18. April 2021
England, Schloss Windsor
Terry Pendry hielt Elizabeth' Lieblingspferd am Zügel.
»Guten Morgen, Eure Majestät. Emma ist bereit.«
Elizabeth zog die Enden ihres Seidentuchs fest.
»Danke, Terry. Heute ist ein herrlich milder Tag, nicht wahr?«
»Perfekte Voraussetzungen, um auszureiten, Ma'am. Der Tag könnte nicht schöner sein«, erwiderte der Gestütsleiter aufmunternd.
Seit langer Zeit war es das erste Mal, dass sie einen Ausritt im Windsor Great Park wagte. Sie war eine routinierte Reiterin, doch in letzter Zeit schmerzte ihr Rücken, weshalb sie kürzergetreten war.
Elizabeth wandte sich dem Pferd zu und sprach ihm gut zu. »Dann wollen wir mal, nicht wahr, Emma?«
Ein Leben ohne Pferde konnte sie sich nicht vorstellen; sie ritt, seit sie drei war. Allerdings war es in ihrem Alter wichtig, ein Pferd zu reiten, das sicher im Tritt war.
Elizabeth ließ von Emma ab und nickte Terry auffordernd zu.
Emma stand mucksmäuschenstill, als Elizabeth sich nach oben zog und die Füße in die Steigbügel schob.
Die Königin nickte Terry Pendry noch einmal zu und schnalzte. Augenblicklich setzte Emma sich in Bewegung.
Wie immer ging Elizabeth mit der Bewegung des Tieres mit und spürte, wie ein Gefühl der Lebendigkeit ihren Körper durchströmte. Der Wind streichelte ihr Gesicht. Elizabeth fühlte sich frei und beschwingt, geradezu alterslos. So hatte sie schon lange nicht mehr empfunden.
Sie ließ den Blick schweifen, auf die Bäume ringsum, die Wiesen und den Himmel. Alle Sorgen ließ sie los.
Sie war noch nicht weit gekommen, da fiel ihr ein, dass sie die Papiertüte mit der Karotte vergessen hatte. Nach dem Reiten wartete Emma immer auf ihre Belohnung. An dieses Ritual war sie gewöhnt.
Der aufflammende Ärger über sich selbst verklang. Von einer Karotte würde sie sich den Ausritt nicht verderben lassen.
Sie zog die Zügel an, um Emma zu bedeuten, langsamer zu werden, doch stattdessen verfiel die Stute in Galopp und wurde immer schneller.
»Emma …«
Elizabeth fuhr hoch. Von fern glaubte sie leises Wiehern zu hören, doch dann realisierte sie, dass es Vogelzwitschern war. Das Trillern und Zirpen der Vögel drang durch das geöffnete Fenster in ihr Schlafzimmer und mischte sich mit dem Pochen ihres Herzens.
Erleichtert ließ sie den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Sie war aus einem Traum aufgeschreckt.
Sie sah auf die Uhr. 5.16 Uhr. Verschlafen kniff sie die Augen zusammen und drehte sich auf die andere Seite. Sie konnte noch weiterschlafen.
Den Geräuschen der Vögel lauschend, folgte sie ihrem Atem, drehte sich auf den Rücken und schob das Kissen zur Seite. Die Müdigkeit ließ sie gähnen, doch ihre Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen.
Sie sah Philip als jungen Mann vor sich, kurz darauf in seinen Vierzigern, danach mit Anfang sechzig. Schließlich sah sie ihn an seinem letzten Tag.
Das Gefühl der Trauer strömte durch ihren Körper.
»Philip«, murmelte sie in die Dunkelheit.
Sie vermisste ihn furchtbar. Duke of Hazard – Herzog des Risikos – hatten die Briten ihn liebevoll genannt. Sein Humor war der perfekte Gegenpart zu ihrer disziplinierten Sachlichkeit gewesen.
Viele, die ihr nahegestanden hatten, lebten nicht mehr. Es wurde jedes Jahr stiller um sie.
Elizabeth konnte kaum glauben, dass ausgerechnet gestern, am Tag von Philips Beerdigung, Sir Michael Oswald verstorben war. Er hatte achtundzwanzig Jahre lang The Royal Stud, das königliche Gestüt auf dem Sandringham-Anwesen, geleitet und war schon der Rennberater ihrer Mutter gewesen – einer der nettesten und charmantesten Männer, die sie kannte. Selbst in seinen Achtzigern war er ein Mann mit enorm viel Energie gewesen.
