April/Mai 1926

England, London, Mayfair
und Buckingham-Palast

Tränen der Ergriffenheit stiegen der Herzogin in die Augen, während sie mit leiser Stimme auf das Baby in ihrem Arm einsprach. Sie strich über die Stirn des Neugeborenen, griff nach der winzigen Hand und begann die kleinen Finger, einen nach dem anderen, abzuküssen.

Dabei sprach sie leise vor sich hin: »Es ist ein Wunder, dass du bei uns bist, Elizabeth. Das größte Wunder überhaupt.«

Königin Victoria hatte den Akt des Stillens ehemals als den Ruin intellektueller und raffinierter junger Damen tituliert. Welch ein selbstgewählter Verlust an Nähe, fand die Herzogin.

Als sie Elizabeth am vergangenen Tag zum ersten Mal angelegt hatte, hatte sie sogleich ein Gefühl tiefer Verbundenheit mit dem kleinen Wesen an ihrer Brust durchströmt. So ging es ihr auch jetzt wieder, als das Baby sich mit zusammengekniffenen Augen zu ihr drehte.

Während Elizabeth selig trank, gab die Herzogin sich dem Gefühl ergriffener Dankbarkeit hin, das das kleine Wunder in ihren Armen in ihr auslöste. Sie wollte das Beste für das Neugeborene, und was gab es Förderlicheres, als das Baby während des Stillens die innige Nähe zur Mutter spüren zu lassen.

Die Herzogin hatte sich entschieden ihr Kind in 17, Bruton Street, dem Londoner Wohnsitz ihrer Eltern, zur Welt zu bringen, einem Gebäude im Mayfair-Stil mit einer Säulenfront. Am Ende der Straße lag der Berkeley Square. Dort sangen die Nachtigallen, und in der Dunkelheit flogen Eulen umher.

Auf den Wegen des Berkeley Square würde Mrs Knight das Neugeborene im Kinderwagen spazieren fahren. Clara Knight, hochgewachsen und helläugig, war schon die Kinderschwester der Herzogin gewesen, als sie noch Elizabeth Bowes-Lyon gewesen war.

Mrs Knight war eine Frau, die mit Hingabe die Rolle der stellvertretenden Mutter übernahm, entschlossen, stets mit allem fertigzuwerden und kaum je einen freien Tag zu nehmen. Derart unterstützt, fühlte die Herzogin sich für die erste Zeit nach der Geburt gewappnet.

Trotz dieser Umstände hatte sie sich ein wenig vor der Geburt gefürchtet. Sie war sich jeden Tag ihrer Schwangerschaft darüber im Klaren gewesen, dass sie im Beisein des Innenministers entbinden würde. An dieser Sitte, die auf ein Ereignis im späten 17. Jahrhundert zurückging, als König James II. und Königin Mary Beatrice beschuldigt wurden, ihr tot geborenes Baby gegen ein fremdes lebendes ausgetauscht zu haben, um die Thronfolge zu sichern, war nicht zu rütteln. Seitdem stellte man sicher, dass das Neugeborene ein Königskind war, und schickte Zeugen, die der Geburt beiwohnten.

Jedoch machte es einen Unterschied, ob man dies vom Hörensagen wusste oder es selbst erlebte. Wahrscheinlich war es dem Innenminister unangenehm gewesen, bei der Geburt des ersten Kinds des Herzogpaars von York anwesend zu sein. Seine Anwesenheit in der Intimität des Hauses ihrer Eltern, des Earl und der Countess of Strathmore, hatte sich auch für ihn falsch angefühlt.

Schlussendlich hatte die kleine Elizabeth per Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickt.

Als die Herzogin aufwachte, war der Innenminister schon fort, und sie sah in das selig lächelnde Gesicht ihres Mannes, der sie mit geröteten Wangen anstrahlte und dankbar ihre Hand drückte, während er ihr berichtete, was geschehen war. »Du hast eine wunderschöne Tochter zur Welt gebracht. Dafür kann ich dir nicht genug danken.«

Bertie war die Erleichterung, dass es seiner Frau und dem Baby gut ging, deutlich anzusehen gewesen. Er hatte sich ernsthaft Sorgen um beide gemacht.

»Hast du Schmerzen, Elizabeth? Soll ich den Arzt rufen?«

Die Herzogin hatte matt gelächelt und von ihrem Unterbauch, den sie vorsichtig abgetastet hatte, abgelassen. »Mach dir keine Sorgen, Bertie. Ich bin kein zartes Pflänzchen, das vom ersten Wind umgepustet wird, auch wenn manche das vielleicht vermuten würden.« Die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Es ging ihr soweit gut.

