31. August 1997

Schottland, Aberdeenshire,
Schloss Balmoral

Um sie herum war alles in nächtliches Schwarz gehüllt, als das Telefon klingelte. Elizabeth tastete nach der Nachttischlampe. Augenblicklich wurde der Raum in warmes Gelb getaucht.

»2 Uhr …«, murmelte sie.

Nach einem kurzen Räuspern setzte sie sich auf und griff nach dem Hörer des Telefons, das noch immer unerbittlich schrillte.

»Eure Majestät«, erklang die Stimme von Sir Robin Janvrin, Stellvertreter ihres Privatsekretärs. »Entschuldigen Sie die nächtliche Störung.«

»Schon gut. Es scheint ja wichtig zu sein.«

»Das ist es, Ma'am. Es geht um … um die Princess of Wales.«

Elizabeth horchte auf. Robins Stimme klang besorgt.

»Was ist passiert?«

Robin räusperte sich. »Die Prinzessin wurde in einen Autounfall verwickelt.« Er legte eine kurze Pause ein, dann fügte er hinzu: »In Paris. Gemeinsam mit Herrn Al Fayed.«

»Ein Autounfall? Um Himmels willen. Weiß man Näheres?«

»Leider nicht, Ma'am. Ich melde mich selbstverständlich sofort, wenn es Neuigkeiten gibt.«

»Danke, Robin. Bitte rufen Sie umgehend an, wenn Sie etwas erfahren.«

Elizabeth legte den Hörer auf – an Schlafen war nicht mehr zu denken –, schob die Bettdecke zur Seite und schlüpfte in ihre Pantoffeln.

Vermutlich ging es Diana den Umständen entsprechend gut, überlegte sie, als sie ihren Morgenmantel überzog. Ihre Gedanken gingen in alle möglichen Richtungen und endeten bei den Medien. Garantiert sorgte der Unfall morgen früh für einen Riesenwirbel. Wo Diana war, war die Presse nie weit.

Seit dieser neue Mann in ihr Leben getreten war, überschlugen sich die Zeitungen; die Meinungen über die Liaison änderten sich von Ausgabe zu Ausgabe. Die überwiegende Mehrheit gönnte Diana ihr neues Glück. Allerdings konnten manche sich dieses Glück nicht an der Seite des ägyptischen Filmproduzenten Dodi Al Fayed, Sohn eines Milliardärs, vorstellen.

Elizabeth schob die Vorhänge zur Seite und schloss das Fenster. Für einen kurzen Augenblick betrachtete sie den Mond. Das Zusammenspiel des Lichts und der Wolken erweckte den Eindruck, als wäre der Nachthimmel ein überdimensionales Gemälde. Sie knotete den Gürtel ihres Morgenmantels und betrat den nach Lavendel duftenden Korridor des ersten Stocks. Dort stand mit dem Rücken zu ihr Charles, dessen Schlafzimmer sich drei Türen weiter befand. Als er ihre Schritte hörte, drehte er sich um.

Er umklammerte sein Handy, und die Anspannung war ihm ins Gesicht geschrieben, ebenso Sorge und Nervosität. Wusste Charles womöglich bereits mehr als sie? In diesem Moment klingelte das Handy penetrant laut.

So schnell hatte Elizabeth Charles noch nie zuvor einen Anruf annehmen sehen. Er hörte angestrengt zu, was am anderen Ende gesagt wurde.

»Mhm …. ja …«, murmelte er. Während er telefonierte, marschierte er den Gang auf und ab und wirkte von Sekunde zu Sekunde beunruhigter. »Verstehe«, sagte er und nickte. Er wechselte noch ein paar Worte, dann legte er auf. Sein Gesichtsausdruck war noch immer ernst, doch Elizabeth glaubte darin nun auch einen Funken Erleichterung zu erkennen.

»Nachricht aus Paris«, erklärte Charles nervös. Er schluckte, dann sprach er es aus. »Dodi Al Fayed hat den Unfall nicht überlebt.« Er atmete laut aus. »Er ist tot.«

»Das ist doch nicht dein Ernst?!« Elizabeth konnte es nicht glauben.

