der Zigarette, verfolgt mit dem Blick ihren Weg nach unten. »Du bist nicht ich.«
Nein, bin ich nicht. Es gibt nichts Offensichtlicheres.
Keine Chance auf einen klaren Gedanken. Alles in meinem Kopf schwirrt hin und her.
»Du würdest es nicht ausnutzen.« Wir sind Freunde. Doch, das sind wir. »Ich weiß, dass du es nicht wirst.«
»Dann weißt du mehr als ich.«
Das Glimmen in seinem Blick.
Meister Hiato hat mich ebenso angesehen.
»Du willst einen Phönix?«
Nein, ich will raus hier.
»Dann lass dich von mir verbrennen.« Seine Fingerspitzen streichen über mein Schlüsselbein bis zur Achsel. »Du willst es. Warum sonst hast du im Dojo meine Hand geleckt?«
»Geleckt?« Das ist nicht wahr. »Ich habe sie geküsst!«
»Ich spürte deine Zunge, Dean. Nicht nur deine Lippen. Ebenso wie vor wenigen Augenblicken, als ich meinen Finger in deinen Mund steckte.«
Ich will darüber nicht nachdenken.
»Ich befahl dir zu saugen und du hast es getan. Ohne zu zögern.«
Es hat sich richtig angefühlt.
»In deinem Blick lag tiefer Frieden.«
»Vergiss es. Ich bin kein Shiva und ich werde niemals einer sein. Weder für dich noch für dieses Arschloch Gage, also hör mit diesem Gerede auf!«
»Und warum sehnst du dich dann danach?« Langsam wandert seine Hand zwischen meine Beine. »Ich sah es in deinen Augen, damals, als du mich angefleht hast, dich zu kaufen.«
»Ich stand unter Drogen!« Das weiß er genau! »Mir ist fast der Schwanz geplatzt!«
»Jetzt stehst du nicht unter Drogen.«
Fühle jeden einzelnen seiner Finger.
»Dennoch wirst du hart.« Er beginnt, mich zu massieren. »Du bist dafür geschaffen, dich hinzugeben.«
Spüre es zucken, weiß, dass er es ebenfalls fühlt. Muss mir auf die Lippen beißen, um nicht zu seufzen.
»Der Nachmittag, als sich die Grenzen um Kowloon schlossen.« Er nimmt mich im Nacken, drängt mich mit sanfter Gewalt näher zu sich. »Du warst betrunken.«
Wie warm sein Atem über meinen Hals streicht.
»Liam hat dich geküsst.«
Es war wundervoll gewesen.
»Zuerst zärtlich, dann immer leidenschaftlicher.« Er reibt mich langsam und sehr fest. »Weißt du noch, was danach geschah?«
Ich stöhne ihm ins Ohr, kann es nicht verhindern.
»Ich verwöhnte deinen bezaubernden Schwanz mit meinem Mund, bis du dich zwischen Liam und mir vollkommen aufgabst.«
Meine Beine knicken ein. Es macht nichts. Joseph hält mich fest.
Seine Finger schieben sich in meinen Hosenbund.
Zucke zusammen vor Schreck.
Der Griff in meinem Nacken wird härter.
»Befreie dich aus deinem Käfig.« Seine Hand wandert nach vorn, legt sich um meine Kehle. Nicht fest, dennoch schaudert es mich. »Denn wenn nicht, werde ich ihn einreißen und weder Liam noch du noch irgendein anderer auf dieser Welt werden mich davon abhalten.«
Schlucke gegen den Druck von innen und außen an.
Dass es in mir kreischt vor Angst, blende ich aus. Mein Herz klopft ohnehin darüber hinweg.
Ohne meine Kehle loszulassen, schiebt er mir die Shorts hinunter.
Mein Schwanz ist so hart, dass er ihm entgegenspringt.
Über seine Lippen huscht ein Lächeln.
Seine Finger schließen sich erneut um mich.
Will seine Hand von mir nehmen. Kralle mich um sein Gelenk, mehr jedoch nicht.
»Fürchtest du dich vor mir oder vor dem, was du in dir einsperrst?«
Davor, dass er recht haben könnte.
»Du drückst mein Gelenk so fest zusammen. Dennoch befreist du dich nicht von dieser Zumutung.«
Sein Blick streichelt mich, während er mich langsam reibt.
Ich bin so lange nicht mehr gekommen.
Keuche gegen den Drang an, in seine Faust zu stoßen.
Bin ich verrückt? Von einem wie mir lässt er sich nicht vögeln. Nicht einmal seine Hand.
Bloß ein Versuch. Es muss sein. Ich schiebe mein Becken nach vorn, ziehe es wieder zurück, versuche das Ganze erneut.
Ein Blick von ihm und ich lasse es.
Er ist der Einzige in diesem Zimmer, der entscheidet, ob und wann ich komme.
Kann nicht schlucken, nicht denken, nur fühlen.
Mein Herz zertrümmert mir den Brustkorb.
»Soll ich dich erlösen?« Sein Daumennagel kratzt über meine Spitze.
Oh Gott!
Sinke gegen ihn, sauge mich an seinem Hals fest. Es tut so gut.
Joseph stößt ein tiefes Knurren aus, lässt seinen Daumen um meine Spitze kreisen.
Tropfe wie ein leckender Wasserhahn.
Sein Kehlkopf wandert unter meinen Lippen.
Ich küsse, sauge, beiße ihm mein Flehen nach Erlösung in diese wundervolle Stelle seines Halses.
Sein Stöhnen mischt sich mit meinem, wird rau, wird zu etwas, in dem ich verloren gehen will.
Da ist sein Blick. Sonst gar nichts mehr. Er verbrennt mich, legt seine Seele bloß, verschlingt meine. Alles in einem Moment.
Seine Lippen auf meinen. So hart, so drängend.
Ich kann nicht zurück. Er lässt es nicht zu.
Ich will nicht zurück. Will seine Zunge schmecken, den Rauch auf ihr. Öffne meinen Mund, überlasse ihn Joseph.
