Mai 1937

England, London,
Buckingham-Palast

»Margaret!« Elizabeth rutschte auf die Kante des Holzstuhls und schlug nach der Feder, mit der die Schwester sie kitzelte. »Wenn du mich weiterhin ablenkst, bin ich mit Papas Krönungstagebuch morgen noch nicht fertig. Und fertig werden muss ich, sonst bekommt er es nicht rechtzeitig.«

Margaret ignorierte den strengen Blick ihrer elfjährigen Schwester. »Ach, immer dieses dumme Krönungstagebuch«, beschwerte sie sich.

»Es ist nicht dumm. Es ist meine Pflicht, es zu schreiben«, verteidigte Elizabeth die wichtige Aufgabe.

Seit Stunden versuchte sie, die Krönung ihres Vaters Bertie zu George VI. zu beschreiben, verwarf Sätze und schrieb neue. Der Rücktritt ihres Onkels hatte ihre Welt auf den Kopf gestellt. Noch bevor er offiziell gekrönt worden war und sein erstes Jahr als König vollendet hatte, war er zurückgetreten, um Mrs Simpson zu heiraten.

Wallis Simpson war keine Schönheit im klassischen Sinne, aber sie hatte eine gewisse Eleganz und ein Wesen, das ihren Onkel, wie es schien, gefangen nahm.

Margaret rollte mit den Augen. »Warum sprichst du immer von der langweiligen Pflicht?«

Sie streckte die Hand, deren Finger die braun gemusterte Feder umklammerten, erneut nach Elizabeth aus. Sie hatte die Feder vor ein paar Tagen bei einem Spaziergang mit Bobo, ihrem Kindermädchen, im Park gefunden und mit nach Hause genommen. Schnell hatte Margaret erkannt, welch wunderbares Kitzel-Instrument die Eulenfeder war. Und nun neckte sie ihre Schwester damit, um sie davon zu überzeugen, von dem Krönungstagebuch abzulassen.

»Wir könnten Karten spielen. Das ist viel spannender«, schlug Margaret vor. Ihre Hand drehte sich, sodass die Feder in Elizabeth' Nacken landete und dort weiter ihr Unwesen trieb.

»Vielleicht später«, versuchte Elizabeth Margaret zu besänftigen. »Jetzt kann ich wirklich nicht. Ich brauche meine Ruhe.« Sie hielt den Stift mahnend in die Höhe, kicherte jedoch dabei. »Du weißt doch, dass sich nach Papas Krönung alles geändert hat.« Elizabeth klang plötzlich furchtbar erwachsen, viel älter als elf.

Margaret ließ von ihrer Schwester ab. »Eigentlich finde ich es schön, dass wir jetzt richtige Prinzessinnen sind und Mummy und Papa echte Kronen haben.« Sie stieß einen lauten Seufzer aus. »Aber das mit der riesengroßen Verantwortung und dem ganzen Drum und Dran ist blöd. Mummy, Papa, du und ich müssen jetzt richtig viel arbeiten.« Margaret schien wenig begeistert von den Änderungen, die bereits auf sie zugekommen waren.

»Stimmt.« Elizabeth wandte Margaret ihre ganze Aufmerksamkeit zu. »Deshalb habe ich ja die wichtige Aufgabe, Papas Krönungstagebuch fertigzustellen. Du weißt, wenn der König einem etwas aufträgt, müssen wir dem Folge leisten.«

»Folge leisten?«, wiederholte Margaret und blickte noch eine Spur grüblerischer, während sie auf eine Reaktion der Älteren wartete.

»Ja«, wiederholte Elizabeth mit ihrer hellen Stimme. »Es bedeutet, dass man tut, was einem aufgetragen wurde.«

»Iiii, wie langweilig«, gluckste Margaret.

Sie kullerte über den Boden, keinen Moment an die Rüschen ihres Kleids denkend, die zusammengedrückt wurden. Zu tun, was man von ihr erwartete, war nicht ihre Sache. Und sie hatte Glück, denn jeder sah es ihr nach, wenn sie Schabernack trieb, weil sie die Gabe hatte, andere zum Lachen zu bringen. Margaret nutzte das mitunter schamlos aus.