»Ich fürchte doch.«

Sie schlug die Hand vor den Mund. Mit einem Todesfall hatte sie nicht gerechnet. Wie von fern tauchte die wichtigste Frage vor ihr auf. »Und Diana? Weißt du, wie es ihr geht? Ich hatte vorhin Robin Janvrin am Telefon. Allerdings wusste er nichts Näheres.«

»Sie scheint durchaus ein paar Kratzer abbekommen zu haben.« Charles fuhr sich mit der Hand übers Kinn. »Aber sie lebt«, sagte er erleichtert.

Elizabeth' Herz beruhigte sich, schlug endlich wieder langsamer. »Das sind gute Neuigkeiten«, sprach sie ihrem Sohn Mut zu. »Aber es ist tragisch, dass ihr Begleiter seinen Verletzungen erlegen ist. Ich mag mir nicht vorstellen, wie sehr seinen Vater diese Nachricht trifft. Er wird am Boden zerstört sein.«

»Das ist er sicher. Vermutlich weiß er es schon.« Charles steckte das Handy in die Hosentasche. Er war vollständig angezogen, als stünde der Tag bereits in den Startlöchern. »Näheres über Diana konnte ich noch nicht erfahren«, sprach er weiter. »Ich hoffe, dass wir in den nächsten Minuten endgültig Entwarnung bekommen.«

»Das hoffe ich auch. Inständig«, fügte Elizabeth hinzu. »Diana lebt. Das ist im Augenblick das Wichtigste.«

Der letzte Rest Ungewissheit war wie eine Fessel. Elizabeth fühlte sich beklommen und nervös. Abzuwarten, wenn es um schlimme Nachrichten ging, fiel ihr schwer.

Als Charles Diana vor über sechzehn Jahren das Jawort gegeben hatte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass die Liebe dieses strahlenden Paars, das von Millionen von Menschen bejubelt wurde, so schnell verblassen würde. Eine Ehe hinter den Mauern des Palastes erforderte weit mehr, als es nach außen erschien. Diana hatte immer versucht, ihr Bestes zu gegeben, doch sie konnte emotionalen Unwettern nur begrenzt standhalten und stand sich manchmal selbst im Weg.

Schon vor dem Kennenlernen mit Charles hatte sie sich ungeliebt und ungewollt gefühlt, und während der Ehe hatte sie unter starken Stimmungsschwankungen gelitten. Leider hatten sie sich damit konfrontiert gesehen, dass Diana es mit der Wahrheit nicht immer allzu genau nahm. Die Außenwelt bekam diese Seite, abgesehen von ihrer Bulimie und den Depressionen, jedoch nicht zu sehen, denn Diana war geschickt darin, die Medien für sich zu nutzen.

Charles hatte sein Leben lang gelernt, seine Emotionen zu zügeln, doch in diesem Moment ließ er ihnen freien Lauf.

»Ich fühle mich schrecklich«, klagte er. »Nicht auszumalen, wenn ihr doch etwas Schlimmes zugestoßen ist. Wir wissen beide, was das bedeutet. Für die Jungen … und das Königshaus.«

»Wir müssen Ruhe bewahren und auf das Gute hoffen.«

Ganz unerwartet schlang Charles die Arme um seine Mutter und sie ihre um ihn. Eine für beide ungewöhnliche Geste. So standen sie auf dem Korridor, umgeben von Tapeten in gebrochenem Weiß, die die Royal Cypher von Königin Victoria zierten.

»Weißt du was«, schlug Elizabeth vor, als sie sich aus der Umarmung lösten. »Lass uns eine Tasse Tee trinken, während wir auf den Rückruf warten. Sicher dauert es nicht lange, bis wir Bescheid wissen, wie die Dinge stehen.« Elizabeth' Blick war voller Verständnis und Mitgefühl.

