November 1950

Malta

Elizabeth trat aus der Entbindungsklinik und nahm die Treppe hinunter, dabei warf sie dem Mann im Mantel, der wenige Schritte von ihr entfernt stand, einen unauffälligen Blick zu. Inspektor Usher, der sich in Malta um die Fragen der Sicherheit kümmerte, hielt sich stets dezent im Hintergrund. Elizabeth sah, wie er sich das Gesicht abtupfte, und nickte ihm zu. Die Temperaturen waren gemäßigt, Mr Usher zog dennoch oft sein Taschentuch. Eigenen Aussagen zufolge fühlte er sich in kühleren Gefilden am wohlsten. Wärme, noch schlimmer Hitze, setzten ihm zu.

Elizabeth löste den Blick von dem Inspektor und nahm die herrliche Umgebung wahr.

Philip war im Oktober 1949 als Oberleutnant der HMS Checkers nach Malta beordert worden, und nach Charles' erstem Geburtstag, den Elizabeth mit ihrem Sohn in England gefeiert hatte, war sie Philip erstmals nachgereist, um mit ihm auf Malta ihren zweiten Hochzeitstag zu begehen. Man hatte ihr geraten, Charles zu Hause zu lassen, da das Klima nicht geeignet sei für ein Kleinkind. Zudem war Charles bei seinen Großeltern in Sandringham gut aufgehoben. Und so hatte Elizabeth sich guten Gewissens für ein paar Wochen in der Villa Guardamangia, die Dickie Mountbatten für sich und seine Frau Edwina gemietet hatte, einquartiert.

Die Villa befand sich im Osten der Insel, in Pietà, oberhalb der Häfen, in der Nähe der Hauptstadt Valletta. Ein pittoreskes Anwesen auf einem Hügel, mit großer Terrasse und einem Garten mit Springbrunnen und wunderschönem Blick auf den Hafen Marsamxett; es gehörte zu den ersten Gebäuden, die nach dem Sieg gegen die Osmanen jenseits der Befestigungsmauern eines Forts oder Valletta gebaut worden waren.

Während Philip Dienst tat, erkundete Elizabeth die Hauptstadt und die Orte rundum. Fernab vom höfischen Protokoll war sie nur die Frau eines Marine-Offiziers; eine Frau in ihren Zwanzigern, glücklich, bei ihrem Mann zu sein.

Wenn Philip frei hatte, fuhren sie herum, gingen in Valletta einkaufen, picknickten an einem der einsamen Strände und trafen sich mit Freunden oder gingen abends tanzen.

Nun war sie wieder in Malta, erneut vereint mit Philip.

Alice Egerton, ihre Hofdame, die sie zur Entbindungsstation begleitet hatte, erschien an ihrer Seite. Sie trug die Blumen, die Elizabeth von der Leiterin der Entbindungsstation überreicht bekommen hatte. Ein Bündel herrlicher Blüten.

»Dieses Mal hat es mir so gut gefallen wie beim letzten Mal«, resümierte Elizabeth. »Es tut gut, den Frauen auf der Station durch meine Anwesenheit Kraft zu spenden. Wenn doch alles nur so leicht ginge.«

»Ich hatte den Eindruck, die jungen Frauen spüren, dass Sie eine von ihnen sind«, beeilte die Hofdame sich, das, was sie ausdrücken wollte, auf den Punkt zu bringen. »Sie sehen in Ihnen eine junge Ehefrau, die, wie sie selbst, Kinder zur Welt gebracht hat. Die weiß, was es bedeutet, erst vor kurzem entbunden zu haben.«

»So schien es mir auch«, sagte Elizabeth zögerlich.

Seit sie wieder hier war, kämpften Glück, Freude und ihr schlechtes Gewissen einen Kampf. Mittlerweile war sie zweifache Mutter, doch statt bei ihren Kindern zu sein, war sie auf Malta, viele Seemeilen von Charles und Anne entfernt. Wusste sie wirklich, was es bedeutete, Mutter zu sein? Der Gedanke nagte an ihr und ließ sie schweigen, während sie mit Alice Egerton über den Platz ging.

Ihre Tochter Anne war erst vor einem Monat zur Welt gekommen. Und ausgerechnet an jenem 15. August war Philip zum Kapitänleutnant ernannt worden und hatte ein eigenes Schiff bekommen. Nun war er Kommandant der HMS Magpie. Eine Aufgabe, die ihn zutiefst erfüllte.