Elizabeth brachte Beispiele, die Margaret davon überzeugen sollten, dass Pflichterfüllung ein Gefühl der Befriedigung nach sich zog. Sie gab sich Mühe, die richtigen Worte zu finden, um ihrer jüngeren Schwester zu erklären, was sie selbst bereits verstanden hatte, Margaret jedoch noch nicht einordnen konnte.

»Denk nur an die Ponys. Es ist unsere Pflicht, uns um sie zu kümmern, aber diese Pflicht macht Spaß, nicht wahr?« Elizabeth hörte ihre eigene, klare Stimme und hoffte, dass sie in Margarets Ohren nicht wie eine gewissenhafte Lehrerin klang, die ihrer Schülerin nichts durchgehen ließ.

»Das ist ein dummes Beispiel, Lilibet«, schimpfte Margaret. »Jeder liebt Ponys und kümmert sich gern um sie. Aber ein Krönungstagebuch«, sie rollte auf den Rücken und legte den Arm unter den Nacken, »… oder ein Bergwerk, das man besuchen muss … das ist etwas anderes. Mummy hat sicher nichts dagegen, wenn du das Buch erst morgen fertig hast. Erst gestern hat sie vor dem Zubettgehen zu mir gesagt, ›Margaret Rose, morgen ist auch noch ein Tag‹.«

Margaret strich sich eine Locke aus dem Gesicht, griff an den Rand des Holztischs und zog sich daran hoch. »Und Papa wird das Buch sicher nicht vermissen. Er ist doch jetzt König und muss bis spätabends arbeiten.«

Das Mädchen sah ihre Schwester mit durchdringenden blauen Augen an.

Ihr triumphierendes Lächeln ließ Elizabeth den Stift zur Seite legen. Ihr Vater sagte immer, dass sie – Elizabeth – sein ganzer Stolz sei und Margaret seine Freude. Doch Stolz musste man sich verdienen.

»Und wenn ich nicht alles an einem Tag machen muss«, sprach Margaret altklug weiter, »musst du es auch nicht. Damit wartest du besser, bis du erwachsen bist und geheiratet hast. Dann ist immer noch genug Zeit, pflichtvoll zu sein.«

»Es heißt pflichtbewusst, Bud …«, sagte Elizabeth milde.

Elizabeth hatte sich den Kosenamen Bud ausgedacht, als ihre Schwester Margaret Rose zur Welt gekommen war. Ihrer Ansicht nach war das kleine Bündel Mensch im Arm ihrer Mutter noch gar keine richtige Rose, sondern eher eine Knospe.

»Und mag schon sein, dass Mummy das gesagt hat, aber das hier«, sie klopfte auf das Geschriebene vor sich auf dem Tisch, »ist von außerordentlichem Interesse. Die Menschen sind nach Onkel Davids Rücktritt ziemlich verunsichert. Er war ihr König, aber dann ist er von einem Tag auf den nächsten zurückgetreten«, fügte sie hinzu.

Elizabeth war unwohl bei dem Gedanken, was die Abdankung in Zukunft noch für ihre Familie bedeutete. Ihre Mutter hatte das Ganze furchtbar mitgenommen. Ihren Vater ebenso. Doch was käme als Nächstes auf sie zu?

»Und nun muss Papa den Leuten Hoffnung geben«, sprach sie weiter. »Die Menschen brauchen die Sicherheit, dass sie sich auf die königliche Familie verlassen können. Wir müssen tun, was in unserer Macht steht, damit das Volk wieder Vertrauen in die Krone fasst.«

Margaret hatte stumm zugehört und schien, entgegen Elizabeth' Erwartung, von ihrem ernsten Vortrag berührt. »Warum hat Onkel David das getan?« Margaret klang plötzlich weinerlich. »Er ist doch immer so nett zu uns. Wenn er König geblieben wäre, müsstest du später keine Pflichten erfüllen … Und ich auch nicht.« Margaret sprach im Brustton der Überzeugung und schien ihrer beider Leben bereits vor sich zu sehen.

