Mai 1972

Frankreich, Paris,
England, London,
Buckingham-Palast,
Windsor

Geistesgegenwärtig legte Elizabeth die Hand auf den Hut, während sie die Gangway der Air-Force-Maschine hinunterschritt. Es gäbe kein gutes Bild ab, wenn ein Windstoß ihre Kopfbedeckung fortwehte.

Präsident Georges Pompidou und seine Frau Claude warteten samt Empfangskomitee am Fuß der Treppe, um sie und Philip in Paris willkommen zu heißen.

Madame Pompidou trug helle Farben. Elizabeth hingegen hatte sich für einen dunklen Mantel entschieden, der mit einer gemusterten Bordüre abgesetzt war. Darunter trug sie ein Kleid im gleichen Muster.

Sie nahm die letzte Stufe, ließ von dem Hut ab und ging entschlossen auf Pompidou zu. Philip folgte ihr im kamelhaarfarbenen Mantel, mit dem für ihn typischen erwartungsvollen Lächeln.

Auch Pompidou strahlte übers ganze Gesicht. Er senkte den Kopf und deutete, ganz Gentleman, einen charmanten Handkuss an.

»Es ist mir eine große Ehre, Eure Majestät und den Duke of Edinburgh in Paris begrüßen zu dürfen.«

Seine Frau Claude knickste vor Elizabeth.

»Herzlichen Dank für den freundlichen Empfang«, sagte Elizabeth in fließendem Französisch.

Ihrem zweiten offiziellen Besuch in Frankreich lag ein straffes Programm zugrunde. Noch am selben Abend würde es im Grand Trianon in Versailles ein Staatsbankett mit über hundert Gästen geben. Außerdem würden sie das Ballett Giselle sehen. Besonderes Augenmerk lag auf ihrer Rede an diesem Tag. Für die Live-Übertragung würde sie in einem weißen, reich verzierten Abendkleid vor die grellen Lichter der Fernsehkameras treten.

Sie würde in ihrer Rede hervorheben, dass die Menschen in Westeuropa mit ihrem Talent und ihrem Wissen, ihren Ressourcen und ihren Technologien ein unvergleichliches Kapital besaßen, das sie auf unglaubliche Weise nutzen könnten, wenn sie sich zusammentäten. Um diese Gedanken auszusprechen, hatte Premierminister Edward Heath sie nach Paris geschickt. Er war fest entschlossen, den kontrovers diskutierten Plan, Großbritannien mit Pompidous Hilfe endlich einen Platz in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu sichern, noch während seiner Amtszeit erfolgreich umzusetzen.

Heath hatte nur noch de Gaulles Ablösung abgewartet, der – anders als Pompidou – nicht pro-europäisch eingestellt war.

Elizabeth kam mit Edward Heath weniger gut zurecht als mit Harold Wilson. Heath hatte keine Familie und kein Interesse an Smalltalk, dafür eine Leidenschaft für klassische Musik und fürs Segeln, womit Elizabeth nur wenig anfangen konnte. Hinzu kam seine Skepsis gegenüber dem Commonwealth. Er erkannte nicht, wie wichtig diese Vereinigung war. Für Heath war das Commonwealth nur eine lästige Ablenkung von seinem großen Ziel.

Als die Mitglieder des Commonwealth ihre Versammlungen nicht länger in London, sondern an wechselnden Orten auf der Welt abhalten wollten und Singapur als erster Gastgeber auftrat, hatte Heath Elizabeth die formale Aufforderung zukommen lassen, daheim zu bleiben, weil seine Entscheidung, Waffenlieferungen an Südafrika aufzunehmen, bei anderen Commonwealth-Staaten auf erbitterten Widerstand stoßen würde.

»Ich fürchte, das Risiko etwaiger Kritik und Beschämung wird sich nicht allein auf die Minister Ihrer Majestät begrenzen, sondern womöglich auch Ihre Majestät selbst betreffen«, hatte er ihr geschrieben.