Mittlerweile war das gesamte Schloss wach. Die Telefonzentrale in Balmoral, über die alle Anrufe getätigt wurden, war voll besetzt. Robin Janvrin stand in engem Kontakt mit der Botschaft in Paris und hielt im Erdgeschoss die Stellung. Nur William und Harry schliefen tief und fest. Sie bekamen von dem, was sich in diesem Moment abspielte, von der Sorge um ihre Mutter, nichts mit.

Während Elizabeth jemanden vom Küchenpersonal beauftragte, ihnen Tee zu bringen, ging Charles ins Wohnzimmer, das sich neben Elizabeth' Ankleidezimmer befand. Dort würde er die Anrufe entgegennehmen. Manche kämen durch die Telefonzentrale, andere direkt auf sein Handy.

Elizabeth kam sich wie ferngesteuert vor und ging noch einmal hinaus. Sie war sichtlich in Gedanken versunken, als Philip auf sie zueilte.

»Irgendwelche Neuigkeiten? Warum hast du mich nicht geweckt? Ich habe gerade erst erfahren, was los ist.« Philip, sonst die Ruhe in Person, wirkte aufgelöst.

»Entschuldige«, Elizabeth wurde erst in diesem Moment klar, dass sie in der Aufregung vergessen hatte, ihn zu wecken. »Es ging alles so schnell. Ich bin noch nicht dazu gekommen.«

Aus dem Wohnzimmer war plötzlich Charles' Stimme zu hören. Was er sagte und mit wem er sprach, war nicht zu verstehen.

»Dianas Freund hat den Unfall nicht überlebt«, informierte Elizabeth ihren Mann.

»Oh, mein Gott.« Philip erstarrte.

»Ob wir die Kinder wecken sollen?«, murmelte sie. »Nein, es ist besser, wir lassen sie schlafen«, gab sie sich selbst die Antwort.

»Das sehe ich auch so. Ich möchte sie nicht unnötig beunruhigen«, mischte sich Charles ein, als er aus dem Wohnzimmer kam. Sein Gesicht wirkte gelöster, weniger angespannt. »Ich habe gerade den aktuellen Stand übermittelt bekommen. Diana scheint den Unfall relativ unbeschadet überstanden zu haben. Ich kann euch gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin.«

Philip griff sich mit der flachen Hand an die Brust und atmete auf. »Wenn das nicht gute Neuigkeiten sind.«

Elizabeth' Schultern senkten sich wieder.

»Ich muss noch mal telefonieren.« Charles verschwand erneut im Wohnzimmer, um Mark Bolland, den Stellvertreter seines Privatsekretärs, der sich in London befand, anzurufen.

»Wie ist es eigentlich zu dem Unfall gekommen? Wer saß am Steuer?«, schossen die Fragen nur so aus Charles heraus. Er hatte die Tür einen Spalt offen gelassen, sodass Elizabeth und Philip mithören konnten. »Und was um Himmels willen hat Diana überhaupt in Paris gemacht?« Für einen Moment trat Stille ein. Dann sprach Charles weiter. »Ja, das sollte ich. Ich fliege noch heute hin. So kann ich mich vor Ort um ihr Wohlergehen kümmern.«

Charles' Beschluss, an der Seite seiner Exfrau zu sein, schien festzustehen. Doch so einfach war die Sache nicht. Es war an Elizabeth, den Flug in einer Maschine des königlichen Haushalts zu genehmigen.

»Möchtest du eine Tasse?«, fragte sie Philip und deutete auf den Tee, den bisher weder sie noch Charles angerührt hatten.

Philip schüttelte den Kopf.

Elizabeth nahm seine Hand. »Kaum vorzustellen, wenn Diana etwas Ernsthaftes passiert wäre.«

»Sie hatte offenbar Glück im Unglück. Seien wir froh.« Philip küsste Elizabeth auf die Stirn.

Erneut läutete Charles' Telefon. »Was kann denn jetzt noch sein?«, überlegte Philip.