Elizabeth empfand Mitgefühl mit Margaret. »Ein paar Pflichten bringen uns schon nicht um, Bud. Und denk dran, wir dürfen wundervolle Kleider tragen. Das magst du doch so gern.«

»Wirklich?« Margarets Augen weiteten sich.

»Ja«, bekräftigte Elizabeth und strahlte ebenfalls.

»Aber versprichst du mir, dass wir immer lange genug spielen können, Lilibet?«, wisperte Margaret. Sie klammerte sich an Elizabeth und hielt sich an ihr fest. »Und dass du immer Zeit für mich hast, wenn mich etwas traurig macht?«

»Natürlich tue ich das. Heiliges Ehrenwort, Bud.« Wie zur Bestätigung hauchte Elizabeth einen Kuss auf Margarets kleine Hand.

Die schmiegte die Wange an sie, augenscheinlich beruhigt.

»Magst du Onkel David nicht mehr, weil er nicht König sein will, Lilibet?«, wollte Margaret plötzlich wissen. Sie wirkte verunsichert, als käme es allein auf Elizabeth' Antwort an.

»Natürlich mag ich ihn noch.«

»Aber Mummy schimpft immer fürchterlich über Mrs Simpson. Und Onkel David liebt sie. Sicher mag er Mummy jetzt nicht mehr so gern … weil sie so über Mrs Simpson spricht.«

Margarets säuerlicher Gesichtsausdruck erinnerte Elizabeth an eine kurzsichtige alte Dame, die versuchte, das Bild vor ihrem Auge scharfzustellen.

»Mummy macht sich nur Sorgen, deshalb schimpft sie über Mrs Simpson. Aber sicher hat sie Onkel David immer noch gern«, beruhigte Elizabeth ihre Schwester.

Sie dachte daran, wie lustig es war, wenn sie mit Onkel David im Great Windsor Park herumtollten. Sie hatten so viel Spaß miteinander. Der Gedanke, dass sie wegen der Liebe ihres Onkels zu der Amerikanerin dereinst selbst Königin wäre, wurde übermächtig – das hatten die Eltern ihr neulich erklärt. Margarets Stimme riss sie aus ihren Überlegungen.

»Ich mag ihn auch noch.« Margaret rümpfte die Nase. »Ich finde es aber komisch, dass Papa jetzt George heißt, sein Name ist doch Albert.«

»Für uns heißt er weiterhin Papa«, erklärte Elizabeth. »Daran wird sich nichts ändern.«

»Ja schon, aber wieso bleibt er nicht einfach Albert?« Das Thema schien Margaret nicht aus dem Kopf zu gehen.

»Weil jeder König sich den Namen aussuchen darf, unter dem er regiert. Außerdem möchte er Grandpa England Anerkennung zollen und eine Verbindung zwischen den beiden Regentschaften herstellen, deshalb hat er sich für George entschieden.«

Elizabeth hatte bei ihrem Vater nachgefragt, woraufhin er ihr die Hintergründe erklärt hatte.

»Aha.« Margaret war sichtlich beeindruckt. »Dürfen Königinnen auch ihren Namen wählen?«

»Natürlich.« Elizabeth nickte. »So, jetzt muss ich mich aber wirklich wieder dem Krönungstagebuch widmen.«

»Also gut«, willigte Margaret großzügig ein. »Dann schreib weiter. Aber später spielst du mit mir, so lange ich will«, verlangte sie. »Und vielleicht kann ich dir bei dem Buch ja helfen?«

»Das ist Erpressung … aber gut«, gab Elizabeth grinsend nach.

Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Charaktere hing sie an Margaret. Wenn die kleinere Schwester sich in ihre Arme warf, fühlte Elizabeth, wie stark die Liebe zu ihr war und wie sehr sie hoffte, sie ihr Leben lang beschützen zu können. Margaret und sie waren wie zwei Seiten einer Medaille – sie gehörten untrennbar zusammen.

Elizabeth griff nach der Eulenfeder, die ihre Schwester vor ein paar Minuten achtlos fallen gelassen hatte. Margaret war dazu übergegangen, die Haare ihrer Puppe zu flechten. Sie war ganz in ihr Tun versunken.

