August 1992

England, Schloss Windsor,
London,
Buckingham-Palast

Nicht weit von ihr entfernt hüpften zwei Amseln Seite an Seite durch das saftige Gras.

Elizabeth ließ die Vögel nicht aus den Augen. Sie kamen ihr wie ein Sinnbild für Zusammenhalt vor, den sie sich seit je für ihre Kinder wünschte. Doch leider ging dieser Wunsch nicht für alle auf.

Welche Freude hatte sie empfunden, als Andrew ihr Sarah Ferguson als seinen Lebensmenschen beschrieben hatte. Und Sarah hatte kurz nach der Hochzeit geschwärmt: »In Andrew habe ich den perfekten Mann und Seelenverwandten gefunden. Er ist locker und unendlich charmant, ein Witzbold wie ich und trotzdem zuverlässig und freundlich.«

Doch vor wenigen Monaten hatte das junge Glück sein Ende gefunden. Einen sechsten Hochzeitstag würde es für sie nicht mehr geben, hatten sie Elizabeth berichtet.

Dieser traurige Schritt hing, wie sie inzwischen wusste, unter anderem mit Andrews Marinekarriere zusammen, derentwegen Sarah die meiste Zeit getrennt von ihrem Mann verbracht hatte. Selbst während ihrer ersten Schwangerschaft hatten sie nur telefonischen Kontakt gehabt, und als Beatrice auf der Welt gewesen war, hatte Andrew nicht mehr als zehn Tage mit seiner Tochter verbracht.

Mittlerweile hatten sie zwei Töchter, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Für ein fast vierjähriges Mädchen war Beatrice unglaublich höflich und fürsorglich, ihre zweijährige Schwester Eugenie hingegen zeigte gern ihre temperamentvolle Seite. Sarah und Andrew hatten ihren Töchtern eine private und sorgenfreie Kindheit in der Royal Lodge in der Nähe von Schloss Windsor bieten wollen, doch das Familienglück war längst zerbrochen.

Elizabeth' Blick folgte den Vögeln, die davonflogen – ein kurzer Augenblick ohne Vergangenheit und Zukunft, die Welt für ein paar Atemzüge in Ordnung.

Auch Anne hatte sich von ihrem Mann getrennt. Bei der Hochzeit ihrer Tochter mit Mark Phillips am 14. November 1973 – Charles' Geburtstag – hatte Elizabeth sich die wunderschöne Zukunft der beiden ausgemalt. Doch nun war das Paar seit April offiziell geschieden.

Am schlimmsten erschienen Elizabeth jedoch die Streitigkeiten zwischen Charles und Diana. Das Unglück der beiden ließ sie um das Wohl ihrer kleinen Enkelsöhne fürchten.

»William hat so viel Freude und Zufriedenheit in unser Leben gebracht. Ich kann es kaum erwarten, noch mehr davon zu erfahren.« So hatte Diana nach der Geburt ihres ersten Sohnes gesprochen.

Doch inzwischen wusste Elizabeth, wie unglücklich die beiden waren. Seit Monaten hatten sie sich in eine aussichtslose Situation hineinmanövriert und standen sich gegenseitig im Weg. Und seit Andrew Mortons Buch, Diana: Ihre wahre Geschichte, glaubte ganz England, wenn nicht sogar die gesamte Welt, dass Dianas Ehe ein Martyrium und Charles ein gefühlloser Ehemann war, der seine Frau in eine Ehe zu dritt gedrängt hatte. Es war allerhöchste Zeit, einen Weg für das Paar zu finden, wie immer dieser auch aussehen mochte.

Von fern erklangen Schritte. Philip.

»Träumst du von besseren Zeiten?« In seiner Stimme lag der Hauch eines Lächelns, als er sich neben Elizabeth auf die Teakholzbank im Garten setzte. »Du denkst an Charles und Diana, nicht wahr?«

Elizabeth nickte und rutschte mit dem Rücken weiter nach unten. »Wir müssen uns dringend mit ihnen zusammensetzen. Sie brauchen jemanden, der vermittelt. Wenn das überhaupt noch möglich ist.«

Sie las aus Philips Blick, dass er die Situation als weit ernster empfand, als sein leichthin gesagter Satz vermuten ließ.