Er küsst die Panik in mir kurz und klein.
– Joseph –
Er gibt auf. Jeder Widerstand, jedes Zögern verschwindet. Er lässt sich in den Kuss fallen, kostet meinen Mund ebenso innig wie ich seinen. Seine Arme schlingen sich um meinen Hals, seine Finger greifen mir ins Haar.
Inhaliere den Duft seines Schweißes. Der Hauch Angst darin lässt es in mir auflodern.
Wäre er nicht Dean, würde ich ihn auf den Tisch schleudern und durchficken. Ohne Rücksicht, ohne ein Gefühl außer Gier und der Wut, die mich brennen lässt.
Ich verdanke sie nicht nur Nim, auch Liam.
Sie fordert ein Ventil.
Ich bin nicht Nimrod und Dean ist nicht der Junge, dessen Leben aus dem Taumel zwischen Schmerz und Lust bestand. Ich kann ihm nicht zumuten, was Nim mir zumutete.
In diesem Augenblick will ich es.
Kämpfe gegen Impulse an, die ich vergeblich versuche, aus meiner Seele zu drängen. Sie sind stärker als meine brüchige Moral.
Sie würden Dean zurück in die Angst werfen und sein Geschenk an mich zerstören.
Ich trenne meine Lippen von seinen. Ich brauche Abstand, um mich zu kontrollieren.
Dean braucht Atem. Er holt ihn sich in tiefen Zügen.
Seine Augen glänzen wie im Fieber. Sein Blick fleht mich an, ihn endlich zu erlösen.
Ich ziehe ihm den Kopf in den Nacken, lecke ihm den Schweiß von der Kehle.
Er wimmert vor Lust.
Ich will mehr hören.
Ein Biss.
Sein erschrockenes Keuchen rieselt mir durch die Nerven.
»Komm für mich.« Habe diesen Moment so lange ersehnt.
Er stöhnt ein Ja, das mich alle Vorsicht vergessen lässt.
Lausche seinem Schrei, während er ich heiß über meiner Hand ergießt.
– Dean –
Mein Herz donnert überall in mir. Bekomme kaum noch Luft.
Joseph macht weiter, dabei sehe ich schon Sterne.
Er saugt an meinem Kehlkopf, knurrt.
Ein krasses Gefühl, wenn sich Panik in das Nachbeben eines erschütternden Orgasmus mischt.
Versuche ihm zu sagen, dass er aufhören soll.
Bringe kein vernünftiges Wort über die Lippen.
Endlich lässt er von mir ab, hält mir seine Hand hin.
Mein Saft tropft von ihr.
Er muss nichts dazu sagen. Ich weiß, was er von mir will.
Ich will es auch.
Lecke ihm über die Finger, schmecke mich, schmecke ihn.
Fühle mich so leicht, als könnte ich schweben.
»Und du willst kein Shiva sein?« Seine Stimme vibriert vor ungestillter Lust. »Du wurdest als einer geboren.«
Ich weiß nicht, was hier passiert. Aber ich will, dass es niemals endet.
»Bleib bei mir.« Unsere Zungen treffen sich zwischen seinen Fingern. »Und vergibt mir alles, was ich dir zumuten werde.«
»Dann tu es nicht.« Klammere mich an ihn, weiß im selben Moment, dass es ein Fehler ist.
»Wir können beide nicht aus unserer Haut. Nur dass du es ständig versuchst, während ich mich damit abgefunden habe.« Er zieht meine Hände von sich, steht auf. »Triff deine Entscheidung. Ich gebe dir bis Morgen Mittag Zeit.«
Als hätte der Moment eben nie existiert.
»Es wird Zeit, dass du gehst. Ich muss arbeiten.« Lässig greift er sich in den Schritt.
Er ist hart.
Kann nicht wegsehen.
Will mich vor ihn knien, seinen Schwanz aus der Jeans holen und ihn von oben bis unten ablecken.
So etwas habe ich bisher nie getan, nur davon geträumt. Damals, als ich noch nicht der Junge aus Zimmer drei war.
Josephs Blick schickt mich in die Wüste.
Ich gehorche, atme erst auf, als die Tür hinter mir im Schloss klackt.
Von hundert auf Null in fünf Sekunden.
Stehe meilenweit neben mir.
»Na, Ärger mit dem Boss?«
Scheiße! Wo kommt Steve plötzlich her?
»Siehst blass aus um die Nase.« Er zwinkert mir zu, schlendert den Flur entlang um die nächste Ecke.
Durch das Poltern meines Herzens höre ich die Tür zum Treppenhaus zuschlagen.
– Liam –
Der verdammte Regen hört nicht auf. Zwischen den Gassen bilden sich Bäche, spülen mir den Unrat Kowloons um die nackten Knöchel. Er stinkt, glitscht und hält meine Schuhe fest.
Die Hoffnung auf eine Rikscha kann ich vergessen. Also zu Fuß durch die Slums.
Ich will nach Hause. Zu Joseph. Ihm sagen, dass mir meine Worte bitter leidtun.
Wie konnten sie mir über die Lippen kommen?
Plötzlich hatte ich ein Gefühl, als schwirrten Wespen in mir. Überall kribbelte und stach es. In meinem Kopf, in meinen Händen.
Dazu diese Wut.
Vorhin schrie ich den Jungen an, weil ihm das Wasserglas hinuntergefallen ist. Was packt mich, ein Kind wegen einer solchen Lappalie anzubrüllen? Seine Mutter wird wieder werden. Eine Lungenentzündung, aber der Kleine hat mich zum Glück rechtzeitig gerufen.
Und ich stauche ihn zusammen.
Meine Nerven sind durch. Scheiße, es macht mir Angst. Nicht nur, weil ich es mir nicht leisten kann, sondern auch, weil sich dieser Zustand entsetzlich anfühlt.
Es wird Zeit, dass dieser Tag endet. Morgen wird es mir besser gehen.