Elizabeth wandte den Kopf. Die Zeiger des Weckers bewegten sich kaum weiter. Ihren Twinings English Breakfast-Tee mit Milch und ihre geliebten Marie Biscuits bekäme sie erst in gut zwei Stunden ans Bett gebracht.
Danach wartete ein Bad auf sie und gegen 9 das Frühstück.
Sie überlegte, ob sie heute Haferflocken mit getrockneten Aprikosen und Macadamianüssen nehmen sollte oder ein gekochtes Ei und Toast mit Marmelade.
In letzter Zeit hatten Philip und sie nach dem Frühstück BBC 4 gehört, doch Elizabeth scheute sich, das Ritual ohne ihn aufrechtzuerhalten.
Das Zwitschern der Vögel wurde lauter.
Sie dachte an die Aufgaben, die auf sie warteten. Die Arbeit half ihr, mit der Trauer umzugehen. Ohne Termine … wer war sie da?
Sie knipste das Licht an und nahm das Foto ihres Mannes vom Nachttisch. Es war eins der letzten, die es von ihm gab. Sie selbst hatte den wachen Ausdruck in seinen Augen festgehalten. Bis zuletzt hatte Philip interessiert, oft auch ungeduldig auf die Welt geblickt. Er hatte sich nie zurückgelehnt, um andere machen zu lassen. Desinteresse war nicht seine Sache gewesen.
»Wenn du und ich nicht mit gutem Beispiel vorangehen und etwas in Bewegung setzen, wer dann?«
Langsam ebbte der Schmerz ab, den sie jeden Morgen empfand, wenn ihr klarwurde, dass Philip nicht mehr da war. Elizabeth war niemand, der rückwärtsgewandt lebte. Lieber konzentrierte sie sich auf die vielbeschworene Gegenwart und die Zukunft.
Seit Philips Tod jedoch suchten sie ungewohnte Gedanken an die Vergangenheit heim. Sein Verlust gab ihr das Gefühl, einen Teil ihrer selbst verloren zu haben. Als sei sie nicht mehr vollständig. Und plötzlich schien es, als habe man nur noch die Erinnerungen mit diesem Menschen …
Ihre Stylistin Angela Kelly hatte sie nach der Beerdigung mit einem Blick, als wolle sie sie tröstend umarmen, in Windsor erwartet. Sie hatte diskret geschwiegen, während sie Elizabeth aus dem Mantel geholfen und sich ihres Huts angenommen hatte. Angela hatte geahnt, wie es ihr ging, und gewusst, dass Schweigen in dieser Situation das Beste war.
Ohne Mantel, Hut und Tasche hatte Elizabeth sich kurz darauf ins Wohnzimmer zurückgezogen. Sie hatte kaum das Geräusch der sich schließenden Tür wahrgenommen, froh, mit ihren Gedanken und Gefühlen allein zu sein. Die Polster hatten nachgegeben, als sie in die Couch gerutscht war. So hatte sie dagesessen, die Hände gefaltet, untröstlich wegen des Verlusts, der ihr widerfahren war.
Trauer war etwas ungemein Intimes. Niemand kam darum herum, sich dieser verstörenden Einsamkeit zu stellen. Und egal wie viele Familienmitglieder und Freunde einem blieben, die Einsamkeit nach dem Verlust des wichtigsten Menschen verließ einen nie ganz.
Elizabeth schob die Bettdecke bis unters Schlüsselbein.
Während der gestrigen Zeremonie hatte sie sich mit der Gewissheit getröstet, dass Philip immerhin friedlich eingeschlafen war.
»Ich widme mein Leben dir, Lilibet. Dir und der Krone. Du kannst auf mich zählen. Unter allen Umständen.«
»Und du auf mich«, hatte sie am Tag ihrer Verlobung erwidert. Sie hatte gespürt, wie nahe ihr diese Worte gingen, denn ihre Stimme hatte leicht gezittert.
Es hatte viele verbindende Situationen zwischen ihnen gegeben, aber auch viele schwierige. Sie hatten beide Fehler begangen.
Als sie Königin geworden war, hatte sie die Krone an erste Stelle gesetzt, um zu beweisen, dass sie das Zeug zu einer guten Monarchin hatte.
Als ihr schließlich klar geworden war, wie wenig sie für ihre Kinder Charles und Anne da gewesen war, hatte sie realisiert, dass niemand die Zeit zurückdrehen konnte. Auch sie nicht.