»Das sollten wir tun, ja.« Es klang dringlich. »Hoffentlich sehen sie in uns die Profis in Sachen funktionierende Ehe, die wir durchaus sind.« Philip lehnte sich zurück und schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Was denkt Charles sich nur bei der Affäre mit Camilla? Warum zum Teufel kommt er nicht von ihr los?«

»Diese Frage stellst nicht nur du dir.« Elizabeth löste den Blick von einer Drossel, die einen Wurm aus der Erde gezogen hatte.

Man bekam die unterschiedlichsten Dinge über Camilla Parker Bowles zu hören. Manche sagten, sie rede lieber mit dem Personal als mit Aristokraten und erinnere sich an jedes Gesicht, das sie einmal gesehen hatte.

»Wusstest du, dass Camilla nicht gern fliegt?« Philip deutete auf seinen Unterarm. »Blut lässt sie sich auch nicht gern abnehmen. Angst vor Injektionsnadeln.«

»Dafür besitzt sie Witz«, warf Elizabeth ein. »Eine Charaktereigenschaft, die du schätzt. Auch ihre Herzenswärme wird immer wieder von Freunden hervorgehoben.«

»Was ihre eigene Ehe angeht, scheint sie diese vielgerühmte Herzenswärme nicht gerade hervorzukehren. Ihr Mann ist bestimmt nicht erfreut über die Affäre. Inzwischen weiß jeder davon … Ich hoffe, wir müssen nicht noch mehr über sie erfahren. Ich weigere mich jedenfalls, für jemand anderes als Diana an Charles' Seite Gefühle aufzubringen«, stellte er klar.

»Das musst du hoffentlich auch nicht. Wir werden alles tun, um den beiden zu helfen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, vor allem für William und Harry.«

»… und für die Monarchie«, ergänzte Philip nüchtern.

Am nächsten Tag erwarteten sie Charles und Diana draußen vor dem Eingang. Beide hatten einem Treffen in Windsor zugestimmt. Die Begrüßung fiel etwas steif aus. Unter ein paar unverfänglichen Sätzen, mit denen Philip die Stimmung etwas entspannen wollte, begaben sie sich gemeinsam in den Salon.

Elizabeth scheute weder unangenehme Situationen noch schwierige Gespräche, was aber nicht hieß, dass sie nicht am liebsten mit angemessener Zurückhaltung glänzte. Aus diesem Grund war sie mit Philip übereingekommen, ihm die Eröffnung zu überlassen.

»So, wie die Situation derzeit ist, kann es nicht weitergehen«, sagte er. Sein Blick wanderte von Charles zu Diana, dann zu Elizabeth. »Deshalb sitzen wir heute zusammen. Um gemeinsam einen Ausweg zu finden.«

Diana und Charles blickten stumm zu Boden.

»Was ist das Hauptproblem? Wie können wir helfen?«, erkundigte sich Philip. »Scheut euch nicht, freiheraus zu sagen, was euch auf der Seele liegt.«

Diana zögerte, dann sprach sie. »In meinen Augen ist Charles lieblos und hat kaum Interesse daran, mit mir Zeit zu verbringen«, berichtete sie. »So ging es im Grunde von Anfang an.«

»Ich bin niemand, der sich gern einmischt«, ergriff Elizabeth das Wort. »Ich hoffe, ihr seid euch bewusst, dass ich grundsätzlich auf Geduld und einen guten Ausgang setze. Doch wenn Probleme schwerwiegend sind und länger anhalten, ist Geduld nicht mehr das Mittel der Wahl. Deshalb bin ich froh, dass ihr gekommen seid und wir miteinander reden. Der entscheidende Punkt ist, dass man in jeder Ehe Kompromisse eingehen muss, um Differenzen aus dem Weg zu räumen – auch wenn dies vielleicht eine schmerzliche Erkenntnis ist. Kompromisse machen uns mitunter Angst. Wir haben das Gefühl, einen Teil unserer selbst zu verlieren, doch im Grunde gewinnen wir auch etwas: Ruhe, Einsicht und hoffentlich Nähe, die verloren gegangen ist. Uns geht es in erster Linie um euer Wohl und das eurer Kinder, aber es geht eben auch um das Wohl des Landes, das ihr repräsentiert.«

Elizabeth ließ Charles und Diana nicht aus den Augen, während sie weitersprach. »Philip und ich sind nicht damit einverstanden, dass ihr außereheliche Affären habt.« Sie vergewisserte sich Philips Unterstützung, der kaum merklich nickte. »Vielleicht ist es euch nicht bewusst, aber ihr begebt euch auf dünnes Eis. Denkt an eure Söhne. Sie haben Eltern verdient, die nicht sofort aufgeben und ihre Beziehung beenden«, mahnte Elizabeth.

