1981
Schottland, Aberdeenshire,
Schloss Balmoral
Elizabeth deutete auf das Sofa. »Nimm Platz, Diana. Ich habe uns einen Imbiss bringen lassen.«
Diana schaute auf die Gurken-Sandwiches und die Butterkekse, die auf einer Platte neben der Teekanne angerichtet waren.
Elizabeth setzte sich ihrer Schwiegertochter gegenüber. »Ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie glücklich ich über eure Hochzeit bin. Nicht unter vier Augen«, konkretisierte sie.
Diana entkam ein leise gehauchtes »Oh …«. Dann sagte sie: »Danke! Ich bin ebenfalls sehr glücklich. Charles ist ein wundervoller Mann.«
Es hatte Elizabeth eine Last von den Schultern genommen, als feststand, dass Charles mit zweiunddreißig endlich den Bund der Ehe eingehen würde. Dass seine Frau zwölf Jahre jünger war als er, musste kein Nachteil sein. Diana konnte von seiner Erfahrung profitieren.
Nach dem schrecklichen Tod seines Großonkels Dickie lagen schwere Zeiten hinter ihrem Sohn. Lord Mountbatten war eine seiner wichtigsten Bezugspersonen gewesen, eine Art zweiter Vater. Es lag nun schon zwei Jahre zurück, dass er in der irischen Grafschaft Sligo, wo er Schloss Classiebawn bewohnte, einem Bombenattentat zum Opfer gefallen war.
An jenem Augusttag war er mit seiner Tochter Patricia und deren Mann Lord Brabourne, den Zwillingssöhnen Timothy und Nicholas, Brabournes 83-jähriger Mutter und dem Schiffsjungen Paul Maxwell an Bord seines Fischerbootes in der Hafenbucht von Mullaghmore gegangen, um Hummer zu fangen. Dass eine Bombe mit Funkfernzünder an diesem Boot angebracht war, konnten sie nicht ahnen.
Als die Bombe explodierte, waren Nicholas und Paul sofort tot, Dickie und die anderen wurden ins Wasser geschleudert. Er konnte schwer verletzt geborgen werden, starb jedoch unmittelbar darauf. Baroness Brabourne erlag ihren Verletzungen am darauffolgenden Tag.
Die IRA bekannte sich zu dem Attentat: Mit der Hinrichtung von Lord Louis Mountbatten solle das englische Volk auf die anhaltende Besetzung ihres Landes aufmerksam gemacht werden.
Die gesamte königliche Familie stand unter Schock, nachdem sie von dem Attentat erfahren hatte, besonders Charles. Umso erleichterter war Elizabeth, als sich zwischen ihm und der damals neunzehnjährigen Diana zarte Gefühle entwickelten.
Die Herausforderung, eine passende Frau zu finden, die sowohl dem britischen Hochadel angehörte, Protestantin und Jungfrau war und in die er sich tatsächlich verliebte, hatte Charles manchmal zu schaffen gemacht.
In seinen Zwanzigern hatte er hier und da Beziehungen gehabt, allerdings nie von Dauer. Auch mit Dianas Schwester Sarah war er eine Zeit lang ausgegangen. Unglücklicherweise hatte sie während eines Ski-Aufenthalts in der Schweiz zwei Journalistinnen ein Interview gegeben und mit ihnen über ihr Alkoholproblem, ihre Magersucht und ihre früheren Liebschaften gesprochen. Außerdem hatte sie den Journalistinnen anvertraut, dass Charles zwar ein wunderbarer Mensch, sie aber nicht in ihn verliebt sei. So war auch diese Beziehung in die Brüche gegangen.
Bei einer Jagdgesellschaft auf dem Familiensitz der Spencers war Diana Charles aufgefallen. Er wusste, dass er als Thronfolger nicht ewig Junggeselle bleiben konnte. Irgendwann – besser früher als später – musste er heiraten und Kinder zeugen, damit die Erbfolge gesichert war.
»Du musst sie heiraten oder sie gehen lassen«, hatte Philip seinem Sohn unmissverständlich mitgeteilt, als die Zeitungen sich bereits über die Treffen des Thronfolgers mit Lady Diana Spencer ausließen.
Die Hochzeit am 29. Juli mit dreitausendfünfhundert Gästen war von den Medien als wichtige Weichenstellung für die Krone frenetisch kommentiert worden. Lediglich Spaniens König Juan Carlos hatte sein Kommen wegen Streitigkeiten zwischen Großbritannien und Spanien über die Halbinsel Gibraltar abgesagt.