»Eine deiner Stärken, für die ich unendlich dankbar bin«, hatte Bertie sie gelobt.

Falls es noch eines Beweises bedurft hatte, dass seine Frau die Richtige für ihn war, hatte er ihn nun erhalten.

Als die Herzogin ihre Tochter an diesem Tag endlich zum ersten Mal im Arm hielt, empfand sie unermessliche Liebe für das kleine Wesen.

»Wissen der König und die Königin Bescheid?«, hatte sie, ohne die Augen von dem Baby zu lösen, von ihrem Mann wissen wollen.

»Selbstverständlich haben sie von ihrer Enkelin erfahren.« Bertie hatte minutiös aufgezählt, welche Schritte unternommen worden waren.

George V. und seine Frau Mary hatten vor der Geburt strikte Weisung erlassen, jederzeit über Veränderungen des Zustands ihrer Schwiegertochter informiert zu werden.

Der diensthabende Oberstallmeister, Reginald Seymour, persönlicher Assistent des Monarchen, hatte den König und die Königin in den frühen Morgenstunden geweckt, um ihnen die frohe Botschaft zu überbringen.

Am Nachmittag machten der König und die Königin sich im Auto von Windsor nach London auf, um ihre erste Enkelin in Augenschein zu nehmen.

Als der königliche Wagen eintraf, warteten bereits unzählige Gratulanten. Die Bruton Street war voll von Menschen, die auf die Nachricht der Entbindung warteten. Die Menge jubelte dem König frenetisch zu. Sein Erscheinungsbild verkörperte Tradition und Kontinuität, Pflichtbewusstsein, Würde, Mut und Aufrichtigkeit. Wie immer waren seine Beinkleider seitlich gebügelt, ohne Bügelfalte vorn und hinten, und im Knopfloch seines Gehrocks steckte eine weiße Gardenie. Höchsten Wert legte er jedoch auf gesunden Menschenverstand und Fleiß.

George V. bedankte sich mit mehrmaligem Nicken bei den Menschen. Ergriffen nahm er die Freude der Wartenden in Empfang und schnappte hier und da sogar einen Kommentar auf. Man munkelte, das Neugeborene habe blonde Haare und große blaue Augen und kleine Ohren, die dicht an seinem wohlgeformten Kopf anlagen.

»Es ist unglaublich, wie sehr die Menschen sich freuen. Sie sind außer sich«, sagte George zu seiner Frau, als sie das Haus der Schwiegereltern ihres Sohnes betraten.

Königin Mary ging vor ihrem Mann in den Raum, in dem ihre Schwiegertochter sich befand. Ohne zu zögern, beugte sie sich über ihre Enkelin.

»Gott im Himmel, dieses Kind ist entzückend«, rief sie. Ihre Stimme klang freudig. »Obwohl ich wünschte, du wärst mehr deiner Mutter nachgeraten«, ergänzte sie Augenblicke später. Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, das rasch wieder ihrer gewohnt ernsten Miene Platz machte.

Bertie begrüßte seine Eltern mit gedämpfter Stimme. »Wir freuen uns so sehr über dieses kleine Wesen«, sagte er. »Mit diesem Kind ist unser Glück vollkommen.« Er strich seiner Tochter liebevoll über das zarte Köpfchen, während er die Worte aussprach.

»Aber hoffentlich nur, bis das nächste kommt«, erwiderte die Königin. »Es werden doch weitere Kinder folgen?«

»So Gott will.« Bertie warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu. Aus den Augen der Herzogin las er ihr Einverständnis.

Die Königin selbst hatte sechs Kinder zur Welt gebracht. Und ihre Schwiegertochter würde sicher bald wieder schwanger werden, wenn sie sich erst erholt hätte, hoffte sie.

Das ärztliche Bulletin über Mutter und Kind umschrieb den Umstand, durch den die Herzogin ihre Tochter Elizabeth Alexandra Mary – benannt nach ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter – am Mittwoch, den 21. April, um 2.40 Uhr zur Welt gebracht hatte, mit vorsichtigen Worten: »Eine bestimmte Art der Behandlung wurde erfolgreich angewandt«, hieß es schlichtweg.

Ein inoffizieller Stadtausrufer gab der Menschenmenge Details bekannt. Die jahrhundertealte Tradition ging bis ins mittelalterliche England zurück, als Stadtausrufer der Öffentlichkeit Neuigkeiten verkündeten, da damals viele Menschen Analphabeten waren.