»Was du sagst, ändert nichts daran, dass Charles' Verhalten rücksichtslos und ungerecht ist.« Diana sah unter ihrem blonden Haar hervor, das ihr in die Stirn fiel.

»Glaub mir, Diana, es bricht mir das Herz, dich und Charles so unglücklich zu sehen.« Elizabeth bemühte sich um Empathie und Besonnenheit. »Charles ist … nun ja, fremdgegangen, das ist wahr. Aber bitte lass nicht außer Acht, dass du es ihm gleichgetan hast. Im Moment steht ihr beide euch in nichts nach.«

Charles hatte geschwiegen, doch nun hielt es ihn nicht mehr auf seinem Platz. Er stand auf, ging zum Fenster und sah nach draußen, als ginge ihn das Ganze nichts an.

Schließlich sagte er: »Ich habe unser Eheversprechen ernst genommen und versucht, die richtigen Schritte zu setzen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich es allen recht machen wollte.«

Elizabeth sah, wie seine Schultern sich hoben.

»Erst als unsere Ehe zerrüttet war, habe ich zu zweifeln begonnen.« Als er weitersprach, klang er tieftraurig. »Mummy, sowohl Diana als auch ich haben unser Bestes gegeben. Aber eine Beziehung ist kein Schachspiel, wo man mit der richtigen Strategie einen falschen Zug vielleicht noch ausgleichen kann.«

Charles kehrte zurück zu seinem Platz neben Diana. Er schien irgendwie erleichtert.

»Charles … ich denke, wir sollten es mit einer Trennung auf Probe versuchen.«

Elizabeth und Philip tauschten erneut Blicke.

Die Veröffentlichung von Andrew Mortons Buch hatte Charles sehr zugesetzt. Morton hatte Personen, die Diana nahestanden, als Informanten genannt. Doch es gab den nicht unbegründeten Verdacht, dass die eigentliche Quelle Diana selbst war. Zu viel Intimes, das nur sie wissen konnte, wurde berichtet. Charles traute ihr zu, diesen versteckten Schritt in die Öffentlichkeit getan zu haben, er vertraute ihr nicht mehr, genauso wenig wie Diana ihm. Der Zustand der Ehe der beiden war weit schlimmer, als Elizabeth vermutet hatte.

»Wenn du meinst, dass das die beste Lösung ist, will ich dem nicht im Weg stehen«, stimmte Charles Dianas Vorschlag zu.

Philip räusperte sich. »Solltet ihr euch tatsächlich auf eine befristete Trennung einigen, würden wir euch bitten, diese nicht öffentlich werden zu lassen.«

Elizabeth schloss sich ihm an. »Überstürzt nichts. Lasst euch das heutige Gespräch in Ruhe durch den Kopf gehen. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht, um eine Entscheidung zu treffen. Was haltet ihr davon, wenn wir uns morgen noch einmal zusammensetzen? Bis dahin könnt ihr alles auf euch wirken lassen.«

Diana nickte halbherzig. »Ja, gut«, willigte sie. Ebenso Charles.

»Dann hätten wir das geklärt. Wir sehen uns morgen zur selben Zeit.« Elizabeth erhob sich. »Es gibt im Leben immer einen Weg nach vorn.« Sie versuchte zu lächeln. »Ich bin mir sicher, dass ihr euren Weg finden werdet.« Sie bezweifelte zwar, ob es ein gemeinsamer Weg wäre, doch sie wollte den beiden Mut machen.

Draußen stiegen Charles und Diana in getrennte Wagen. Als sie losfuhren, las Elizabeth in Philips Blick, was auch sie dachte, aber einfach nicht wahrhaben wollte. Es ist vorbei. Wir können daran nichts mehr ändern.

Elizabeth spürte die erfrischende Kühle des Wassers auf den Händen. Sie drehte den Wasserhahn zu und griff nach dem Handtuch.

Der Bund der Ehe war ein Versprechen, das auf tiefer Liebe gründete, doch war diese Liebe zwischen Charles und Diana endgültig zerbrochen.

