Epilog
– Liam –
Deans Hand hängt schlaff vor meiner Nase. Der dazugehörende Arm verschwindet oberhalb meines Sichtfeldes.
In dem Sessel neben dem Bett sitzt Joseph. Das Kinn auf der Brust, die Lider geschlossen. Die Augenschatten leuchten in dem blassen Gesicht.
Auf seinem Schenkel liegt eine Tasse. Dem dunklen Fleck auf der Jeans nach war Kaffee drin.
Der Anblick ist mir seltsam vertraut. Auch die leisen Schnarchgeräusche hinter mir.
Sehe etwas verschwommen. Kann an den brüllenden Kopfschmerzen liegen. Mir ist flau, als hätte ich einen ausgewachsenen Kater.
Wasserflaschen, zwei Thermoskannen, Tassen, der Geruch nach Schweiß, starkem Kaffee und Gemüsebrühe, eine Schüssel mit Handtuch über dem Rand. Es tropft auf den Fußboden.
Ein Krankenlager.
Meines?
Versuche mich zu erinnern. Die Gedanken schleppen sich wie Greise in meinem Gehirn hin und her. Weiß nicht, ob es Erinnerungen oder Träume sind.
Deans besorgte Miene, ganz nah vor mir. Er schiebt mir einen Löffel in den Mund. Die Suppe ist zu heiß.
Daher das pelzige Gefühl auf der Zungenspitze.
Er hält mir ein Glas an die Lippen, sagt, ich soll brav sein und schlucken.
Rinnsale schlängeln sich durch mein Brusthaar.
Joseph, der mir befiehlt, zu atmen. Immer wieder.
Er klingt so furchtbar verzweifelt.
Es fühlt sich nicht nach Traum an.
Warum zum Teufel …
Das Morphin. Es sollte mich ausknocken.
Es war zu viel. Ich wusste es, noch bevor mich Joseph auf den Dach fand.
Scheiße, ich lebe noch!
Fahre hoch, sehe Sterne.
Ich bin nackt?
Was machen die Handtücher unter mir?
Ich will’s nicht wissen.
Deans Arm rutscht von mir, Joseph zuckt zusammen. Die Tasse fällt, schlägt auf, der Henkel liegt daneben.
»Liam!« Er starrt mich an, als wäre ich ein Geist. »Ganz langsam, legt dich wieder hin.« Er springt zu mir, drückt mich zurück ins Kissen.
»Liam?« Deans blaue Augen inmitten der Flut blonder Locken. Direkt über meinem Kopf. »Wie viele Finger zählst du?«
Drei. »Du bist ein Rauschgoldengel.« So wunderschön.
Warum beißt er sich verzweifelt auf die Lippen?
»Joseph, das wird nichts mehr mit ihm. Das Zeug hat irgendetwas Gruseliges mit seinem Gehirn gemacht.« Seine Augen beginnen zu glitzern. Von den langen Wimpern löst sich ein Tropfen, zerplatzt auf meiner Nase.
»Drei!« Verdammt, ich wollte ihn nicht erschrecken. »Es sind drei. Drei Finger, okay? Und du bist Dean Fitzgerald. Der niedliche Kerl aus den Südstaaten.«
Das zischende Geräusch scheint Josephs Atem zu sein.
»Er ist wieder da. Keine Angst.« Joseph hebt meinen Kopf an, klemmt mir ein zweites Kissen in den Nacken. »Trink.« Er hält mir ein Glas hin. »Bis es leer ist.«
Ich habe so einen Brand, es schluckt sich von allein.
»Dean, hole noch etwas zu essen für ihn.«
Der Junge springt aus dem Bett, rennt barfuß aus dem Appartement.
»Du hast aufgehört zu atmen«, sagt Joseph leise, nachdem die Tür zugefallen ist. »Dein Herz schlug. Langsam, aber es schlug. Doch dein Atem setzte immer wieder aus.«
»Du hast mich angebrüllt.«
»Ich habe dich sogar geschlagen.« Er wendet sich für einen Moment ab, fährt sich über die Augen. Als er mich wieder ansieht, gleicht sein Gesicht einer Maske. »Ich weiß, weshalb du das alles getan hast. Nim hat es mir gezeigt.«
»Nein.« Das darf er nicht getan haben. Alles, aber das nicht.
»Du hättest es mir sagen müssen.«
Es ist leichter, die Augen zu schließen, als den Schmerz in Josephs sehen zu müssen.
»Liam, wie soll ich dich beschützen, wenn du mir nicht vertraust?«
»Ich vertraue dir.« Nehme seine Hand, halte sie so fest ich kann. »Aber ich musste verhindern, dass dich Gage durch mich quält, und das hätte er getan.« Ich weiß genau, von was ich rede.
»Liam, ich …«
Lege ihm den Finger auf die Lippen. »Er ist wahnsinnig, Joseph. Ich würde alles tun, um dich und Dean vor ihm zu retten.«
Er senkt die Lider, dreht seinen Kopf zur Seite.
