Juni 1953

England, London

»Die Krönung wird von fast einem Viertel der Weltbevölkerung gefeiert. Wenn man die Bewohner Großbritanniens und des Commonwealth zusammenzählt, kommt man auf fast sechshundertfünfzig Millionen Menschen.« Margaret strich sich vorsichtig über das Haar, das wie immer in perfekten Wellen lag.

»Alle Hotels und Pensionen sind nicht nur ausgebucht, sondern überfüllt.« Sie legte das Gewicht ihrer Aussage auf das letzte Wort. »Und sämtliche Sitze auf den Tribünen sind ganz schnell ausverkauft gewesen.« Sie schnippte mit den Fingern. »So schnell konntest du gar nicht schauen, sind auf dem Schwarzmarkt Plätze für fünfzig Pfund gehandelt worden.«

»Fünfzig Pfund?«, wiederholte Elizabeth. Am 2. Juni wäre es so weit. An diesem Tag würde sie gekrönt werden – Königin Elizabeth II.

»Ja. Es ist verrückt, nicht wahr?« Margaret plauderte unbefangen weiter und schlug die Beine unter. »Balkone, von denen aus der Zug zu sehen sein wird, kosten sogar noch mehr. Ich habe von dreitausendfünfhundert Pfund für fünfzig Personen gehört … allerdings ist in dem Preis der Champagner inbegriffen. Und außerhalb Londons organisiert man offenbar die Aufteilung der Menschen auf die zur Verfügung stehenden Fernsehapparate.«

Die Geräte waren gerade in den Handel gekommen und würden vielen Menschen die Möglichkeit geben, die Krönung mitzuerleben.

»Es werden Bierkrüge, Teller und Abzeichen mit dem Union Jack verkauft.«

Elizabeth hörte ihrer Schwester zu und dachte dabei an ihre Großmutter. Mary war am 24. März verstorben und hatte verfügt, dass ihr Ableben keinen Schatten auf die Krönung ihrer Enkeltochter werfen dürfe. Der Trauerzug mit den Regimentern durch die abgeschirmten Straßen stand Elizabeth noch deutlich vor Augen. Mary war neben ihrem Gemahl in der St. George's Chapel in Windsor beigesetzt worden. Sie vermisste sie.

Margaret erzählte weiter. Sie musste alles Wichtige, das sie irgendwo aufgeschnappt hatte, loswerden.

Schließlich sprach Elizabeth: »Gott sei Dank hatte ich seit der Thronbesteigung sechzehn Monate Zeit, um mich auf den entscheidenden Tag vorzubereiten. Ich hoffe, ich werde niemanden enttäuschen.«

»Das wirst du schon nicht, Lilibet. Du hast ja tatkräftige Unterstützung. Und das diamantbesetzte Diadem, die Schärpe und der Hosenbandorden strahlen eine geradezu magische Kraft aus.«

Der Orden des blauen Hosenbandes, auch Orden des Heiligen Georg in England, war der älteste und höchste britische Orden und einer der angesehensten Europas. Im 14. Jahrhundert hatte ihn Eduard III. ins Leben gerufen. Elizabeth mochte die zugrundeliegende Geschichte:

Catherine Grandison, die Countess of Salisbury, so hieß es, hatte ehemals beim Tanz mit Eduard III. ihr blaues Strumpfband verloren. Um die peinliche Situation zu retten, hob der König das Strumpfband auf und band es sich selbst ums Bein – so erzählte es die Legende. Dem allgemeinen Gelächter der Anwesenden entgegnete er auf Französisch: Honi soit qui mal y pense … Beschämt sei, wer Schlechtes dabei denkt.

Ob die Gründung tatsächlich auf dieses Ereignis zurückzuführen war, ließ sich nicht beweisen, doch der Ausspruch war bis heute das Motto des Ordens. Die Mitglieder wurden nach ihren Verdiensten um das Königreich oder den Souverän ausgewählt. So auch Philip. Dass das Hofpersonal ihn als schwierig empfunden hatte – stachelig –, lag lange zurück. Von Tag zu Tag hatte er mehr Anerkennung gewonnen. Und nun nahm man wohlwollend zur Kenntnis, dass er die Krönung vorantrieb, als wäre es seine eigene. Wie oft hatten sie sich mit Elizabeth' Privatsekretär Tommy Lascelles besprochen, hatten Dinge für gut befunden und wieder verworfen.