Elizabeth hatte es als herbe Enttäuschung und Respektlosigkeit für das Commonwealth und seine Vertreter empfunden, nicht nach Singapur reisen zu können, und ihren ältesten Berater, Privatsekretär Michale Adeane, angewiesen, Heath zu antworten.

»Verfassen Sie die Antwort bitte unter Beachtung aller korrekten Formen der Höflichkeit, aber machen Sie auf jeden Fall deutlich, dass es sich diesmal um eine absolute Ausnahme handelt«, hatte sie ihm aufgetragen.

Adeane hatte geholfen, den Königshof von viktorianischen Relikten zu entstauben, stand damals aber kurz vor der Pensionierung. Ihr neuer Privatsekretär übernahm die undankbare Aufgabe, ihr bei dem Seiltanz zu helfen zwischen den Befürwortern, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft anstrebten, und den Gegnern, die glaubten, Großbritannien verrate dadurch seine Freunde im Commonwealth. Heath hatte deshalb bereits Besuche aus den verschiedenen Nationen angedeutet.

Tatsächlich herrschte auf der Konferenz in Singapur ein roher Ton, erfuhr Elizabeth später. Eine harte Zerreißprobe, die Generalsekretär Arnold Smith reumütig erklären ließ, in Anwesenheit der Königin wäre die Stimmung womöglich weniger schlecht gewesen.

Unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Auffassungen waren die wöchentlichen Treffen mit Edward Heath nicht mehr als reine Arbeitstreffen. Elizabeth hatte sich außerdem den emotionalen Anschuldigungen des Anti-Monarchisten Willie Hamilton ausgesetzt gesehen. Mit größter Genugtuung hatte er die königlichen Finanzen unter die Lupe und dabei genüsslich ihre Mutter und Margaret ins Visier genommen.

Die Süffisanz in seiner Stimme und den lodernden Blick vor Augen, ließ Elizabeth die Erinnerung an die turbulenten Monate los und stieg in den offenen Wagen. Wichtig war jetzt ihre Rede im Élysée-Palast. Sie ging im Geist rasch noch einmal die wichtigsten Daten ihrer Reise durch, einschließlich ihres Besuchs beim Duke of Windsor, ihrem Onkel, in der Villa Windsor in Bois de Boulogne.

Seit einiger Zeit bereitete ihr der gesundheitliche Zustand des ehemaligen Königs große Sorgen. Es schien ernst zu sein. Ob sie Onkel David noch einmal lebend zu Gesicht bekäme?

Vermutlich würde er nicht wollen, dass sie ihn im Bett liegend sah, und alles tun, um ihr auf beiden Beinen gegenüberzutreten. Er war schon früher eitel gewesen, daran hatte sich nichts geändert.

Es war ein anstrengender Tag, vollgepackt mit Terminen, und als sie vom Dinner in Versailles ins Hotel zurückkehrten, gähnte Philip.

»Ich bin hundemüde und trotzdem hellwach … bestimmt kann ich nicht einschlafen«, klagte er.

»Sollen wir uns noch kurz zusammensetzen?«, schlug Elizabeth vor. »Mir geht es ähnlich.«

Philip kam kurz darauf mit einem Handtuch, das er sich um den Unterkörper geschlungen hatte, aus dem Bad.

»Dass es noch Menschen gibt, die Großbritannien für nicht pro-europäisch genug halten, ist verwunderlich«, sprach er laut vor sich hin, während er in einen Bademantel schlüpfte. »Die Positionen verhärten sich. Die Landwirte in Neuseeland und in Australien befürchten wegen Großbritanniens Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft den Verlust ihres größten Überseemarktes.«

»Es ist ein Dilemma, ja.« Elizabeth steckte die Füße in die Pantoffeln und ließ sich erschöpft in die Couch fallen. »Wie ich Heath einschätze, wird er mich offiziell anweisen, eine Seite zu wählen«, vermutete sie.