»Alle auf der Entbindungsstation waren glücklich, Sie zu sehen …«, sprach die Hofdame weiter und unterbrach damit das bedrückende Schweigen.

»Ja, das habe ich bemerkt.«

Charles und Anne waren in den besten Händen. Ihre Mutter kümmerte sich liebevoll um sie, unterstützt von Mrs Lightbody und Miss Anderson, den schottischen Kinderschwestern.

Elizabeth unterdrückte einen Seufzer. Als sie noch kein Jahr alt gewesen war, waren ihre Eltern zu einer Reise zu den Antipoden aufgebrochen. Sie erinnerte sich nicht an die Zeit ohne sie. Doch man hatte ihr davon erzählt.

Sie jedoch war nicht auf der größten Insel des im Mittelmeer gelegenen Malta-Archipels, um ihre Pflicht am Volk zu erfüllen, wie ihre Eltern es ehemals getan hatten. Sie war hier, weil sie Philip vermisste. Sie hatte es in England kaum ohne ihn ausgehalten. Jeden Abend, wenn sie zu Bett gegangen war, hatte sie sich gewünscht, er nähme sie in den Arm und lauschte ihr, während sie ihm erzählte, was sie den Tag über getan hatte. Sie telefonierten miteinander, natürlich, doch jedes Telefonat war viel zu schnell vorbei. Kaum hörte sie Philips Stimme, mussten sie sich schon wieder voneinander verabschieden.

Elizabeth ermahnte sich, nicht zu streng mit sich ins Gericht zu gehen. Bis Philip nach Malta abberufen worden war, hatte sie Tag um Tag bewiesen, dass ihr durchaus klar war, was man von ihr erwartete. Und in wenigen Monaten wäre sie auch wieder zu Hause.

Zusammen mit ihrer Hofdame ging sie zum Kai, dort stellten die beiden Frauen sich in die wärmende Novembersonne. Elizabeth fühlte, wie der Wind ihr über die Arme strich und die Gedanken endlich ein kleines bisschen leichter wurden.

Die Inselgruppe im Mittelmeer gehörte zum Commonwealth of Nations und war während des Zweiten Weltkriegs ein wichtiger strategischer Stützpunkt für die Alliierten gegen die Achsenmächte des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen. Mit ihrer Krönung, die hoffentlich noch lange auf sich warten ließe, würde sie auch Königin von Malta und Oberhaupt des Commonwealth werden. Vielleicht kämen ihr die Erfahrungen, die sie hier sammelte, eines Tages zugute?

Als sie in die Villa kamen, erwarteten sie Pearce, ihr Diener, und Bobo. Philips Kammerdiener John Dean war ebenfalls auf Malta.

Bobo half ihr aus dem Mantel und nahm ihr den Hut ab. »Ich breche später zu einem Picknick auf«, informierte Elizabeth ihre Zofe. Bobo wusste nichts von dem spontanen Termin, den sie mit Philip ausgemacht hatte.

»Das klingt wunderbar. Morgen findet der Navy Ball in Valletta statt. Bleibt es bei dem ausgesuchten Kleid?«

»Natürlich«, bekräftigte Elizabeth. »Darin kann ich mich gut bewegen und tanzen.«

Das Ballkleid lag am Oberkörper eng an, fiel an den Schultern dezent über die Oberarme und weitete sich ab der Hüfte zu einem elegant schwingenden Rock.

»Alle werden das entzückende Paar, das über die Tanzfläche schwebt, bewundern«, erlaubte Bobo sich anzumerken.

Elizabeth dachte an Margaret. Ihre Schwester fühlte sich von jeder Kreation umhüllt, während sie selbst – Elizabeth – sich lediglich ankleidete. Kleider brachten sie nicht zum Träumen oder ermutigten sie, sich Geschichten dazu auszudenken, die sie später erzählen konnte. Ihre Schwester tat all das. Sie sammelte, was schön war und ihr schmeichelte, und gab es hinterher als Erlebnis weiter. Mode war für Margaret viel mehr als Kleidung. Sie überlegte oft endlos lange, welche Farbe ihr am besten stand und welcher Schnitt der perfekte für ihre Figur war.

