Weitreichende Entscheidungen
– Liam –
Fahles Licht, feucht schimmernde Mauern, ein Tisch samt Schreibtischlampe vor mir, eine Stuhllehne dahinter. Alles unscharf und gerastert.
An meinem Gesicht kratzt etwas. Drehe den Kopf hin und her. Es kratzt stärker. Ein Sack? Dann sind die Raster die Webfäden.
Wieso zieht mir jemand einen Sack über den Kopf? Noch dazu einen, durch den ich durchsehen kann?
Der Kerl in der Limousine. Er hat mich entführt. Von wegen Hao Juns Geschäftspartner. Der Triadenfürst hat es nicht nötig, mich zu kidnappen. Eine schlichte Einladung zu einem Treffen hätte genügt.
Kann meine Arme nicht bewegen. Auch nicht die Beine.
Bin ich an einen Stuhl gefesselt? Wie in alten Spionagefilmen.
James Bond. Erinnere mich dunkel an eine Szene, wo ihm in einer ähnlichen Lage die Eier zu Brei geschlagen wurden.
Scheiße, ich muss hier raus.
Ruckle auf dem Stuhl hin und her. Stabile Sitzfläche. Das ist das einzige Beruhigende in dieser Situation.
Es stinkt nach Schimmel und stockigem Mauerwerk. Irgendwo plätschert es.
Mein Kopf dröhnt, mein Magen fühlt sich flau an. Da mir ein Glas Tullamore nichts ausmacht, wird es an dem Zeug liegen, was mich ausgeknockt hat. Clever kombiniert. Meine Gedanken fließen geschmeidig wie zäh schmelzende Marshmallows.
Zerre an den Fesseln. Sie sitzen so fest, dass sie mir in die Handgelenke schneiden.
Einen Tag wie diesen darf nicht geben.
»Wer kommt auf die beschissene Idee, den einzigen Arzt weit und breit zu kidnappen?« In Kowloon! »Ich arbeite umsonst, Herrgott noch mal!« Brülle vor Wut, ertrage das zigfache Echo.
Ein Quietschen. Metall auf Metall.
Über meinen Rücken gleitet eine Gänsehaut.
»O’Farrell.«
Gage!
»Verzeih mir die grobe Behandlung.«
»Bist du verrückt, mich zu kidnappen?«
»Nicht verrückt, doch mich trieb der Mut der Verzweiflung.« Seine Schritte hallen von den Wänden wider. »Außerdem habe ich nicht vor, dich hier verrotten zu lassen. Nur ein kleiner Plausch unter Feinden, dann bringe ich dich zurück.«
»Was spricht gegen einen Holo-Chat?« Das wäre mir tausendmal lieber gewesen.
»Bedaure. Für meinen Plan ist deine physische Anwesenheit nötig.« Er zieht mir den Sack vom Kopf, schaltet die Lampe an.
Blinzele ins grelle Licht. Keine Chance, etwas zu erkennen.
»Eine Verhörlampe.« Er sagt es, als wäre es der Scherz des Jahrhunderts. »Ein praktisches Detail dieser Einrichtung.«
»Wo bin ich?« In Kowloon existieren keine Gefängnisse. Ebenso wenig wie Polizisten, Richter oder Anwälte.
»Ich höre eine gewisse Nervosität in deiner Stimme. Fürchtest du, ich hätte dich deinem geliebten Joseph entrissen?«
»Von was redest du?« Was zwischen Joseph und mir geschieht, geht ihn nichts an. »Und dreh die verdammte Lampe weg! Ich kenne dein Gesicht, also was soll der Mist?«
»Sie bleibt, wo sie ist.«
Stuhlbeine scharren.
»Du befindest dich an einem für mich ungemein inspirierenden Ort. Ein Gefangenenlager aus dem Zweiten Weltkrieg. Einer meiner Geschäftspartner wies mich darauf hin und stellte mir frei, es zu meinen Zwecken zu verwenden.«
»Das Wort Geschäftspartner bürstet mich im Moment gegen den Strich.« Wenn ich diesen gelackten Kerl in die Finger bekomme!
»Wegen des Gentlemans, der sich anbot, dich trockenen Fußes ins Monk zu kutschieren?« Sein Lachen klingt blechern. »Du bist zu vertrauensselig.«
»Welchen trockenen Fuß?« Ich bin immer noch nass von oben bis unten. »Ich will wissen, wo ich bin!«
»Nach wie vor in Kowloon.«
Gott sei Dank.
»Deine Erleichterung ist unangebracht, angesichts deiner Situation.«
»Wieso? Du sagst, du lässt mich nach einem kleinen Plausch gehen und wenn wir in Kowloon sind, ist der Rückweg bei diesem Scheißwetter nicht zu weit.« Im schlimmsten Fall laufe ich mir zwei Stunden die Füße wund, aber das ist besser, als sonst wohin verschleppt worden zu sein.
»Falsch. Ich sagte, ich bringe dich zurück. Du wirst kaum mehr in der Lage sein, einen Schritt vor den anderen zu setzen.«
»Was willst du von mir?« Ruhig bleiben. Panik ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.
»Übrigens darfst du Joseph gern erzählen, wo ich dich gefangen hielt. Bis er hier anrückt, bin ich längst wieder weg.«
»Meinst du, er ist so scharf darauf, dich zu sehen?« Klinge fast so hämisch wie er. »Du bist für ihn ein Ärgernis, aber nicht wichtig genug, um sich die Hände an dir schmutzig zu machen.«
»Das wird sich ändern, glaub mir.«
»Komm zum Punkt. Du verschwendest meine Zeit.« Hoffentlich nimmt er mir die Kaltschnäuzigkeit ab. Bemerkt er, dass mein Schweiß nach Angst stinkt, ist es aus mit dem Fake.
»Du hast recht«, säuselt er. »Es wäre grausam, deine verbliebene Zeit zu verschwenden.«
Blinzele die Tränen weg, nur damit mir das verdammte Licht neue in die Augen treibt.
Der Tisch, der Lampenfuß, Gages verschwommene Umrisse, dahinter Dunkelheit. Das ist alles, was ich erkenne.
»Du bist mein Mittel zum Zweck. Mit deiner Hilfe werde ich Joseph daran erinnern, dass es klug ist, mir den Gefallen zu gewähren, um den ich ihn bat. Immerhin ist er mir diesen kleinen Liebesdienst schuldig, nach allem, was ich für ihn getan habe.«
Mein Lachen kommt spontan.
»Du hältst meine Erwartungen für überzogen?«
»Ich halte dich für ein Arschloch.«
»Mag sein. Doch am Ende dieses Gespräches wirst du mich für jemanden halten, vor dem du dich bis in die letzte Faser deines Herzens fürchten wirst.«
Eine kleine Bewegung, eine Verlagerung seines Oberkörpers zur Seite, ein leises Knarren des Stuhles.
Er hat die Beine übereinandergeschlagen.
»Du willst mir Angst machen und hockst im Pussisitz vor mir?« Wenn ich eines von Joseph lernte, dann, dass in Kowloon die Körperhaltung eines Mannes mehr aussagt, als sämtliche Worte es je könnten.
Ein scharfes Einatmen, das Klacken aufgestellter Ledersohlen.
Ich denke nicht daran, mir das Grinsen zu verkneifen.
»Du glaubst, ich wüsste nicht mehr, wie es hier läuft?« Er spricht tiefer als eben, leiser. Ähnlich wie Joseph, wenn er kurz davorsteht, jemandem die Nase zu brechen. »Du bildest dir ein, mich nicht fürchten zu müssen?«
Der Kerl blufft ebenso wie ich und sein Arsch schrammt wahrscheinlich härter auf Grundeis als meiner. Ich will wissen wieso.
»Ich bilde mir gar nichts ein. Aber ich wundere mich, dass du dich selbst in die Höhle des Löwen begibst, statt deinen Lakaien zu schicken. Ich dachte, Kowloon wäre ein heißes Pflaster für dich.«
»Du hast keine Ahnung, zu was ich bereit bin.« Er steht auf, kommt langsam zu mir. »Was jetzt geschieht, war nicht meine Idee. Dennoch finde ich sie brillant, wenn auch auf eine distanzierte Weise.« Er packt mich im Genick, presst mir den Kopf auf die Brust. »Eine praktische Stelle, um Einstichmale selbst vor deinen geschulten Augen zu verbergen.«
Ein Stich. Oberhalb des Nackens. Er brennt.
Mein Herz schlägt ein paar Takte neben der Spur.
»Ich habe dir zwei winzige Kapseln mit einem interessanten Gift verabreicht. Die erste setzt es in einigen Minuten frei, die zweite in vierundzwanzig Stunden.«
Was zur Hölle …
»Es wurde ursprünglich als Massenvernichtungswaffe entwickelt. Das Zeug manipuliert das Schmerzzentrum des Gehirns, bis die individuelle Reizschwelle überschritten ist und der Körper nicht mehr gegenregulieren kann. Die Substanz sollte gegnerische Truppen und lästige Zivilbevölkerung in ein Chaos ungezügelter Qualen stoßen. Du kannst dir ausmalen, wie unheilvoll sich so etwas auf die Moral einer Gesellschaft auswirkt.«
»Kann ich.« Mein Magen krampft sich zusammen.
»Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise wurde die Forschung auf Eis gelegt, zumal sich das Gift nicht als Aerosol einsetzen lässt«, plaudert dieser Drecksack, als säßen wir bei Zigarre und Whiskey zusammen. »Bisher wirkt es nur, wenn es injiziert wird, was eine großflächige Anwendung unmöglich macht. Glücklicherweise wurde von Beginn an ein passendes Gegenmittel kreiert. Für den Notfall, versteht sich.«
Kann mich kaum noch fokussieren. Wenn nur mein verdammtes Herz langsamer schlagen würde.
»Ein Derivat dieses Mittels weist einige interessante Nebenwirkungen auf. Es wird eines Tages die perfekte Droge für einen urbanen Sumpf wie Kowloon sein. Zwar befindet es sich noch in der Entwicklungsphase, aber noch ein paar Monate und es kann auf den Markt.«
»Hast du den Quatsch auswendig gelernt?«
»Nein. Aber er wurde mir ausführlich erklärt, damit ich ihn dir ebenso ausführlich darlegen kann. Immerhin bist du in solchen Dingen versierter als ich, und was du verstehst, kannst du nachvollziehen, glauben und ebenso glaubhaft Joseph übermitteln.«
Denkt er, Joseph würde diesen Dreck einsetzen? »Vielleicht kriegt ihr den Scheiß in den No-Name-Läden unter die Leute, doch niemals wird sich ein seriöser Bordellbesitzer dafür hergeben.«
Seriöser Bordellbesitzer.
Mein europäisches Moralbewusstsein lacht auf, meine Seele zuckt vor Schreck zusammen.
»Du missverstehst mich. Es ist nicht für Kowloon gedacht. Es wird lediglich dort entwickelt und getestet. Welcher Ort wäre besser geeignet? Zahllose Versuchskaninchen auf einem Haufen, nach denen kein Hahn krähen wird, wenn sie das Experiment nicht überleben.«
»Gage! Ich werde dich …«
»Gemach, gemach. Die zweite Versuchsreihe läuft bereits an und ich bin guter Hoffnung, dass die Shivas dieses Mal mehr Glück haben, als die armen Schweine aus dem Lotosgarten oder dem Fleur du Mal.«
»Du testest es in den Klubs?« Mein Mund ist staubtrocken. Kann kaum reden.