»Bestimmt geht es um Details wegen seines Flugs nach Paris«, vermutete Elizabeth. Wie sie Charles kannte, würde er sich vor Ort aller Anliegen annehmen. Er war gern informiert und kümmerte sich stets um alles.

Philip deutete auf die Tür, die halb offen stand. »Was hat er nur?«

Elizabeth lugte ins Zimmer. Ihr Sohn war in sich zusammengesunken, seine Wangen waren tränenüberströmt.

Plötzlich läutete auch Elizabeth' Handy. »Ihre Majestät, ich hatte soeben den Botschafter am Apparat. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass die Prinzessin vor wenigen Minuten verstorben ist«, sagte Robin Janvrin.

»Verstorben?« Elizabeth brachte das Wort kaum heraus und suchte Philips Blick. Ihre Lippen formten Worte: »Diana … ist tot!« Als hätte er das nicht längst begriffen.

Ansonsten gab es nicht viel, was Robin ihr sagen konnte.

Als sie auflegte, schüttelte Elizabeth entsetzt den Kopf. »Sie ist ihren Verletzungen erlegten. Das kann doch nicht sein …«

Philip war wie erstarrt.

»Ich muss nach Charles sehen«, sagte Elizabeth und eilte zu ihrem Sohn.

»Sie lebt nicht mehr. Mein Gott …« Charles weinte bitterlich.

Es dauerte eine Weile, bis er sich so weit gefasst hatte, dass er ruhig sprechen konnte. Robin war aus dem Erdgeschoss nach oben gekommen, um mit Elizabeth und Charles an einer Konferenzschaltung mit Sir Robert Fellowes, Elizabeth' Privatsekretär und Ehemann von Lady Jane Fellowes, Dianas Schwester, der sich in dieser Nacht in seinem Zuhause in Norfolk aufhielt, teilzunehmen.

»Ich hole Diana nach Hause«, verkündete Charles, als er sich halbwegs beruhigt hatte. An seinem Entschluss war nicht zu rütteln, das machte er unmissverständlich klar.

»Sir, entschuldigen Sie, aber das ist keine gute Idee. Die Prinzessin ist eine Privatperson und nicht mehr Teil der königlichen Familie«, erklärte Fellowes.

»Es tut mir leid, Charles. Robert hat recht. So gerne ich dir diesen Wunsch erfüllen würde, es ist meine Pflicht, dem Protokoll Folge zu leisten.« Elizabeth sah Charles um Verständnis bittend an. »Selbstverständlich stelle ich dir ein Flugzeug nach Paris zur Verfügung. Aber was Dianas Sarg betrifft, müssen wir eine andere Lösung finden.«

Robin nahm Elizabeth zur Seite. Er schien anderer Meinung zu sein. »Was wäre Ihnen lieber, Ma'am, dass die Prinzessin in einem Van von Harrods nach Hause gebracht wird?« Seine Worte waren eine Anspielung auf Dodis Vater, dem das bekannte Kaufhaus gehörte.

Elizabeth wandte sich wieder Charles zu. »Also gut.« Sie hatte sich entschlossen. »Hol Diana nach Hause.« Sie nahm ihn noch einmal in die Arme, dann fragte sie ihn traurig: »Wirst du es den Jungen sagen?«

Charles fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Natürlich. Ich bin ihr Vater.« Seine Stimme klang dünn. »Nur habe ich absolut keine Ahnung, wie ich es ihnen beibringen soll.«

Elizabeth legte die Hände behutsam aufeinander. Sie stand mit ihrer Schwester Margaret, ihrer Mutter und dem Rest der Familie vor den Toren des Buckingham-Palasts.

Philip, Charles, William und Harry folgten dem Sarg, der vom Kensington-Palast durch London bis hin zur Westminster Abbey geführt wurde. Und nun warteten sie geduldig auf das Vorbeiziehen der Prozession.

Mittlerweile war fast eine Woche seit der Schreckensnachricht vergangen. Der Tod Dianas hatte nicht nur die Familie erschüttert, sondern die Menschen weltweit, vor allem jedoch die Briten.