Zu ihrer und Philips Überraschung war Diana nicht zum vereinbarten zweiten Treffen in Windsor erschienen. Stattdessen hatte sie erneut die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen. Diesmal durch private Tonbandaufnahmen eines Gesprächs mit einem Vertrauten. Die ganze Welt hatte ihre intimsten Gedanken, aber auch ihre Wut zu hören bekommen. Hinzu kamen die Kosenamen, die ihr der Gesprächspartner immer wieder gab.

In letzter Zeit fragte Elizabeth sich immer häufiger, ob Diana und Charles sich je wirklich geliebt hatten. Vermutlich war es nur oberflächliche Verliebtheit zwischen ihnen gewesen.

Inzwischen sah sie auch ihre eigene Rolle kritisch. Sicher, sie hatte das Beste für Charles gewollt, doch vermutlich war es falsch gewesen, ihn damals indirekt zu drängen, sich für Diana zu entscheiden.

Elizabeth' Überlegungen wanderten zu ihrem heutigen Hochzeitstag. Fünfundvierzig Jahre! Und kein Tag war wie der andere gewesen. Sie hatte es nie bereut, Philip ihr Jawort gegeben zu haben. Warum fiel es ihren Kindern nur so schwer, eine stabile Partnerschaft zu führen?

Zumindest Anne hatte ein neues Glück gefunden. Schon bald würde sie Timothy Laurence heiraten. Dass Mark während der Ehe ein Kind mit einer anderen Frau gezeugt und Anne eine Affäre mit Timothy begonnen hatte, hatte Elizabeth hinnehmen müssen.

Der Marineoffizier war von 1986 bis 1989 ihr Stallmeister gewesen, und irgendwann war aus Annes Freundschaft zu ihm Liebe geworden.

»Er ist immer für mich da, wenn ich eine Schulter zum Anlehnen brauche und auch sonst.«

Anne hatte ihr gestanden, dass sie in ihrer Ehe jahrelang eine Lücke wahrgenommen hatte, die ihr Mann Mark aufgrund seines Wesens nicht hatte schließen können.

»Ich weiß, in meinem Fall ist die Liebe im unpassendsten Moment gekommen, Mummy. Aber sie ist ein Geschenk, zu dem ich ja sagen will.«

Elizabeth hatte ihre Zustimmung zu Annes zweitem Eheanlauf gegeben. Was die Zukunft für ihre Tochter und Timothy tatsächlich bereithielte, würde sich zeigen, das Fundament ihrer Beziehung schien jedenfalls stark zu sein.

Elizabeth schloss die Badezimmertür hinter sich und ging in den Salon, wo das Telefon läutete und sie aus ihren Gedanken riss.

Am anderen Ende erklang Andrews Stimme, im Hintergrund war die Sirene eines Feuerwehrautos zu hören.

»Mummy«, Andrew schrie beinahe, »in Windsor ist ein Feuer ausgebrochen.«

Elizabeth erstarrte, dann versuchte sie, Andrews Worten Sinn zu verleihen. Es brannte in Windsor? Ihr Herz raste. »Bist du in Sicherheit?« Das war alles, was sie im Moment wissen wollte.

»Ja. Der Alarm hat mich rechtzeitig gewarnt. Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Als ich die Tür zu meinen Büros öffnete, kam mir bereits Rauch entgegen … ziemlich beängstigend … schrecklich. Ich habe alles stehen und liegen lassen und bin nach draußen gerannt.«

»Wie schlimm ist es?«, fragte Elizabeth.

»Ehrlich gesagt sieht es nicht gut aus. Das Feuer hat bereits auf weitere Teile des Schlosses übergegriffen. Soweit ich es verstanden habe, werden gerade Feuerschneisen im Clock Tower und im Chester Tower geschaffen, um die Ausbreitung zu stoppen.«

Elizabeth hielt die Luft an. Schloss Windsor hatte eine eigene Feuerwehr für den Ernstfall, allerdings verfügte das Schloss über keine Sprinkleranlage, aus Sorge, schon eine unbedeutende Rauchentwicklung könnte sie auslösen und die wertvollen Gemälde zerstören. Und die Bauweise des über neunhundert Jahre alten Schlosses trug dazu bei, dass ein Feuer leichtes Spiel hatte.

»Ich habe veranlasst, die Gemälde in der St. George's Hall abzunehmen.«

Elizabeth stieß die Luft aus, die sie zurückgehalten hatte.

»Leider wird der Rauch immer dichter«, sprach Andrew weiter. »Keine Ahnung, wie lange die Männer sich dort noch aufhalten können.«

»Ich komme, so schnell ich kann«, versprach Elizabeth. Sie hoffte, ihr Zuhause würde nicht zu einer schlichten Erinnerung werden.