»Wie du mir, so ich dir«, stieß Elizabeth den Schlachtruf aus. Sie hob die Hand und ging auf Margaret los.

Margaret fuhr herum und schnappte johlend nach der Feder, doch diese verfing sich in ihrem Haar und landete in ihrem Nacken, wo das Mädchen besonders empfindlich war.

Margaret schnappte erneut, doch Elizabeth war schneller. Eine Weile balgten die Schwestern um die Feder. Hände schossen vor und zurück, während helles Lachen durchs Zimmer flog.

Schließlich ließ Elizabeth von dem Spiel ab und übergab Margaret die Feder, als wäre es eine Krone von unermesslichem Wert.

»Hier. Sie gehört dir. Du hast sie gefunden.«

Margaret wollte etwas erwidern, als die Tür aufsprang und Bobo im Türrahmen erschien. Sie hatte gerötete Wangen und war außer Atem.

»Margaret.« Bobo legte die Hand auf den Brustkorb, erleichtert, ihren Schützling gefunden zu haben. »An die weiten Wege hier im Buckingham-Palast muss ich mich erst gewöhnen. Darauf hätte man mich vorbereiten müssen«, keuchte sie.

Elizabeth sprang Bobo bei. »Deshalb sollten hier alle Fahrräder haben, finde ich«, schlug sie vor. »Auf Rädern kämen wir viel schneller überallhin.«

»Toll!« Margaret schien die Idee ausnehmend gut zu gefallen. »In den Gängen macht Fahrradfahren bestimmt Spaß«, mischte sie sich ein und kicherte vergnügt. »Und wenn ich hinfalle, hilft mir immer jemand auf.«

Bobo lächelte über den Vorschlag. »Fahrradfahren im Schloss ist sicher eine praktische Idee, aber ich denke nicht, dass die königlichen Hoheiten ernsthaft darüber nachdenken, uns Räder zur Verfügung zu stellen.«

»Ich helfe Ihnen, Bobo. Ich werde mit Mummy sprechen«, rief Margaret dazwischen.

Pläne zu schmieden gehörte zu ihren liebsten Beschäftigungen.

Bobo hockte sich vor ihren kleinen Schützling. »Margaret, wie wäre es, wenn wir eine Runde im Garten spazieren gehen?«, versuchte sie das Mädchen zu locken. »Das gute Wetter ist eine Einladung an uns, den Blumen, Schmetterlingen und Bienen einen Besuch abzustatten.«

Margaret schien wenig begeistert. »Das geht leider nicht«, sagte sie. »Lilibet schreibt für Papa ein Krönungstagebuch. Und ich«, sie deutete auf sich, »muss ihr dabei helfen.«

»Ich bin mir sicher, Margaret, dass deine Schwester dir ein paar Stunden freigibt, eben weil heute so schönes Wetter ist. Sehe ich das richtig, Lilibet?«

Elizabeth ging auf das Spiel ein und nickte. »Selbstverständlich gebe ich Margaret frei. Sie kann eine Pause gebrauchen. Vielleicht könntet ihr ein paar Blumen für Mummy pflücken?«, schlug sie vor. »Es sieht bestimmt hübsch aus, wenn wir einen Strauß auf den Tisch im Speisesaal stellen.« Elizabeth ließ unerwähnt, dass bereits überall prachtvolle Sträuße standen und der Palast von Blumenduft durchzogen war.

»Also gut. Dann überraschen wir Mummy damit«, lenkte Margaret ein. »Sollen wir rote, gelbe oder weiße Blumen pflücken?«

»Am besten pflückst du Blumen von jeder Farbe, Bud. Du findest doch immer die schönsten«, lobte Elizabeth.

Margaret schritt umgehend zur Tat und suchte nach ihren Schuhen, die sie sich beim Spiel ausgezogen hatte. Dann ergriff sie die Hand des Kindermädchens und zog sie aus dem Zimmer. »Also los, Bobo. Wir müssen Blumen pflücken, damit Mummy weiß, wie lieb ich sie habe.«

Als die Tür leise ins Schloss fiel, atmete Elizabeth auf. Margaret fiel es schwer, abzuwarten, wenn sie sich etwas vorgenommen hatte. Elizabeth hingegen hatte bereits gelernt, wie wichtig Geduld gepaart mit Entschlossenheit war.