Charles hatte dem fünfzehnjährigen William und dem zwölfjährigen Harry schweren Herzens die Nachricht vom Ableben ihrer Mutter überbracht. Er sprach die beiden gern mit Darling-Boys an, das rührte Elizabeth jedes Mal.

Entgegen allen Erwartungen waren die Jungen seltsam gefasst geblieben. Sie standen unter Schock und konnten die Wahrheit noch nicht begreifen. Es würde einige Zeit dauern, bis die beiden ihre Gedanken geordnet und das Geschehene in seiner ganzen Tragweite erfasst hätten.

Harry schien sich an manchen Tagen schlichtweg zu weigern, den Tod seiner Mutter zu akzeptieren. Auch wenn er es nicht offen aussprach, konnte Elizabeth es aus seinen Augen lesen.

Die geliebte Mutter war plötzlich verschwunden. Die Jungen konnten die Arme nicht mehr um sie schlingen, wenn sie sich nach Dianas Geborgenheit sehnten. Sie konnten ihr nicht mehr sagen, wie lieb sie sie hatten und wie sehr sie sie brauchten. Irgendwann würden William und Harry vermutlich vergessen, wie es sich anfühlte, wenn Diana ihnen liebevoll übers Haar strich und ihnen einen Gutenachtkuss gab. Und doch würde die Liebe ihrer Mutter in ihren Herzen weiterleben.

Wenn Elizabeth in den Tagen nach Dianas Unfall aus dem Fenster von Balmoral geblickt hatte, hatte sie die Jungen häufig auf dem Anwesen spazieren gehen sehen. Manchmal allein, manchmal zu zweit, andere Male mit ihrem Cousin Peter Phillips. Er war nach Balmoral gereist, um William und Harry zur Seite zu stehen, wofür Elizabeth ihm unendlich dankbar war. Auf Anne war Verlass, auf ihre Kinder ebenfalls.

Charles war noch am Tag von Dianas Tod nach Paris geflogen. Elizabeth und Philip waren bei den Kindern geblieben. Im Gegensatz zu William und Harry hatte Charles keinen Hehl aus seinen Gefühlen gemacht. Er war voller Kummer gewesen, seine Augen vom Weinen gerötet.

Auch er war viel herumgegangen. Hinaus an die frische Luft, um in Bewegung zu bleiben. Meist war er in den umliegenden Hügeln unterwegs gewesen. An manchen Tagen hatte er schweigend in einem Sessel gesessen und ins Leere gestarrt. Er hatte sich im Jahr zuvor mit Diana ausgesprochen und ihr seine Freundschaft angeboten, danach hatte sich ihr Verhältnis entspannt. Charles war dieses Aufeinanderzugehen sehr wichtig gewesen. Diana, wie es den Anschein gehabt hatte, ebenso.

Hinter Elizabeth war ein Transparent auf dem schwarz-goldenen Zaun des Palasts angebracht. Auf dem weißen Stück Stoff standen in schwarzen Buchstaben die Worte Diana of Love. Elizabeth richtete ihren Blick nach vorn und sah in die Menschenmenge auf der anderen Straßenseite. Heute war nicht nur einer der schwersten Tage für William und Harry, sondern auch für die Menschen Englands, für ihr Volk.

Als die Nachricht von Dianas Unfall publik geworden war, waren die Menschen in Scharen in Trauer ausgebrochen. Ganz Großbritannien hatte auf eine Weise getrauert, wie Elizabeth es nie zuvor erlebt hatte. Besonders junge Menschen hatten sich mit der Königin der Herzen verbunden gefühlt. Diana hatte Menschen das Gefühl gegeben, für sie da zu sein und jeden Moment mit ihnen zu schätzen. Sie hatte stets aus vollem Herzen gehandelt, hatte Nähe zugelassen und Mitgefühl auf eine Weise gezeigt, wie es kaum je ein Mitglied der königlichen Familie zuvor getan hatte.