Es war 3 Uhr am Nachmittag. Schon aus der Ferne waren dicke Rauchschwaden am Himmel zu sehen.

Als Elizabeth aus dem Wagen stieg, drang beißender Brandgeruch in ihre Nase, und aus dem Dach des Schlosses stieg orangefarbener Rauch auf. Sie zog ihren Mantel an und sah sich um.

Ein Feuerwehrauto parkte an der Steinmauer des Schlosses. Der knallrote Wagen und die Feuerwehrmänner mit ihren gelben Helmen bildeten einen eigenwilligen Kontrast zu dem grauen Gestein des Schlosses. Gerade wurde die Leiter ausgefahren, um das Dach zu erreichen. Ein Bild wie aus einem Katastrophenfilm.

Ihr Zuhause in Flammen stehen zu sehen, war grauenhaft. Und das ausgerechnet an ihrem fünfundvierzigsten Hochzeitstag. Wichtig war jetzt, sich möglichst rasch einen Überblick über die Lage verschaffen.

Elizabeth zog sich die Kapuze ihres graubraunen Mantels über den Kopf und hielt nach Andrew Ausschau. Sie entdeckte ihn im Gespräch mit einem Feuerwehrmann.

»Mummy.« Andrew begrüßte seine Mutter und stellte ihr den Hauptbrandmeister vor. Der Mann sah erschöpft und müde aus.

»Sparen Sie nichts aus«, kam Elizabeth augenblicklich auf das Wesentliche zu sprechen. »Ich möchte über alles Bescheid wissen.«

»Wir sind gerade dabei, das Feuer im Brunswick Tower zu bekämpfen.« Der Mann deutete auf das Dach des Schlosses. »Wir lassen das Feuer über das Dach entweichen, um eine weitere horizontale Ausbreitung zu verhindern.« Nach einer kurzen Pause sprach er weiter. »Ma'am, Sie können sich darauf verlassen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das Schloss zu retten. Meine Männer sind bestens ausgebildet.«

Elizabeth erfuhr, dass bereits über zweihundert Feuerwehrleute aus sieben Landkreisen im Einsatz waren. Egal in welche Richtung sie sich drehte, überall waren Menschen, die mitanpackten. Ein Mann lief gerade mit einer Leiter ins Schloss, ein anderer folgte ihm mit einer Axt.

Elizabeth wandte sich wieder dem Hauptbrandmeister zu. »Ich danke Ihnen schon jetzt für Ihren Einsatz. Bitte richten Sie auch Ihren Männern später meinen tiefen Dank aus. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzen, um hier zu helfen. Und was mich anbelangt … Ich möchte nicht nur herumstehen und zusehen. Was kann ich tun?«

Kurz darauf stand Elizabeth an vorderster Front. Gemeinsam mit Andrew, einigen Feuerwehrmännern, Soldaten und Mitarbeitern des Schlosses bildete sie eine Menschenkette, die Gegenstände und Möbelstücke aus dem vom Feuer betroffenen Teil des Schlosses in Sicherheit brachten. Uhren, Bilder, Tische und andere Antiquitäten wurden von Hand zu Hand gereicht.

Elizabeth bekam nur schwer Luft.

»Hier, nimm mal«, rief sie Andrew zu und hielt ihm eine Vase entgegen. Andrew nahm sie und gab sie an jemanden vom Personal weiter. Er drehte sich erneut zu seiner Mutter und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Wir schaffen das, Mummy. Wir halten durch.«

Am nächsten Tag traf Elizabeth sich mit dem Hauptbrandmeister, um den immensen Schaden zu begutachten, den das Feuer, das in der Privatkapelle seinen Anfang genommen hatte und erst nach fünfzehn Stunden vollkommen gelöscht worden war, verursacht hatte.

»Vermutlich hat es bereits längere Zeit gebrannt, bis das Feuer entdeckt wurde«, erklärte der Hauptbrandmeister. »Als die ersten Männer ankamen, war es leider schon außer Kontrolle. Glücklicherweise hat die Feuerschneise am anderen Ende der St. George's Hall die Flammen aufgehalten. Die Bibliothek ist zumindest verschont geblieben.«

Elizabeth hörte schweigend zu. Es hätte noch viel schlimmer kommen können. In dem vom Brand am stärksten betroffenen Bereich waren in den letzten Wochen Neuverkabelungen durchgeführt worden, nur deshalb hatten sich einige wertvolle Gemälde und Möbelstücke nicht im Schloss befunden. Bis auf zwei Stücke war die Kunstsammlung mehr oder weniger unversehrt geblieben.