»Irgendjemand von der Time hat angemerkt, dass alle hinter dir zurückfallen: Captain Carlsen, der in schwerem Sturm auf der Flying Enterprise ausgeharrt hat, Marilyn Monroe, sogar Dwight Eisenhower und etliche andere, wie Nagib in Ägypten. Du hast angeblich die geheimnisvolle Macht zurückgewonnen, die Herrschenden zu eigen ist, und verkörperst die Sehnsüchte des kollektiven Unbewussten.«

Elizabeth wurde es langsam zu viel. »Jetzt hör schon auf, Bud.« Sie machte eine abwehrende Handbewegung. »Es wird ein außergewöhnlicher Tag werden, durchaus. Doch das Entscheidende ist die Arbeit, die ich hoffentlich gut erledigen werde.«

»Diese nüchterne Sichtweise ist mal wieder typisch für dich.« Margaret bekam sich gar nicht mehr ein. »Die Krönung hält die Menschen seit Monaten in Atem. Viele werden noch Jahre später davon erzählen, sich Fotos und Filme anschauen und ihre Erlebnisse und Empfindungen mit anderen teilen. Es wird bereits ein neues Elisabethanisches Zeitalter ausgerufen.«

Margaret war eindeutig in Redelaune. Wenn das der Fall war, war sie nicht zu stoppen. Elizabeth sah das verräterische Glitzern in den Augen ihrer Schwester. Die Beziehung zu Peter Townsend ließ Margaret strahlen, bereitete Elizabeth jedoch seit Langem schlaflose Nächte. Die Affäre gedieh im Geheimen, doch es wurde längst hinter vorgehaltener Hand darüber getuschelt. Townsend war Vater zweier Söhne und inzwischen geschieden. Eine Ehe mit Margaret war dennoch unmöglich, denn weder die Kirche noch das Parlament tolerierten, dass Geschiedene erneut heirateten. Zudem war Townsend Bürgerlicher.

Als ihr Vater 1944 nach einem Stallmeister, der die Aufgabe des persönlichen Assistenten erfüllte, Ausschau gehalten hatte, hatte er das Luftfahrtministerium nach Männern befragt, die an der Front gekämpft hatten und für diese Aufgabe infrage kämen. Sofort war Peter Townsends Name gefallen. Er hatte während des Zweiten Weltkriegs an vorderster Front gedient, und als sein Flugzeug angeschossen und das Cockpit zerstört worden war, hatte er sich mit dem Fallschirm ins Meer gerettet. Nachdem er von einem Kriegsschiff der Marine aufgenommen worden war, war er noch am selben Tag wieder in ein Flugzeug gestiegen und hatte Tag- und Nachtoperationen bis zur totalen Verausgabung geflogen. Dieser Einsatz ohne Limit hatte Elizabeth' Vater beeindruckt. Er hatte Peter nicht nur zu seinem Stallmeister gemacht, sondern später auch die Patenschaft für seinen Sohn Hugo übernommen.

»Jetzt schau doch mal ein bisschen genauer hin, Lilibet«, unterbrach Margaret Elizabeth' Gedanken. »Es ist keineswegs übertrieben, zu behaupten, dass derzeit wieder so ein Gemeinschaftsgeist wie nach dem Krieg herrscht. Weißt du nicht mehr, wie großartig es war, als wir uns heimlich unter die Feiernden gemischt und dieses Miteinander erlebt haben?« Sie schmückte einzelne Erlebnisse in den buntesten Farben aus.

Elizabeth erinnerte sich nur zu gut. Ihre Eltern hatten während des Krieges darauf bestanden, nicht von den allgemeinen Einschränkungen ausgenommen zu werden. Ihr Essen war – bis auf das Wild aus den königlichen Besitzungen – rationiert gewesen wie bei allen anderen. Und selbstverständlich waren die schweren Vorhänge zur Verdunklung stets zugezogen worden. Die wenigen Glühbirnen hatten kaum etwas an dem schummerigen Eindruck der Räume geändert. Sie hatten an allen Ecken und Enden gespart, sogar am Badewasser, dessen erlaubte Höhe durch einen dunklen Strich in den Wannen gekennzeichnet worden war. Die Seife, diese dünnen, rissigen, fast durchsichtigen Stücke, hatte Elizabeth oft genug die Hände aufgeritzt.