Der Januar 1973 war das geplante Eintrittsdatum, und Heath war entschlossen, die königliche Familie ins Zentrum der geplanten Feierlichkeiten zu stellen.

»Wenigstens haben wir in diesem Jahr noch einen angenehmen Termin vor uns. Unsere Silberhochzeit.« Philip ließ sich neben Elizabeth nieder und sah sie an. »Ist es zu fassen, dass wir unseren Weg schon fünfundzwanzig Jahre gemeinsam gehen?«

»Verbuchen wir es als Erfolg, Liebster.« Elizabeth küsste Philip.

»Ich bin froh, dass ich meine Schüchternheit damals ignoriert und dir den Antrag gemacht habe.«

»Schüchternheit? Interessant. Wann willst du mir diese Seite endlich zeigen?«

Es tat gut, auf Philips leichten Ton einzugehen.

Elizabeth hatte vor, dieses wichtige private Ereignis im November als zentrales Motiv ihrer Weihnachtsansprache zu nutzen. Die kommende Rede sollte eine der bedeutendsten werden. Selbstverständlich würde sie auf die schlimmen Gewaltausbrüche in Nordirland hinweisen und an das Bemühen um Toleranz und Verständnis erinnern. Verständnis war ein vielbemühtes Wort, doch es war wichtig, immer wieder daran zu erinnern, wie unumgänglich es zwischen Menschen und Völkern war.

Die Weihnachtsansprache war die einzige Gelegenheit, bei der sie dem ministerialen Rat nicht folgen musste; sie konnte zum Ausdruck bringen, was ihr wirklich am Herzen lag. Doch dieses Mal spielte sie angesichts der Auswirkungen, den der Eintritt Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hätte, mit dem Gedanken, Heath' Rat einzuholen. Es wäre klug, an prominenter Stelle der Rede hervorzuheben, dass die neuen Verbindungen die alten nicht ersetzen würden, sondern sie vielmehr die Verbindungen zum Commonwealth mit nach Europa nähmen – eine Win-win-Situation.

Elizabeth und Philip plauderten über die Silberhochzeit und kamen dann erneut auf Politisches zu sprechen. Der ehemalige Kriegspartisane Tito hatte Jugoslawien zu einem kommunistischen Staat abseits der Sowjetunion geformt und erwartete den Besuch der Königin.

»Wir müssen ihm schnellstmöglich unsere Aufwartung machen. Nixon und Breschnew waren schon bei ihm«, machte Elizabeth Druck.

»Ein blockfreier Staat, der weder Europa noch dem Commonwealth angehört. Außergewöhnlich«, sinnierte Philip, »fehlst nur noch du als Sahnehäubchen seiner Anerkennung.«

»Fehlen nur noch wir«, korrigierte Elizabeth. »Falls du jetzt noch eine Lösung für unseren Besuch bei David und Wallis hast, bist du wieder mal mein Held. Ich habe Angst, dass wir es nicht mehr rechtzeitig zu ihm schaffen.«

»Wir können nicht mehr, als darauf hoffen, dass die Zeit für uns arbeitet.«

Elizabeth blickte nachdenklich ins Leere. »Weißt du, was ich mich immer wieder frage? Ob die Abdankung David wirklich glücklich gemacht hat oder ob er sich all die Jahre nur eingeredet hat, das Richtige getan zu haben.«

Philip zuckte die Schultern. »Wenn ich Davids Leben bis jetzt Revue passieren lasse, glaube ich, dass er nie aus ganzem Herzen glücklich war. Er hat immer getan, wonach ihm gerade war, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Ich verstehe bis heute nicht, wie er Hitler und Mussolini treffen konnte. Wie es wirklich in ihm aussieht, wirst du vermutlich nie erfahren.«

Elizabeth blickte nachdenklich in den Raum. »Vielleicht ja doch. Vielleicht lese ich die Antwort aus seinen Augen?«

Der Wagen folgte der Route du Champs d'Entraînement.