Sie stand auf und wandte sich dem Fenster zu. Draußen zogen inzwischen graue Wolken über den Himmel. Die nächste halbe Stunde wäre sie vermutlich vor Margaret sicher, doch spätestens wenn die ersten Regentropfen sich ankündigten, käme ihre Schwester zurück, um ihr weiter Löcher in den Bauch zu fragen.

Sie setzte sich wieder, nahm den roten Stift und schrieb in ihrer kindlichen Schrift:

Die Krönung. 12. Mai 1937. Für Mummy und Papa. In Erinnerung an ihre Krönung. Von Lilibet.

Der Krönungstag war ein unvergesslicher Tag gewesen. Am Morgen waren sie um 5 Uhr von der Band der Royal Marines, die vor den Fenstern des Palasts spielte, geweckt worden. Es war ein kalter, nebliger Morgen gewesen, doch das hatte Elizabeth nicht davon abgehalten, blitzschnell aus dem Bett zu hüpfen. Margaret war es nicht anders ergangen. Auch sie hatte die halbe Nacht wach gelegen und dem besonderen Ereignis entgegengefiebert.

Noch bevor sie, wie jeden Morgen, in die Gemächer ihrer Eltern schlichen, hatten sie sich, in Decken gewickelt, an der Fensterscheibe die Nasen plattgedrückt, um zu sehen, was sich draußen abspielte. Menschenmengen hatten sich in der Nacht vor dem Palast versammelt, um die Bewohner mit viel Lärm und Gesang auf sich aufmerksam zu machen.

Margaret und ich saßen um 7.30 Uhr am Frühstückstisch. Natürlich konnte Margaret kaum stillsitzen. Draußen war schon viel los, und wenn etwas los ist, will Margaret immer dabei sein und wissen, was die Leute treiben. Nach dem Frühstück sind wir in unsere Kleider geschlüpft. Sie waren aus Seide und cremefarbener Spitze und hatten in der Mitte von oben bis unten kleine goldene Schleifen, was sehr schön aussah. Auch die Puffärmel hatten Schleifchen. Außerdem haben wir Umhänge übergezogen, die in Hermelin eingefasst waren.

Elizabeth dachte an Margarets enttäuschtes Gesicht, als ihr auffiel, dass für Elizabeth eine kleine Schleppe vorgesehen war, für sie jedoch nicht. Doch dann hatte sie die eigens für sie angefertigten Kronen entdeckt, und sofort hatten Margarets Augen wie Sterne gefunkelt, als sie ihre von allen Seiten begutachtete und jedes kleine Detail mit »oh« und »ah« kommentierte.

Als sie fertig angezogen waren, war ihre Gouvernante Marion Crawford, die sie Crawfie nannten, zu ihnen gekommen. Margaret hatte plötzlich eine unerwartete Schüchternheit ergriffen, und Elizabeth hatte ähnlich empfunden. Ihre Kleidung war wunderschön, und sie waren ein bisschen überwältigt von ihrem eigenen Anblick. Von den mit Pelz verbrämten und mit Tressen besetzten Umhängen, die sie tragen würden, während sie den Gang von Westminster Abbey entlangschritten, hoffentlich, ohne einen Fehler zu begehen. Elizabeth wusste, dass dieser Tag Margarets und ihr Leben in die Zeit davor und danach unterteilte. Sie wären andere, wenn die Krönung vollzogen wäre.

»Gefallen Ihnen meine Schuhe, Crawfie?«, hatte Elizabeth gefragt und ihr Kleid hochgezogen, sodass die Gouvernante die silbernen Sandalen sehen konnte.

Sie war rot geworden, als sie die Schrammen vom Herumtollen im Garten an ihren Beinen bemerkt hatte. Sie schienen nicht zu der eleganten Kleidung und den hübschen Schuhen zu passen. Doch sie ließen sich nicht wegzaubern, und Crawfie schienen sie kein bisschen zu stören.