»Ich?« Sein Lachen schrillt in meinen Ohren. »Du!« Er räuspert sich, holt schnaufend Luft. »Dank Hao Juns übertriebener Fürsorge für seinen ehemaligen Lieblingsshiva und deines ärztlichen Übereifers, nehmen die Shivas des Monk an dem Experiment teil.«
»Von was redest du?«
»Ich vermute, du hast sie pflichtschuldig gescannt?«
Der Medi-Scan. Nein, das kann nicht sein. »Hao Jun würde niemals …« Die erhöhten Hormonwerte. Das Gerät wurde manipuliert.
»Ich denke, du begreifst den Witz der Situation?« Seine Finger bohren sich in meine Schulter.
Ich habe die Shivas mit dieser Droge vergiftet. Sie und mich.
Mir wird kalt.
»Das Entsetzen in deiner Miene ist angebracht, Liam. Du, der du dein Leben dem Helfen und Heilen widmest, wirst heute Nacht zum Mörder. Wie viele arbeiten in diesem Moment in der Oase? Zwei? Fünf?«
Ich weiß es nicht.
»Sind vielleicht deine Lieblinge dabei? Ich hatte nur einen. Joseph. Wäre ihm etwas zugestoßen, hätte ich demjenigen das Fleisch von den Knochen schneiden lassen.«
»Wenn er dein Liebling war, warum tust du ihm das an?«
»Kein Handlungsspielraum. Nicht das kleinste bisschen.«
Nicht die Spur Hohn. Seine Betroffenheit ist echt.
Vor meinen Augen flackert es.
Ruhig bleiben. Informationen sammeln.
»Gibt es ein Gegenmittel?«
»Ein Gegenmittel? Wozu?«
»Frag nicht so dämlich!«
»Das Zeug wirkt wie jede andere Droge auch«, erklärt er erschreckend sachlich. »Nach ein paar Stunden baut es der Körper ab. Wird in diesem Zeitrahmen ein Schmerz ausgelöst, der in den kritischen Bereich fällt, sorgt es dafür, dass dem Gehirn Lust statt Schmerz vorgetäuscht wird. So behauptet es zumindest dieser russische Quacksalber. Sinn der Sache ist ein Ausdehnen des Toleranzbereichs. Je länger der Shiva durchhält, desto mehr Spaß für den Spieler. Irgendwann wird es jedoch für den trainiertesten Shiva zu viel.« Er seufzt, schafft es tatsächlich, es bedauernd klingen zu lassen. »Leider ist der konkrete Zeitpunkt nicht im Voraus bestimmbar. Er hängt von der Schmerzintensität und der Stresstoleranz der jeweiligen Person ab. Den einen haut’s früher von den Beinen, den andere später.«
»Joseph sagte, du würdest keinen Mord begehen. Er hat sich geirrt.« Kann kaum noch atmen. »Du bist genau das Schwein, für das ich dich von Beginn an hielt.«
»Harte Zeiten erfordern harte Entscheidungen.« Seine Hand streicht über meine Kehle, schieben sich in den Ausschnitt meines Shirts. »Wie gesagt, in dieser leidigen Sache ließ man mir keine Wahl.«
»Nimm deine Finger von mir!« Höre meiner Lunge beim Rasseln zu.
»Nicht so rüde.« Er wagt es, mich zu kraulen. »In wenigen Augenblicken hörst du die Engel kreischen und ich werde das einzige mitfühlende Wesen zwischen dir und der Qual sein.« Er hockt sich vor mich, legt die Hände auf meine Knie. »Eine Dosis, die nur dazu dient, dir einen Eindruck zu verschaffen, was dich in vierundzwanzig Stunden erwarten wird.« Langsam streicht er meine Oberschenkel hinauf. »Ich hörte, du hättest dich in Tiens letzten Minuten um ihn gekümmert.«
Er weiß davon?
»Erinnere dich an sein Leid.«
Ich werde es nie vergessen.
»Und dann pack noch ein paar Schippen drauf.«
Kalter Schweiß. Überall.
»Es wird der furchtbarste Tod sein, den du dir denken kannst, und nun zu meinem Deal: Bring Joseph dazu, mir Dean auszuhändigen, und zwar bevor ihn ein kleiner Tattoo-Mönch ziert. Er soll das Highlight meines exklusiven Klubs werden. Es gehen bereits Vorbestellungen bei mir ein und ich denke nicht im Traum daran, meine Kunden zu enttäuschen.«
»Du willst Dean als Shiva?« Nein, niemals!
»Selbstverständlich, und ich hoffe, er hält lange genug aus, um meinem Klub den nötigen Schwung für den Neustart zu verpassen.«
Rauschen in den Ohren. Will freie Hände. Gage würde keine Sekunde überleben.
»Interpretiere ich deine Mimik korrekt, hältst du von meinem Plan nicht sonderlich viel.«
Er ist irre.
»Wieso nicht? Dean ist eine gute Investition. Nicht mehr. Eure Hätschelei hat eure Sicht getrübt. Ihr behandelt ihn wie einen Schoßhund, aber er ist ein Shiva, und zwar einer von der Sorte, um die sich gewisse Kunden reißen werden.« Er seufzt widerlich verzückt. »Vor allem dann, wenn ich ihn zum Totspielen freigebe.«
»Sei still!« Ich muss Joseph warnen. Er muss Dean in Sicherheit bringen!
»Sorge dafür, dass ich ihn bekomme, und danach erhältst du das Gegenmittel.«
»Weder wird dir Joseph Dean überlassen, noch würde er ihn jemals zu seinem Shiva machen. Ob mit oder ohne Vertrag.«
»Ich sagte dir bereits bei unserem ersten Treffen, dass du nur meinst, Joseph zu kennen. Er hat ein Auge für Potenzial und das erblindet nicht. Schon gar nicht aus sentimentalen Gründen.« Seine Finger tanzen über meine Schenkel. »Diese Lektion hat er ebenso von mir gelernt wie Duldsamkeit. Die Frage ist, hängt er mehr an dir oder an dem Jungen?« Fest bohren sich seine Daumen in meinen Schritt.
Hoffentlich hält er mein Keuchen nicht für Lust. Mir geht der Atem aus. Das ist alles, und ich besitze nicht genug davon, um die Sache klarzustellen.
»Du bist bemerkenswert, O’Farrell. Ein Mann, der sich mehr um das Leben anderer sorgt als um seines. Das könnte bei meinem Plan ein Problem werden, aber ich werde es lösen.«
Hör mit dem Gerede auf!
»Andererseits wird dir dein Leben gerade von Atemzug zu Atemzug wertvoller.«
Welche Atemzüge? Meint er das Keuchen?
»Wird dir die Luft knapp?«
Sehe Dean vor mir. Eine seiner wuschligen Locken fällt ihm in die Stirn. Stress macht es schlimmer
. Er streicht sie sich hinters Ohr, küsst mich.
»Schlechtes Timing. Du bist mein höchster Trumpf. Ich lasse dich nicht sterben, bevor ich dich ausgespielt habe.«
Kann nicht atmen.
»Bist du noch in der Lage, zuzuhören?«
Gleich nicht mehr.
»Wo ist dein Spray?«
Versuche, das schlichte Wort Hosentasche
hervorzuwürgen. Keine Ahnung, ob es klappt.
Gage tastet an mir herum. Ich merke es an den Erschütterungen. Fühlen ist nicht mehr drin. Bis auf die Angst, gleich abzutreten, ohne Joseph noch einmal gesehen zu haben.
»Hier!«
Schnappe nach dem Mundstück.
Mir ist so schwindelig. Alles wird schwarz. Gut, dass ich angebunden bin, würde sonst vom Stuhl rutschen.
»Eine der Begleiterscheinungen des Giftes ist, dass du nicht in Ohnmacht fallen wirst.«
Dieses Arschloch kann Gedankenlesen.
»Das wäre für Tien vielleicht die Rettung gewesen und dir würde es bei dem Kommenden zumindest eine hoch willkommene Auszeit verschaffen. Aber ich schätze, du wirst ohne klarkommen müssen, also mach dich auf was gefasst.«
Mir ist nach Lachen. Laut und schrill.
»Wir werden wie folgt vorgehen. Nach dieser Kostprobe bringe ich dich zurück. Sobald du wieder klar denken kannst, wirst du Joseph mein Anliegen vortragen. Von seiner Entscheidung hängt dein Leben ab. Mache ihm das so deutlich, wie du kannst. Setzt die Wirkung des Giftes erst einmal ein, wird es knapp für dich, wie du gleich erfahren wirst. Du solltest die Sache also vorher klären und mir schnellstmöglich Bescheid geben. Joseph kennt meine neue Kontaktnummer. Ich war so frei, mich bei ihm zu melden. Sobald er Dean an meinen Mitarbeiter übergeben und die beiden wohlbehalten auf der Fähre angekommen sind, händige ich ihm das Gegenmittel aus.«
Hör auf, mich totzureden!
»Du siehst, es handelt sich um ein enges Zeitfenster, aber bedauerlicherweise kann ich es für dich nicht weiten.« Er hält mir etwas vor den Mund. »Hier, draufbeißen. Ist ein Stück Schlauch, aber besser als nichts. Wäre schade um deine Zähne.«
Mir ist schlecht vor Angst.
»Ach ja. Versuch den Stuhl ganz zu lassen.«
Ein Brennen. In meinem Kopf. Es wandert tiefer.
»Es beginnt plötzlich. Dir bleibt keine Zeit, dich darauf einzustellen. Du musst …«
Oh Gott!
– Joseph –
Drücke die Zigarette aus und bilde mir ein, es wäre Nim, der sich unter meinen Fingern krümmt.
Er wird alles tun, um Dean zu bekommen.
Ich werde alles tun, um es zu verhindern.
Tigere hin und her, finde keine Ruhe. Versuche Liam zu erreichen.
Nichts.
So lange kann kein Notfall dauern. Entweder ist der Patient tot oder er ist es nicht.
Zwecklos, ihm jemanden hinterherzuschicken. Das hieße die Nadel im Heuhaufen zu suchen.
Kurz nach elf. Zeit, um mich in der Bar blicken zu lassen. Meine Probleme gehen die Gäste nichts an. Sie bezahlen für eine amüsante Nacht und ich werde dafür sorgen, dass sie sie bekommen.
Der Spiegel verwandelt mein eintrainiertes Lächeln in eine Fratze.
Rücke die Gürtelschnalle zurecht, richte das Hemd.
Blütenweiß. Es wird jeden über die Dunkelheit in mir hinwegtäuschen.
Nur nicht Liam.
Wäre er doch hier.
Meine Schritte werfen Echos im Treppenhaus.
Vor der Tür zum Entree rennt mir Bao entgegen. »Sir!« Er lächelt gehetzt, fährt sich durch die Haare. »Bin spät dran, Entschuldigung.«
»Bist du für heute reserviert worden?«
Er nickt.
»In der Oase?«
»Ja, Sir. In fünf Minuten, aber ich brauchte vorher noch einen Tee und ein bisschen Zeit, mich zu sammeln.«
»Ein Stammgast?«
»Nein. Steve meinte, es wäre eine Frau.«
»Sei vorsichtig.« Ich sollte das Monk für Fremde schließen. So lange, bis sich die Lage geklärt hat.