Keine Menschenseele zu sehen. Der Regen hat letztendlich den stoischen Gleichmut der Gesichtslosen besiegt. Alles hat sich verkrochen, sogar die Straßenhunde. Sollte ich auch tun, und zwar schnell, bevor noch jemandem einfällt, dass er dringend einen Arzt braucht.
Die Neonreklamen geben nacheinander den Geist auf. Liegt ebenfalls an der Nässe. Das marode Stromnetz kommt nicht damit zurecht.
Ich sollte Joseph Bescheid sagen, dass ich unterwegs bin. Mir ist danach, ihn zu sehen, auch wenn seine Miene vor Zorn eingefroren sein wird.
Schließe ich die Augen, steht sein erschütterter Blick vor mir.
Ich drohte ihm, meine Sachen zu packen und zu gehen.
Würde er mich nicht dringend für seine Shivas brauchen, hätte er gesagt, dass ich es tun soll. Ich sah es ihm an.
Was für ein beschissener Film ist in mir abgelaufen?
Keine Verbindung. Verdammt!
Durch das Rauschen des Regens dringen Motorengeräusche. Ein Wagen biegt in die Straße ein, seine Scheinwerfer zeichnen Streifen in die Düsternis.
Eine Limousine.
An einem Ort wie diesem?
Die Reifen ziehen Gräben durch den Schlamm.
Als sie mich erreicht, senkt sich das Seitenfenster.
»Mr. O’Farrell?«
Europäisches Äußeres, nichtssagendes Lächeln, elegante Kleidung.
»Sie sind doch Mr. O’Farrell, oder?«
So wie er klingt, bahnt sich eine Erkältung an.
»Ja, aber außerhalb meiner Sprechzeiten.« Das wär’s, wenn ich welche hätte. »Für simple Halsentzündungen reicht mein Elan heute nicht mehr aus.« Vorher brauche ich Josephs Vergebung, zwölf Stunden Schlaf am Stück und danach drei Monate Urlaub.
»Ich benötige nicht Ihre Hilfe, sondern möchte Ihnen meine anbieten.« Er öffnet die Tür, macht mir auf der Rückbank Platz. »Kommen Sie. Ich nehme Sie mit zum Monk.«
Ein Stammgast? Das Gesicht ist zu ausdruckslos, um es sich zu merken.
»Mein Name ist Frederik Martin. Ich bin ein Geschäftspartner von Hao Jun.« Eine höfliche Geste lädt mich erneut ein. »Er schätzt dieses Etablissement sehr und schlug vor, dass wir unseren Termin dorthin verlegen.«
»Eine gute Entscheidung. Die Shivas sind erstklassig.« Wie konnte ich das Monk einen Puff nennen?
Weil es einer ist. Aber es ist Josephs Puff und das macht den Laden zu etwas Besonderem.
»Ich hörte davon.« Er klopft auf den Platz neben sich. »Gestatten Sie mir, Ihr Leben zu retten, denn dort draußen holen Sie sich zweifelsfrei den Tod.«
»Das mag sein.« Ich rutsche zu ihm auf den Rücksitz, kann mir ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen.
»Sie sind klatschnass«, weist er mich auf das Offensichtliche hin. »Sie müssen sich erholen und aufwärmen.«
»Ursprünglich hatte ich einen Regenschirm dabei.« Wo ist das Ding?
»Darf ich Ihnen einen Whiskey anbieten?« Er klappt die Minibar auf, zaubert zwei Gläser und eine angebrochene Flasche Tullamore Dew hervor. »Dieser Tropfen schmeckt ausgezeichnet.«
»Das ist meine Lieblingssorte.« Martin hätte ich eher einen teuren Rotwein oder Champagner zugetraut.
»Tatsächlich?« Lächelnd schenkt er uns ein. »Hao Jun erzählte mir, Sie würden einen guten Whiskey jedem anderen Getränk vorziehen.«
»Hao Jun spricht mit Ihnen über meine Getränkevorlieben?« Mein Lachen fällt etwas müde aus. »Mir war nicht bewusst, dass er sie kennt.« Er hat sich bisher nie länger als wenige Minuten mit mir unterhalten. Dabei ging es entweder um Katastrophen oder das Wetter.
»Ich bitte Sie!« Er reicht mir eines der Gläser. »Er würde niemals den Fehler begehen, es einem Mann wie Ihnen an Aufmerksamkeit mangeln zu lassen. Sie sind eine bedeutende Persönlichkeit in Kowloon.«
»Im Moment wäre mir ein bisschen weniger Bedeutung und dafür mehr Zeit zum Schlafen lieber.«
»Verständlich.« Er stößt mit mir an, lächelt noch eine Spur freundlicher. »Auf Ihre Gesundheit.«
»Danke.« Schon nach dem ersten Schluck wird mir wärmer. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihren Wagen noch mehr beschmutze?« Mir ist dringend danach, mich anzulehnen. Bis eben hat meine Müdigkeit eine Pause eingelegt, jetzt kehrt sie mit Gewalt zurück.
»Ganz und gar nicht. Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
»Nett von Ihnen.« Ich strecke mich aus, trinke noch einen Schluck.
Hinter der Seitenscheibe ziehen ein paar bunte Lichter vorbei.
Martin plaudert von einer Destillerie, die er als Kind mit seinem Vater besucht hatte.
Ich nicke in regelmäßigen Abständen. Zumindest hoffe ich es.
Kann meine Augen kaum noch offenhalten.
»Langweile ich Sie?«
»Ach was.« Bemerke nur am Rand, dass er mir nachschenkt.
»Die Lider fallen Ihnen zu.«
»Tut mir leid. Sollte ich einschlafen, nehmen Sie mir einfach das Glas aus der Hand und wecken Sie mich, wenn wir da sind.« Er ist kein Asiate, also wird er mir diese Unhöflichkeit nachsehen. »Es ist ja nicht mehr weit.« Mit dem Wagen höchstens ein paar Minuten.
»Sie irren, Mr. O’Farrel.«
»Nein, ich kenne mich hier aus.« Starre aus dem Fenster, versuche, den Rest meiner Sinne beisammenzuhalten.