Bei dem Gedanken an Margarets Reaktion auf ihr Ballkleid lächelte Elizabeth. Ihre Schwester fände es hinreißend, feminin und ausgesprochen elegant.

Ihr selbst ging es vor allem ums Praktische. Elizabeth achtete gewöhnlich darauf, wie sie sich in dem, was sie trug, bewegen konnte, und natürlich, wie sie darin auf andere wirkte. Was man trug, hatte Wirkung auf das Umfeld. Farben nahmen Einfluss auf Menschen. Es kam darauf an, mit der Garderobe niemandem zu nahe zu treten, etwa, indem man der Gastgeberin die Show stahl. Nicht zu sehr auffallen, lautete Elizabeth' Devise. Abgesehen von den Terminen, bei denen es von ihr gewünscht war aufzufallen, um dem, worauf sie hinweisen wollte, mehr Gewicht zu verleihen.

Sie hatte erst lernen müssen, ihrer Mutter nachzueifern, die genau wusste, welchen Einfluss ihre wie aus einem Märchen wirkenden pastellfarbenen Kleider auf Menschen hatten. Sie spendeten Hoffnung und ließen manch schwierige Situation leichter wirken, als sie tatsächlich war.

Seit ihrer Verlobung mit Philip wurden auch Elizabeth' Kleider immer öfter in den Zeitungen erwähnt und von sogenannten Fachleuten besprochen.

Dass sie als pragmatisch galt, tat dem keinen Abbruch, im Gegenteil. Man unterstellte ihr nicht, durch ihren Kleidungsstil kokettieren zu wollen.

Elizabeth ließ von ihren Überlegungen ab und legte die Hand auf den Arm der Zofe. Bobo war lange ihr Kindermädchen gewesen. Bis Elizabeth dreizehn war, hatte sie bei ihr im Zimmer geschlafen. Und als Margaret geboren worden war, war Ruby, Bobos Schwester, als Margarets Kindermädchen zu ihnen gekommen. Ihre Beziehung war aufgrund dieser Verflechtungen eng. Ein Leben ohne Bobo konnte Elizabeth sich nur schwer vorstellen. Inzwischen war die Zofe über vierzig, doch Bobo wirkte zeitlos, fand zumindest Elizabeth.

»Wie wäre es, wenn du dir morgen freinimmst? Ein Tag nur für dich … Ich komme durchaus allein zurecht«, sagte Elizabeth.

Bobo sah Elizabeth entgeistert an. »Einen Tag freinehmen?«, wiederholte sie und schüttelte irritiert den Kopf. »Das kommt nicht infrage, Lilibet.« Bobo klang entschlossen.

Elizabeth holte aus, um die Hintergründe zu erläutern. »Du tätest mir im Grunde einen Gefallen. Wenn du dir freinimmst, fühle ich mich nicht wie die Einzige, die nichts anderes tut, außer ihr Leben zu genießen.«

»Dein Leben genießen? Du hast heute die Entbindungsstation besucht«, erinnerte sie Bobo. »Das war ein offizieller Termin. Und letzte Woche …«

Elizabeth winkte ab. »Ach, diese Termine sind das reinste Vergnügen. Die Frauen im Krankenhaus haben mir von ihrem Alltag erzählt. Ich musste ihnen nur zuhören. Sonst nichts.«

»Wie wir alle wissen, ist Zuhören eine Kunst, die nicht jeder beherrscht«, sagte Bobo mit weicher Stimme.

Elizabeth versuchte das Bild der Säuglinge in den Bettchen aus ihrem Kopf zu bekommen. Die Gesichtchen, Füßchen und Hände, die zusammengekniffenen Augen und geröteten Wangen und das sanfte Gähnen, wenn sie die kleinen Münder aufrissen und gleich wieder schlossen, um friedlich weiterzuschlafen. All das erinnerte sie an Charles und Anne. Die Sehnsucht nach den beiden wurde die meiste Zeit von ihrer Verliebtheit überdeckt, doch sie war da.