Doch in jener Nacht hatten Margaret und sie mit den Menschen auf den Straßen gefeiert. Nichts war auf einen Schlag vergessen gewesen, sie hatten gewusst, dass die harten Zeiten nicht vorbei waren, doch die Empfindung der Hoffnung hatte alles um sie herum in strahlendes Licht getaucht. Diese Hoffnung hatte sie beflügelt wie nichts je zuvor.

»Und nun ist es so ähnlich wie damals«, plauderte Margaret weiter. »Die ganze Welt scheint plötzlich königstreu zu sein. Und das nur deinetwegen, Lilibet. Wann hat es je eine so junge Königin gegeben?«

Elizabeth spürte Margarets Hände auf der Schulter. Ihre Schwester schaute sie eindringlich an, von jedem Wort, das sie ausgesprochen hatte, zutiefst überzeugt.

»Ich habe nichts vergessen, Bud. Wie könnte ich? Es war das erste Mal, dass wir keine Prinzessinnen sein mussten und uns in den Straßen Londons über das Ende des Krieges freuen konnten.«

»Es war eine magische Nacht. Ich werde sie immer im Gedächtnis behalten. Und nun stell dir vor, in welchem Taumel das Land sich gerade befindet.«

Margaret ließ von Elizabeth ab, ging zu dem Tisch und goss aus der Karaffe Wasser in ein Glas. Sie trank einen Schluck und schien nachzudenken.

Elizabeth wusste, dass sich das Land wieder im Ausnahmezustand befand. Sie machte nur nicht so viel Aufhebens darum, weil es diesmal um ihre Person ging. Vermutlich verbanden die Menschen die kleine Prinzessin, die sie bei der Krönung ihres Vaters gewesen war, mit der verschmierten Mechanikerin in Uniform des Kriegshilfsdienstes und der romantischen Braut an der Seite ihres ausländischen Prinzen … und nun blickten sie gespannt auf die junge Frau, die bald offiziell gekrönt werden würde. Und wegen dieser Krönung waren die Augen aller Welt auf Großbritannien gerichtet.

»Und erst die verstaubten Titel, die allen mit einem Mal so ungeheuer gefallen.« Margaret stellte das Glas zurück. »Großzeremonienmeister … Lord Great Chamberlain, Oberstallmeister, Mistress of the Robes«, zählte sie auf. »Das Krönungszeremoniell schlägt offenbar selbst die größten Skeptiker in seinen Bann. Manchmal denke ich, es ist wie in einem Märchen, dem alle mit Spannung lauschen.«

»Erinnere mich nicht an den Marchess of Cholmondeley.« Elizabeth verzog amüsiert das Gesicht. »Die Frage, ob anstelle von Hermelin auch Kaninchenfell zum Besatz verwendet werden kann, schien ihm keine ruhige Minute zu lassen.«

Der Großzeremonienmeister war die letzte Instanz in Garderobenfragen und hatte sich noch über die kleinsten Kleinigkeiten den Kopf zerbrochen.

Tatsächlich hatte es weit Wichtigeres zu klären gegeben, fand Elizabeth. Das Öl, mit dem sie gesalbt werden würde, wurde seit Zeiten Karls I. nach einem besonderen Rezept hergestellt: Orangenblüten, Rosen, Zimt, Jasmin, Sesam, Moschus, Zibet und Ambra. Einst war es Tradition, von der vorgeschriebenen Mischung eine so große Menge herzustellen, dass es für mehrere Krönungen reichte, doch Königin Victoria hatte so lange den Thron innegehabt, dass der Vorrat körnig geworden war.