»Kein Problem. Viktor hat uns einen Haufen neuer Sicherheitsregeln ins Hirn gefräst.« Er hält mir die Tür auf. »Einen schönen Abend, Sir.« Sein Lächeln ist echt, wenn auch nervös. Kein Freierheucheln.
Trotz meiner Sorgen fällt es mir leicht, es zu erwidern.
Die Shivas in diesem Etablissement gehören mir. Wie kann es Nim wagen, die Hand nach ihnen auszustrecken? Die Wut in mir lässt mich zittern. Ehe ich mich den Gästen präsentiere, brauche ich einen Whiskey.
Piao sitzt an der Bar, nickt mir zu. Kun ebenfalls, bevor er zu Flasche und Glas greift. Für einen alten Mann mit einem kaputten Knie wirbelt er erstaunlich flink hinter dem Tresen.
»Heute ist ein guter Tag?« Ich möchte ihn nicht beschämen, indem ich ihn direkt auf seine Schmerzen anspreche.
»Ein ganz hervorragender, Sir!« Mit einem strahlenden Lächeln schiebt er mir das Glas hin. »Mr. Liam hat meinem Knie einen Käfig geschenkt.«
»Mr. O’Farrell«, korrigiert ihn Piao, bevor ein Großteil seines Gesichtes für die Länge eines Schluckes hinter einer Teeschale verschwindet. »Ehrlich, irgendwann muss es doch sitzen.«
Kun nickt, klopft sich ans Bein. »Ich habe ihn mir selbst angezogen. Sehr benutzerfreundlich.«
»Ach Kun.« Bao wischt sich den Mund. Auf seinem Handrücken klebt ein buntes Pflaster.
Ich nehme ihn am Handgelenk, betrachte es aus der Nähe. Ein Mond mit Pfeife. Es sieht aus, als bliese er den Rauch aus dem Mundwinkel.
»Bao hat es mir nach dem Scannen mitgebracht.« Seine Wangen werden rot. »Bevor mein Gast kommt, mache ich es ab.«
»O’Farrell hat Kinderpflaster?«
»Scheint so.« Vorsichtig streicht er darüber. »Der Medi-Scan sticht mit einer kleinen Nadel in die Haut. Mich hat der Piecks nicht gestört, aber das Pflaster ist trotzdem schön.«
Liam verteilt Schnickschnack an die Shivas. Nur wenige Stunden später droht er, das Monk zu verlassen?
»Ging es ihm gut, als du bei ihm warst?«
»Bao?«
»Nein, O’Farrell.«
»Sicher.«
»Er schien dir nicht aggressiv oder schlecht gelaunt zu sein?«
»Kein Stück. Etwas müde vielleicht, aber er war begeistert von diesem Scan-Dingsbums.«
Wo auch immer Liam danach gewesen ist, als er zurückkehrte, war er ein anderer Mensch. Ich muss herausfinden, was in dieser Zeit geschehen ist.
Ich schicke eine Nachricht an die Securitys und an Steve. Vielleicht weiß einer von ihnen, wo er war. Nebenbei reiche ich Piao einen Bierdeckel. »Wenn du das Pflaster behalten willst, kleb es hier drauf. Kun wird es für dich aufbewahren.«
Er zieht es ab, pappt es auf den Deckel und schiebt ihn Kun über den Tresen. »Hier, aber nicht wegschmeißen. Auch nicht aus Versehen.«
Piao ist achtzehn. Gerade kommt er mir jünger vor.
Viktor meldet sich.
Ich schalte auf Audio-Empfang.
»Ich schätze mal, er war bei Han«, beantwortet er meine Nachricht. »Wegen Kuns Kniegestell.«
»Danke.« Han besitzt keinen Kommunikator. Ob aus Angst, dass sein Chi davon gestört werden könnte, oder weil ihm die Geräte zu teuer sind, weiß ich nicht. Han wird wenig begeistert sein, wenn ich ihn um diese Uhrzeit holen lasse, doch Liam ist sein bester Kunde und da ich die Rechnungen bezahle, schuldet mir Han den Gefallen.
Die Securitys kann ich um diese Zeit nicht entbehren, aber Steve.
Ich trinke meinen Whiskey, versuche erneut, Liam zu erreichen.
Immer noch kein Empfang.
Verdammt!
Piao zupft mich am Ärmel, zeigt zum Eingang. »Hao Jun kommt.«
Der Triadenfürst betritt gefolgt von seinen Sicherheitsleuten die Bar.
»Juens Rücken ist noch nicht soweit. Soll ich ihn trotzdem holen?«
»Ja.« Er bespielt Juen gern ausgiebig, aber mit vielen Pausen. Ohne sie würde es heute zu einem Akt der Grausamkeit, doch mit ihnen wird es eine lustgetränkte Herausforderung für Juen.
»Anscheinend ist der auch scharf auf den Job.« Er nickt zu Kitao, der mit zwei Gästen zusammensitzt.
Kitaos Blick klebt an Hao Jun. Er steht auf, geht ihm entgegen. Einer der Leibwächter will ihn aufhalten, doch Hao Jun winkt ab.
In einer tiefen Verneigung verharrt Kitao vor ihm.
Hao Jun wechselt ein paar Worte mit ihm, lässt ihn schließlich stehen.
Kitao sieht ihm nach.
Mit einem Blick, der mir nicht gefällt.
Er hat sich ihm angeboten und wurde abgelehnt. Statt seine Enttäuschung hinter einem höflichen Lächeln zu verbergen, duldet er sie auf seiner Miene.
Ich werde mit ihm darüber reden müssen.
»Der spinnt ja wohl, sich dem ehrenwerten Hao Jun anzubiedern.« Piao schnaubt leise. »Ich geh dann mal Juen holen.« Er huscht davon, noch bevor mich der Triadenfürst erreicht.
»Kitao hat mit dem Monk eine gute Wahl getroffen.« Er fasst mich an den Schultern, stoppt damit meine Verbeugung. »Doch ich bin nicht wegen ihm hier, sondern wegen deiner Entscheidung Dean betreffend.«
»Sie sind persönlich gekommen, um den Vertragsabschluss zu bezeugen?« Für Dean wird das eine Zumutung sein.
»Es geht um den Jungen aus Zimmer drei.« Er nickt Kun zu, der in eine akkurate Fünfundvierzig-Grad-Verbeugung klappt, und bittet ihn um eine Schale grünen Tee, bevor er sich wieder zu mir wendet. »Der junge Mr. Fitzgerald erregt seit seiner Ankunft in Kowloon mehr Aufmerksamkeit, als gut für ihn ist.«
»Daran trägt er keine Schuld.« Das weiß niemand besser als er.
Er mustert mich, lächelt schmal. »Ein Vorwurf?«
»Ich erkenne die Notwendigkeit der Entscheidung an, bedaure jedoch ihre Folgen, Dean betreffend.«
»Du hättest lieber einen anderen Zeugen.«
»Ja.« Für Dean ist die Sache schwer genug. Auch ohne dabei seinem Feind gegenüberzustehen.
»Wird der Junge dein Shiva, kann er nicht früh genug damit beginnen, sich Anweisungen zu fügen. Wenn ihm das schwerfällt, wird es Zeit, dass er es übt.«
Diese Art Shiva wird Dean niemals sein.
»Er bekam Kowloons Krallen zu spüren.« Seufzend zieht er sich einen Barhocker heran. »Es ist natürlich, dass ihm das nicht gefällt, doch es machte ihn zu einem Teil hiervon.« Seine Geste schließ ganz Mongkok ein. »Wir sollten ihm ermöglichen, seine unfreiwillig gewählte Rolle in diesem Stück so brillant wie möglich zu spielen.«
»Gage möchte ebenfalls mitspielen.« Ich schildere ihm kurz die Gespräche. »Er ist sicher, mich in der Hand zu halten.«
Zwischen Hao Juns Brauen wächst eine Falte. »Hat O’Farrell die Shivas gescannt?«
»Ja. Gleich heute Mittag. Ihm ist nichts Sonderbares aufgefallen, sonst hätte er mir davon berichtet.«
»Gut.« Er atmet auf, nimmt die Schale Tee entgegen, die ihm Kun reicht.
»Aus Yunnan. Erst vor einer Woche eingetroffen.« Kun neigt demütig den Kopf. »Dank Ihrer Fürsprache planen uns die Händler auf ihrer Route ein.«
Hao Jun begegnet Kuns Worten mit einem freundlichen Lächeln, bevor er den ersten Schluck schlürft. Er schließt genießend die Augen, wendet sich wieder zu mir. »Deine Entscheidung, Dean an den Klub zu binden, bewahrt ihn vor Gages Zugriff, solange das Monk existiert. Musst du es schließen, ergeht es ihm wie den Shivas von Mr. Lin.«
»Ich werde es nicht schließen.« Etwas ballt sich in mir zusammen. Hart wie ein Stein. »Nicht, solange ich zu einem klaren Gedanken fähig bin.«
»Und was ist, wenn du das nicht mehr bist?« Er schlürft einen zweiten Schluck. »Du solltest für den Notfall einen Stellvertreter ernennen, der das Monk in deinem Namen weiterführt. Gage ist unberechenbar.«
»Das ist nicht sein Stil.« Dieses aggressive Vorgehen passt nicht zu ihm.
»Der Gedanke kam mir ebenfalls.« Seufzend stellt er die Schale ab, streicht mit dem Finger über den Rand. »Er wird von jemandem gezwungen, was bedeutet, dass er nicht mehr als ein Handlanger ist. Das beruhigt und beunruhigt gleichermaßen. Hunde, die in die Ecke gedrängt werden, beißen, und ich will nicht, dass es deine Hand ist, die zwischen seine Kiefer gelangt.« Er neigt sich zu mir, streicht mit demselben Finger, den er eben mit Tee benetzt hat, über meine Wange. »Ziehe in Erwägung, Dean auszuliefern.«
»Nein.« Alles in mir sträubt sich bei dem Gedanken daran.
»Fürchtest du, dein Gesicht zu verlieren?«
»Darum geht es nicht.« Ich könnte Dean niemals dem aussetzen, was ihn bei Nim erwartet.
»Du gehst ein hohes Risiko ein.« Er sieht mich an wie damals, als ich ihm offenbarte, das Monk gekauft zu haben. »Doch wenn du dir sicher bist, lass uns erledigen, weshalb ich gekommen bin.«
»Hat es noch ein wenig Zeit?«
»Eine Bedenkzeit für den Anwärter?« Sein Blick sagt mir, dass er das für mehr als unangebracht hält.
»Es geht nicht um Dean, sondern um O’Farrell«, erkläre ich ihm. »Er ist noch nicht zurück und ich erreiche ihn nicht.«
»Soll er den Vertrag ebenfalls bezeugen?«
»Er wird versuchen, ihn zu verhindern.« Ebenso vehement, wie ich versuche, Dean vor Gage zu schützen.
»Verständlich angesichts der Tatsache, dass du vorhast, Dean in Situationen zu zwingen, unter denen er gelitten hat.«
»Dean ist nur für mich. Kein Gast wird ihn anrühren. Das weiß er, sonst hätte er meinem Plan niemals zugestimmt.«
»In diesem Fall wird es O’Farrell verstehen. Er ist ein kluger Mann.«
Im Moment nicht.