Das herrschaftliche Grundstück des Duke of Windsor lag inmitten des Bois de Boulogne.

David und Wallis waren aus ihrem Privathaus am Boulevard Suchet 1953 in die prunkvolle Villa gezogen. Elizabeth hatte von großen Empfängen gehört, die dort gegeben worden waren. Rauschende Feste.

»Danke, dass ihr mich begleitet«, hatte Elizabeth zu Philip und Charles gesagt, als beide diesem Besuch zugestimmt hatten.

Charles wollte unbedingt bei dem Treffen dabei sein. Er hatte David vor eineinhalb Jahren besucht, ihr erstes und einziges Treffen, außerdem hatten sie sich geschrieben. Worüber sie sich austauschten, wusste Elizabeth nicht. Sie wusste nur, dass Dickie Mountbatten den Kontakt zwischen den beiden hergestellt hatte, sodass Charles seinen Großonkel zumindest ein wenig kennenlernen konnte.

»Ich würde es mir vorwerfen, nicht die Gelegenheit zu ergreifen, ihn noch einmal zu sehen«, sagte Charles, während sie auf dem Weg zu David waren.

»Das verstehe ich, Charles. Ich bin froh, dass du mitkommst.«

Bald darauf wurde der Wagen langsamer und hielt an. Die Türen öffneten sich. Wallis erwartete sie bereits an der Haustür. Die Frau ihres Onkels war immer schlank gewesen, doch nun wirkte sie ausgezehrt. Ihr pechschwarzes, in der Mitte gescheiteltes, toupiertes Haar, der verhärmte Gesichtsausdruck und die schwarze Kleidung verstärkten den Eindruck, sie wäre die Kranke und nicht ihr Mann.

Langsam kam sie die Treppe herunter. Als sie Elizabeth erreichte, knickste sie und reichte ihr die Hand.

»David lässt sich entschuldigen«, begann sie. »Er ist furchtbar enttäuscht, er hätte euch so gern hier begrüßt, aber der Arzt hat ihm strikt untersagt, herunterzukommen.«

Wallis wandte sich Philip und Charles zu. Ihr Besuch war vom Buckingham-Palast bekanntgegeben worden, und einige Pressevertreter waren anwesend. Nachdem sie sich den Fotografen gestellt hatten, betraten sie gemeinsam mit Wallis das Haus. Elizabeth' Blick huschte über die Rokoko-Balustraden, schmiedeeisernen Ehrentreppen und exotischen Deckengemälde. Wo sie auch hinsah, überall glänzte Marmor und waren kunstvolle Holzvertäfelungen zu sehen.

Philips interessierter Blick galt vor allem den Fahnen, die überall hingen, und dem königlichen Wappen. Wie ein Ableger des Buckingham-Palasts, so kam es ihm fast vor.

Ein Diener in königlicher Livree nahm ihnen die Mäntel ab.

Sie nahmen im Salon Platz. Charles war noch immer im Gespräch mit Wallis.

»Nach dem Tee gehen wir hinauf. David freut sich so über euren Besuch«, sagte Wallis und wischte sich etwas von der Wange.

»Ich freue mich ebenfalls, ihn wiederzusehen«, erwiderte Elizabeth.

Während des Tees sprangen die Möpse, Wallis' Lieblinge, um den Tisch herum, bis sie heftig schnaufend aufgaben und sich auf den eleganten Teppich zu ihren Füßen legten.

Elizabeth war froh, als sie endlich nach oben gingen, denn das Gespräch mit Wallis war ins Stocken geraten.

»David verlässt das Krankenzimmer nur noch selten«, erzählte Wallis mit gedämpfter Stimme. Die Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen.

Vor Davids Zimmer blieben sie stehen und warteten nach Wallis' zögerlichem Klopfen auf ein Zeichen.