Die Zeitungen drückten ihre Freude über das Ereignis an den darauffolgenden Tagen wiederholt aus. Die Geburt der Tochter des Herzogs und der Herzogin von York sorgte für Freude im ganzen Land, doch niemand maß dem besondere Bedeutung bei. Elizabeth stand außerhalb der direkten Thronfolge. Der Prince of Wales, Berties Bruder David, würde dereinst seinen Vater König George V. ablösen. Diese Tatsache sicherte Elizabeth von Beginn an ein ruhiges und zurückgezogenes Leben. Genau das wünschten sich der Herzog und die Herzogin für ihr Kind.

Einige Tage nach dem Besuch seiner Eltern schrieb Bertie seiner Mutter einen Brief.

Ich bin so stolz auf Elizabeth, meine Frau, nach allem, was sie in den letzten Tagen hat durchstehen müssen. Ich hoffe aufrichtig, dass Du und Papa ebenso glücklich seid, eine Enkelin zu haben. Darf ich vielleicht hinzufügen, dass ich hoffe, Ihr werdet das Kind nicht verwöhnen, wenn es größer geworden ist.

Und seinem Vater schrieb er:

Ich hoffe, dass Du mit den Namen Elizabeth Alexandra Mary einverstanden bist. Ich bin überzeugt, dass es trotz zwei Elizabeth in der Familie zu keinen Verwechslungen kommen wird. Wir legen großen Wert darauf, dass sie Elizabeth gerufen wird, denn es ist ein so hübscher Name, und seit langem hat es niemanden dieses Namens in unserer Familie gegeben. Auch Elizabeth von York klingt so hübsch …

George V. antwortete seinem Sohn umgehend:

Er gefällt mir. Es ist ein hübscher Name … Mir bleibt allerdings nicht verborgen, dass Du Victoria nicht erwähnst, die größte Königin überhaupt …

Bertie hatte nicht vergessen, dass Victoria ihrerseits verfügt hatte, dass alle Kinder in der Thronfolge die Erinnerung an ihren geliebten Ehemann Albert und sie selbst wahren sollten.

Ich halte das eigentlich nicht für notwendig, antwortete Bertie, Elizabeth kommt schließlich nicht für die Thronfolge in Betracht.

Die Taufe nahm Cosmo Lang, der Erzbischof von York, am 29. Mai in der Privatkapelle des Buckingham-Palasts vor. Das goldene Taufbecken von 1840 war eigens aus Windsor nach London gebracht und mit Jordanwasser befüllt worden.

»Deine Taufe ist eine bedeutende Veranstaltung, Elizabeth«, bereitete die Herzogin ihre fünf Wochen alte Tochter auf das Ereignis vor. Sie sprach mit beruhigender Stimme auf das Kind ein. »Es ist dein erster öffentlicher Auftritt … und schau dir nur dieses prachtvolle Taufkleid an.«

Es war aus Seide und Spitze und 1841 für die Taufe von Königin Victorias Tochter, Prinzessin Victoria, angefertigt worden.

Bertie kam ins Zimmer geeilt. Die Herzogin war bereits angekleidet und hatte sich ihre Perlen anlegen lassen. »Elizabeth muss noch angekleidet werden. Ich hoffe, sie bleibt während der Taufe ruhig und schreit nicht.«

Berties Lächeln überzog sein ganzes Gesicht. Er warf einen zärtlichen Blick auf seine Tochter. »Elizabeth kann nichts falsch machen. Genau wie du. Nicht in meinen Augen.«

Er war nervös, wollte es sich aber nicht anmerken lassen, ahnte die Herzogin. Bertie hatte Angst, er könnte stottern, wenn er später etwas sagen musste. Elizabeth half ihm, so gut sie konnte, mit dieser Belastung umzugehen. Doch es war nicht immer leicht, schließlich konnte sie ihm die Pflichten als Vater, der bei der Taufe seines Töchterchens ein paar Worte sagen sollte, nicht ersparen.

Als bei der Taufe das Wasser das Köpfchen der kleinen Prinzessin benetzte, setzte Elizabeth zu einem entsetzten Krähen an.

»Schhh …«, besänftigte die Herzogin. Sie wiegte ihre Tochter hin und her und schaffte es schließlich, sie zu beruhigen.

Nachdem der offizielle Teil der Taufe samt Fototermin hinter ihnen lag, zogen Bertie und Elizabeth sich zurück.