Es gab natürlich auch die andere Seite. Diana hatte immer wieder Wege gewählt, die keineswegs gerade verliefen und die sie ebenso mit der Öffentlichkeit teilte. Doch genau das, Dianas Unvollkommenheit, machte es den Menschen offenbar möglich, sich mit ihr zu identifizieren.

Die Straßen rund um den Buckingham-Palast hatten sich in ein einziges unüberschaubares Blumenmeer verwandelt. Menschen waren von weit her angereist, um gemeinsam zu trauern und Blumen niederzulegen.

Elizabeth hatte sich mit ihren Enkelsöhnen in den letzten Tagen regelrecht auf Balmoral verschanzt. Sie wollte nur eins, sich voll und ganz auf die beiden Halbwaisen konzentrieren.

Zum ersten Mal hatte sie ihre Funktion als Königin ohne zu zögern an zweite Stelle gestellt, um für ihre Enkel die Großmutter zu sein, die sie in dieser schweren Zeit dringend brauchten. Eine Großmutter, die auf ihre Bedürfnisse einging und Tag und Nacht für sie erreichbar war. Niemals hätte sie gedacht, dass diese Entscheidung zu solchen Unruhen in England führen würde. Dass die Menschen nicht verstanden, wie wichtig es war, William und Harry Zeit zum Trauern zu geben. Viele innerhalb der Bevölkerung waren offenbar der Meinung, dass sich niemand für ihre Gefühle interessierte. Während Premierminister Tony Blair und Dianas Bruder, Charles Spencer, öffentliche Statements abgaben, hatten die Menschen vergebens auf wärmende Worte ihrer Königin und auf deren Rückkehr nach London gewartet.

Elizabeth versuchte die Aufregungen der letzten Zeit in den Hintergrund zu schieben und beobachtete, wie die Prozession sich allmählich näherte. Aus der Menschenmenge war bitterliches Weinen zu hören. Ein kleines Mädchen beugte sich nach vorn und warf eine rote Rose auf die Fahrbahn.

Sie hatten lange als Familie überlegt, wann der rechte Zeitpunkt wäre, zu dem William und Harry ihren öffentlichen Aufgaben nachkämen und ihre Mutter in aller Öffentlichkeit betrauerten. Elizabeth, Charles und Philip hatten sich behutsam an die Situation herangetastet, hatten immer wieder Rücksprache mit den Jungen gehalten. Einen Tag, bevor sie nach London zurückgekehrt waren – zwei Tage vor Dianas Begräbnis –, hatten sie vor dem Tor von Balmoral die vielen Blumensträuße und Nachrichten, die an Diana adressiert waren, betrachtet. Es war der erste Schritt gewesen, sich der Öffentlichkeit zu stellen.

Elizabeth hatte hier und da gelesen, was auf den Karten stand, zwischendurch hatte sie immer wieder William und Harry beobachtet, die unzweifelhaft den Eindruck gemacht hatten, als ginge das alles über ihre Kräfte. Charles hatte Harry an die Hand genommen; Harry war tapfer wieder und wieder in die Hocke gegangen, um einen Blumenstrauß nach dem nächsten zu begutachten. Seine ausdruckslose Miene war herzzerreißend gewesen.

William war es nicht besser ergangen. Er wandte alle Kraft auf, um nicht von Gefühlen überflutet zu werden, las Karten mit Beileidsbekundungen, schaute sich die Fotos und Collagen an.

Als Philip, Elizabeth und die Jungen schließlich London erreichten, waren die Straßen von Menschenmassen gesäumt. Sie waren vor den Toren des Buckingham-Palasts ausgestiegen und hatten sich auch dort das Meer an Blumen, Stofftieren, Fotos und Briefen angesehen, die die Trauernden hinterlassen hatten. Elizabeth hatte Blumen entgegengenommen, hatte zahlreiche Hände geschüttelt und mit Frauen, Kindern und Männern gesprochen. Sie hatte ihnen zugehört und sogar gelächelt, weil das von ihr erwartet wurde. Die Menschen lechzten danach, von ihr getröstet zu werden, und wäre es nur durch ein erzwungenes Lächeln.