Als ein leises »Ja, bitte«, erklang, öffnete Wallis die Tür.

Elizabeth sah, dass David sich augenblicklich aus dem Sessel erhob, in dem er gesessen hatte. Er trug ein Hemd, eine Flanellhose und einen Blazer und schaffte es nur mit letzter Kraft auf die Beine, um sich vor ihr zu verbeugen. Elizabeth trat näher, sodass sie einander küssen konnten. David war inzwischen siebenundsiebzig, doch er wirkte älter und war erschreckend dünn. Es strengte ihn sichtlich an, sich gerade zu halten.

Nachdem er Philip begrüßt hatte, wandte er sich an Charles. »Du bist zu einem gestandenen jungen Mann herangewachsen, Charles.«

Charles nahm das Lob an. »Danke, dass du uns empfängst. Ich weiß, du musst dich ausruhen, aber ich wollte dich zumindest begrüßen.«

David wandte sich Elizabeth zu. »Dein Sohn ist sehr aufmerksam.« Dann legte er die Hand auf Charles' Schulter. »Ich würde gern ein paar Minuten mit deiner Mutter unter vier Augen sprechen.«

»Hast du alles, was du brauchst?«, erkundigte sich Wallis ängstlich.

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte David sie.

Wallis warf ihm einen zögerlichen Blick zu, als wäre sie nicht sicher, ob sie seiner Bitte Folge leisten sollte. Dann verabschiedeten sich Philip und Charles von David und verließen mit ihr das Zimmer.

David wartete, bis er mit Elizabeth allein war, dann huschte ein Lächeln über sein schmales Gesicht. »Dass du hier bist, Lilibet … welch eine Freude. Dein Besuch bedeutet mir viel. Ich weiß, wie begrenzt deine Zeit in Paris ist.«

»Es war mir ein Bedürfnis, bei dir vorbeizuschauen«, sagte Elizabeth. Sie nahm Davids Hand, die Hand eines todkranken Mannes, und drückte sie vorsichtig.

Sie setzten sich, was angesichts von Davids Zustand dringend nötig war. »Ich erinnere mich gern an unser Treffen vor einigen Jahren«, sagte er. »Als ich mit Wallis nach London kam, um mich der Augenoperation zu unterziehen … Es war wundervoll, dass du uns besucht hast.«

Ungeachtet der unerbittlichen Haltung ihrer verstorbenen Großmutter, Königin Mary, und ihrer Mutter hatte Elizabeth sich zu einem Besuch bei David und Wallis entschieden. Seine Reise nach London hatte Elizabeth als eine gute Gelegenheit gesehen, die alte Fehde zu begraben. Und als David einige Jahren zuvor seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert hatte, hatte sie ihm telegrafisch Glück gewünscht und einige Mitglieder der Familie gebeten, David zu besuchen, wenn sie in Paris waren. Es waren kleine, persönliche Gesten, die die Unstimmigkeiten und den Groll der Vergangenheit beenden sollten.

»Ich werde nie vergessen, dass du dafür gesorgt hat, dass die Jüngeren der Familie bei uns vorbeischauten, wenn sie in Paris waren. Und erst recht vergesse ich nicht, dass du uns zur Einweihung der Erinnerungstafel zu Ehren meiner verstorbenen Mutter eingeladen hast.«

»Sie war deine Mutter, David.«

»Meine Mutter, die mich bis zu ihrem letzten Tag nicht rehabilitiert hat«, sagte David bitter.

»Es ist ihr schwergefallen, mit deinem Rücktritt umzugehen. Sie hat es nie verwunden.«

Es war richtig gewesen, David und seine Frau in der offiziellen Wagenkolonne mitfahren zu lassen. Hinterher waren sie im Gespräch mit Elizabeth und der Queen Mum gesehen worden, die erste offizielle Anerkennung Wallis', eine Geste, die David alles bedeutet hatte.