Der orangefarbene, bloß noch zur Hälfte blinkende Schriftzug von Mr. Wongs Coffee Bar zieht vorbei.
Das ist die falsche Richtung. »Hey, sagen Sie Ihrem Fahrer, er muss umkehren.«
»Bevor ich Sie zum Monk bringe, machen wir noch einen kleinen Ausflug.« Sein Lachen klingt gläsern.
Mir fallen die Lider zu.
– Joseph –
Deans Angst vor mir hängt wie der Rauch in meinem Büro. Ebenso wie der Duft seiner Lust.
Meine eigene drückt gegen die Enge der Jeans.
Sein Blick haftete an ihr, bevor er das Zimmer verließ. Mir ist nicht entgangen, wie er sich die Lippen leckte. Eine Geste von mir hätte genügt, und er wäre vor mir auf die Knie gesunken.
Gleichgültig, was Nim mir anbietet, nichts ist verlockend genug, um ihm Dean zu überlassen.
Das Ziehen in meinem Unterleib wächst. Kann es kaum noch ignorieren, aber ich will dieses Begehren nicht selbst stillen. Es soll Deans erste Tat als mein Shiva sein.
So weit hätte es niemals kommen dürfen.
Zwang mir Nim die Entscheidung auf, oder griff er meiner vor?
Sie fällt mir zu leicht, richtet sich gegen alles, was Liam heilig ist.
Ich bin nicht Liam. Ich sehe Dean, sehe in ihm einen Schutzbefohlenen und dennoch einen Shiva.
Einen, der Wünsche in mir weckt, die aus den Abgründen Kowloons stammen.
Liam wäre entsetzt. Ich sollte es ebenfalls sein.
Leere den letzten Rest des Kaffees. Er hat den sauren Geschmack der Angst aus Deans Mund vertrieben, doch gegen die Bitterkeit in meinem kommt er nicht an.
Zum ersten Mal seit dem Geschehen in der Oase vertraute mir Dean seine Bedürfnisse an, ließ zu, dass ich sie befriedigte.
Ich spielte nicht nur mit dem Gedanken, sein Vertrauen auszunutzen. Ich sehnte mich danach.
Als hätte Nimrods Herausforderung die dunkelste Seite in mir geweckt.
Ich sollte sein Angebot ignorieren, auf seinen nächsten Schritt warten und hoffen, dass er blufft.
Er blufft nie. Ich muss handeln.
Selbst wenn ich Liam in meine Pläne einweihen würde, würde er alles daransetzen, sie zu verhindern. Er ist zu sehr Europäer, um die Bedürfnisse und Notwendigkeiten Kowloons zu verstehen.
Ich bin mit ihnen aufgewachsen.
Sie haben mich verdorben. Damit werde ich leben müssen.
Versuche Liam zu erreichen.
Kein Empfang.
– Dean –
Hin zum Fenster, zurück zum Treppenaufgang, wieder zum Fenster und von vorn.
Bin nicht weit gekommen. Am Ende des Flures ist Josephs Büro. Ich renne nur deshalb nicht vor der Tür hin und her, damit er es nicht mitbekommt. Er würde mich auslachen.
Nein, vermutlich würde er bloß die Brauen hochziehen und mich nach oben schicken. Er hat kein Problem damit, mich zu wichsen, aber wie ein Kind behandelt er mich trotzdem.
Hin, zurück.
Wundert mich, dass ich keine Rinne in den Boden gelaufen habe.
Wenn Liam wenigstens da wäre. Ich könnte mit ihm reden, das würde mich beruhigen und wieder klarer denken lassen.
Reden. Als ob es damit getan wäre. Liam wird aus allen Wolken fallen, wenn er von Josephs Plänen zu meinem neuen Job erfährt.
Sie werden sich streiten.
Blödsinn, Liam wird zu Joseph stürmen und ihn niederschlagen.
Erst ihn, danach mich.
Nein. Mich nicht. Dazu ist sein Beschützerinstinkt mir gegenüber zu stark.
Ich sollte zurück in Josephs Büro. Klarstellen, dass er mich nicht einfach rausschicken kann.
Kann er. Hat er auch gemacht.
Und ich Idiot habe mich wegschicken lassen.
Bin wütender auf mich als auf ihn. Wie konnte ich ihm mein Sperma von den Fingern lecken?
Ging ganz einfach. Hat sich fantastisch angefühlt.
Oh Scheiße! Was ist mit mir los?
Bei Gage würde ich das niemals machen. Nur bei dem Gedanken daran zieht sich alles in mir zusammen.
Dass die beiden um mich schachern, als wäre ich ein Ding, kotzt mich an. Gäbe mir Joseph ein bisschen Zeit, könnte er mich ohne Vertrag vögeln, einfach als sein Geliebter. So wie Liam. Irgendwann käme ich damit klar. Vielleicht nicht heute und nicht morgen, aber immerhin habe ich es geschafft, von ihm gewichst zu werden, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden.
Vielleicht hatte ich auch einen. So, wie ich drauf war, hätte ich den glatt übersehen können. Selbst als sich seine Finger um meine Kehle legten, hat es mich erregt.
Mich erregt sogar der Gedanke, sein Shiva zu werden, dabei ist das krank und das, was ich niemals wollte.
Nicht für andere, aber für Joseph?
Wilde Szenen fluten meinen Kopf.
Sitze am Tresen. Alle Tische im Entree sind besetzt. Kun schiebt mir einen Cappuccino hin. Einer der Gäste schlendert zu mir, mustert mich. Seine Kleidung ist edel, die Schuhe glänzen, sein Blick zieht mich aus. Er sagt: Komm spielen, mein Schöner , und legt einen dicken Batzen Geld neben die Tasse. Bevor ich etwas erwidern kann, betritt jemand die Bar. Ich spüre es nur am Luftzug, weiß aber sofort und ohne mich umzudrehen, dass es Joseph ist. Kun nickt mir zu, mit einer Mischung aus Respekt und Ehrfurcht.