Und so war für König Eduard VII. und für ihren Großvater, George V., eine neue Mixtur hergestellt worden. Doch das für ihren Onkel David und für ihren Vater verwendete Öl war in der Sakristei von Westminster Abbey aufbewahrt worden und der Glasbehälter bei den Bombenangriffen zu Bruch gegangen. Und die Apotheke, die die Mischung seit Königin Victorias Zeiten herstellte, war inzwischen geschlossen. Also hatte man sich auf die Suche nach einem Verwandten des Apothekers gemacht, in der Hoffnung, er habe noch ein paar Unzen der ursprünglichen Ölmischung aufbewahrt. Man war tatsächlich fündig geworden und hatte schlussendlich einen Apotheker in der Bond Street damit betraut, das Öl nach der entsprechenden Formel herzustellen. Die Öffentlichkeit hatte es geschätzt, dass der Mann einen Monat vor Beginn seiner Arbeit das Rauchen aufgab, um seinen Geruchssinn zu verbessern. Allgemein war befunden worden, der Apotheker erweise sich seiner bedeutenden Aufgabe als würdig.

Das zweite Thema, das sie beschäftigt hatte, war die Tatsache, dass die Krönung gefilmt werden würde. Philip hatte insistiert, man müsse das neue Medium Fernsehen im Sinne der Krone nützen und die Menschen auf jedmögliche Weise teilhaben lassen.

Und dann hatte Elizabeth sich lange Gedanken über das Commonwealth gemacht. Norman Hartnell hatte Roben aus weißem Satin im selben Schnitt wie ihr Hochzeitskleid entworfen. Er hatte ihr neun Entwürfe vorgelegt: mit der englischen Rose, der schottischen Distel, dem irischen Kleeblatt und dem Lauch von Wales.

»Nicht nur die Embleme Großbritanniens müssen zu sehen sein, sondern auch die der Commonwealth-Länder«, hatte Elizabeth angemerkt. Wie sollte sie ein Kleid tragen, das nicht alle, die unter der englischen Krone lebten, einschloss?

Hartnell hatte unverzüglich auf ihre Anregung reagiert. »Ma'am, dann schlage ich vor, wir nehmen in den Saum den Lotus von Ceylon, die Proteusblüte aus Südafrika, die australische Akazie, Weizen für Pakistan und Jute und die entsprechenden anderen Muster für die übrigen Länder auf.«

Er hatte ihre Wünsche verstanden und würde sein Versprechen halten, darüber hatte Elizabeth sich keine Gedanken mehr machen müssen.

Der wichtigste Punkt war die praktische Vorbereitung auf die Krönung. Sie durfte nicht stolpern oder sonst etwas falsch machen. So hatte sie sich ein Bettlaken an die Schultern heften lassen, um das Gefühl der Krönungsschleppe nachzuempfinden.

Mit der provisorischen »Schleppe« war sie im Weißen Salon im Schloss und im Ballsaal, der mit Pfosten und Bändern markiert worden war, herumgegangen. Als Nächstes hatte sie die Proben mit der aus massivem Gold bestehenden St.-Edwards-Krone fortgesetzt. Sie war so schwer, dass Elizabeth Sorge gehabt hatte, sie könne die Krone nicht so lange tragen wie vorgesehen. Als sie diese Angst aussprach, hatte man ihr geraten, die leichtere Imperial Crown of State, die Staatskrone, zu wählen, die eigens für Königin Victoria angefertigt worden war.

»Und welche Krone wirst du tragen?«, wollte Margaret nun wissen.

»Die St.-Edwards-Krone«, antwortete Elizabeth.

»Wette gewonnen.« Margaret hob siegessicher die Hand. »Ich hatte keine Zweifel daran, dass du dich für die offizielle Königskrone entscheidest. Aber keine Sorge … ich habe nicht wirklich mit jemandem gewettet. Ich war mir einfach nur sicher.«

»Du kennst mich eben gut.« Elizabeth lächelte.

»Wenigstens trägst du auf dem Weg zur Westminster Abbey das Diadem Königin Victorias. Ein Leichtgewicht im Vergleich zur Krone.«

Königin Victorias Diadem war ein mit Diamanten besetzter Reif mit dem Georgskreuz. Erst in der Abbey würde Elizabeth mit der St.-Edwards-Krone gekrönt werden.

»Hast du noch mal mit dem Erzbischof gesprochen?«, wollte Margaret wissen.