»Die ersten Jahre einer Ehe sind das Fundament für das, was kommt, Lilibet. Sie schmieden Menschen zusammen. Der Duke of Edinburgh und du habt einen langen gemeinsamen Weg vor euch. Einen, den die meisten Menschen sich nicht mal vorstellen können. Du wirst eines Tages die nächste Königin sein, Lilibet, und brauchst jemand neben dir, der weiß, was es bedeutet zu tun, was du tun wirst. Hier auf Malta eröffnet sich dir ein bisschen Raum für Zweisamkeit. Was der Duke tut, ist wichtig für ihn. Er arbeitet an seinem beruflichen Fortkommen. Und du an seiner Seite zeigst ihm, wie wichtig es dir ist, ihn glücklich zu sehen. Er wird die Zeit hier für immer im Gedächtnis behalten.«

Niemand sprach zu ihr wie Bobo. Und niemandem sonst gewährte Elizabeth diese Nähe. Bobo wusste, wie es in ihr aussah, was sie bewegte und was sie belastete. Sie sah die Situation richtig. Philip würde einen langen Zeitraum seines Lebens auf sie abstimmen müssen. Was sprach dagegen, ihm die Zeit auf Malta zu gönnen?

Elizabeth dachte an die schlanke Gestalt ihres Vaters, an die Zigarette, die stets zwischen seinen Fingern glomm, an seine Liebe zu seiner Frau und zu Margaret und ihr. In letzter Zeit war er kränklich, weniger belastbar. Er hatte während des Krieges einfach zu viel geleistet.

Bobo schenkte Elizabeth einen verständnisvollen Blick. »Selbst die schönste Zeit ist eines Tages vorbei, Lilibet. Du tankst auf Malta Kraft, um die Aufgaben, die auf dich warten, bestmöglich erfüllen zu können. Vergiss das nicht. Und was deinen Vorschlag anbelangt: Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich nicht zur Stelle bin, um für dich da zu sein.«

»Ach, Bobo.« Elizabeth wurde leichter zumute. »Du weißt immer, was du sagen musst, damit ich mich besser fühle.« Sie tat ein paar Schritte und spürte Bobos Blick in ihrem Rücken.

»Dafür bin ich da. Und nun sehe ich mal nach dem Tee. Ich habe vorhin um eine Tasse gebeten. Sicher steht er schon bereit. Möchtest du auch eine?«

Elizabeth drehte sich nach Bobo um und hob die Hand. »Nein, danke. Ich habe alles.«

Elizabeth sah, wie Bobo die Tür hinter sich schloss. Auf Malta stand sie ihr noch näher, dabei verhielt sie sich in ihrer Gegenwart stets gleich. Vielleicht lag es an ihr selbst, überlegte Elizabeth. Vielleicht nahm sie Menschen und Situationen im Süden aus einem anderen Blickwinkel wahr …

Sie ging in den zweiten Stock hinauf, wo sie mit Philip eine ganze Zimmerflucht bewohnte, und trat ans Fenster. Ein Wechselspiel aus Sonne und Wolken zog über den Himmel und tauchte den südlich gelegenen Salon in helles Licht, kurz darauf verdunkelten Schatten das Zimmer, dann wurde es erneut hell.

Der Wind rauschte, und die Zikaden zirpten. Plötzlich war Elizabeth wieder mit sich im Reinen. Bobo hatte recht. Auf Malta ließ sie die Zeit für sich arbeiten, damit das Fundament ihrer Ehe auch in Krisenzeiten hielte.

Sie ging zu der Kommode an der gegenüberliegenden Wand, zog die oberste Schublade heraus und sah auf die Briefe, die sie mitgenommen hatte.

Ihr Vater hatte ihr ein paar Tage, nachdem sie in die Flitterwochen aufgebrochen waren, geschrieben. Zeilen, die wärmten, wie keine Sonne es vermochte.

Elizabeth faltete den Brief auseinander. Beim Lesen fühlte sie auch jetzt wieder die innige Liebe ihres Vaters.