Wenig später hatte sie den Balkon des Buckingham-Palasts betreten und die Ansprache gehalten, auf die alle so sehnsüchtig warteten. Die Rede war live im Fernsehen und Radio übertragen worden.

»Seit der schrecklichen Nachricht von letztem Sonntag haben wir in Großbritannien und auf der ganzen Welt einen überwältigenden Ausdruck der Trauer über Dianas Tod gesehen. Wir alle haben auf unterschiedliche Weise versucht, damit umzugehen. Es ist nicht einfach, ein Gefühl des Verlusts auszudrücken, da auf den ersten Schock eine Mischung aus anderen Gefühlen folgt: Unglauben, Unverständnis, Wut – und Sorge um die, die bleiben. Wir alle haben diese Emotionen in den letzten Tagen gespürt. Was ich Ihnen jetzt als Ihre Königin und als Großmutter sage, sage ich aus tiefstem Herzen. Zuallererst möchte ich Diana selbst Tribut zollen. Sie war eine außergewöhnliche und begabte Frau. In guten wie in schlechten Zeiten verlor sie nie ihre Fähigkeit, zu lächeln und zu lachen oder andere mit ihrer Wärme und Freundlichkeit zu inspirieren. Ich habe sie bewundert und respektiert – für ihre Energie und ihr Engagement für andere und besonders für ihre Hingabe an ihre beiden Jungen …«

Sie erzählte den Menschen, dass sie auf Balmoral versucht hatte, Dianas Söhnen zu helfen, mit dem verheerenden Verlust der Mutter umzugehen, und bekräftigte, dass niemand, der Diana kannte, sie jemals vergessen würde.

»Ich für meinen Teil glaube, dass man aus ihrem Leben und aus der außergewöhnlichen und bewegenden Reaktion auf ihren Tod Lehren ziehen kann. Ich teile Ihre Entschlossenheit, ihr Andenken zu bewahren. Dies ist auch eine Gelegenheit für mich, im Namen meiner Familie und insbesondere von Prinz Charles und William und Harry allen zu danken, die Blumen gebracht, Nachrichten gesendet und einer bemerkenswerten Person auf so viele Arten Respekt erwiesen haben … Unsere Gedanken sind auch bei Dianas Familie und den Familien derer, die mit ihr gestorben sind … Ich hoffe, dass wir morgen alle, wo immer wir auch sind, unsere Trauer über Dianas Verlust und unsere Dankbarkeit für ihr allzu kurzes Leben zum Ausdruck bringen können. Es ist eine Chance, der ganzen Welt die in Trauer und Respekt vereinte britische Nation zu zeigen. Mögen die Verstorbenen in Frieden ruhen, und mögen wir alle Gott für jemanden danken, der viele, viele Menschen glücklich gemacht hat.«

Sie alle hatten sich an jenem Tag der Menschenmenge gestellt, hatten Trauernde begrüßt und waren von Händen umgeben gewesen, die sich nach ihnen ausstreckten und die noch nass von den Tränen waren. Einige waren zusammengebrochen. Und auch William und Harry hatten den Menschen an diesem Tag gegeben, was von ihnen erwartet wurde. Sie waren vor dem Kensington-Palast auf und ab gegangen, hatten gelächelt und unzählige Hände geschüttelt – und waren so dem Vorbild ihrer Mutter gefolgt.

Elizabeth schüttelte die beklemmenden Erinnerungen ab. Sie, die Situationen stets pragmatisch sah, drohte diesmal von Gefühlen überwältigt zu werden. Pferdehufe auf Asphalt waren zu hören. Der Sarg war nicht mehr weit entfernt.

Als die Prozession sie erreichte, tat Elizabeth etwas, womit niemand gerechnet hatte. Sie senkte den Kopf und verneigte sich vor Dianas Sarg. Es war eine außergewöhnliche Geste des Respekts und ein bemerkenswerter, emotionaler Moment, der in die Geschichte eingehen würde.