»Alles an dir sieht bezaubernd aus, Lilibet«, hatte sie ihr gut zugeredet. »Ein besonderer Anblick an einem besonderen Tag.«

Elizabeth hatte sich über das Kompliment gefreut. Crawfie würde von Owen, dem Fahrer, in einem Mitarbeiterauto zur Abbey gebracht werden. Doch es gab noch etwas, das sie beschäftigte.

»Ich hoffe, Margaret blamiert uns nicht, indem sie irgendwann einschläft, Crawfie. Schließlich ist sie noch sehr jung für eine Krönung. Meinen Sie nicht auch?«, hatte sie ihre Sorge geäußert.

»Sei beruhigt, Lilibet. Margaret wird ihre Sache ebenfalls gut machen, denn du wirst auf sie aufpassen, nicht wahr?«

Elizabeth riss sich aus ihren Gedanken und setzte abermals den Stift an.

Nachdem wir Mummy einen Abschiedskuss gegeben haben, sind wir mit der Kutsche zur Westminster Abbey gefahren. Anfangs war es sehr holprig, aber wir haben uns schnell daran gewöhnt …

Das Personal hatte die Kutsche mit einem eigens für Margaret angefertigten Sitz ausgestattet, weil sie noch zu klein war, um ohne Hilfsmittel aus dem Fenster der Kutsche sehen zu können. Margaret war begeistert gewesen, endlich richtig groß zu sein, besser gesagt, so zu wirken, als sei sie es.

Elizabeth sah wieder vor sich, wie Margaret voller Enthusiasmus der Menschenmenge zuwinkte, bis sich ihr Gesicht säuerlich verzog, weil ihr Arm weh tat. Vor der Westminster Abbey war Margaret erleichtert aus der Kutsche gestiegen und hatte den Arm hinter dem Rücken versteckt, um nicht mehr winken zu müssen.

… Margaret, Tante Mary und ich sind den Gang der Abbey entlang zu unseren Plätzen marschiert. Wir haben uns hingesetzt und ungefähr eine halbe Stunde gewartet, bis Mummys Prozession begann. Dann kam Papa. Er sah sehr schön aus in der purpurroten Robe und der Cap of Maintenance … Ich fand alles sehr, sehr wunderbar … als Mummy gekrönt wurde und alle Peeressen ihre Kronen aufsetzten, sah es wundervoll aus, Arme und Kronen in der Luft schwebend zu sehen und dann die Arme verschwinden zu sehen, als wäre es Magie. Auch die Musik war schön, und das Orchester und die neue Orgel spielten wunderschön …

Sonnenstrahlen, die durch die Wolken blitzten, breiteten sich über Elizabeth' Schreibtisch aus. Die Prinzessin hielt die Hand in das helle Licht und beobachtete, wie die Schatten, die ihre Finger auf das Holz zeichneten, sich mit jeder kleinen Regung bewegten.

Das goldene Teppichmeer mit dem Krönungsstuhl, die Schwerter, der Reichsapfel und das Zepter, die Treueschwüre … Sie hatte ständig den Blick schweifen lassen und doch nur einen Bruchteil von allem mitbekommen.

Margaret hatten die funkelnden Edelsteine an den Hälsen und Händen der Frauen beeindruckt, die leuchtenden Farben ihrer Gewänder und schimmernden Seidenroben und das glitzernde Gold. Sie hatte Elizabeth ständig geknufft, weil sie ihr etwas zeigen wollte.

Elizabeth war vor allem von den Pferden fasziniert gewesen. Sie waren in geraden Reihen gelaufen, ohne dass auch nur eins der Tiere ausgeschert wäre. Nicht zu vergessen die Soldaten, die so adrett ausgesehen hatten. Die Mall war für die Krönung mit Zuschauertribünen bestückt worden, die mit Bannern mit dem königlichen Wappen geschmückt waren. Die Staatskarosse ihres Vaters, mit all dem Blattgold und der Krone auf dem Dach und den acht weißen Pferden, jedes von einem goldbetressten Stallmeister begleitet, hatte die Menschen in ihren Bann gezogen. Ebenso die berittene Kavallerie mit den im Licht blitzenden Helmen.