Die Herzogin gab ihren Gefühlen eine Stimme. »Ich bin dem Herrgott dankbar, dass Elizabeth und ihre Geschwister, sollten uns weitere Kinder beschieden sein, in Ruhe aufwachsen können.« Sie ließ sich in den Sessel sinken, erleichtert, dass sie den Tag so gut überstanden hatten. »Wir dürfen ein Leben in Zurückgezogenheit führen, fernab der ersten Reihe. Ein Leben in Zufriedenheit und Harmonie.«

Bertie teilte die Ansicht seiner Frau. Er konnte sich ein Leben als Nachfolger seines Vaters nicht mal im Traum vorstellen. Gott sei Dank wäre sein Bruder David dereinst König. Er wäre Zwängen unterworfen, während Bertie und seine Familie frei leben konnten. David hatte einen anderen Charakter als Bertie. Er stand gern im Mittelpunkt, feierte Nächte durch und war zudem beim Volk sehr beliebt.

»Wir haben Glück, Elizabeth«, stimmte Bertie seiner Frau zu. Er drückte zärtlich ihre Hand. »Und dieses Glück werden wir festhalten.«

Er sah das Antlitz seiner Tochter vor sich. Die Liebe ihrer Eltern und Großeltern wäre Elizabeth für immer sicher. Diese Liebe und die Werte, die sie vermittelt bekäme, würden ihren Charakter positiv prägen.

»Wir dürfen nie vergessen«, sprach er weiter, »dass wir das Glück auf unserer Seite haben. Elizabeth wird umsorgt und behütet in London und auf dem Land aufwachsen.«

Die Herzogin klopfte mit der flachen Hand auf die Lehne des Sessels. Bertie verstand die Geste, ging zu seiner Frau und sank auf die ausladende Sessellehne.

»Weißt du, Bertie, bevor wir einander begegnet sind, lag ich manchmal nachts wach im Bett und habe mir ausgemalt, in nicht allzu ferner Zeit ein glückliches Familienleben mit einem Mann und Kindern zu führen. Ich habe alles in bunten Bildern vor mir gesehen.« Die Herzogin lachte leise bei der Erinnerung. »Meine Freundinnen taten dasselbe. Wir sprachen darüber, wie wunderbar unser Leben verlaufen würde und welcher Mann für welche von uns infrage käme.«

»Und dann war eines Tages ich da«, spann Bertie den Faden weiter. »Über mich habt ihr sicher nicht gesprochen.«

Die Herzogin lächelte noch immer. »Woher willst du das wissen?«

»Deine Eltern waren jedenfalls nicht beeindruckt von deinem Verehrer.«

Elizabeth gab ihrem Mann einen verspielten Klaps auf den Unterarm.

Eines Abends hatte ihre Mutter sie in ihrem Ankleidezimmer aufgesucht. Bertie war wieder einmal von Balmoral herübergekommen, meist tauchte er kurz vor dem Abendessen in Glamis auf.

»Nur weil Prinz Albert dir den Hof macht, versinken wir nicht in Ehrfurcht«, hatte ihre Mutter gesagt.

Sie entstammte dem englischen Zweig der niederländischen Adelsfamilie Bentwick und war außerdem eine Nachfahrin des englischen Königs Heinrich VII. aus dem Haus Tudor, und wie die meisten Schotten war sie England gegenüber distanziert.

Elizabeth war die zweitjüngste der zehn Kinder Lady Strathmores und hatte nicht vergessen, was ihre Mutter ihr ans Herz gelegt hatte.

»Keine Sorge, ich achte nicht nur auf den äußeren Schein, Mummy«, hatte sie versprochen.

Lady Strathmore strich eine Haarsträhne aus Elizabeth' Gesicht. »Niemand sollte sich von äußerem Glanz beirren lassen. Vor allem junge Damen nicht. Du tust recht daran, zurückhaltend zu sein.«

»Ich nehme es mit der Herzenstreue ernst, wie du es mich gelehrt hast. Ich suche Reinheit in einem Menschen und fühle mich nicht zu Männern hingezogen, die ein unstetes Leben führen.«

Elizabeth hätte sich nicht mal vorstellen können, etwas vor ihrer Mutter geheim zu halten oder zu verschleiern. Das hätte sie niemals ausgehalten.

»Recht so, Elizabeth. Dein Vater und ich sind uns bewusst, dass es manchem langweilig erscheint, wenn wir, nachdem ein Abend in Glamis zu Ende geht, unseren Gästen Kerzen reichen, damit sie sich in ihre Schlafzimmer zurückziehen. In unserem Haus wird Gesellschaft hoch gehalten, das weißt du, aber es gibt keine neckischen Spielchen wie andernorts. Jungen Herren sollten die Probleme, die sich mitunter nach übertriebener Ausgelassenheit ergeben, erspart bleiben. Von jungen Damen möchte ich gar nicht reden.«

Elizabeth hatte ihre Mutter geküsst und sich dann wieder ihrer Routine gewidmet. »Bitte richte Bertie aus, dass ich noch nicht fertig bin.«

»Das mache ich, mein Kind.«

Damit war die Unterredung beendet gewesen.