»Langsam wende ich mich um, sehe Joseph entgegen. Er schreitet wie ein Löwe auf mich zu. Kraftvoll, dominant, eben ganz Joseph-like. Dazu dieser Raubtierblick in seinen Augen.
Mir rieselt es über den Rücken.
Joseph würdigt den Mann keines Blickes, während er ihm zuzischt, dass er die Finger von mir lassen soll. Ich würde nur ihm gehören.
Er packt mich, drängt mich zum nächsten Tisch. Die Gäste springen auf, machen ihm Platz. Entschlossen fegt er die Gläser hinunter. Noch bevor das letzte auf dem Boden zerbricht, hat er mich daraufgeschleudert und mir die Shorts vom Leib gerissen.
Kein Gedanke, mich ihm zu verweigern. Ich darf es nicht. Immerhin bin ich sein Shiva.
Keine Zicken, keine Flucht in die Tiefgarage oder in Liams Appartement.
Lässig öffnet er die Drachengürtelschnalle, knöpft seine Jeans auf. Sein Wahnsinnsständer ist das Letzte, was ich sehe, bevor er mir vor aller Augen den Verstand aus dem Hirn fickt.«
Mir wird heiß. Warte auf die Panik. Sie kommt, lässt mein Herz donnern und geht, während ich mich in eine weitere Szene träume.
»Ich liege in Liams Bett, schlafe. Noch bevor ich richtig wach bin, erschnuppere ich Josephs Duft. Er steht bloß da, fordert mich mit einer lässigen Geste auf, mich vor ihn zu knien.
Ich gehorche ihm, hole seinen bereits halbsteifen Schwanz aus der verflixt sexy sitzenden Jeans, und nehme ihn in den Mund. Ich sauge an ihm, lecke ihn, lass meine Zunge um seine Spitze kreisen, bis Joseph tief aufstöhnt. Ich will es langsam angehen lassen, doch er erlaubt es nicht. Ungeduldig stößt er mir in den Rachen.
Ich muss würgen.
Nein, muss ich natürlich nicht! Ich bin sein Shiva! Ich bin so etwas gewohnt, und einen Erstickungsanfall bekomme ich selbstverständlich auch nicht.
Ich schließe meine Lippen noch fester um seine Erektion, sehe zu ihm auf, während er mir schubweise und so viel in den Mund spritzt, dass es mir an den Seiten wieder hinausläuft.«
Eine lästige Stimme in mir erinnert mich daran, dass Joseph ein Mann und kein Elefantenbulle ist, und von daher pro Schuss nur über eine überschaubare Spermamenge verfügt.
Ich wische sie beiseite. Sie passt einfach nicht zur Szene.
Der Beweis, dass ich den Verstand verloren habe, sonst würde ich solche Gedanken nicht einmal in Erwägung ziehen, geschweige denn, sie konsequent durchspielen.
Bilde ich mir meinen Mut bloß ein? Oder hat mir Joseph die Panik weggewichst?
Nein, sie ist noch da. Irgendwo tief in mir. Wäre er nicht er, sondern irgendein anderer, würde sie mich erdrosseln.
Schon nimmt dieses flaue Gefühl im Magen zu. Möchte es aus mir herausreißen und an die Wand pfeffern. Gleich danach die Enge in meinem Hals, die wie aufs Stichwort wieder ihren Job macht.
Als ich Josephs Finger ableckte, war sie weg. Ich fühlte mich frei und leicht wie nie zuvor.
Dann hat er mich rausgeschickt.
Shiva hin oder her, das geht gar nicht.
»Hi Dean!« Sky steht am Treppenabgang, bindet sich nebenbei zwei goldene Zöpfen. »Führst du Selbstgespräche?«
»Ich?« Scheiße! »Nein, natürlich nicht.«
»Es sah so aus.« Sie zeigt auf ihre Haare. »Gefällt dir die Farbe?«
Warum redet sie mit mir? Das hat sie noch nie getan.
Wie auch? Ich bin ihr und den anderen stets aus dem Weg gegangen.
»Ich habe sie zum ersten Mal ausprobiert. Je nach Lichtwechsel glänzen sie auch silbern oder kupfern.« Sie dreht eine vergessene Strähne um den Finger. »Mr. Takahashi steht auf alles Metallische und ich wollte ihm eine Freude machen.«
»Dein Gast?«
Sie nickt mit einem seltsam verträumten, leicht debilen Ausdruck, lässt ihre Knie gegeneinander klappen und knickt ihre Hüfte zur Seite.
»Mist, für das Outfit brauche ich einen Lolli.« Schon steht sie wieder normal. »Silbernes Körperspray wäre auch klasse.« Energisch schleudert sie die Strähne zurück. »Was hältst du von einer runden Brille?«
»Ist das so ein Roboter-Schulmädchen-Manga-Ding?«
Ihrem Blick nach ist die Frage überflüssig.
»Dann brauchst du unbedingt eine Brille.«
»Ich wusste es.«
»Sieht übrigens super aus.« Wenn man auf so was steht. »Wie alt ist dein Gast?«
»Zu alt, um ihn nach seinem Alter fragen zu dürfen, aber so Pi mal Daumen schätze ich ihn auf irgendetwas zwischen siebzig und neunzig.«
Sportlich. »In diesem Fall sollte dein Rock sicherheitshalber ein bisschen kürzer sein.«
»Du meinst, als erste optische Starthilfe?« Sie ruckelt den eng sitzenden Stoff höher.
»Noch höher. Dein Slip muss raussehen.« In einer schwierigen Phase meiner Kindheit verschleuderte ich meine Internetzugangszeit komplett für alte Manga-Streifen. Ich fand die naiven Mädchen, die je nach Bedarf plötzlich supercool wurden und ihr Kung Fu auspackten, niedlich. Vielleicht auch inspirierend.
Besser, ich denke nicht zu lange darüber nach.