Und dann waren da noch die Dudelsackpfeifer aus den Highlands gewesen, die kanadischen Mounties, Sikhs, die zu Fuß gingen, und die Premierminister aus den Herrschaftsgebieten.

Was sie gesehen und erlebt hatte, ließ Elizabeth auch jetzt wieder ehrfürchtig innehalten. Könnte sie doch noch einmal das Zaumzeug des Pferds des Maharadschas bestaunen. Am besten aus nächster Nähe.

Elizabeth hatte das Bild in ihrem Kopf in allen Einzelheiten abgespeichert.

Teil der Krönung gewesen zu sein war unvergleichlich. Auch ihre Eltern würden sich gewiss bis zu ihrem letzten Atemzug an diesen Tag erinnern.

Bei Elizabeth' Großmutter sah das allerdings anders aus. Der Tag, an dem sie Königin geworden war, hatte sich, zu Elizabeth' Staunen, nicht in Großmama Marys Gedächtnis gebrannt.

… Was mich verwundert, ist, dass Großmama Mary sich nur an wenige Momente ihrer eigenen Krönung erinnert. Ich hätte gedacht, dass dieser Tag ihr für immer in Erinnerung bliebe.

Elizabeth griff nach dem Wasserglas neben dem Tablett mit den Stiften, trank einen Schluck und schrieb weiter.

… Die Krönungszeremonie war übermäßig lang. Am Ende wurde sie eher langweilig, da nur noch gebetet wurde. Granny und ich haben nachgesehen, wie viele Seiten es noch bis zum Ende sind. Als wir dann noch eine Seite umgeblättert haben, stand dort das Wort ›Finis‹, ich habe darauf gedeutet, und wir haben uns zugelächelt und unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Zeremonie gerichtet …

Sie war gedanklich noch mit der Krönung beschäftigt, als auf dem Korridor Margarets Lachen erklang.

… Dann sind wir alle auf den Balkon gegangen, vor dem Palast warteten Millionen von Menschen auf uns. Im Anschluss wurden wir in diesen schrecklichen Lichtern fotografiert.

Margaret und sie waren über eine Stunde von allen Seiten fotografiert worden. Ihre Füße hatten furchtbar geschmerzt, dennoch war da auch dieses glückliche Kribbeln gewesen, das sich in Elizabeth' Körper ausgebreitet hatte. Wie Brause, die im Mund blubberte.

Später hatte Crawfie sich bei ihr nach dem Tag erkundigt.

»Hat Margaret sich angemessen verhalten?«, hatte sie gefragt und Elizabeth liebevoll übers Haar gestrichen.

»Margaret war wunderbar, Crawfie. Ich musste sie nur ein paar Mal stupsen, als sie zu laut mit dem Gebetbuch gespielt hat.«

Die Energie, die sich im Laufe eines Tages in Margaret staute, musste sie irgendwann loswerden. Unlängst hatte sie sich während des Unterrichts vor lauter Übermut beinahe den Inhalt eines Tintenfasses über den Kopf geschüttet. Doch den Krönungstag hatte sie gut gemeistert.

Rasch schrieb Elizabeth die letzten Eindrücke nieder. Erleichtert klappte sie das Heft zu und legte es in die Schublade, als die Tür aufsprang und Margaret hereinstürmte. Ihr Haar war zerzaust. In der Hand hielt sie eine Kette aus Gänseblümchen, die sie Elizabeth feierlich aufs Haupt drückte.

»Jetzt bist du ebenfalls gekrönt. Schließlich bist du die Nächste …« Margaret deutete kichernd auf die Krone aus Gänseblumen, deren Blüten bereits die Köpfe hängen ließen. »Aber jetzt spielen wir, ja? Am liebsten Ich sehe was, was du nicht siehst.«

»Du fängst an«, gab Elizabeth klein bei. »Was hast du gesehen? Erzähl …«

Kaum hatte sie ihre Zustimmung zu dem Spiel gegeben, prasselte bereits eine Tirade an Wörtern auf Elizabeth ein.