Ihre Erziehung, vor allem der Einfluss ihrer Mutter, waren ein Grund, weshalb Elizabeth ihren königlichen Verehrer abblitzen ließ und zwei Anträge ausschlug. Doch sie tat es auch um ihretwillen, denn sie wusste genau, was sie wollte. Eine Zeit lang vermutete sie, Bertie gäbe auf, doch er machte ihr weiter den Hof, froh, wenn er kurz ihre Fingerspitzen berühren durfte.

Doch dann, ohne dass sie sich dessen recht bewusst war, erfasste Elizabeth Berties Charakter in seinem ganzen Ausmaß. Er war ein Mann, der nie auf die Idee gekommen wäre, ohne lautere Absichten mit einer Frau ins Bett zu gehen, wie viele andere junge Männer es taten. Bertie stand für Stetigkeit, Ehrenhaftigkeit, Loyalität und Liebe. Sicher, er war schüchtern, doch das erdete ihn und war ein Grund für seine Bescheidenheit, die Elizabeth gefiel. Wie Elizabeth liebte er das Landleben und Pferde. Und so gab sie seinem Werben schließlich beim dritten Mal nach und heiratete ihn 1923.

Dass Bertie bis zu seinem siebten Lebensjahr fließend sprechen konnte, ab da jedoch stotterte, akzeptierte Elizabeth. Sie hatte darüber nachgedacht und führte den Makel – so empfand Bertie sein Stottern – auf die harte Hand zurück, mit der der König, seine Kinder erzogen hatte. Von seinen Geschwistern war Bertie wegen des Sprachfehlers aufgezogen worden. Zudem war die Beziehung zu seiner Mutter angespannt. Königin Mary war ihren Kindern gegenüber auf tragische Weise gehemmt. Sie war stolz auf sie, doch war zwischen ihr und den Kindern stets eine Fremdheit spürbar.

Auch ansonsten hatte es für Bertie wenig Hoffnung auf Verständnis und Liebe gegeben. Als Linkshänder war er von seinem Hauslehrer gezwungen worden, mit der rechten Hand zu schreiben. Und dann waren da die Schienen, die er als Kind wegen seiner X-Beine tragen musste. Berties Kammerdiener nahm sie ihm manchmal aus Mitleid ab, wenn der Junge nachts bitterlich weinte.

Dies alles und obendrein noch ein Kindermädchen, das die Kinder des Königs quälte, hatten bewirkt, dass Bertie sich immer mehr in seine eigene Welt zurückzog. Seine Eltern taten es als Bockigkeit ab, was eine Fehleinschätzung war. Fest stand, dass die frühen Erlebnisse Bertie zu dem Mann hatten werden lassen, den Elizabeth in Glamis kennen- und lieben lernte.

Und nun waren sie eine Familie und hatten eine entzückende Tochter.

Die Herzogin lehnte den Kopf an die Sessellehne und sann über ihre Tochter nach. »Ich werde im Schlossflügel in Glamis ein Kinderzimmer für Elizabeth einrichten lassen. Von dort kann sie vom Fenster aus auf die Gartenanlagen ihrer Granny sehen.«

»Das ist eine hervorragende Idee«, stimmte der Herzog ihr zu.

Nachmittags würden Lady Strathmore oder die Kinderfrau Elizabeth im Kinderwagen ausfahren. Die Herzogin sah die von gestutzten Eiben gesäumten Wege und das blaugeflieste Becken mit dem steinernen Amor vor sich. In Glamis ginge es ihrer Tochter gut.

»Versprich mir, Bertie, dass wir immer alles für unsere Tochter tun werden, was auch geschieht.« Elizabeth von York beugte sich zu ihrem Mann hinüber, griff nach seiner Hand und drückte sie kaum merklich. »Familie ist das Wichtigste«, sagte sie, als wisse er das nicht längst.

Bertie strich mit der freien Hand über die Wange seiner Frau. Einmal mehr empfand er es als Geschenk des Schicksals, dass er nicht den Thron besteigen würde. Dieser Umstand schützte nicht nur ihn selbst und seine Frau, sondern auch die kleine Elizabeth.