Elizabeth nickte. Das Prozedere, von dem ihre Schwester sprach, war für die äußere Welt inklusive der Medien bestimmt. Was wirklich geschähe, fände zwischen Gott und ihr statt. Das Programm des Erzbischofs von Canterbury sollte ihr dabei helfen, sich auf diesen inneren Austausch vorzubereiten. Geoffrey Fisher hatte tägliche Bibellesungen und Meditationen ausgesucht, an die Elizabeth sich strikt gehalten hatte. Die Stunden mit den Texten, versunken in Meditation, hatten ihr ein ums andere Mal verdeutlicht, wie wichtig der heilige Schwur war, den sie ablegen würde. Der Schwur, ihrem Volk vorbehaltlos zu dienen. Sie gäbe ihr Leben der Krone hin.

Auch Philip war bewusst, wie ernst sie diesen Schwur nahm und wie sehr er sich auch auf sein Leben auswirkte. Obwohl Elizabeth sich sicher war, dass Zeiten kommen würden, in denen er darunter litt, hinter ihr zurückzustehen und seine Karriere aufgegeben zu haben, war sie davon überzeugt, nicht von ihm enttäuscht zu werden.

Aufgrund seiner Herkunft und der Geschichte seiner Familie verstand Philip ihre Hingabe zum Dienst am Volk. Sein Anteil an ihrer lebenslangen Pflicht wäre kein geringer. Doch würden ihre Kinder es ebenfalls verstehen? Hätte sie genug Zeit für sie?

Margaret kam zu ihr und küsste sie auf die Wange, dabei schlang sie die Arme um Elizabeth. »Versprich mir, dass sich nie etwas zwischen uns ändert, nur, weil du nun Königin bist. Wir sollten immer zuallererst Schwestern sein – Lilibet und Bud.«

Sie klang kleinlaut wie als Kind, wenn sie etwas ausgefressen und Elizabeth um Hilfe gebeten hatte.

»Wir werden immer wir selbst sein, Bud. Schon, weil wir jeden Tag miteinander telefonieren.«

Margaret verzog die Stirn. »Falls du dazu in Zukunft noch Zeit haben wirst.«

Elizabeth schenkte ihrer Schwester einen vertrauensvollen Blick. »Für dich und Mummy werde ich immer Zeit finden.«

»Und für Philip«, stellte Margaret richtig. »Nicht zu vergessen Charles und Anne.«

Elizabeth war erleichtert, dass Margaret Peter Townsend unerwähnt ließ. Dies war nicht der rechte Moment, um über ihre sehnsüchtig erhoffte Zukunft mit ihm zu sprechen. Die Last dieser Entscheidung träfe sie früh genug. Elizabeth zog Margaret an sich und hielt ihren zarten Körper umschlungen, froh, dass sie diesen Moment miteinander hatten.

Nach einer Regennacht brach der Krönungsmorgen an.

Abends zuvor hatte Elizabeth die Red Box durchgesehen, die man ihr täglich brachte. Sie verwandte viel Zeit auf die Unterlagen des Parlaments und der Regierung, und jedes Mal, wenn sie die Box öffnete, dachte sie an ihren Vater, der sie hin und wieder Zeugin dieser Aufgabe hatte sein lassen.

Sie sah die Stapel Papiere so akribisch durch, wie er es getan hatte. Inzwischen fand sie sich auch immer besser zurecht.

Elizabeth dachte an das Epson Derby am kommenden Tag – sie wünschte sich sehnlichst, dass dort einmal eins ihrer Pferde siegen würde –, als Philip ihr aus seinen Räumlichkeiten entgegenkam. Er hatte den Vorsitz über das Krönungskomitee.

»Es gibt Neuigkeiten, Lilibet«, sprudelte es aus ihm heraus. »Der Mount Everest wurde unter Captain John Hunt bestiegen. Edmund Hillary …«

»Warte …«, Elizabeth legte den Zeigefinger gegen die Lippe, »… Hillary … ist das nicht der Imker aus Neuseeland?«

»Richtig, und ebenjener Hillary und sein Sherpa Tensing Norgay haben als Erste den Gipfel erreicht.«

»Was für eine bemerkenswerte Leistung. Ich werde über das Außenministerium Glückwünsche übermitteln lassen.«

»Tu das. Wann geschieht schon etwas derart Beeindruckendes.« Philip sah die Regenschlieren auf dem Fenster. »Wenn du mich fragst, ist diese herausragende Tat ein besseres Omen für deine Krönung als gutes Wetter«, prophezeite er.