»Du sorgst dich um ihn«, stellt er fest.
Mir hätte klar sein müssen, dass seinem aufmerksamen Blick nichts entgeht. Doch ihm muss ebenso klar sein, dass ich Liams Zustand für mich behalten werde.
»Manche Gegenden Kowloons sind gefährlich. Vor allem in Nächten wie diesen, wo die Verbindungen versagen.« Er winkt einen seiner Männer zu sich, flüstert ihm etwas ins Ohr. »Mit deiner Erlaubnis werde ich O’Farrell suchen lassen.«
Der Mann nickt, eilt zum Ausgang.
Mir fällt ein Stein vom Herzen.
»Wir warten zwei Stunden.« Hao Jun sieht seinem Bodyguard hinterher. »Danach werden wir die Sache in Deans Interesse hinter uns bringen.«
Ich handle hinter Liams Rücken. Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Lieber ertrage ich seine Wut, als dass ich ihn hintergehe.
»Du darfst Gage nicht unterschätzen. Das wäre ein eklatanter Fehler.« Hao Jun berührt mich am Ellbogen. »Er bezieht seine Macht aus einer verlässlichen Quelle und solange ich keinen Weg gefunden habe, sie versiegen zu lassen, musst du auf der Hut sein.«
»Sie wissen, wer hinter ihm steht?«
»Ein neuer Spieler in Kowloons Angelegenheiten. Er denkt, ich wäre in meinem eigenen Territorium blind und taub, doch er irrt.« Er lächelt hinterhältig wie ein Fuchsdämon. »Vorläufig lasse ich ihn in dem Glauben, die Zügel in der Hand zu halten. So lange, bis der geeignete Zeitpunkt gekommen ist.«
»Wer ist es?«
Sein Blick schweift zu Kun, doch der unterhält sich am anderen Ende der Theke mit einem Gast.
»Sun Haidong«, sagt er leise. »Ich musste viele Gefallen einfordern und noch mehr Geld fließen lassen, um an diese Information zu gelangen.«
Der präsidiale Verwalter Hongkongs?
»Du hast von Marvin Jones’ Selbstmord gehört?«
Ich nicke.
»Es war keiner. Sun Haidong ist mein Einfluss ein Dorn im Auge, also entledigte er sich des Konzernchefs und bildete sich ein, sich durch diesen lächerlichen Kunstgriff von mir befreit zu haben, doch er irrt.« Er beugt sich noch etwas näher zu mir. »Im Geheimen hat er einen Klub errichten lassen. Es heißt, auf einer der Inseln im Süden Lantaus. Er will die Vergnügungspendler von Kowloon fortlocken und ihnen als Entschädigung dieselben Freuden bieten, jedoch ohne die damit verbundenen Gefahren. Wahrscheinlich vermutet er, dass sie sich lieber in einer Umgebung amüsieren wollen, in denen sie weder bestohlen noch entführt oder getötet werden.« Er nippt an seinem Tee, zuckt die Schultern. »Diese Halbinsel hält sich nicht an Regeln. Das weiß er. Hin und wieder beißt sie die Hände, die sie füttern. Sollte er mit seinem Vorhaben erfolgreich sein, versiegt der Geldstrom, der nicht nur mich, sondern auch dich und deine Leute ernährt. So weit darf ich es nicht kommen lassen.«
»Wenn das an die Öffentlichkeit gelang, ist er erledigt.« Sun Haidong macht Politik mit seinem Feldzug gegen Kowloons Verkommenheit. Beginnt er mit denselben von ihm verurteilten Geschäften, verliert er von heute auf morgen sein Amt.
»Weshalb Gage nicht nur der offizielle Klubbetreiber, sondern auch Sun Haidongs potenzieller Sündenbock ist.« Wieder dieses hinterlistige Lächeln. »Dennoch werde ich mir den Spaß nicht nehmen lassen, ihn zu gegebener Zeit bloßzustellen.«
»Ist er für den Tod der Shivas verantwortlich?« In diesem Fall drängt es mich, nach seiner Hand zu schnappen. Fest genug, um sie ihm abzubeißen.
»Vermutlich.«
»Dann stellen Sie ihn jetzt bloß, bevor noch mehr sterben.«
»Mir mangelt es an Beweisen. Ohne sie jongliere ich nur mit Gerüchten.«
»Sie dürfen nicht zulassen …«
Hao Juns Geste lässt mich schweigen.
»Glaub mir, Joseph. Kowloons Wohl liegt mir mehr am Herzen als jedem anderen. Ich werde alles tun, um es vor Sun Haidongs Plänen zu schützen.« Er nimmt meine Hand, führt sie an seinen Mund. »Du hast mir viele Male dein Vertrauen geschenkt und es nie bereut.« Zärtlich küsst er meine Fingerknöchel. »Vertraue mir auch in dieser Sache.«
»Wie lange wird es dauern?« Das Leben meiner Shivas hängt daran. Jede Nacht, die vergeht, kann für sie eine Gefahr bedeuten.
Seufzend lässt er mich los. »Ich weiß es nicht. Manche Wege sind mühsam zu ebnen.«
Ich bin nicht bereit, sie mit den Leichen meiner Leute zu pflastern.
Meine Finger zittern, während ich zum Glas greife.
Hao Jun bemerkt es nicht. Er sieht an mir vorbei, lächelt Juen entgegen, der von Piao begleitet die Bar betritt. »Für die nächsten zwei Stunden werde ich mich zu beschäftigen wissen.« Er gibt seinem Security ein Zeichen, ihm zu folgen. »Ich bin verrückt nach diesem Jungen.« Er zwinkert mir zu, bevor er den Arm um Juen legt und mit ihm zum Hinterausgang schlendert.
Ihm muss bewusst sein, dass er durch sein Zögern auch Juens Leben gefährdet.
– Liam –
Ein Eimer. Der Rand schimmert im Lampenlicht. Tropfen glitzern. Dahinter ragt ein Schatten empor.
»Respekt. Du hältst eine Menge aus.«
Ich bin nass.
»Ich fürchtete schon, der Russe hätte es mit der Dosierung übertrieben.«
Meine Fäuste liegen in einer Pfütze. Sie stinkt. Kann die Finger nicht öffnen, dabei sind die Fesseln weg.
In mir pocht es. Das Einzige, was ich von mir fühle.
»Du wärst beinahe erstickt.«
Jemand zerrt an meinem Kopf.
»Lass los, oder willst du den Schlauch drinlassen?«
Altes Gummi. Bröckchen auf der Zunge.
»Gib schon her!«
Er drückt mir in die Wangen.
Meine Kiefer knirschen.
»Na bitte, geht doch.«
Mir fallen die Lider zu. Hoffentlich bleiben sie es.
»Erinnerst du dich an unser nettes Gespräch?«
Ich erinnere mich an Schreie. An Schmerz, Angst. An das Gefühl, wahnsinnig zu werden.
An den Wunsch zu sterben.
Jemand wimmert. Ganz nah bei mir. Arme Sau.
»Reiß dich zusammen! Es ist vorbei! Sei froh, dass du noch lebst.«
Es wimmert immer noch.
Ich bin es.
Ein Schlag ins Gesicht.
»Wachbleiben!«
Auf keinen Fall.
Er zerrt an meiner Hose. Kalte Finger um meinen Schwanz.
Zucke zurück. Die Kälte verschwindet.
»Dir ist einer abgegangen.«
Krämpfe im Unterleib. Sie haben mich zerrissen.
Sie sind weg.
»Das ist ausgesprochen interessant.«
Es raschelt dicht an meinem Ohr. Etwas sticht mir in den Arm.
Nicht schlimm. Gar nichts ist mehr schlimm.
»Das sorgt dafür, dass du es aufrecht ins Monk schaffst. Lange wird die Wirkung bei dem, was du gerade durchgemacht hast, nicht anhalten. Also schnapp dir Joseph und erzähle ihm hiervon.«
Einen Scheiß werde ich.
»Vergiss nicht, dein Leben hängt an seiner Entscheidung.«
Vierundzwanzig Stunden. Genug, um zu schlafen, aufzuwachen, fortzugehen und sich von irgendwo Hohem runterzustürzen. Weit weg vom Monk. Dean soll die Sauerei nicht sehen.
»Du stinkst bestialisch. So kommst du nicht in das Auto.«
Dann lass mich liegen und geh.
»Der Quacksalber warnte mich vor dem hier. Aber das es so heftig abgehen würde, hätte ich nicht gedacht.«
Stoff reißt, kalte Füße, Wasser klatscht auf mich. Schnappe nach Luft. Noch mehr Wasser.
»Besser.« Er hievt mich auf die Beine, lehnt mich gegen eine Wand. »Steig in die Hose. Mach schon!«
Geht nicht.
»Halte dich fest, verdammt!« Gage stopft meine Beine in eine Hose, meine Arme in einen Mantel, meine Füße in Flip-Flops. »Ich schlage dir den Bund um, dann rutscht dir die Hose nicht bei jedem Schritt in die Knie.«
Mir wird heiß. Habe das Gefühl, als ob mein Puls in jeder Körperzelle pulsiert.
»Lauf!« Er schleppt mich mit sich.
Stolpere über etwas.
»Das war der Stuhl. Du hast ihn sauber zerlegt.«
Gage stinkt nach Angst. Oder bin ich das?
Dunkelheit, ab und zu ein paar Lichter.
Mein Herz beginnt zu rasen.
Mir wird schlecht.
»Gottverdammt! Ziel zur Seite! Du kotzt mir auf die Schuhe!«
Ich will sterben. Hier in diesem Gang. Rechts und links Verschläge. Blutende Shivas. Sie sterben auch, dann bin ich wenigstens nicht allein.
Nein, keine Verschläge. Nur Mauern und Türen.
Ich muss Joseph warnen. Ihm sagen, dass ich seine Leute vergiftet habe.
Ich bin ein Mörder.
»Weiter, oder willst du Wurzeln schlagen?«
Tausend Türen. Sie gehen auf, zu, auf, zu.
Die Limousine.
»Rein mit dir!«
Ein Stoß in den Rücken, etwas Schweres fällt neben mich.
Meine Arzttasche.
»Bring ihn zum Monk, aber lass dich nicht sehen, wenn du ihn rausschmeißt.«
Endlich liegen. Mein Herz poltert, bleibt stehen, poltert weiter. Vielleicht ist es auch der Wagen. Die Straßen in Kowloon sind beschissen.
Pack noch ein paar Schippen drauf.
Nein, oh Gott, nein!
Nicht denken, nicht denken, nicht denken.
Lichter, zur Seite fließende Regentropfen, Dunkelheit, Mauern.
Wer arbeitet heute Nacht in der Oase?
Beiße die Zähne zusammen, heule trotzdem.
Lichter, Regentropfen, Dunkelheit.
Der Wagen hält, die Tür geht auf, ein Kerl mit Kapuze im Gesicht zerrt mich aus dem Fond.
Falle auf die Knie, kippe zur Seite.
Überall Wasser und Dreck.
Wozu hat mich Gage umgezogen? Hat sich nicht gelohnt.
Die Autotür schlägt zu. Motorengeräusche werden leiser, Lichter kleiner.
Meine Tasche liegt in derselben Pfütze wie ich.