»Ich habe keinen an.«
»Was?«
»Ich trage keinen Slip.« Sie lächelt so süß wie Juen. »Mr. Takahashi mag es, wenn er nebenbei ins Feuchte greifen kann.«
»Oh.« Mein Gesicht fühlt sich eine Spur wärmer an. »Wie wäre es dann mit einer Aluminiumfolie statt Rock?« Das gäbe ihrem Outfit den letzten Schliff.
Ihre Lider sinken. »Sie müsste reißfest sein.«
»Besser wär’s.«
»Vielleicht kann mir Akuma weiterhelfen. Er verpackt die Essenreste in so was.«
»Gute Idee.«
»Wartest du auf jemanden oder willst du den Boss sprechen?« Sie nickt den Gang entlang zu Josephs Büro. »Der ist bestimmt schon in seinem Appartement und macht sich frisch für den Abend.«
»Nein, er ist da drin.«
»Sicher?«
»Ganz sicher.« Ich werde ihr nicht auf die Nase binden, dass ich wie ein Frühstücksflocken-Roboter den Flur auf und ab getrabt bin.
Wenigstens blinkte ich nicht dabei.
Die Dinger waren klasse. In meinem Kinderzimmer füllten sie ein gesamtes Regalbrett. Einige von ihnen hatten sogar eine Solarzelle auf dem Kopf und ließen sich ein paar Mal aufladen, bevor sie endgültig den Geist aufgaben.
Mister Crunshy, Walking Pops, The Little Strong Man, Sunshine Buddy. Die hatten alle Namen. Jedes Modell. Ob jetzt andere Leute in der weißen Villa leben? Oder steht sie leer und verfällt langsam?
»Darf ich dich was fragen?«
Erstaunlich, wie breit sie grinsen kann.
»Stimmt das, was Juen erzählt?«
»Dass ich ihm einen runterge …« Nein, das klingt schäbig. »Dass ich ihn glücklich gemacht habe?« Besser. »Ja, das stimmt.« Es ist keine Absicht, dass meine Brust schwillt und sich mein Kinn nach oben reckt.
»Nein.« Ihre wegwerfende Geste fegt meinen Stolz zur Seite. »Ich meine, dass ihn der Boss gevögelt hat.« Sie senkt die Stimme, kommt näher. »Zuerst hat er ihn vor Kitao zur Schnecke gemacht, und dann hat er …«
»Wer ist Kitao?« Und warum vögelt Joseph Juen?
In meiner Brust ist ein Stich. Fein wie von einer Nadel. Fühlt sich trotzdem mies an.
»Du kennst Kitao nicht?« Ihre Augen beginnen zu leuchten. »Er ist die Nummer Zwei in Kowloon, aber ganz scharf darauf, Juens Titel für sich zu beanspruchen.« Sie seufzt hingerissen. »Ich finde ja, dass er viel attraktiver als Juen aussieht.«
»Welchen Titel?« Liegt es an mir, dass ich nur Bahnhof verstehe?
»Juen ist der unangefochtene Meister des Schmerzes.«
Fast hätte ich gelacht. Aber das ist nicht witzig, auch wenn es so klingt. Ich weiß, dass Juen den Schmerz wie kein anderer meistert. Deswegen bewundere ich ihn.
»Wahrscheinlich steckt Kitao genau so viel weg, doch er arbeitete eben nicht im Monk, sondern nur im Lotosgarten.« Jetzt ist es ihr Kinn, das nach oben weist. »Und da der Lotosgarten nicht mehr existiert, hat sich Kitao Mr. Wakane als Boss ausgesucht, was Sinn macht, findest du nicht?«
Begreife in etwa so viel, als hätte sie chinesisch mit mir gesprochen.
»Ich muss los. Danke für deine Hilfe.« Sie lächelt mir zu, trabt die Treppe hinunter.
Warum vögelt Joseph mit Juen? Noch eine Sache, die ich mit ihm klären werde.
Bringe die paar Schritte zu seinem Büro so entschlossen wie möglich hinter mich, straffe meine Schultern.
Fühlt sich gut an.
Anklopfen?
Unsinn. Ich bin keiner seiner Angestellten, ich bin sein Freund.
Fast sein Shiva. In diesem Fall sollte ich nicht nur klopfen, sondern wahrscheinlich über die Schwelle kriechen.
Das hätte er wohl gern.
Drücke die Klinke, stehe plötzlich in seinem Büro. Ohne Luftnot, dafür mit einem hämmernden Herzschlag, den er hoffentlich nicht mitbekommt.
Joseph steht am Fenster, blickt in den Regen. »Ich sagte doch, ich habe zu tun.«
»Denkst du, du kannst mich wegschicken wie ein lästiges Kind?« Keine Ahnung, woher der Mut kommt, aber er fühlt sich genauso gut an wie die gestrafften Schultern. »Das bin ich nicht, also behandele mich nicht so.«
»Meine Lippen schmecken nach deinen. Der Geschmack deines Spermas liegt mir noch auf der Zunge.« Er dreht sich zu mir, lehnt sich mit dem Hintern gegen das Fensterbrett. »Glaubst du im Ernst, dass ich so ein Kind behandeln würde?«
Richtig. Da war ein Moment, in dem sich unsere Zungenspitzen berührten. Einfach so, zwischen seinen Fingern, als wäre es normal.
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist.« Ich kann nicht anders, als ihm die Wahrheit zu sagen. »Ich will so sein wie du. Trotzdem habe ich eben ernsthaft darüber nachgedacht, ob es angemessen wäre, ins Zimmer zu kriechen.« Nicht zu fassen, dass mir dieser Satz über die Lippen kommt.
»Hast du?« Seine Mundwinkel zucken. »Das hätte ich gern gesehen.«
»Kann ich mir denken, aber ich meine es ernst.«
»Ich auch.«
»Joseph! Das hilft mir nicht weiter!«
»Vielleicht doch.« Er verschränkt die Arme vor der Brust, beobachtet mich dabei, wie ich immer nervöser werde. »Die Käfigtür steht auf und du fürchtest dich vor der Freiheit dahinter. Sieben Monate sind eine lange Zeit. Genug, um sich in seinen Ängsten einzurichten.«
»Klar, war total gemütlich da drin.« Das Psychogelaber kann er sich stecken. »Du weißt genau, wie es mir ging.« Unter Gages Fuchtel hat er garantiert schlimmere Dinge ertragen müssen.