»Das will ich hoffen«, erwiderte Elizabeth. »Über das Wetter haben wir keine Kontrolle. Darüber, ob wir uns davon beeinträchtigen lassen, schon.«

Philip fing sie mit dem rechten Arm ein und zog sie an sich. »Und wieder mal sind wir uns einig, Liebes.« Er küsste sie auf die Nasenspitze und sah sie forschend an. »Übrigens drängen sich seit gestern Abend auf der Mall zirka dreißigtausend Menschen. Mit Bettzeug, Hockern, Spirituskochern und Zeltplanen.«

»In dem Regen. Mein Gott, die Ärmsten.« Elizabeth schüttelte den Kopf.

»Bist du nervös?« Philip sah sie fragend an.

»Darf ich eine Gegenfrage stellen?« In Elizabeth' Augen standen Zuversicht und Entschlossenheit. Alle anderen Gefühle hatte sie beiseitegeschoben.

»Nur zu.«

»Kennst du jemanden, der besser vorbereitet ist als ich? Wenn ich jetzt nervös bin, waren die stundenlangen Übungseinheiten umsonst.« Sie schmunzelte, machte aber durch eine Handbewegung deutlich, dass sie durchaus nervös war.

»Du wirst dem Volk eine würdige Königin sein, daran besteht für mich kein Zweifel.«

Elizabeth seufzte. »Das hoffe ich. Mit Gottes Gnaden werde ich es schon schaffen.«

Gegen acht Uhr begannen die Auffahrten. Der Lord Mayor fuhr in einer Karosse, die von sechs Grauschimmeln gezogen wurde, zur Westminster Abbey. Erstes Staatsoberhaupt war Königin Salote von Tonga. Zur Freude der Schaulustigen war das Verdeck ihrer Kutsche trotz des Regens heruntergeklappt. Man sah die auffällige rote Feder an ihrem Hut und den Sultan von Kelantan, der neben ihr saß.

Um elf fuhren Elizabeth und Philip vor, in Begleitung der königlichen Leibgardisten in ihren rot-goldenen Röcken und der Vorreiter. Die Kutsche, 1761 für George III. gebaut, war über und über vergoldet und mit pastoralen Szenen geschmückt.

Elizabeth' Krönungsstrauß bestand aus englischen Maiglöckchen, schottischem Jasmin, walisischen Orchideen und Wiesenklee aus Nordirland und von der Isle of Man.

»Vergiss nicht, in England sitzen siebenundzwanzig Millionen Menschen vor den Fernsehern«, sagte Philip, ohne Elizabeth den Kopf zuzuwenden.

Als sie aus der Kutsche stieg, sah sie auf die grauen Wallache, die sie selbst ausgesucht hatte. Sie schenkte Philip einen letzten Blick und verabschiedete sich von ihm, dann trat sie durch das Tor der Abtei. Die Ehrenjungfrauen erwarteten sie und knicksten.

»Fertig, Mädels?«, fragte Elizabeth, entschlossen, den jungen Frauen die Nervosität zu nehmen.

Nach einem kurzen Moment der Überraschung wegen der unerwartet saloppen Worte erklang es: »Selbstverständlich, Ma'am«, und es folgte leises Gekicher.

»Sehr schön«, freute sich Elizabeth. »Dann geht es jetzt los.«

Unter den Klängen der Eröffnungshymne schritt Elizabeth durch das Mittelschiff der Kathedrale. Ihr Krönungskleid hatte einen herzförmigen Ausschnitt und einen weiten, reich bestickten Rock, und an einer verborgenen Stelle hatte Hartnell ein winziges vierblättriges Kleeblatt als persönlichen Glücksbringer eingenäht. Ihre Schuhe waren von Roger Vivier und mit Rubinen verziert. Ihr Samtmantel war mit Hermelin besetzt.