Bei den später Geborenen, Andrew und Edward, hatte sie gutzumachen versucht, was sie zuvor versäumt hatte.
Inzwischen hatten Charles und sie sich ausgesprochen und begegneten sich längst auf Augenhöhe. Wie sie selbst, arbeitete ihr Sohn unermüdlich für die Krone und war ihr eine wichtige Stütze. Und auch, wenn es ihr anfangs schwergefallen war, es zuzugeben, trug nicht zuletzt sein privates Glück dazu bei, dass sie einander wirklich nahegekommen waren.
Am Anfang ihrer Ehe hatte Elizabeth selbst erlebt, wie das Glück einen beflügeln konnte. Bei öffentlichen Auftritten hatten die Menschen ihr und Philip enthusiastisch zugejubelt. Offenbar hatten sie gespürt, dass sie einander von Herzen zugetan waren und aufeinander achtgaben. Dieses Glück hatte sie über Jahrzehnte befähigt, ihr Bestes für Großbritannien und den Commonwealth zu geben.
Elizabeth ließ ihre Gedanken ziehen und war gerade im Begriff aufzustehen, als sie plötzlich eine ungeheure Nähe zu Philip spürte. Es war, als läge seine Hand, tröstlich und warm, auf ihrer. Instinktiv hielt sie die Luft an und verharrte sitzend im Bett.
»Lilibet … Cabbage …«, hörte sie ihn wie von fern nach ihr rufen.
Unwillkürlich lächelte sie. Wie oft hatte Philip sie in den Anfangsjahren so gerufen, hatte sie geneckt, bis sie beide laut lachen mussten.
In ihrem Kopf wurde es wieder still, die Bilder rissen ab.
Sie schlug die Decke zur Seite, stellte das Foto zurück auf den Nachttisch und langte nach dem Wasserglas, um einen Schluck zu trinken. Im Bett zu bleiben, hatte keinen Sinn. Ihr blieb ohnehin nur noch eine kurze Zeitspanne auf Erden, was unerwartet tröstlich war.
Sie stellte das Glas wieder ab. Neben Philips Foto standen weitere Schnappschüsse in Silberrahmen. Unter anderem das Foto einer strahlend jungen Margaret neben ihrer Mutter, der Queen Mum.
Das Foto war zu Zeiten von Margarets heimlicher Liebe zu Peter Townsend aufgenommen worden. Nie war Margaret glücklicher gewesen als in jener Zeit.
Elizabeth tastete mit den Füßen nach ihren Pantoffeln.
Beim Anblick des Fotos empfand sie Glück und Traurigkeit. Damals hatte sie nicht ahnen können, dass Margarets Leben für immer vom Verzicht auf Peter überschattet sein würde.
Höhen und Tiefen, Freuden und Enttäuschungen gehörten zu jedem Leben. Doch die unmögliche Liebe ihrer Schwester war nicht nur für Margaret selbst, sondern auch für Elizabeth einschneidend gewesen. Wie schwer war es ihr damals gefallen, ihrer Rolle als Königin gerecht werden zu müssen.
Dass ihrer Schwester verwehrt geblieben war, was sie selbst so lange hatte genießen dürfen – ein gemeinsames Leben mit dem Mann, den sie liebte –, hatte Elizabeth selbst nach Margarets Tod noch bekümmert.
Auch in ihrer Ehe hatte es Auf und Abs gegeben, doch Philip und sie waren stets fest entschlossen gewesen, einander in allen Lebenslagen zu unterstützen.
Elizabeth zog den Morgenrock über. Von dem Zwitschern der Vögel abgesehen, herrschte im Zimmer wunderbare Stille. Auf ihren Stock gestützt, ging sie zum Fenster, öffnete es und sah in den Park hinaus.
Sie hatte jahrzehntelanges Training darin, ihren Gefühlen nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, doch es gab Empfindungen, die auch sie nur schwer unter Kontrolle brachte. Zum Beispiel die Gewissheit, dass es für nichts und niemanden ein Zurück gab.
Sie machte ein paar Schritte zur Kommode. In letzter Zeit hatte es kaum Tage gegeben, an denen sie nicht an Harry und William und das ehemals unzertrennbare Band zwischen den Brüdern gedacht hatte.
Seit er mit Meghan zusammen war, wirkte Charles' Jüngster bisweilen, als hätte er keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Elizabeth' ausgestreckte Hand, die sie Harry – symbolisch – immer wieder reichte, schien er nicht fassen zu können.