»Ich habe heute Morgen erfahren, dass einige Ihrer Männer ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Wissen Sie schon, ob es ihnen wieder besser geht?«, erkundigte sich Elizabeth.

»Danke der Nachfrage, Ma'am. Ein Einsatz wie dieser ist immer mit Risiken verbunden, aber ich kann Ihnen garantieren, dass es nicht lange dauern wird, bis die Männer wieder einsatzbereit sind.«

Elizabeth nickte erleichtert. »Das sind gute Nachrichten.«

Der Mann deutete auf das Schloss. »Gehen wir hinein? … Was Sie erwartet, ist allerdings nicht schön.« Er sah sie stirnrunzelnd an. »Die Dächer der Staatsgemächer und der St. George's Hall sind komplett eingestürzt, ebenso der Boden des Brunswick Towers.«

»Ich komme schon zurecht«, sagte Elizabeth, obwohl sie sich da gar nicht so sicher war. »Aber danke, dass Sie mich vorwarnen.«

Sie betrat das Schloss mit einem mulmigen Gefühl und folgte dem Hauptbrandmeister von Raum zu Raum. Was sie sah, war kaum zu verkraften. Das Schloss war teilweise eine Ruine.

Überall waren Zeichen des Feuers erkennbar: rußgeschwärzte Wände, leere Fenster, herabgestürzte Bauteile. Sie stand wie erstarrt da. Diesen Anblick hatte sie nicht erwartet.

Sie erfuhr, dass neben den Feuerwehrleuten über dreihundert Menschen an der Rettungsaktion beteiligt gewesen waren.

»Das Feuer ist am späten Nachmittag erneut aufgeflammt. Am frühen Abend hatten die Flammen eine Höhe von fünfzehn Metern erreicht. Jeder Helfer hat alles gegeben. Sie haben alle unermüdlich gearbeitet, doch trotz aller Mühe wurde der Nordostflügel leider komplett zerstört. In Summe sind neun der Staatsgemächer zerstört und weitere hundert Räume beschädigt«, fasste der Hauptbrandmeister zusammen. »Die gute Nachricht ist, wir konnten vier Fünftel, sprich achtzig Prozent retten.«

Elizabeth drehte sich einmal um die eigene Achse. Überall lagen verbrannte Holztrümmer und Überbleibsel von Dingen herum, die bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren. Die Wände, die einst in hellen Farben gestrahlt hatten, waren unter schwarzem Ruß begraben. Sie richtete den Blick nach oben. Bis auf einzelne verbrannte Teile war vom Dach nichts mehr übrig. Man hatte freien Blick auf den Himmel mit seinen vorbeiziehenden Wolken.

Dass der Schaden groß wäre, war Elizabeth klar gewesen, doch das Ausmaß der Verwüstung mit eigenen Augen zu sehen, war etwas ganz anderes.

»Eine surreale Situation«, murmelte Elizabeth. »Danke für den Einblick. Es ist viel schlimmer, als ich mir vorgestellt habe.«

Beim Verlassen des Schlosses realisierte sie, wie dankbar sie für die Hilfe war. Sie zwang sich zu einem zuversichtlichen Lächeln.

»Ich finde es beeindruckend, mit wie viel Eifer und Selbstlosigkeit Sie und Ihre Männer bis in die frühen Morgenstunden im Einsatz waren«, lobte sie den Hauptbrandmeister. »Ohne Ihr schnelles Handeln und Ihren Mut wäre es noch viel schlimmer gekommen. Schloss Windsor mag zwar nicht mehr das sein, was es einmal war, aber Mauern lassen sich neu errichten und Dächer neu decken. Das Wichtigste ist, dass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist.«

Der Hauptbrandmeister hörte stumm zu, als Elizabeth erzählte, dass ein Zuhause so viel mehr war als Mauern, Tische und Stühle, mehr als Gemälde und die Bücher in einer Bibliothek.

»Zuhause … dieses Wort verbinde ich mit den Menschen, die hier leben.«

Und die wir über alles lieben, fügte sie im Stillen hinzu.

»Dass Sie darüber gewacht haben, dafür danke ich Ihnen im Namen meiner ganzen Familie.«