In der Ehrenloge der Abtei befanden sich ihre Mutter und Margaret mit dem kleinen Charles, außerdem ihre Schwiegermutter, Alice von Griechenland. Den zurückgetretenen König, Onkel David, hatte Elizabeth auf Anraten Winston Churchills nicht eingeladen.

Zadok the Priest wurde gespielt, während die Ehrenjungfrauen Elizabeth Schmuck und Robe abnahmen. So stand die junge Königin da, ohne Prunk, bereit zum Empfang der Weihe.

Auf dem Königsstuhl Edwards I. – einem kunstvoll geschnitzten Eichenstuhl mit hoher Rückenlehne – empfing sie, in weißes Leinen gekleidet, die Zeichen ihres Amtes: die Weltkugel, das Zepter mit dem Kreuz, den Stab der Gnade und den Königsring – den Ehering Englands.

Sie hatte darauf bestanden, dass der wichtigste Moment der Krönung, die Salbung, nicht übertragen würde. Es war ein Augenblick großer Feierlichkeit und zugleich stiller Innigkeit, als sie das heilige Öl empfing. Sie schloss die Augen.

»Es seien eure Hände gesalbt mit dem heiligen Öl, es sei eure Brust gesalbt mit dem heiligen Öl, es sei gesalbt euer Haupt mit dem heiligen Öl«, hörte sie das leise Murmeln.

Danach wurde der Baldachin, der sich über sie gesenkt und sie geschützt hatte, von vier Trägern angehoben und weggetragen.

Als der Erzbischof wenig später die St.-Edwards-Krone emporhob, neigte sie ehrfürchtig das Haupt, bis sich die Krone langsam auf sie herabsenkte.

»Gott schenke dir diese Krone der Herrlichkeit und Gerechtigkeit«, proklamierte der Erzbischof.

In diesem Moment hoben alle Peers ihre Kronen und setzten sie auf. »God save the Queen«, schallte es von allen Seiten.

Trompetenstöße ertönten, die Kirchenglocken läuteten, Salutschüsse waren zu hören.

Elizabeth hatte längst vergessen, dass die Krönung live im Fernsehen und im Rundfunk übertragen wurde. Philip nahm seine Krone ab, reichte sie dem Pagen, trat vor und kniete als Erster vor ihr nieder.

»Ich, Philip, Herzog von Edinburgh, werde euer Lehnsmann sein mit Leib und Seele und irdischer Huldigung. Treue und Wahrheit werde ich euch entgegenbringen, im Leben wie im Sterben, gegen jedermann. So wahr mir Gott helfe.«

Philips Blick war ernst. Auch Elizabeth verzog keine Miene, doch sie tauschten einen Blick, der mehr sagte als alle Worte.

Philip erhob sich und küsste sie auf die Wange. Elizabeth schenkte ihm einen letzten, dankbaren Blick, dann waren die anderen Peers an der Reihe, die Herzöge, Marquesses, Earls, Viscounts und Barone. Alle brachten ihre Huldigung dar, während der Chor sang.

Nach dem Abendmahl trat Elizabeth aus der Westminster Abbey und zeigte sich dem Volk. Dies war der Moment, in dem sie das Bedürfnis der Menschen nach Einheit beschwor, es durch die Krone, die sie symbolisierte, sichtbar machte. Es war ein Ereignis nationaler Kommunion, bei der sich die Gesellschaft ihrer moralischen Werte bewusst wurde.

Sie spüren, dass ich es ernst meine, ahnte Elizabeth, als sie auf die Menschenansammlung sah. Eine konstitutionelle Monarchie hatte keine Macht. Das Britische Empire war noch in der Ära ihres Vaters zusammengebrochen, gefolgt von der Unabhängigkeit und der Teilung Indiens. Indien und Pakistan waren dennoch Teil des British Commonwealth of Nations mit dem König – ihrem Vater – als Staatsoberhaupt geblieben. Nun war sie ihre Königin.

Um welche Länder es sich auch handelte, sie würde durch ihre Präsenz und durch aufmerksames Zuhören Strömungen innerhalb der Gesellschaft auffangen und sie zu ihren Themen machen, damit sie etwas in Bewegung setzen und zum Besseren wenden konnte. Sie würde ihre Aufgabe mit Kopf und Herz erfüllen.