Etwas Dunkles schiebt sich vor seine Augen, sperrt mich vor dem aus, was dahinter geschieht. »Nim ließ mir keine sieben Monate Zeit. Er wartete, bis meine Wunden verheilt waren und schickte mich erneut in die Arena.«
Ich Idiot. Das hätte ich mir denken können. »Es tut mir leid.«
»Muss es nicht.«
Der Signalton seines Kommunikators erklingt.
Mit finsterer Miene blickt er aufs Display. »Es ist Gage.«
In mir beginnt es schon wieder zu flattern. »Wehe, du schickst mich raus.« Das kann er vergessen.
»Wie du meinst.« Er nickt zur Wand gegenüber. »Stell dich dorthin und keinen Mucks.«
Ob er mich aus Gages Wahrnehmungsbereich heraushält oder nicht. Mein Herz schlägt so laut, das hört selbst Akuma unten in der Küche.
– Joseph –
»Du bist allein, nehme ich an?« Nims Blick schweift durch die Hälfte des Zimmers, die ich seiner Neugierde zugestehe.
»Ist das von Bedeutung?«
»Durchaus. Dean ist noch ein Kind. Geschäftliche Verhandlungen würden ihn überfordern, zumal er Gegenstand dieser Verhandlungen ist.«
Hinter Nims oszillierendem Abbild trifft mich Deans empörter Blick.
»Er ist kein Kind mehr, Nim. Sag, was du zu sagen hast, und dann erspare mir deinen Anblick.«
»Und ob er das ist. Auf eine Weise, wie du es nie warst.«
Ich will ihm das geheuchelte Bedauern aus dem Gesicht schneiden.
»Selbst wenn du ihn täglich ins Delirium ficken würdest, wirst du ihm diese Unschuld nicht nehmen können. Sie ist ein Teil von ihm.« Er beugt sich vor, schüttelt den Kopf. »Du hingegen bist ganz anders. Dich hatte Kowloon bereits zur Hure gemacht, lange bevor dich die Rattenfänger in den Kellern der Hochhausruinen aufsammelten.«
Seine Augen werden zu Deans.
Blende die Bestürzung darin aus.
»Nun zum Geschäftlichen.« Er klatscht in die Hände, dass Dean zusammenzuckt. »Zuerst möchte ich mich bei dir entschuldigen, dass deine Bedenkzeit kürzer als geplant ausfiel. Situationen ändern sich und ich war gezwungen, schnell zu reagieren.«
»An meiner Entscheidung hat sich nichts geändert.« Welche Situationen meint er?
»Warte!« Sein Finger erscheint vor ihm. »Du überlässt mir Dean. Dafür behältst du alles, was dir bis jetzt noch gehört. Nimm ihn unter Vertrag und du verlierst es. Stück für Stück.«
Seine Unverschämtheit lässt mich lachen. »Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass ich mich darauf einlasse.«
»Das hat nichts mit dem Glauben zu tun. Ich zähle dir auf, was du am schmerzlichsten vermissen wirst.«
»Nim, spare dir den Atem, ich …«
»Den gute Ruf des Begging Monk, deine Shivas, und zwar einen nach dem anderen, diesen lästigen Iren mit Helfersyndrom und zu guter Letzt deine heiß geliebte und bedauerlicherweise nur geliehene Freiheit.«
Hat er den Verstand verloren?
»Es tut mir leid, Joseph. Schon um der alten Zeiten willen, aber mir fehlt in dieser Sache jeglicher Verhandlungsspielraum.«
»Ich lasse mich nicht von dir erpressen.« Niemals.
»Mir ist klar, dass du Angst davor hast, dabei dein Gesicht zu verlieren.« Er blickt zur Seite, schürzt die Lippen. »Aber wenn du dich weigerst, verlierst du wesentlich mehr. Eventuell sogar dein Leben.«
»Fick dich!« In meinen Ohren rauscht es.
»Gern, und dabei träume ich von deinem Arsch.«
Der Holo-Screen faltet sich zusammen, nimmt Nimrods Anblick mit sich.
»Er kann dir Liam nicht wegnehmen.« Deans Augen leuchten in einem unwirklichen Blau. »Ihn nicht und auch nicht deine Leute.«
Die Tür fliegt auf. »Joseph, sieh dir die …« Steve starrt ihn an, runzelt die Stirn. »Du bist hier?«
Dean beachtet ihn nicht. Sein Blick bleibt bei mir. »Joseph! Sag mir, dass er das nicht kann!«
Steve schiebt ihn beiseite. »Du musst dir das ansehen, Joseph.« Er schaltet den Folienmonitor an, geht auf der chronologischen Übersicht einige Minuten zurück. »Marvin Jones ist tot.«
Jones’ Foto mit schwarzer Schleife in Nahaufnahme.
»Hat sich angeblich von der Terrasse seines Penthouses gestürzt. Nur eine Stunde, nachdem einer seiner Bodyguards das unzensierte Erpressungsvideo den Nachrichtensendern zugespielt hat. Allerdings hat es keiner gezeigt. Angeblich aus Gründen der Pietät.«
Dean starrt auf den Monitor, hält sich am Regal fest.
»Seine Firma hat sich von ihm distanziert, seine Familie ebenso.« Er sieht über die Schulter zu ihm. »Scheint so, als wärst du frei, Kleiner. Kannst endlich diese Drecksgegend verlassen und wieder in die aufpolierten Hochhausschluchten zurück.«
Dean starrt immer noch auf den Monitor.
Ich schalte das Ding ab.
»Allerdings hat die Sache einen Haken. Hao Juns Trumpf ist keiner mehr. Das räumt Sun Haidong eine Menge Handlungsspielraum ein, was Kowloon betrifft.«
»Es gab zu viel Proteste. Er wird die Grenzen nicht erneut schließen.« Ich werde keinen anderen Gedanken zulassen.