Ich habe Dich in all diesen Jahren mit Stolz heranwachsen sehen, unter der Hand von Mummy, die, wie Du weißt, der großartigste Mensch auf der Welt ist. Und ich kann, das weiß ich, immer auf Dich zählen, und jetzt auch auf Philip, dass ihr uns bei unserer Arbeit helft. Deine Abreise hat eine große Lücke in unser Leben gerissen, aber Du darfst nie vergessen, dass Dein altes Zuhause immer für Dich da ist. Komm zu ihm zurück, so lange und so oft wie möglich. Ich kann sehen, dass Du mit Philip überglücklich bist, das ist auch richtig so, aber dass Du uns nicht vergessen mögest, ist der Wunsch Deines

Dich liebenden Papas

Ihre Eltern hatten ihr lange hinterhergewinkt, als sie nach Schottland aufgebrochen waren. Us four, so nannte ihr Vater die Familie – wir vier. Die beiden Worte hoben das starke Band hervor, das die Familie im Kern zusammenhielt. Eine Familie, anders als die, die er als Kind erlebt hatte.

Elizabeth hatte oft darüber nachgedacht, warum Grandpa England so liebevoll zu ihr war, diese Liebe seinen eigenen Kindern jedoch vorenthalten hatte.

»Mein Vater hatte Angst vor seinem Vater, ich hatte Angst vor meinem Vater, und ich werde verdammt noch mal zusehen, dass Edward und Albert Angst vor mir haben.«

Das waren einst die erschreckenden Worte ihres Großvaters gewesen. Antworten darauf, was es mit dieser Einstellung gegenüber seinen Kindern auf sich hatte, hatte Elizabeth nie bekommen. Ihre Großmutter, Königin Mary, schwieg eisern zu dem Thema.

Während ihrer Flitterwochen hatte Elizabeth alles um sich herum vergessen. Die Zeit mit Philip hatte sie voll und ganz ausgefüllt. Doch eines Morgens war sie plötzlich sehr früh aufgewacht und hatte sich besonnen, wie egoistisch sie war, weil sie die Gefühle ihrer Eltern und Margarets vollkommen vergaß. Ohne zu zögern, war sie aufgestanden und hatte sich darangemacht, ihnen in einem Brief zu erzählen, dass Philip und sie lange Spaziergänge unternahmen und sich hinterher durchgefroren vor dem Kamin einfanden. In der Hand ein heißes Getränk oder etwas Stärkeres. Schottland kam ihnen weit weg von der Welt vor. Hier fühlten sie sich aufgehoben, wie in einem Kokon, der sie schützte. Sie schloss den Brief mit den Worten: Ich finde, ich habe die beste Mutter und den besten Vater der ganzen Welt. Und die beste Schwester von allen.

Ihre Worte hatten ausgedrückt, was sie tief in sich spürte, wenn sie an ihre Familie dachte.

Elizabeth steckte den Brief ihres Vaters zurück in den Umschlag. Dann öffnete sie das Fenster und sog die salzige Meeresluft ein.

Valletta mit den imposanten Festungsanlagen, den prächtigen Palästen und Kirchen war ihr beim ersten Besuch beeindruckend vorgekommen. Doch rasch hatte sie herausgefunden, dass sie sich am liebsten in den kleinen Gassen umsah, von denen sich, wie in einem Labyrinth, immer wieder Abzweigungen ergaben, die sie in neue Gegenden führten. Mit Hut und Sonnenbrille war sie kaum zu erkennen.

Als Philip 1946 aus Fernost zurückgekehrt war, wo er die japanische Kapitulation in der Bucht von Tokio miterlebt hatte, und sie gemeinsam das Musical Oklahoma angeschaut hatten, hatte sie hinterher in Dauerschleife People will say we're in love gehört und dabei in ihrer Verliebtheit geschwelgt.

Auch Philip war von seinen Gefühlen überwältigt gewesen. Er hatte ihrer Mutter geschrieben, er frage sich, wie er all die guten Dinge verdiene: im Krieg verschont geblieben zu sein, sich neu orientieren zu können und sich völlig vorbehaltlos zu verlieben. Sich zu verlieben, hat mehr für mich getan als alles andere in meinem Leben.

Elizabeth fuhr sich mit der Hand über den Unterarm und lächelte versonnen. Philips Worte zeichneten ihre Liebe als etwas Beeindruckendes. Etwas, das mehr war als nur die Gefühle, die sie füreinander empfanden.

»Ich bin mir dessen bewusst, dass wir einen langen, keineswegs gewöhnlichen Weg miteinander gehen«, hatte er ihr versprochen. »Vielleicht ist dieser Weg mitunter beschwerlich, doch wir werden ihn schon schaffen.«

Seine Karriere war Philip sehr wichtig. Doch neben der Navy strebte er danach, sie zu einer gemeinsamen Existenz zusammenzuschweißen, sodass sie gemeinsam etwas Gutes bewirken konnten.