Solidarisch von ihr.
Aufstehen. Das ist wichtig.
Nur ein paar Schritte um die Ecke. Ich muss sie schaffen.
Mein Kopf platzt, meine Beine sind aus Beton.
Ich muss Joseph warnen. Ihm sagen, dass ich ein Mörder bin.
Ihm sagen, dass ich ihn liebe.
Schlafen, weggehen, sterben. Eins nach dem anderen.
Ein Schritt, noch ein Schritt.
Da vorn steht Rodja. Er sieht zu mir, schnappt nach Luft. »Doc! Um Himmels willen, wie sehen Sie denn aus?«
Ist mir egal. »Jemand in der Oase?« Meine Standardfrage.
»Was ist mit Ihrer Stimme passiert?«
»Ob jemand in der Oase ist!«
»Nur Bao, Sir. Eine Frau bespielt ihn.«
»Hol ihn da raus.«
»Ist nicht nötig, Sir. Anfangs musste Viktor eingreifen, aber jetzt scheint es zu funktionieren.«
»Hol ihn da raus!« Sehe Sterne vor den Augen.
»Immer mit der Ruhe, Sir. Aber das haben Sie nicht zu entscheiden, sondern der Boss.«
Meine Beine knicken ein.
»Sir?« Rodja hält mich fest. »Nicht abklappen, okay?«
»Willst du zum Mörder werden?«
»Nein, Sir, aber …«
»Ich auch nicht. Hol Bao da raus.«
»Ganz ruhig. Ich rufe Viktor an. Der wird Ihnen alles erklären.«
Ich will keine Erklärungen. Die sollen einfach nur Bao aus diesem Zimmer holen.
Vor mir schwirrt Viktors erstauntes Gesicht. »Hey Doc, Sie sehen ziemlich mitgenommen aus.«
»Wie geht es Bao?«
»Bestens. Er macht den Job nach ein paar Anlaufschwierigkeiten souverän. So wie er klingt, hat er sogar Spaß daran.«
»Hol ihn …« Mir rutschen die Gedanken weg. Einer nach dem anderen. »Du musst ihn da rausholen. Ihn und alle anderen. Keiner darf in die Oase.«
»Sir, da drin läuft alles easy. Vertrauen Sie mir.«
»Hol ihn raus!«
»Okay. Ganz ruhig.«
Wenn ich noch einmal das Wort ruhig
höre. »Sofort!«
»Kein Problem.«
Der Holo-Screen verschwindet.
Neben mir wispert es. Rodja? »Sprich lauter.«
»Alles klar, Doc.«
Was soll der Mitleidsblick? »Gib mir eine Zigarette.« Ist vielleicht meine letzte, ich will sie genießen.
»Sie sind klatschnass.« Er hält mir die Packung hin. »Unterwegs ins Hafenbecken gefallen?«
»Nein.« Beim ersten Versuch greife ich daneben, der zweite funktioniert.
Scheiße, flattern mir die Hände.
»Die Frau scheint sich bisher nie in Mongkok vergnügt zu haben.« Er gibt mir Feuer, sieht mich immer noch erschrocken an. »Sie zeigte mir ihren Unterarm und war erstaunt, als ich ihr klarmachte, dass in ganz Kowloon kein Lesegerät für ID-Chips existiert.«
»Früher wurden nur Haustiere gechippt.« Dann Kinder. Nach der Grippe chippte niemand niemanden mehr. Andere Sorgen. Überall.
Vor zwei Monaten. In den Nachrichten. Die ID-Card wäre veraltet und ein Sicherheitsproblem. Der Identifizierungspflicht müsse mit einem ID-Chip nachgekommen werden. In Kombination mit der Iris-Scannung wäre das eine Innovation. Überall in der zivilisierten Welt.
Von dieser Art Welt gibt es nicht mehr viel.
»Innovative Identifizierungspflicht.« Auf meiner Zunge bilden sich Blasen, nur weil ich es denke.
Rodjas nervöses Lachen knistert wie eine spröde gewordene Plastiktüte. So eine, die vom Wind die Straßen hinuntergeweht wird.
Ich sehe ihr nach, bis sie hinter dem Zigarettenrauch verschwindet.
»Vorsicht, Doc.« Er hält mich am Ellbogen fest. »Zu tief ins Glas geschaut, was?«
Eine Faust. Zwischen den Fingern schimmert Silberpapier. Sie öffnet sich und es fliegt weg, zusammen mit der zerknüllten Zigarettenschachtel.
»Doc?«
»Hm?«
»Ich habe noch nie jemanden im Stehen schlafen sehen, der gleichzeitig raucht.«
Sein Gesicht schwimmt auf der Pfütze zu seinen Füßen. Er muss es verloren haben. Gut, dass das Joseph nicht passiert ist. Der hätte damit ein Problem.
Schnippe die Zigarette weg. Die Glut zischt, verschwindet. Über Rodjas Pfützengesicht wachsen Kreise.
»Tut mir leid.« Ich wollte es nicht zerstören.
»Was denn?«
»Das mit deinem Gesicht.«
»Wegen der gebrochenen Nase?«
Was eine weggeworfene Zigarette alles anrichten kann.
»Das ist doch Schnee von gestern.«
Gestern hat es nicht geschneit. Es schneit nie in Hongkong.
Warum bewegt sich die Schwingtür nicht?
»Oh Mann, Sie müssen ins Bett, ehrlich.« Er führt mich ein Stück zur Seite, schiebt eine Glaswand weg.
Plötzlich stehe ich in der Bar.
Helle Gesichter, dunkle Gesichter, tätowierte Gesichter. Ich kenne ein paar von ihnen. Ein paar auch nicht.
Da ist mein Lieblingsgesicht. Es kommt näher. Es ist so schön, so wütend.
»Wo bist du gewesen?«, zischt der dazu passende Mund. »Du hättest längst hier sein müssen.«
Er bewegt sich zu schnell. Fange ihn ein. Rechts und links.
Festhalten, küssen. Er schmeckt nach Joseph. So gut.
»Liam!«, zischt der Mund erneut und hört auf, sich küssen zu lassen.
Ein Kerl ohne Augenbrauen lacht leise.
Er hat keine Ahnung, wie sich Schmerz anfühlt.
Ich werde nie wieder lachen.
»Ich muss ins Bett.« Da war noch was. »Du musst Dean beschützen.«
»Das mache ich, seit er hier ist.« Joseph packt mich, drängt mich aus der Bar. »Bist du betrunken?«
»Nein.«
Er sieht mir in die Augen. Sucht etwas.
Da ist nur ein Haufen Angst. Ich ersticke später darunter.
»Ich kann nicht glauben, dass du unter Drogen stehst.«
War keine Absicht, aber ohne Erklärung lässt er nicht locker. Die Wahrheit geht nicht. Dann eine Lüge. Sie ist genau so wahr.
»Ich war bei Han«, krächze ich. »Nur bei Han.«
Kratertiefes Misstrauen auf Josephs Stirn.
Ich muss nachlegen. Das mit dem Suff kommt am ehesten hin.
»Sein Rachenverätzer hat es in sich.« Irgendwo muss die Rechnung sein. Die macht das Ding wasserfest.
Klopfe meine Taschen ab, bis es raschelt. »Hier.« Bloß ein Papierknäuel. »Das ist der Preis für Kuns Orthese.«
Er faltet es auseinander, starrt eine Weile darauf. »Ist in Ordnung, ich lasse ihm das Geld bringen.«
Das ist gut. Aber da war noch mehr. Eine lange Liste an Dingen, die ich ihm unbedingt sagen muss. Alles vor morgen Abend.
Seltsam, wenn Zeit aufhört, da zu sein.
»Wo hast du dich herumgetrieben?«
Ich bin kein Kind, er kein Vater. Warum tut er so?
»Lass niemanden mehr in die Oase.« Eines der Listendinge. »Erst morgen wieder.« Oder übermorgen. Sicher ist sicher.
Was sind ein paar Stunden?
Eine normale Droge.
Dieser elende Drecksack.
»Liam, du hast Fieber.«
Kann sein.
»Du bist krank.«
Ich mag seine Hand auf meiner Stirn.
»Wo bist du gewesen?«
Das kann ich ihm nicht sagen. Er würde mich nicht gehen lassen.
Ich muss gehen, sonst sterbe ich den falschen Tod. Kann ich ihm nicht zumuten. Mir auch nicht.
Pack noch ein paar Schippen drauf.
»Liam?« Sein Daumen streichelt meine Lider. »Was ist geschehen?«
Die Daumenkuppe ist nass. Meine Wangen ebenfalls.
Ist egal.
Ich muss ihm so viel erklären. Meine Zunge will nicht. Sie ist müde wie der Rest von mir. Nur eine Sache. Eine, die muss noch raus.
Meine Finger verschwinden in seinen Haaren. »Ich liebe dich.« So, jetzt ist alles gut.
Stille. Die Worte hängen in ihr fest.
Will er sie nicht?
Ich kann sie nicht zurücknehmen. Sie gehören mir nicht mehr.
Besser, ich lasse ihn damit allein.
Mein Herz wächst, bis es an seines stößt. Das Gefühl haut mich von den Füßen.
Joseph fängt mich auf. »Du musst mir sagen, was passiert ist!«
Er hat Angst. Um mich? Braucht er nicht. Ich habe genug für uns beide. Das reicht bis morgen.
Pack noch eine Schippe drauf.
Ich muss mir den Wecker stellen.
Mein Kuss verrutscht auf Josephs Lippen.
Die paar Schritte den Gang entlang. Spüre seinen Blick auf mir. Noch ein paar Schritte und es sind seine Hände. Nicht auf mir, aber an meinem Arm. Er legt ihn sich um die Schulter.
»Wir nehmen den Aufzug.«
Meinetwegen.
Es stinkt nach altem Öl.
Stört mich nicht. Auch nicht das Ruckeln.
Ist das erste Mal, dass mir das Ding keinen Angstschweiß auf die Stirn treibt.
Atme trotzdem auf, als sich die Türen öffnen.
Bleibeine. Bei jedem Schritt.
Was ist das für ein nerviger Ton?
Josephs Kommunikator.
»Es gibt Ärger in der Bar.« Fluchend gibt er den Türcode ein. »Dean wird sich um dich kümmern, bis ich zurück bin.«
Muss er nicht. Ich will einfach nur schlafen.
Im Appartement ist es hell. Wie spät? Nicht spät genug, um dunkel zu sein.
»Liam!« Deans Locken wippen. »Ich muss mit dir …«
So blaue Augen.
»Hat Zeit bis morgen.«
Okay.
»Lass dir helfen.«
Gern.
»Was ist das für ein Mantel?«
Nicht meiner.
»Du hast nichts darunter an?«
Ist schön, seine Hände auf mir zu fühlen. Sie sind so warm wie Josephs.
»Ich mache mir Sorgen um dich.«
Musst du nicht.
Er öffnet die Hose. Sie rutscht, klatscht auf den Boden.
»Du bist eiskalt.«
»Bin zu oft durch den Regen gelaufen.« Da war noch die Sache mit dem Wassereimer.
»Keine Shorts?«
Anscheinend nicht. »Ich will schlafen.«
»Sehe ich. Aber vorher solltest du heiß duschen.«
»Sieh mich nicht so an.«
»Wie denn?«
Als ob du dich vor mir ekeln würdest.