Bei dem Gang hinter Philips Sarg hatten William und Harry nicht, wie früher, auf die Kraft ihrer brüderlicher Liebe zählen können. Zwar waren sie dem Trauerzug zur St. George's Chapel in gleicher Reihe gefolgt, allerdings mit ihrem Cousin Peter Phillips, Annes Sohn, als eine Art Schutzwall zwischen sich. Das Manko ihrer Verbundenheit hatte die ganze Nation bezeugen können.
Harry schien aus der schützenden Hülle, die William und Kate lange Zeit für ihn gewesen waren, herausgefallen zu sein. Wie konnte sie ihm nur helfen?
»Ich hoffe, die beiden begraben ihren Zwist und gehen aufeinander zu. Die Zeit macht die Dinge nicht leichter. Zerstritten zu sein, hilft niemandem …«, hatte Philip noch kurz vor seinem Tod betrauert.
Geduld war nie seine Stärke gewesen. Philip hatte Dinge rasch gelöst und stets entschlossen nach einem Ausweg gesucht.
In Harrys und Williams Fall gab es jedoch keine schnelle Lösung. Philip hatte sich deshalb oft ohnmächtig gefühlt. Und nun hatte seine Beerdigung den Konflikt der beiden noch deutlicher zu Tage treten lassen.
Aus Rücksicht auf Harry hatte Elizabeth wenige Tage vor der Beisetzung den Dresscode für die Trauergäste ändern lassen. So wollte sie verhindern, dass Harry sich vorgeführt vorkam. Nach dem Rücktritt als Senior Royal musste er seinen militärischen Ehrentitel aufgeben und ihm wäre nichts anderes übrig geblieben, als in einem dunklen Anzug mit Dienstorden zu erscheinen. Und um ihm unangenehme Gefühle zu ersparen, hatte sie bestimmt, dass alle Männer in Cutaways mit einer schwarzen Krawatte erscheinen sollten.
»Harry, ich wünsche mir von Herzen, dass du dein Glück findest«, murmelte Elizabeth.
Früher oder später, so hoffte sie, würde es zu einer Aussöhnung zwischen ihren Enkeln kommen. Die Frage war nur, ob sie es noch erlebte.
Sie verließ ihr Schlafgemach, grüßte die Wachen und ging in das Zimmer, in dem die Hunde schliefen. Candy und Muick hüpften aus ihren Körben und schnüffelten an ihren Beinen. Der Corgi-Dackel-Mischling Sandy und der Cockerspaniel Lissy taten es ihnen nach.
Elizabeth tätschelte die Hunde, dann ging sie, auf ihren Stock gestützt und von den Hunden flankiert, in ihre Gemächer und zu ihrem Schreibtisch. Die Hundeschar legte sich nieder, als sie in ihrem Sessel Platz nahm.
Sie schlug ihr aktuelles Tagebuch auf und huschte über die Zeilen, die sie am Tag zuvor hineingeschrieben hatte.
Wir sind alle nur auf der Durchreise. Und wenn unsere Zeit auf Erden vorbei ist, kehren wir heim.
Die Hunde gaben leise Laute von sich. Elizabeth beugte sich zu ihnen hinab und streichelte sie. Mit einem leisen Seufzen ließ sie von ihnen ab und dachte an Philips Beerdigung.
Wegen der Pandemie war sie reduziert abgelaufen, im Gegensatz zu der letzten royalen Beerdigung sechs Jahre zuvor, als zehntausende Menschen die Straßen gesäumt hatten, während der letzte König aus dem Hause Plantagenet, dessen Tod in der Schlacht von Bosworth 1485 den Aufstieg der Tudors bedeutet hatte, zu Grabe getragen worden war.
Es war lange unklar gewesen, wo sich sein Leichnam befand, doch dann hatte man seine Überreste 2012 unter einem städtischen Parkplatz in Leicester gefunden. Weil man dem König nachsagte, ehemals seinen Neffen im Tower von London ermordet zu haben, hatte Elizabeth sich durch Sophie, die Frau ihres Sohnes Edward, vertreten lassen. Sophie hatte der Wiederbestattung beigewohnt, die nach mittelalterlichen Regularien der katholischen Kirche abgehalten worden war, mit Rittern in glänzenden Rüstungen und stundenlangen Berichterstattungen …
Elizabeth nahm eines ihrer älteren Tagebücher zur Hand und blätterte durch die Seiten.