Elizabeth schätzte seine pflichtbewusste, vorausschauende Seite, denn sie kam ihrem eigenen Charakter sehr nahe, doch sie mochte auch seinen Humor.

»Lachen leistet einen wichtigen Dienst an der Menschheit. Warum sollte ich mir eine Gelegenheit dazu entgehen lassen«, war sein Standpunkt.

Dass er mit seinem Humor manchmal übers Ziel hinausschoss, störte ihn nicht.

Elizabeth wurde rot, als sie an gemeinsame nächtliche Stunden dachte.

»Du hast wundervolle Haut, Liebes«, hatte Philip ihr erst wieder in der vergangenen Nacht zugeflüstert. Es war herrlich gewesen, in seinen Armen zu liegen, ihr Körper übersät von seinen Küssen. In dem Gefühl, zutiefst geliebt zu werden, war sie schließlich eingeschlafen.

Elizabeth versuchte, sich von dem Bild zu lösen. Plötzlich überzog ein schelmisches Grinsen ihr Gesicht. Es war amüsant, wie schockiert die Kammerdiener anfangs reagiert hatten, als herausgekommen war, dass der Duke of Edinburgh nachts keinen Schlafanzug trug.

Philip vertrat den Standpunkt, nur weil andere altmodische Pyjamas trugen, musste er es nicht auch tun.

»Du bist du, Philip. Ein Unikat. Daran werden sich schon alle gewöhnen«, hatte Elizabeth ihn unterstützt.

Und es stimmte. Inzwischen wussten alle, dass Philip seinen eigenen Kopf hatte.

Elizabeth' Gedanken wanderten nach Südafrika. Ihr Vater hatte ihr während der Reise vor dreieinhalb Jahren die auf sie zukommende Rolle verdeutlicht. Zurück in London, hatte Elizabeth zum ersten Mal gefühlt, wie ihre Zukunft aussehen würde. Sie würde dem Volk dienen, wie schon ihr Großvater und viele vor ihm es getan hatten, und wie ihr Vater und ihre Mutter es nun taten. Sie wünschte sich lediglich noch ein bisschen Zeit mit Philip und den Kindern, bis es für sie so weit wäre.

Elizabeth sah auf den Sonnenhut auf dem Bett.

Für die Weihnachtsfeiertage während ihres zweiten Ehejahrs war sie per Bahn und Schiff nach Malta gereist. Und im März darauf war sie zurückgekommen, um mit Philip und ein paar Freunden ihren vierundzwanzigsten Geburtstag zu feiern. Damals hatte eine der Offiziersfrauen ihr den Hut geschenkt.

Malta war überschaubar. Hier saßen die Navy-Frauen an Bistrotischen und tranken Limonade, aßen Eis und plauderten über die Karrieren ihrer Männer, das Wetter oder ein geplantes Abendessen. Ungezwungene Tage wie diese hatte Elizabeth nie zuvor erlebt. Dass ihr Mr Usher auf Schritt und Tritt folgte, ließ sie unerwähnt. Er hatte inzwischen Übung darin, so gut wie unsichtbar zu sein.

Elizabeth griff nach dem Hut und setzte ihn auf. Als sie sich im Spiegel betrachtete, dachte sie an Valerie, deren Mann mit Philip auf der HMS Checkers Dienst getan hatte. Sie war voller Vorfreude auf den morgigen Abend, wenn sie sie sehen würde.

»Hier, trink.« Valerie reichte Elizabeth ein Glas, in dem Eiswürfel klirrten.

»Was ist das?« Elizabeth ließ die Flüssigkeit kreisen und sah auf das helle Braun in dem Kristallglas.

»Das fragst du mich?« Valerie kicherte wie ein Schulmädchen und stieß mit Elizabeth an. »Ich habe keine Ahnung. Hauptsache, es macht mich locker, damit ich besser tanzen kann. Du weißt ja, dass ich auf diesem Gebiet nicht gerade eine Könnerin bin.«

Valerie zog das pastellgelbe, bodenlange Kleid einen Fingerbreit hoch und ließ die Füße, die in Satinschuhen steckten, kreisen.