Für Elizabeth war die Mischung aus Unbedarftheit und Nahbarkeit Dianas größtes Kapital. Sie strahlte etwas Reines, Unbescholtenes aus, und wenn sie schüchtern lächelte, fühlte jeder sich berührt. Zugleich schlummerte eine Kraft in ihr, die sie selbst überhaupt nicht wahrzunehmen schien. Als Winston Churchills Urenkelin Clementine Hambro, eine der Brautjungfern, bei der Hochzeit über ihren Taftrüschentraum stolperte, war es Diana, die zu ihr eilte, um sie zu trösten.
Elizabeth lächelte bei dem Gedanken an die Zeremonie in der St.-Paul's-Kathedrale und schenkte Diana und sich Tee ein. Als sie die Kanne zurückstellte, deutete sie auf die Sandwiches.
»Bitte, greif zu.« Sie trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse auf den Unterteller.
Diana legte sich ein Sandwich auf und biss ab.
»Hast du dich gut im Kensington-Palast eingelebt?«, fragte Elizabeth.
Diana schluckte den Bissen hinunter. »Hmm«, murmelte sie. »Ich fühle mich dort schon zu Hause.«
»Wunderbar. Gibt es irgendwelche Änderungswünsche? Sicher hast du Vorstellungen, wie du eure Räume gestalten möchtest.«
Bei dem Thema kam Leben in Diana. »Ja. Ich habe auch schon einen Designer ins Auge gefasst, den ich bitten würde, sich der drei Stockwerke anzunehmen.« Sie nippte an ihrem Tee und behielt die Tasse in der Hand.
»Freut mich zu hören. An wen denkst du?«, fragte Elizabeth interessiert.
»An Dudley Poplak.« Diana stellte die Tasse zurück. »Mir würde eine moderne Interpretation des Landhausstils gefallen. Elegant, aber nicht spießig, mit sanften Farbtönen und zarten Mustern.« Erneut biss sie von ihrem Sandwich ab und kaute.
»Das klingt zauberhaft«, freute sich Elizabeth. »Dudley Poplak arbeitet schon seit Jahren für uns. Bei ihm bist du in den besten Händen.«
In ihren und in Philips Augen war Diana die perfekte Frau für Charles. Sie entstammte einer der ältesten Adelsfamilien des Landes und hatte nicht nur eine protestantische Erziehung genossen, sondern war in ihrer jugendlichen Schönheit auch ein unbeschriebenes Blatt, was Erfahrungen mit Männern anging.
Dianas Vater, Earl Spencer, hatte Elizabeth während ihrer großen Reise nach der Krönung als persönlicher Kammerdiener begleitet. Als er kurz darauf heiratete, nahm Elizabeth an der Feier teil. Leider hatte die Ehe nicht gehalten, deshalb hatte Dianas Vater, bis er später den Stammsitz Althorp übernahm, viele Jahre mit seiner Familie auf Sandringham gelebt, wo seine Kinder mit Andrew und Edward gespielt hatten. Damit nicht genug, war Dianas Großmutter mütterlicherseits, Lady Fermoy, eine Hofdame von Elizabeth' Mutter gewesen.
Auch wegen dieser Verflechtungen schien Diana wie geschaffen für die Rolle der Frau des Thronfolgers. Mit dieser Hochzeit und den Kindern, die sicher bald zur Welt kämen, wäre die Zukunft der Krone gesichert.
Mit einem Rumpeln machte sich Philip bemerkbar. Unerwartet stand er, voll bepackt, in der Tür.
»Ich möchte meine Schwiegertochter wenigstens kurz begrüßen, bevor ich im Garten den Pinsel schwinge.«
Er legte die Leinwand, Pinsel und Farben ab und begrüßte Diana herzlich.
»Man hört, du bist ein wahrer Künstler an der Leinwand«, sagte Diana.
»Fall bloß nicht auf solches Gerede herein. Ich male und habe Freude daran. Ob es jemandem gefällt, ist nicht so wichtig«, entgegnete Philip.