Als Monarchin muss man menschlich und optimistisch, sympathisch, standhaft, interessiert und trotz allem neutral sein, denn als Königin Großbritanniens ist man so etwas wie die Verkörperung einer guten Zukunft.
Zurückhaltung und Selbstbeherrschung sind der Schlüssel zur Seele des britischen Volkes. Doch man muss auch mit der Zeit gehen.
Anfang der siebziger Jahre, als sie dazu übergegangen war, nicht nur mit Bürgermeistern und Regierungsmitgliedern, sondern mit den Menschen auf der Straße näher in Kontakt zu treten, war das ausgesprochen positiv aufgenommen worden. Zur Freude der Medien, vor allem aber zum Vergnügen der Menschen in Neuseeland hatte sie in Wellington den Wagen erstmals vor dem roten Teppich in der Innenstadt, der ihretwegen ausgerollt worden war, anhalten lassen. Sie war mit Philip ausgestiegen und auf die Menschen zugegangen.
Unvergesslich, wie erstaunt die Frauen und Männer gewesen waren, als Elizabeth sie gefragt hatte, wie es ihnen ging und ob sie einen schönen Tag hatten. Der Walkabout war geboren.
Die Medien hatten geschrieben, sie wäre ein wenig vom Weg abgekommen … Doch Elizabeth hatte es besser gewusst. Die Monarchie würde nie wieder dieselbe sein.
Sandy riss die Schnauze auf und gähnte. Mit einem leisen Geräusch schmiegte sie sich an Elizabeth' Fußgelenk.
Wie gern hätte sie Philip noch einmal dafür gedankt, dass er den langen Weg mit ihr gemeinsam gegangen war, und auch dafür, dass sie in den letzten Wochen die kleinen Dinge zu großen gemacht hatten.
Im Gegensatz zu ihrer behüteten Kindheit waren seine Kinderjahre von Flucht und einem fehlenden Zuhause überschattet gewesen.
Nach dem Militärputsch in Griechenland 1922 war Philips Familie ins Exil gegangen. Seine Mutter, Alice von Battenberg, nach Paris, sein Vater nach Monte Carlo, wo er bald mit seiner Geliebten lebte.
In der Fremde war Alice von Battenberg auf das Wohlwollen ihrer Verwandten und Freunde angewiesen gewesen, und als bei ihr Anzeichen von Schizophrenie festgestellt worden waren, hatte Philips Onkel, Louis »Dickie« Mountbatten, seine Schwester in eine psychiatrische Klinik in der Schweiz einweisen lassen. Ab da hatten sich Verwandte um Philip gekümmert. Seine Mutter hatte er nur noch wenige Male gesehen und mit seinem Vater lediglich in schriftlichem Kontakt gestanden.
Ihre eigene Kindheit war gänzlich anders verlaufen. Elizabeth hatte sich stets umsorgt gefühlt: von ihrem Kindermädchen, ihren Eltern, den Großmüttern und besonders von ihrem Großvater, dem König, Grandpa England.
Selbst heute noch verkraftete sie die Schwere mancher Situationen wegen dieses Reservoirs an Geborgenheit, auf das sie immer zurückgreifen konnte.
»Mut wird dir eines Tages dabei helfen, deine eigene Furcht zu überwinden, Lilibet.«
Dieser Satz stammte von ihrem Großpapa. Sein Gefühl für Häuslichkeit und seine Vorliebe für das Normale hatte Elizabeth übernommen. Ebenso seine Tatkraft.
»Und vergiss nie, die Launen des Augenblicks müssen hinter der Pflicht zurückstehen. Das darfst du nie vergessen.« Vor allem dieser Satz von ihm hatte sie entscheidend geprägt.
Die Ausstrahlungskraft Georges V. hatte in seiner Einfachheit gelegen. Wenn er über den Rundfunk zu den Menschen sprach und man seine warme, gutturale Stimme hörte, war er für Millionen von ihnen real.
Auch ihr Vater hatte Elizabeth vergöttert.
»Dich zum ersten Mal im Arm zu halten, Lilibet, war ergreifend. Dieses Erlebnis werde ich bis zu meinem letzten Tag nicht vergessen.«
Auch nach Jahrzehnten sehnte Elizabeth sich manchmal nach ihren Eltern und Großeltern. Wenn die Sehnsucht zu groß wurde, schloss sie die Augen und erinnerte sich an sie …