Von hinten legten sich zwei Arme um Elizabeth. Sie fuhr herum und sah in Philips wasserblaue, strahlende Augen, die sie eingehend musterten. Sein Gesicht war vor Hitze und Lachen gerötet. Die Art, wie er sie an sich heranzog, hatte etwas wunderbar Vertrautes. Seine Hände blieben kurz auf ihren Schultern liegen, dann ließ er seine Fingerkuppen an ihren Armen hinunterwandern.

Elizabeth lief rot an, weil Philip nicht darauf achtete, ob jemand sie beobachtete. So nah kamen sie sich in der Öffentlichkeit gewöhnlich nicht.

»Keine Sorge, Darling«, sagte er, »ich habe keineswegs jede Scheu abgelegt, falls du das glaubst. Ich habe bloß einen Deal mit den Fotografen geschlossen. Kein Bild, das nicht von mir abgesegnet wird. Genauer gesagt, nur ein paar Bilder, für die wir posieren werden.«

»Meine Güte, du bist mein Held«, freute sich Elizabeth und warf Philip einen Luftkuss zu.

»Dass ich dein Held bin, höre ich gern.« Philip sprach das Wort Held mit ganzer Konzentration aus und grinste zufrieden. »Und weil ich so heldenhaft bin, könntest du jetzt mit mir tanzen.«

Er legte an Ort und Stelle einen kurzen Stepp hin. Seine Füße flogen hin und her, die Arme bewegten sich dazu, er grinste noch immer, als er endete.

Elizabeth hatte ihm beeindruckt zugesehen. Jede seiner Bewegungen hatte etwas herrlich Intimes. Sie hatten unlängst vor dem Zubettgehen miteinander getanzt – nur sie beide. Hinterher waren sie aufs Bett gefallen und hatten sich lange geküsst.

»Nun überstürz mal nichts«, erwiderte Elizabeth. Bei der Erinnerung an jenen Tanz und die Küsse stieg erneut Farbe in ihre Wangen.

»Ach was, wir sind jung. Wir dürfen alles. Also los. Komm schon.«

Elizabeth wollte Philips Wunsch gerade nachgeben, als ein Mann, er musste an die zwei Meter groß sein, sich zwischen die Gruppe Frauen und Männer schob und vor ihr stehen blieb.

»Dürfte ich um den nächsten Tanz bitten … wenn es genehm ist«, rief er über den Lärm der Feiernden hinweg.

Elizabeth betrachtete die Uniform des Mannes. Sie war in tadellosem Zustand, sein Haar sauber geschnitten. Das Orchester stimmte gerade einen Song an. Tanzwillige aus allen Richtungen strömten herbei und begannen, sich im Takt der Musik zu drehen.

Elizabeth schlüpfte unter Philips Armen hindurch und legte die Hand in die ausgestreckte Hand des Fremden, dabei warf sie Philip einen kecken Blick über die Schulter zu und folgte ihrem Tanzpartner auf die Tanzfläche.

»Er drängelt sich gern vor«, sagte einer der Offiziere neben Philip. »Das gehört zu seinem Charakter.«

»Solange er meine Frau nach zwei Tänzen wohlbehalten zu mir zurückbringt, soll es mir recht sein«, nahm Philip es gelassen.

Ein weiterer Offizier mischte sich ein. »Meine Frau darf ruhig den Unterschied zwischen mir und anderen Tänzern, die ihr dauernd auf die Füße steigen, herausfinden. Ein Pluspunkt für meine Wenigkeit kann nicht schaden«, sagte er lachend.

Philip sah zu Elizabeth hinüber. Sie schwebte über die Tanzfläche, der Rock ihres eleganten Abendkleids schwang im Takt. Darunter blitzten ihre Tanzschuhe hervor. Wie meist, wenn sie etwas tat, war sie auch beim Tanzen ganz bei der Sache.

Die Musik verklang, die Tanzenden applaudierten.

»Danke für den Tanz«, sagte Elizabeth' Begleiter und führte sie zu ihrem Tisch zurück.

Philip griff nach ihrer Hand und umschloss sie.

»Du tanzt wie eine Göttin. Schenkst du mir den nächsten Tanz, Liebes?«

Elizabeth beugte sich vor und flüsterte ihm ins Ohr. »Mehr als das … ich schenke dir mein ganzes Leben.«