»Dein Schwiegervater steht mit Lob auf Kriegsfuß«, mischte Elizabeth sich ein. »Als Präsident des Royal Mint Advisory Committee war er seinerzeit maßgeblich an der Neugestaltung der Münzen anlässlich meiner Regentschaft beteiligt. Er hat also definitiv kreatives Talent.«
»Als Nächstes erwähnst du vermutlich, dass auch die Designs von Medaillen und Siegeln nicht vor mir sicher sind«, sprach Philip in Elizabeth' Richtung. »Bevor mir weitere Komplimente um die Ohren fliegen, verlasse ich euch lieber.«
Er griff nach seinen Sachen und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um, als habe er es sich anders überlegt, und sagte mit gespielt ernstem Gesichtsausdruck: »Ich hoffe, eure Kinder folgen später nicht deinem Beispiel und sperren ihr Kindermädchen in die Toilette oder verteilen ihre Kleidung auf dem Dach des Hauses.«
Dianas Blick erstarrte für einen Moment, bis Philips typisches Lachen erklang.
»Keine Sorge. Ich liebe wenig schmeichelhafte Anekdoten aus der Kindheit. Demnächst erzähle ich dir eine von mir. Habt noch einen schönen Nachmittag.«
Ein schüchternes Lächeln erschien auf Dianas Gesicht.
Nachdem die Tür hinter Philip zugefallen war, legte Elizabeth die Hand auf Dianas Unterarm. »Philip lässt sich selten eine Gelegenheit zum Scherzen entgehen. Daran wirst du dich gewöhnen.«
Diana nickte. »Solange er hinterher lacht, kann mir nichts passieren, oder?«
»Auch wenn er es nicht tut, kannst du unbesorgt sein«, beruhigte Elizabeth sie. »Philips Direktheit ist für sensible Menschen mitunter erschreckend, aber er meint es nicht böse.«
Charles hatte als Kind unter dieser Direktheit gelitten. Seine weiche Art ließ ihn in Philips Augen verletzlich und charakterschwach erscheinen. Um gegenzusteuern und seinen Sohn abzuhärten, hatte Philip deshalb auf eine strikte Erziehung gepocht. Doch gerade das hatte Charles zu schaffen gemacht. Glücklicherweise hatte er sich, wie auch sein Vater, als hervorragender Polo-Spieler hervorgetan. Das hatte das Band der beiden gestärkt. Doch in anderen Sportarten, die Philip seinem Sohn näherzubringen versuchte, hatte Charles wenig geglänzt.
Eine Situation würde Elizabeth nie vergessen; sie hatte ihr gezeigt, wie sehr Charles sich Kritik zu Herzen nahm. Er war damals gerade mal acht Jahre alt. Bei einem Mittagessen auf dem Mountbatten-Anwesen hatte er die Stiele von wilden Erdbeeren entfernt, woraufhin Dickie sich zu ihm gedreht und gesagt hatte: »Nicht so, Charles. Du hältst sie am Stiel, um sie in Zucker zu tauchen.«
Daraufhin war Charles verzweifelt bemüht gewesen, die Stiele wieder an den Erdbeeren zu befestigen.
Mit Diana an seiner Seite wirkte Charles' nachdenkliche Art wie eine wundervolle Ergänzung zu ihrer jugendlichen Frische. Mit einem Mal wurde er als reflektierter Partner einer strahlenden jungen Frau wahrgenommen. Dianas Begeisterung für das Landleben, die sie teilten, war ein zusätzlicher Pluspunkt.
Als sie ihren Tee getrunken hatten, fragte Diana: »Wollen wir mit den Hunden hinausgehen?«
»Damit hast du den Schlüssel zu meinem Herzen schon gefunden«, erwiderte Elizabeth erfreut und erhob sich. Sie deutete auf Dianas elegante Schuhe. »Fehlt nur noch das passende Schuhwerk. Hast du welches im Wagen? Sonst schauen wir mal nach, ob wir etwas für dich finden.«
»Ich habe alles dabei. Wenn ich auf Balmoral bin, weiß ich, worauf ich mich einlasse.«
Elizabeth hob anerkennend die Augenbrauen.
»Charles könnte nicht mehr Glück haben. Mit dir hat er eine Frau gefunden, mit der er seinem Weg folgen kann. Ich hoffe, das trifft auch auf dich zu.«
Diana wurde rot vor Verlegenheit. »Charles und ich möchten eine Familie gründen. Was könnte ich mir mehr vom Leben wünschen.«
Auf dem Gang nahm Elizabeth Dianas Hand, drückte sie freudig und rief nach den Hunden.