»Liam, ist alles okay. Ich helfe dir, ja?«
Ja bitte.
Er führt mich zum Badezimmer.
Warum schaltet er nicht das Licht an? Es ist so dunkel.
Wasser rauscht.
»Ich komm mit drunter, ja?«
Rascheln, Deans Duft nimmt zu.
Blinzele unter meinen zu schweren Lidern hervor.
Er ist nackt.
»Hör auf zu grinsen. Du bist zu fertig, um auch nur an etwas anderes als Schlaf zu denken.«
»Enttäuscht?«
»Ein bisschen.«
In seinem Lächeln steckt zu viel Angst. Dieselbe wie in Josephs Blick vorhin.
»Du musst dich nicht fürchten.« Niemand wird dir etwas antun. Dafür sorge ich.
– Dean –
Sein Gesicht ist weiß wie eine Wand und irgendwie verzerrt. Seine Stimme so heiser, dass ich ihn kaum verstehe. Und weshalb hat er fremde Sachen getragen? Ich dachte, die würden stinken, aber er ist es.
Er muss furchtbar krank sein.
Ich lehne ihn an die rissigen Kacheln, stelle das Wasser heißer.
Liam seufzt, als der Strahl über ihn wandert. Seine Lider bleiben trotzdem geschlossen.
Scheiße, habe ich eine Angst um ihn.
Besser, ich beeile mich und bringe ihn schnell ins Bett. Danach rufe ich Joseph. Er muss sich um ihn kümmern, jemanden holen, der ihm helfen kann.
Liam ist der einzige Arzt. Die in dem siffigen Krankenhaus zählen nicht. Wer soll ihm helfen können?
Ganz ruhig. Vielleicht sieht es schlimmer aus, als es ist.
»Liam?«
»Hm?«
»Du schaffst das doch, oder?«
»Alles gut.«
Er klingt, als hätte er die Grippe.
Nein. Irgendeine Grippe, aber nicht die
. Wenn ich deshalb auch noch in Panik gerate, helfe ich niemandem. Ich muss mich konzentrieren. Am besten auf das, was ich tue. Sonst denke ich Mist und das ist schlecht.
Verteile die Seife zuerst in meinen Händen, dann auf Liams Brust und Bauch. Seine Muskeln fühlen sich bretthart an. Ein Wunder, dass er sich noch bewegen kann.
Seine Beine zittern. Seine Hände auch.
Es macht mir Angst, ihn so schwach zu sehen. Er war immer stark. Selbst dann, wenn er müde war. Schwach zu sein passt nicht zu ihm.
Er wird wieder. So wie früher. Und bis dahin werde ich mich um ihn kümmern.
Seine Brusthaare kitzeln an meinen Handflächen.
»Arme hoch. Sonst komme ich nicht an die Achseln.«
Liam reagiert nicht.
Dann erledige ich das.
Er lässt alles mit sich machen, zuckt nicht einmal zusammen, als ich ihn zwischen den Beinen wasche.
Schönes Teil. Beeindruckend groß, selbst wenn es schlaff vor sich hinhängt. Stellt auf jeden Fall eine Herausforderung für denjenigen dar, der es abbekommt. Ob im Hintern oder im Mund, so was Beachtliches will erst mal weggesteckt werden.
Deshalb atmet Joseph so tief, wenn Liam in ihn eindringt. Er macht es wie Juen. Konzentriert sich auf den Schmerz, nimmt ihn hin, atmet ihn erträglicher. Wahrscheinlich kennt jeder Shiva diesen Trick.
Was um Himmels willen denke ich da? Liam kann sich kaum auf den Beinen halten und ich spekuliere, wie sich sein Schwanz in mir anfühlt?
Mein eigener zuckt.
Mir ist nicht zu helfen.
»Ist schön.« Er lächelt, ohne die Augen zu öffnen. »Machst du weiter?«
»Nein. Du musst schlafen.«
»Richtig«, murmelt er und dreht sich mit dem Gesicht zu den Kacheln. »Deck mich zu.«
»Hey, du bist noch nicht im Bett.«
Keine Reaktion.
Seife ihm den Rücken ein, brause ihm den Dreck von Backen und Oberschenkeln.
Er ist krank. Sonst hätte er nicht …
Ist egal. Er wird wieder gesund. Immerhin stinkt er nicht mehr.
Spüle ihm die restliche Seife vom Körper, schleppe ihn aus der Kabine. Im Vorbeigehen schnappe ich mir ein Handtuch.
Der Badezimmerhocker. Dann kann er wenigstens sitzen.
Ich angele ihn mit dem Fuß näher, drücke Liam darauf.
Er sinkt gegen mich, bis sein Kopf auf meiner Schulter liegt. »Bist eine super Krankenschwester.«
»Morgen geht es dir wieder gut.« Habe schon mal besser gelogen. Er braucht eine längere Pause als eine angebrochene Nacht.
Ich trockne ihn ab, ziehe ihn auf die Beine und bringe ihn zum Bett.
Er fällt darauf, gibt keinen Laut mehr von sich.
Ich sollte mich neben ihn legen. Schon, um ihn zu wärmen.
Trockne mich ebenfalls ab und kuschele mich zu ihm unter die Decke.
Seine Wangen sind kratzig, küsse sie dennoch. Auch seinen Mund. Nur so. Ist nicht schlimm, dass er nicht reagiert.
Die Tür klackt. Joseph kommt leise ins Zimmer. Er setzt sich auf die Bettkante, streicht ihm die feuchten Haare aus dem Gesicht.
»Ihm geht es rotzeschlecht.« Da ist ein dicker Angstkloß in meinem Hals.
»Ich weiß.«
»Ist er krank? Irgendetwas Gruseliges?«
»Fürchtest du, dich anzustecken?«
»Ich fürchte, dass er sterben könnte.«
Josephs Augen wirken riesig im Dämmerlicht.
»Er ist Arzt. Er kennt sich mit den Symptomen gefährlicher Krankheiten aus. Wenn er auch bloß ahnen würde, dass er an einer leidet, hätte er mich eben nicht geküsst und würde ganz sicher nicht zugelassen, dass du neben ihm im Bett liegst.«
»Aber was fehlt ihm dann?«
»Lass ihn schlafen. So lange wie möglich. Vielleicht genügt das.«
Die Art, wie er meinem Blick ausweicht, gefällt mir nicht.
»Verheimlichst du mir etwas?«
»Ich halte dir lediglich Dinge vor, die dich nichts angehen.« Er schlägt auf meiner Seite die Decke zurück. »Komm mit.«
»Wohin?«
»Warst du nicht scharf darauf, ein Shiva zu werden?«
Der Vertrag.
Mein Herz stolpert.
»Sollten wir nicht damit warten, bis Liam wieder fit ist?«
»Nein.«
Klare Ansage.
»Sicher?«
»Ja.«
Zum Teufel mit seiner Entschlossenheit.
»Hegst du Zweifel?«
Wie würde es sich anfühlen, ja zu sagen und die Sache abzublasen?
Schlecht. Joseph, Liam, das Monk. Teile meines Lebens. Ich will offiziell dazugehören. Niemand darf mehr auf die Idee kommen, mich abzukaufen.
»Der Vertrag bindet dich an das Monk, nicht an mich.«
»Warum betonst du das?«
»Weil es für dich wichtig ist.« Mit der Fingerspitze fährt er meine Lippen nach. »Wenn mir etwas geschieht, bist du hier dennoch gut aufgehoben. Du und alle anderen.«
»Hör auf, mir Angst zu machen.« Davon habe ich genug.
Er sucht frische Kleidung aus dem Schrank, drück mir den Stapel in den Arm.
Ich mache das Richtige. Während ich mich anziehe, spule ich den Gedanken als Endlosschleife ab.
Joseph nimmt Liams Handgelenk, fühlt den Puls.
Dieses tiefe Luftholen ist ein Aufatmen. Bin mir ganz sicher.
»Er wird wieder«, sagt er mehr zu sich als zu mir. Vielleicht auch zu Liam, denn es klingt nach Ultimatum.
»Lass uns gehen.« Typisch energisch marschiert er zur Tür, hält sie mir auf, doch sein Blick bleibt bei Liam. »Es wird nicht lange dauern.«
Er hat Angst um ihm. Und zwar richtige. Da kann er zehnmal den Coolen raushängen lassen. Mir macht er nichts vor.
»Es findet bei mir statt«, sagt er nebenbei und schiebt mich auf den Flur.
»Bei dir?« Sein Appartement ist heiliger Boden. Liam und ich sind die Einzigen, die ihn betreten dürfen. Alles andere sind Ausnahmen für den Notfall.
Bin gespannt, wen der Triadenfürst als Zeugen geschickt hat.
Zwei seiner Männer wachen vor der Tür. Mit denselben ausdruckslosen Gesichtern wie damals in Zimmer drei.
Will ihnen beim Vorbeigehen an die Schienbeine treten.
Mit der Klinke in der Hand bleibt Joseph stehen. »Du kennst den Zeugen. Ich erwarte, dass du dich ihm gegenüber respektvoll benimmst.« Er öffnet die Tür.
Hao Jun.
Er sitzt in Josephs Sessel, sieht mir entgegen.
»Das ist ein mieser Witz.« Die Liste meiner Feinde besteht seit den Nachrichten mit Jones’ Selbstmord aus zwei Personen. Hao Jun und Sun Haidong.
»Es sollte für dich eine Ehre sein«, zischt mir Joseph ins Ohr.
»Ist es aber nicht!« Ich schlage die Tür vor unseren Nasen wieder zu. Bin so wütend, dass ich zittere. »Dieses Arschloch hat eiskalt dabeigestanden und ohne mit der Wimper zu zucken die Kamera auf mich gehalten!«
»Dieses Arschloch ist gerade dabei, Kowloon vor einer Verschwörung zu retten.«
»Schon wieder?« Die letzte Katastrophe ist erst ein halbes Jahr her. »Hao Jun hat seine Hände doch ständig im Spiel, wenn die Kacke am Dampfen ist!«
Joseph packt mich am Handgelenk.
Scheiße, drückt er fest zu.
»Ich verstehe deinen Groll. Aber ich erwarte dennoch angemessenes Verhalten von dir.«
»Nein.« Und wenn aus Josephs Augen Feuer sprüht. »Jeder andere, aber nicht Hao Jun. Dazu kannst du mich nicht zwingen.«
»Dean!«
»Ich will ihn nicht sehen!« Was starren mich seine Wachhunde so an? Er ist ihr Boss, nicht meiner. Ich kann über ihn sagen was ich will!
»Ich verdanke dem Kerl das Trauma meines Lebens! Wegen seiner bekackten Idee bin ich monatelang als Zombie rumgelaufen! Wegen ihm konnte ich nicht ficken, nicht küssen, nicht atmen, nicht lachen, nicht …«
Die Tür öffnet sich.
»Ich bedaure sehr, dass ich dein Privatleben durch meine Entscheidung einschränken musste.« Hao Jun deutet eine Verbeugung an. »Komm rein. Wir werden miteinander reden.«
Genau das wollte ich nicht. Weshalb ich ihm trotzdem schafbrav hinterhertrotte, steht in den Sternen.
Mein Herz schlägt dabei im Hals. Hätte ich nicht eine Scheißangst vor diesem Kerl, könnte ich noch viel wütender auf ihn sein.