»Lassen wir das«, murmelte David. »Die Vergangenheit ändert sich nicht. Sie ist … zementiert.«

Elizabeth lenkte das Gespräch auf Erfreulicheres, sodass sie miteinander plaudern und sich gemeinsam an früher erinnern konnten.

Ihr Gespräch ließ Bilder aus einer längst vergangenen Zeit wach werden. Elizabeth glaubte die Stimme ihres geliebten Vaters und die ihres jungen Onkels zu hören. Im Garten von Windsor Lodge hatten sie allerlei Schabernack getrieben. David hatte ihr aus Winnie Pooh vorgelesen und sich mit ihr die Comicfigur Rupert Bear angeschaut. Selbst während des Zweiten Weltkriegs hatten Margaret und Elizabeth auf den Trost der jährlich erscheinenden Bücher von Alfred Bestall, der Mary Tourtel abgelöst hatte, zurückgreifen können. Wie sehr hatten sie sich damals daran erfreut. Und wie nahe hatten sie ihrem Onkel gestanden.

Nach einer Viertelstunde war David sichtlich erschöpft. Elizabeth drückte ein letztes Mal seine Hand. Als sie das Zimmer verließ, traf sie auf Davids Arzt. Er hatte sich dezent im Hintergrund gehalten, bereit, jederzeit einzugreifen.

Bei der Verabschiedung sah Elizabeth Tränen in Wallis' Augen. Sie fuhr ihr tröstend über die Schulter. Sie wusste, wenn sie sich das nächste Mal sähen, wäre David nicht mehr unter ihnen.

Neun Tage nach der Rückkehr aus Paris erreichte Elizabeth die Nachricht seines Todes. Sie hatte damit gerechnet, dass der Duke of Windsor nicht mehr lange leben würde, trotzdem versetzte die Nachricht ihr einen Schock.

»Ich lasse seinen Leichnam von der Royal Air Force nach Hause überführen«, sagte sie, froh, bereits entschieden zu haben, wie sie vorgehen würde, und wandte sich an ihre Mutter, die herbeigeeilt war, nachdem sie vom Tod ihres Schwagers erfahren hatte.

»Wir werden David ein königliches Begräbnis mit einer Aufbahrung in der St. George's Chapel bereiten und dieses traurige Kapitel würdevoll abschließen, Mummy. Nicht nur für die Familie und für Davids Witwe, auch für Großbritannien. Vergessen wir für diesen Moment seine Schwächen und Fehler. Er war einstmals König …«

»… Eduard VIII.«, murmelte ihre Mutter. »Mein Gott, haben ihn die Menschen geliebt. Das alles hat er einfach weggeworfen … Aber gut … Trotz des Fehlers, sein Land wegen dieser Frau im Stich gelassen zu haben, steht ihm dieses Begräbnis vermutlich zu.« Mit diesen Worten gab sie ihre Einwilligung zu Elizabeth' Plänen. Dann seufzte sie und sah ihre Tochter fragend an. »Wo soll Wallis eigentlich wohnen? Hast du dir darüber Gedanken gemacht?«

»Selbstverständlich bei uns, als mein persönlicher Gast. Und was ihr Ableben eines Tages anbelangt, lasse ich einen Platz neben David für sie frei.«

»Diese Frau wird auf königlichem Grund liegen?« Die Stimme der Königinmutter wurde mit einem Mal eisig. Bei diesem Thema fiel es ihr schwer, Haltung zu bewahren und ihr großes Herz zu zeigen.

»Ich weiß, dich verbindet eine lange, unangenehme Geschichte mit Wallis. Aber lass uns damit abschließen«, bat Elizabeth noch einmal.