»Von wem hat Gage das Video?« Dean kommt zu mir. Seine Hand zuckt zu meiner, doch er zieht sie wieder zurück. »Wenn die Nachrichtensender es nicht ausgestrahlt haben, woher hat er dann eine Kopie?«
»Wen interessiert’s?«, herrscht ihn Steve an. »Pack deine Sachen, Junge, und verschwinde von hier. Du kannst dir selbst keinen größeren Gefallen tun.«
Dean starrt erst ihn, dann mich an. »Ich kann nicht gehen.«
»Was?«
Ich hebe die Hand, um Steve schweigen zu lassen. »Dean, bisher existierte diese Möglichkeit nicht. Denke in Ruhe darüber nach. In Charleston wärst du sicher.« Verlässt er Hongkong, entzieht er sich Gage. »Du hast dort Familie, kannst ein normales Leben führen. Fernab von Kowloons Zwängen und Bedürfnissen.« Fernab von mir.
»Ein normales Leben? Wie stellst du dir das vor? Ich kann dort nicht durch die Straßen gehen und den nächstbesten bitten, sich von mir einen blasen zu lassen.«
Steve lacht.
Ich sehe ihn an und er lässt es.
»Kowloon hat meine Bedürfnisse geweckt, verstehst du?« Er schlägt sich auf die Brust. »Und die kannst nur du stillen!« Der entschlossene Ausdruck verlässt sein Gesicht. »Na ja, Liam auch. Und Juen.«
»Juen?«
Dean rollt mit den Augen. »Ist eine längere Geschichte.« Seine Hand klatscht erneut auf seine Brust. »Ich will hierbleiben. Du und Liam, ihr seid meine Familie. Bei euch fühle ich mich sicher.«
Sein Vertrauen in mich reißt mir ein Loch ins Gewissen.
»Ihr versteht mich, ihr seid auch dann für mich da, wenn ich monatelang kein vernünftiges Wort herausbringe und mich in die Tiefgarage verkrieche.«
»Dean, hier können dir Dinge geschehen, die weit schlimmer sind als das, was dir Jones zugefügt hat, wenn du gehst …«
»Nein!«
»Donnerwetter, der Kleine kommt richtig in Fahrt.«
Das dämliche Grinsen kann sich Steve sparen.
»Du wirst mich nicht abschieben, hast du verstanden?« Deans Zeigefinger schnellt vor, bohrt sich in meine Brust. »Mach mich zu deinem Privatshiva. Ganz nach Plan. Und dann fick mich meinetwegen morgens, mittags und abends, und wenn ich dabei ersticke, dann ist das eben so! Aber ich werde nicht gehen!«
Seine Wangen glühen, lassen die Augen nur noch heller leuchten.
Er ist bildschön in seiner Wut, doch ich wäre blind, würde ich die Angst dahinter nicht erkennen.
»Du willst ihn zu deinem Shiva machen?« Steves Braue wandert in die faltige Stirn. »Weiß O’Farrell davon?«
»Nein und von dir wird er es auch nicht erfahren. Das werde ich mit ihm klären.«
»Viel Spaß.«
Der wird sich in Grenzen halten.
»Heißt das, ich bleibe?« Deans Finger rutscht an mir hinab.
»Du bist erwachsen. Ich kann dich nicht zwingen zu gehen.«
»Würdest du es wollen?«, fragt er vorsichtig. »Im Ernst. Willst du, dass ich nicht mehr hier bin?«
»Nein.« Greife ihm ins Haar, ziehe ihn dicht zu mir. »Ich will, dass du mir näher bist, als du es erträgst.«
Dean hält meinem Blick stand, schluckt jedoch. Seine Augen verraten mir, dass er weiß, was ich meine.
Und dass er bereit ist, diesen Preis zu bezahlen.
»Ich halte das für keine gute Idee.« Steve kratzt sich das stoppelige Kinn.
Das Geräusch stellt mir jedes Haar einzeln auf.
»Der Doc hat da ein Wort mitzureden, findest du nicht?«
»Ich entscheide, was innerhalb des Monk geschieht.« Ich bin Liam keine Rechenschaft schuldig.
»Er wird es verstehen«, sagt Dean kleinlaut. »Wenn er von Gages mieser Nummer erfährt, muss er es.«
»Gage?« Steves stützt sich auf meinem Schreibtisch ab, sieht mich an Dean vorbei an. »Gibt es etwas, das ich wissen muss?«
»Er drohte mir, mich fertigzumachen, wenn ich ihm Dean nicht aushändige.«
»Was bedeutet fertigmachen genau?«
»Das Monk, die Shivas, O’Farrell, mich.«
»Und als Antwort willst du Dean unter Vertrag nehmen?«
»Dann ist er für Gage tabu.«
Steve bläht die Wangen. »Du hast das Sagen, du trägst das Risiko.« Seinem Blick nach hält er mein Vorgehen für schwachsinnig.
Ich sende Hao Jun eine Nachricht, dass ich für Dean einen Vertragszeugen brauche. Schon morgen wird ganz Kowloon wissen, dass der Junge aus Zimmer drei dem Begging Monk gehört. Damit biete ich Nim nicht nur die Stirn, ich mache ihn mir zum Feind.
Vorher muss Liam zu Hause sein.
Ich tippe auf seinen Kontakt.
Keine Verbindung.
Mein Fluchen nimmt Steve schulterzuckend hin. »Liegt am Regen. Da funktioniert nie was richtig.«
»Ich will nicht, dass Liam da draußen ist.« Er gehört an meine Seite. Dorthin, wo ich auf ihn aufpassen kann. Ich wäre leichtsinnig, würde ich Nims Drohung nicht ernst nehmen.
»Mach dir keinen Kopf. Er wird doch ständig zu irgendwelchen Notfällen gerufen.«
»Sobald er nach Hause kommt, sagst du mir Bescheid.« So lange Nim da draußen ist, wird Liam keinen Fuß mehr vor die Tür setzen.