Mein Finger gleitet von seinen Lippen.
»Ich weiß, dass er wahnsinnig ist.«
Verstehe ihn kaum, so leise spricht er.
»Er und ich, wir haben ein Abkommen getroffen.«
»Du darfst dich nicht mit ihm einlassen!« Packe ihn an den Schultern, zwinge ihn, mich anzusehen. »Niemals!« Wir müssen ihn loswerden. Spontan fallen mir ein paar verlässliche Methoden ein.
Dazu muss ich verdrängen, dass ich ein Arzt bin.
»Es ist alles gut.« Sanft befreit er sich aus meinem Griff. »Es geht ihm nur um Geld.« Sein Lächeln ist so wundervoll lässig und arrogant.
Warum glaube ich es ihm nicht?
»Er arbeitet in Sun Haidongs Auftrag und hat das Budget gesprengt. Sun Haidong hält ihn an einer kurzen Leine und Nim fürchtet um sein Leben, wenn er an den Details spart.«
»Wie viel?«
»Sehr viel.« Ein bitterer Zug breitet sich um seinen Mund aus. »Noch ein bisschen mehr und es wäre der Ruin für das Monk.«
»Streich meine Honorare.« Ich habe genug bei ihm verdient. Das reicht bis zu meinem Lebensende.
»Ich werde es kürzen.« Er greift zu einer der Thermoskannen, hebt die Tasse vom Boden und füllt sie mit Kaffee.
Es dampft, duftet.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Beachtlich, eben war er noch staubtrocken.
»Hier, den hast du sicherlich vermisst.«
»Worauf du wetten kannst.« Mit jedem geschlürften Schluck rüttele ich an meinen Lebensgeistern.
»Entschuldige mich, ich muss mich um die Reservierungen kümmern. Ich habe sie seit drei Tagen schleifen lassen.«
»Drei Tage? Wie seid ihr ohne mich klargekommen?« Vor meinem inneren Auge schleppen sich blutüberströmte, da mit unversorgten Wunden übersäte Shivas durch die Gänge.
»Ich habe die Oase geschlossen. Was sonst?«
Der Satz: Dass ich das noch erleben darf , streift meinen Verstand nur von fern.
»Mach dir keine falschen Hoffnungen. Sobald du wieder arbeitsfähig bist, geht der Betrieb weiter.« Er tauscht die Tasse mit einem Glas Wasser. »Juen ist unausgeglichen wie noch nie und reitet permanent auf unser aller Nerven herum.« Er zwinkert zu ernst.
Was ist mit ihm los?
»Ich komme später wieder. Schlaf noch ein wenig.« Er will aufstehen.
Ich nehme sein Handgelenk, halte es fest. »Eines noch. Ich wollte es dir schon auf dem Dach sagen, aber da habe ich wohl irgendwann den Faden verloren.«
»Es ist alles gesagt, Liam. Ruh dich aus.«
»Nein, ist es nicht.« Für einen Moment tauche ich in die Wärme seines Blickes. »Ich gehöre dir.« Mit jeder Silbe wird mein Herz leichter. »Dir allein.« Ihm gehören so viele Menschen. Ich bin einer von ihnen. Ist keine große Sache. Nur das, was ich will. »Du hattest mich vom ersten Moment. Wusstest du das nicht?«
Seine Pupillen verdrängen das Braun der Iriden.
Ich genieße das Erstaunen darin, diese uferlose Zärtlichkeit.
»Liam.« Er neigt sich zu mir, küsst mir meinen Namen auf die Lippen. Zärtlich, unendlich sanft, als könnten sie zerbrechen.
Ich vergesse die Zeit. Was sind schon drei Tage in der Ewigkeit seines Kusses?
»Du kannst dir nicht vorstellen, was mir deine Worte bedeuten.«
Ich liebe es, wenn sein Atem meinen Mund streichelt.
»Schwöre mir, dass es so bleibt. Gleichgültig, was geschieht.«
»Bei welchem Gott darf es denn sein?« Der Moment auf dem Dach. Als wäre er nie geschehen.
»Bei deinem.« Er sieht auf meine Finger, die sein Gelenk nach wie vor umschließen. »Schwöre es bei deinem und halte dich daran.«
»Joseph?« Dean stößt die Tür auf, balanciert ein Tablett zum Tisch. »Hao Jun wartet unten auf dich. Er sagt, ihr hättet eine Verabredung.«
Als würde sich eine Maske vor Josephs Gesicht schieben. »Ist gut, ich komme.« Er steht auf, neigt sich zu mir hinab. »Schwöre es«, flüstert er und greift mir in den Nacken. »Bitte.«
»Ich schwöre es dir bei allem, was mir heilig ist.« Es befindet sich in diesem Zimmer.
Er richtet sich auf, strafft die Schultern. »Warte nicht auf mich. Es wird spät werden.«