Die Queen Mum senkte den Kopf. »Entschuldige. Bei Wallis denke ich immer an deinen Vater. Wäre er nicht König geworden …«

Elizabeth' Mutter zwang sich, nicht weiterzusprechen. Für sie stand fest, dass ihr Mann länger gelebt hätte, wenn sein Bruder nicht Wallis' wegen abgedankt hätte. Diese Wunde riss immer wieder auf.

Als Davids Witwe schließlich in London ankam, aßen sie gemeinsam zu Mittag. Elizabeth sah immer wieder zu Wallis hinüber. Sie sah noch schlechter aus als in Paris, wirkte niedergeschlagen, beinahe apathisch. Nur ihre Juwelen funkelten.

Ihr Zustand rührte unerwarteterweise auch die Königinmutter.

»Mit ihren verschreckten Augen wirkt sie wie ein Kind, das sich verlaufen hat und seine Mutter sucht«, nuschelte sie.

Sie wirkte gefasster als zuletzt und gab sich größte Mühe, der Frau ihres verstorbenen Schwagers beizustehen. Die Rolle schien ihr im Laufe des Essens immer mehr zuzusagen. Sie redete unablässig auf Wallis ein.

»Meine Liebe, Sie werden sich in London einrichten. Sie kehren heim. In Davids Heimat. Sehen Sie es mal so.«

Wallis bedankte sich, ohne das Gesicht zu verziehen.

Elizabeth aß kaum etwas, sie war damit beschäftigt, Wallis zu beobachten. Margaret, die sie zu dem Essen dazugebeten hatte, gab ihr immer wieder durch Blicke zu verstehen, wie entsetzt sie über Wallis' schlechten Zustand war. Anne, die gewöhnlich so schnell nichts aus der Ruhe brachte, war ebenfalls schockiert.

»Findet ihr nicht, sie wirkt verwirrt?«, raunte sie, als sie kurz allein waren.

»Leider muss ich dir recht geben. Wenn ihr Zustand nicht besser wird, ziehen wir einen Arzt hinzu«, stimmte Elizabeth ihrer Tochter zu.

Am folgenden Tag sah Wallis sich außerstande, an der Flaggenparade teilzunehmen, die auf Elizabeth' Wunsch zu Ehren des Verstorbenen abgehalten werden sollte.

»Ich fühle mich unwohl. Es ist mir nicht möglich, dabei zu sein«, sprach sie mit kraftloser Stimme und sank mit jedem Wort mehr in sich zusammen. Schließlich zog sie sich in die Gemächer zurück, die man ihr zugewiesen hatte.

Später erfuhr Elizabeth, Wallis habe ihr aus dem Fenster nachgesehen, als sie an der Spitze der Household Cavalry zur Parade auf die Mall hinausgeritten war.

Am Abend ging es Wallis immerhin so gut, dass sie mit nach Windsor kommen konnte, wo ihr verstorbener Mann aufgebahrt war. Zehntausende Trauergäste zogen an dem Sarg des ehemaligen Königs vorbei. Schritte hallten in der Kapelle wider, ab und zu räusperte sich jemand, ansonsten herrschte Stille.

David fand auf dem königlichen Friedhof von Frogmore House in direkter Nachbarschaft von Königin Victorias Mausoleum seine letzte Ruhe, in der Nähe des Gartens, in dem er und sein Bruder Bertie als Kinder gespielt hatten.

Während der Trauerfeier hielt Elizabeth Wallis' Hand – sie hatte ihr einen Ehrenplatz neben sich zugestanden –, und immer, wenn es emotional wurde, beugte sie sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr beruhigende Worte zu.

»Sie wirkt, als hätte sie jeden Lebensmut verloren. Ich weiß nicht, wie lange sie noch durchhalten wird«, attestierte die Königinmutter und ließ sich nach der Trauerfeier einen Drink servieren.

»Ich denke, sie braucht nur etwas Zeit«, hoffte Elizabeth. »Nach allem, was sie mit David durchgestanden hat, gibt sie nicht so schnell auf. Das sähe ihr nicht ähnlich.«