»Gestatte mir, die Stimmung etwas zu entspannen.« Er füllt drei Gläser mit Liams Lieblingswhiskey. »Wollen wir uns setzen?«
Diesen anmutigen Schlenker mit seiner Hand kann er bleibenlassen. Das ist Josephs Reich. Ich darf hier rein und raus und mich setzen, wohin ich will.
Nur nicht auf Josephs Sessel.
Hao Jun reicht uns die Gläser, setzt sich selbst darauf.
In Josephs Miene zuckt es.
»Passt dir nicht, hm?«, wispere ich aus dem Mundwinkel. »Ginge mir auch auf den Sack, wenn …«
Sein Blick verbietet mir nicht bloß den Mund, er eist ihn zu.
Würge an meinem Zorn. Wie kann Joseph zulassen, dass sich dieser Mann und ich denselben Raum teilen?
Ich spare mir das Anprosten, kippe den Whiskey hinter.
Wäre doch gelacht, wenn ich vor diesem Drecksack kuschen würde.
Was sieht er mich so an?
Er sieht immer noch so, während ich mir hustend auf die Brust schlage und nach Atem ringe.
Schlechte Idee, den Whiskey wie Wasser trinken zu wollen.
Bin zu sehr mit Luftschnappen beschäftigt, um mich zu schämen.
Hao Jun wartet seelenruhig ab, bis ich mich ausgekeucht habe.
»Nimm bitte Platz.« Er weist zu dem Sofa ihm gegenüber.
Joseph setzt sich, nimmt meine Hand und zieht mich neben sich.
»Du hast dich damals in Zimmer drei gut gehalten.«
Was lächelt der Kerl so freundlich? Es gibt nichts zu lächeln!
»Dennoch sehe ich dir an, dass dich das Erlebte nach wie vor gefangen hält.«
Will das Glas nach ihm schmeißen.
»Gibt es etwas, mit dem ich dir die Situation erleichtern kann?«
»Ja. Gehen Sie raus und kommen Sie nicht wieder rein.«
Joseph räuspert sich, Hao Jun lacht.
»Das war kein Witz.« Überlebe ich die nächsten Minuten, wenn einem Triadenfürsten wegen mir Whiskey von der Nase tropft?
Joseph stößt mich mit dem Ellbogen an.
Was ist? Soll ich den Mund halten? In der Welt, aus der ich komme, ist ein Mann wie Hao Jun nichts anderes als ein Verbrecher. Das ist jeder, der Drogen und Kinder verkauft und ungehorsamen Angestellten die Hände abhackt.
In Kowloon ist er ein König. Die Leute kuschen vor ihm. Selbst Joseph.
Es kotzt mich an.
»Dein Opfer war notwendig«, erklärt mir Hao Jun widerlich geduldig. »Aufgrund deiner Jugend kannst du es nicht begreifen, doch jeder in Kowloon, der sich an die Blockade vor elf Jahren erinnert, weiß, dass dein Leid ein geringer Preis für die Freiheit war.«
Sein ernster Blick. Das Bedauern in der Stimme.
Na und? Mit der Tour kriegt er mich nicht weich.
»Ich will noch einen Whiskey.« Der Kerl soll merken, dass ein Mann vor ihm sitzt.
Ohne mit der Wimper zu zucken steht er auf und gießt mir nach.
Dieses Mal huste ich etwas weniger.
»Zwei Millionen Menschen starben auf dieser Halbinsel. Nur weil die Grenzen geschlossen wurden. Der Schandfleck des Verwaltungsbezirks sollte ausgehungert werden.«
Ich will ihm nicht zuhören.
»Sprich mit Joseph über diese Zeit. Danach fällt dir dein Opfer leichter.«
Scheiße.
»Reden Sie ihm kein schlechtes Gewissen ein.« Joseph spricht ruhig und freundlich, dennoch liegt da noch etwas anderes in seiner Stimme. Etwas Hartes, Entschiedenes. »Deans Anwesenheit in Kowloon beruht auf einem unglücklichen Zufall. Er hätte niemals in unsere Konflikte hineingezogen werden dürfen.«
»Er ist es aber, sonst säße ich nicht hier, um seinen Vertrag zu bezeugen.«
Mir wird warm. Und irgendwie komisch. Ich hätte den Whiskey langsamer trinken sollen.
»Ob es ihm gefällt oder nicht, Kowloon beansprucht ihn für sich und wird ihn nicht mehr hergeben.«
Das letzte Mal, als ich mich so diesig fühlte, lag ich in Liams Armen und Joseph hat mir einen geblasen.
Mann, war das geil gewesen.
Hao Jun beugt sich nach vorn. »Nachdem du den Grund für mein Handeln aus meinem Mund vernommen hast, kannst du meine Anwesenheit als dein Zeuge hoffentlich ertragen.«
Ich würde mich liebend gern bei Joseph revanchieren. Sein Schwanz duftet bestimmt noch viel besser als der Rest von ihm.
»Dean?«
»Ja, kann ich.« Um was ging es? »Aber vorher will ich ein Phönix-Tattoo. Und zwar schneller als in einem Jahr oder so.«
Hao Jun lächelt schon wieder so seltsam.
Mir egal. »Meister Hiato sagte, Sie könnten Liam einen Hautregenerator besorgen.« Stoße Joseph an. »Hat er doch gesagt, oder?«
Sein Lächeln gehört mir, auch wenn er mich dabei nicht ansieht.
Ich mag es. Es ist irgendwie sexy und ganz anders als die Grimasse von dem Kerl vor mir.
»Du möchtest ein Tattoo?«, fragt eben jener Kerl.
»Ja, will ich.« Ich muss aufstoßen. Es schmeckt scheußlich. »So ein cooles wie Josephs, aber eben keinen Samurai, sondern …«
»… einen Phönix. Das sagtest du gerade.«
»Genau.« Wenn mich Kowloon haben will, kriegt es mich auch. Doch nicht als gestörten Teenager mit Identitätsproblemen, sondern als Kerl mit nacktem Oberkörper, der durch die Straßen stolziert und jedem, der ihm dumm kommt, die Kippe vor die Füße schnippt.
Wie die Männer an Pier sieben. Damals im Hafen von Hongkong Island. Die haben sich einen Dreck um die Sicherheitsvorkehrungen geschert.
Der Phönix-Mann. Er war einer von ihnen. Einen ganzen Zacken breiter als Joseph, aber dieselbe Arroganz im Lächeln.
Ich muss trainieren. Ich brauche Muskeln.
Und ich muss mir das Rauchen angewöhnen.
»Darüber lässt sich reden.« Hao Jun nippt an seinem Glas. »Mithilfe eines Regenerators ist dein Rücken in wenigen Wochen wieder wie neu.«
Finde ich gut.
»Ist dir bewusst, dass deine bloße Anwesenheit dieses Etablissement adelt?«
Endlich verschwindet dieses Lächeln aus seinem Gesicht.
»Die Menschen in den Straßen Mongkoks feiern dich als Helden und genau das lässt dich zu einem Dorn im Auge von Sun Haidong werden.«
Hebe das Glas. »Auf Lieblingsfeind Nummer zwei. Möge er an was ganz Ekligem krep…« Nein. Mir ist egal, was er macht. Er soll nichts mehr mit meinem Leben zu tun haben und Kowloon in Ruhe lassen.
»Mr. Gage hat von ihm den Auftrag erhalten, dich für seinen neu eingerichteten Klub anzuwerben, und zwar unter allen Umständen.«
Sun Haidongs Klub oder der von Gage?
»Er hofft, deine Glorie zu zerstören, indem er dich von seinen Gästen wie einen gewöhnlichen Shiva durchficken lässt.«
In meinem Kopf rauscht es.
»Wenn du dir für deine Zukunft etwas anderes wünschst, als zu einem zuckenden Haufen Fleisch gespielt zu werden, gehst du mit Joseph diesen Vertrag ein.«
Doch, Sun Haidong soll an was Ekligem krepieren.
»Ist das wahr?«, fragt Joseph in diesem dunklen, leisen Tonfall, der mir jedes Mal Schauder über den Rücken jagt.
»Sun Haidong mag auf der anderen Seite der Meerenge aufgewachsen sein, doch er ist ein kluger Mann. Ebenso wie ich. Und ich würde Dean für exakt diesen Zweck besitzen wollen. Es geht darum, ein Exempel zu statuieren. Außerdem ist das Angebot, den Jungen aus Zimmer drei bespielen zu können, eine hervorragende Werbekampagne für seinen Klub.«
Mir ist schwindelig.
»Er wird vor nichts zurückschrecken, um zu bekommen, was er will.«
Joseph steht auf, holt ein Kästchen aus dem Regal. »Zieh dein Shirt aus, Dean.«
Anscheinend ist meine Meinung in dieser Sache nicht mehr gefragt.
Da steckt jede Menge Angst in mir. Aber sie kommt nicht durch. Vielleicht liegt es an dem Glas in meiner Hand. Der Ärmel will nicht drüber wegrutschen.
Joseph nimmt es mir ab.
»Danke.« Jetzt geht es leichter.
»Die Bedingungen sind, dass du deine Dienste als Shiva ausschließlich Liam und mir zur Verfügung stellen wirst. Dein Tabu ist jeder andere Gast und ich werde dafür sorgen, dass es eingehalten wird.«
»Und was ist, wenn ich mit einem meiner Kollegen poppen will?« Mit Juen zum Beispiel.
Kommt lässig, wie Joseph mit der Braue zuckt.
»Was du in deiner Freizeit machst, ist deine Sache.«
Klingt fair.
Joseph hebt meinen Arm an. »Es brennt«, flüstert er mir zu. »Hüte dich, einen Mucks von dir zu geben.«
Ich bin ein Held. Der Held von Kowloon. So ein Schablonen-Tattoo kann mich nicht schrecken.
Er presst mir das Ding wie einen Stempel auf die zarte Stelle unter der Achsel. Es gibt einen leisen Signalton von sich. Keine Ahnung, wie viele Nadeln sich gleichzeitig in meine Haut bohren, aber es sind viele. Schnappe nach Luft, presse die Lippen zusammen. Tief atmen. Korrekt durch die Nase.
Mir bricht der Schweiß aus.
Joseph zählt leise bis zehn, bevor er das Ding wieder von mir abnimmt.
So müssen sich Kühe fühlen, wenn sie gebrandmarkt werden.
»Geht’s?«, fragt er ebenso leise.
»Klar.« Kacke, hat das wehgetan!
Joseph zieht mich hoch, schiebt mich vor den Spiegel. »Gefällt er dir?«
Einen Augenblick sehe ich nur verschwommen.
Ein kleiner sitzender Mönch, der eine Bettelschale vor sich hält.
Niedlich.
»Lass den Arm oben.« Er schmiert den Mönch mit Salbe voll, pappt ein durchsichtiges Pflaster drauf. »Fertig.«
»Das war’s?«
»Willst du mehr?« Er zwinkert, räumt die Salbe und die Schablone zurück ins Regal.
»Ich informiere die anderen Klubbesitzer, dass der Junge aus Zimmer drei offiziell ein Shiva des Begging Monk ist.« Hao Jun erhebt sich, als hätte er es plötzlich eilig. »Auch seine Sonderstellung werde ich bekannt geben, sonst bilden sich morgen Schlangen vor dem Monk.« Beim Vorbeigehen nimmt er mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger.
In mir zuckt alles zusammen.
»Wie gesagt, eine Menge Leute würden sich darum reißen, dich bespielen zu dürfen.«
Der Zug ist gerade abgefahren.
»Ich gratuliere dir zu deinem neuen Status.« Er lässt mich los, wendet sich zu Joseph. »Ich hoffe, Juen hat sich erholt und ist bereit für die zweite Runde. Ich habe vor, heute Nacht noch sehr viel Zeit mit ihm zu verbringen.« Er nickt uns beiden zu, verlässt das Appartement.
Joseph lehnt sich gegen die Tür. »Dean, du bist betrunken.«
Fürchte ich auch.
Seufzend fährt er sich durch die Haare. »Für das nächste Mal: Reiß dich in seiner Anwesenheit zusammen. Deine Respektlosigkeit fällt auf mich zurück.«
»Er saß in deinem Sessel.« Das geht gar nicht.
»Ja, das hat mich auch angepisst.«
Das Hemd verdeckt seine Hüftknochen.
Ich knöpfe es auf, streiche es zurück.
Da sind sie. Hervorstehend, wahnsinnig männlich.
So wie das Six-Pack, die Drachengürtelschnalle, sein bestes Stück, das sich deutlich unter dem Stoff abzeichnet.
»Alles an dir ist so sexy.« Sogar der Bauchnabel.
Tippe mit der Fingerkuppe hinein.
Joseph sieht mich an, auf diese spezielle Art.
Zum ersten Mal habe ich keine Angst davor.
Er stellt sich breitbeiniger hin, schiebt die Füße weiter nach vorn.
Sein Blick schickt mich auf die Knie.
Kein Problem.
Die Gürtelschnalle klirrt. Das leise Ploppen der Jeansknöpfe unter meinen Fingern, Josephs Atmen.
Als würde ich alles doppelt deutlich hören.
Halbsteif kommt mir sein Schwanz entgegen, kaum dass ich ihm Platz geschafft habe.
Schmiege mein Gesicht dagegen, verteile Josephs Duft auf meinen Wangen, meiner Nase, meinem Mund.
Ich bin süchtig danach.
Streiche seine Oberschenkel hinauf, spüre seine Muskeln unter den Händen. Höher, bis zu den Backen. Greife hinein, massiere sie.
Josephs leises Seufzen, sein Schaft, der härter gegen mein Gesicht drückt.
Ich lecke ihn. Von oben bis unten und wieder zurück.
Ich will reinbeißen. Mache ich auch.
Joseph zuckt zusammen, stößt ein Zischen aus.
Zu fest? Es hat sich genau richtig zwischen meinen Zähnen angefühlt. Noch einmal. Von oben nach unten. Knurre beim Beißen.
Es fühlt sich so gut an. Alles.
Joseph wird härter, atmet lauter.
Ihm gefällt es.
Mir auch.
Sauge, beiße, lecke so viel Lust in mich. Es kribbelt und pulsiert überall in mir. Bin wie im Rausch. Hat nicht das Geringste mit dem Whiskey zu tun.
Da ist etwas Zartes.
Joseph keucht, legt mir die Hände auf die Schultern.
Seine Spitze. Samtig und prall.
Hier ganz sanft. Kein Beißen. Höchstens ein bisschen knabbern.
Nein. Nur lecken und behutsam saugen.
Meine Zungenspitze ist neugierig. Das kleine Loch, die Fältchen am Rand der Spitze. Ich erforsche alles so gründlich, bis Joseph steinhart ist.
Ich liebe es, ihn zu verwöhnen. Es macht mich glücklich. Mehr als ich denken kann.
Hingabe. Das Wort spukt mir zusammen mit Juens und Hiatos Gesichtern durch den Kopf.
Bestehe plötzlich nur noch aus Zunge, Mund, Nase und diesem Wahnsinnsgefühl in mir. Tauche Joseph von oben bis unten hinein.
Er stöhnt auf. Seine Finger krallen sich in meine Schultern.
Schmecke seinen Lusttropfen, spüre das Zittern seiner Beine.
Er keucht immer lauter, stöhnt meinen Namen.
Noch ein bisschen. Es ist zu schön, um aufzuhören.
Massiere so sanft ich es aushalte seine Hoden, verwöhne seine Spitze behutsamer, als ich jemals irgendetwas verwöhnt habe.
Dass sich seine Finger immer stärker in meine Schultern bohren, stört mich nicht.
Das Grobe bringt ihn zum Glühen, das Sanfte gibt ihm den Rest.
Muss ich mir merken.
Habe noch nie mit einem Schwanz im Mund gelächelt.
Aus dem Stöhnen wird ein Wimmern, wird hilfloser, je zärtlicher ich ihn liebkose.
Gleich ist es so weit.
Spüre das Zucken, nehme seinen Schaft so tief, wie ich kann.
Joseph stößt einen Laut aus, der Echos in mir wirft. Alles in mir flirrt, schwebt, taumelt, während es mir in den Rachen spritzt.
Schlucke automatisch.
Ich will ihn schmecken. Mit der Zunge, in Ruhe.
Sauge den letzten Rest aus ihm, koste ihn ausgiebig, bevor ich seine Spitze aus meinen Lippen gleiten lasse.
– Joseph –
Rutsche an der Tür hinab. Vor meinen Augen blitzen Sterne. Habe das Gefühl, mein Herzschlag lässt die Wände beben.
Dean setzt sich auf meinen Schoß, küsst mich ebenso verstandesraubend zärtlich, wie er mich gequält hat. »Habe ich dich glücklich gemacht?« Er beißt sich auf die Lippe, grinst.
»Den Spruch hast du von Juen.« Auch den lasziv-naiven Lippenbiss.
Sein Grinsen wird breiter. »Sag schon.«
»Ja, hast du. So sehr, dass ich nicht mehr in der Lage bin, mich zu revanchieren.«
»Musst du nicht.« Er presst sich gegen mich. Seine Erektion drückt mir hart und heiß an den Bauch. »Ich fand es wundervoll.« Er schmiegt sein Gesicht an meinen Hals, seufzt. »Aber ich weiß nicht, wie ich mit dem Ständer einschlafen soll.«
»Mach es dir hier, auf meinem Schoß.« Ich werde diesen Anblick genießen. »Aber beeil dich. Wir sollten Liam nicht zu lange allein lassen.« Deans Liebkosungen haben die Sorgen um ihn ferngehalten, doch sie warten darauf, erneut über mich herzufallen.
»Du willst zusehen, wie ich mir einen runterhole?«
Seine ohnehin erhitzten Wangen werden noch einen Hauch dunkler.
»Ich werde dir in Zukunft bei vielen Dingen zusehen. Zum Beispiel, wenn sich Liam in dich schiebt und sich dein Blick vor lustvollem Schmerz weitet.«
Seine Pupillen wachsen nur wegen meiner Worte ins Unendliche.
Er greift sich in die Shorts, beginnt sich heftig zu reiben. Nach wenigen Augenblicken sinkt er gegen mich.
Spüre seine Erregung wie ein Gewitter in der Luft.
Er liebkost meinen Hals, saugt an ihm. Sein lusterfülltes Stöhnen bringt den Nachhall meines eigenen Rausches erneut zum Schwingen.
Tauche in den Moment. Er ist übervoll mit Nähe und Vertrauen.
Deans schlanker Körper wird von einem Beben erfasst, Hitze spritzt mir auf den Bauch.
Seine Lippen lösen sich von meinem Hals, finden meinen Mund. Ein sanfter Kuss. Atemlos und köstlich.
Eine Weile lassen wir unsere Zungen miteinander spielen, bevor Dean auch das beendet.
»Ich habe dir einen fetten Knutschfleck verpasst.« Er rümpft die Nase. Ein paar Sommersprossen verschwinden dabei. »Ich hoffe, das ist kein Problem für dich.«
»Du bist mein Shiva und drückst mir dein Zeichen auf?« Es fällt mir schwer, ernst zu bleiben. »Ich werde deiner Dreistigkeit Zügel anlegen müssen.«
»Hättest du es nicht gewollt, hättest du mich daran hindern können.« Er will von meinem Schoß rutschen.
Ich halte ihn fest. »Ich habe es geliebt.« Sacht dirigiere ich seinen Kopf zu den Schlieren auf meinen Bauch. »Und ich liebe es noch mehr, wenn du deine Sauerei auch wieder beseitigst.«
Seine Augen leuchten, bevor sie hinter seinen Locken verschwinden.
Konzentriere mich auf die Wärme seiner Zunge, genieße das Saugen, die zarten Bisse, die er mir zumutet.
Als hätte es die Nacht in Zimmer drei niemals gegeben.
»Ich bin glücklich«, wispert er gegen meine Haut. »Hierbei, mit dir.« Er setzt sich auf, fährt mir durch die Haare. »Aber jetzt lass mich zurück zu Liam gehen.«
»Du willst seinen Schlaf bewachen.« Ich wünschte, ich könnte es auch, doch die Nacht ist für mich erst vorbei, wenn Hao Jun sein Spiel mit Juen beendet hat.
Dean nickt, gibt mir die Hand.
Wir ziehen uns gegenseitig auf die Beine.
Liam schläft so tief, dass er nicht bemerkt, wie sich Dean neben ihn legt.
Sein Gesicht ist eingefallen und grau, doch sein Atem geht ruhig.
Er muss etwas genommen haben. Stärker als den obligatorischen Whiskey. Etwas, das ihn durchhalten lässt, aber statt ihm zu helfen hat es ihn vollkommen erschöpft.
Es war bloß eine Frage der Zeit, bis er Kowloon nicht mehr ohne Hilfe erträgt. Er hat längst seine Grenzen erreicht. Sein Körper erzählt mir davon, die Resignation, die sich immer öfter in den eisblauen Augen zeigt, ebenso.
Ich sollte ihn gehenlassen. Das würde ihn retten.
Der Gedanke schneidet Stücke aus mir.
Ich liebe dich.
Diese raue, brüchige Stimme. Wie konnten die Worte dermaßen zärtlich klingen?
Mein Herz will sich um sie schmiegen, sie wie eine Kostbarkeit bewahren.
Ich presse mir die Hand auf die Brust, verbiete es ihm.
»Joseph? Alles klar?«
Nein, doch das geht ihn nichts an.
Verlasse das Appartement, flüchte mich in die Welt aus Schmerz und Begierde, Geld und nichtssagender Gespräche.
Abraham kommt mir entgegen, bevor ich den Bartresen erreiche.
»Hao Juns Ex-Security musste ich doch noch vor die Tür setzen. Kaum waren Sie wieder oben, hat der sich zum zweiten Mal mit einem seinen ehemaligen Kumpel angelegt.«
Diesen lästigen Vorfall hatte ich beinahe vergessen. Er lockte mich von Liam fort. Zum Glück hat sich Dean gut um ihn gekümmert.
»Kun hat erzählt, der Kerl hätte letzte Nacht Juen bespielt und da wäre sein Verhalten auch schon auffällig gewesen.«
»Der Mann hat hier nichts mehr zu suchen.« Ich werde Steve über das Hausverbot informieren. Außerdem soll er in Zukunft die Reservierungen für Juen gründlicher checken.