2000-2002
England, London,
Clarence House,
Buckingham-Palast,
Schloss Windsor
Es war ein milder Tag, als Elizabeth bei ihrer Mutter vorfuhr.
Clarence House lag an der Mall, nur knapp fünfhundert Meter vom Buckingham-Palast entfernt. Schon nach einer kurzen Fahrt hatte sie ihr Ziel erreicht und ließ den Blick an der weißen Stuckfassade hinaufwandern.
Über einen Seitenflügel war Clarence House mit dem angrenzenden St.-James's-Palast, der aus der Tudor-Zeit stammte und über dreihundert Jahre der Sitz der britischen Monarchen gewesen war, verbunden.
Hier hatten Philip und Elizabeth nach der Hochzeit ihr erstes Zuhause gefunden. Charles und Anne hatten in Clarence House ihre ersten Schritte gemacht und im Garten gespielt, bevor sie alle nach dem Tod Georges V. 1953 in den Buckingham-Palast zogen.
Inzwischen war die neoklassizistische Residenz mit der weißen Stuckfassade seit Jahrzehnten der Wohnort ihrer Mutter. Hier empfing sie Wegbegleiter, von denen es jedoch nur noch wenige gab, wettete auf Pferde und genoss ihren Gin mit Dubonnet und das Leben.
Elizabeth betrat das Haus und umarmte ihre Mutter. »Du siehst wunderbar aus, Mummy. Wie das blühende Leben.«
Sie gingen gemeinsam in den Salon, der mit antiken Möbeln, Gemälden, Couchen und Lampen üppig dekoriert war. »Und das soll ich dir glauben? Niemand wird gefragt, ob er gern älter wird. Auch ich nicht.« Die Königinmutter deutete auf ihr gepflegtes, mit feinen Fältchen durchzogenes Gesicht. »Wie man sieht, geschieht es einfach«, fuhr sie fort. Sie wandte sich den Fenstern zu. Durch die schweren roten Vorhänge blinzelte vorsichtig die Sonne. »Lass uns hinausgehen. Das Wetter könnte nicht besser sein.«
»Wie heißt es klugerweise«, sagte Elizabeth, als sie ihrer Mutter folgte, »Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, sollten wir akzeptieren. Alles andere wäre eine Vergeudung von Lebensenergie.«
Sie traten hinaus in den Garten und ließen sich im salon verte nieder.
»Wo wir schon dabei sind. Das ganze Land freut sich auf deinen hundertsten Geburtstag … Hundert«, wiederholte Elizabeth, »das ist keine Kleinigkeit. Ich hoffe, ich kann eines Tages auch diesen besonderen Geburtstag bei guter Gesundheit feiern.«
Die Königinmutter zupfte an ihrem kanarienvogelgelben Kleid und spielte mit der Perlenkette, die ihr fast bis zum Nabel reichte.
»Vergiss nicht, ab einem gewissen Alter vorrangig jüngere Menschen um dich zu scharen. Zwischen achtzig und neunzig kommen einem gleichaltrige Freunde leider abhanden … Wie war dein Tag bisher, Lilibet? Hat das Regieren Spaß gemacht?«
Die Frage war eine liebgewordene Tradition. Ohne eine Antwort darauf beendete Elizabeth kein Gespräch mit ihrer Mutter. »Es verlief alles nach Plan«, antwortete sie wie meistens.
»Freut mich zu hören. Solange keine Despoten nach deiner Aufmerksamkeit verlangen oder Referenden über die Monarchie abgehalten werden, können wir zufrieden sein.«
»Das sehe ich auch so.«
Trotz ihres hohen Alters wollte die Königinmutter immer über alles informiert werden. Sie sprachen über Australien, wo erst vor kurzem ein Referendum über die Monarchie organisiert worden war. John Howard hatte Elizabeth' Besuch dort für die Zeit nach der Abstimmung vorgesehen, unabhängig davon, wie das Ergebnis ausfiele.
Elizabeth hatte es als wichtig empfunden, die Atmosphäre zu bereinigen; wenn ihr Besuch vor dem Ergebnis vereinbart würde, könnte hinterher niemand behaupten, dass sie nur auf das Ereignis reagiert hätte. Insgeheim hatte sie damit gerechnet, bei ihrem Besuch nicht länger Staatsoberhaupt von Australien zu sein. Doch es war anders gekommen. Viele hatten für die Monarchie gestimmt, allerdings hauptsächlich, weil sie gegen das republikanische Modell waren.
»Denkst du ab und an noch an Ted?«, wechselte Elizabeth das Thema.
Ted Hughes war ein enger Freund ihrer Mutter gewesen. Wenige Monate vor seinem Tod vor zwei Jahren hatte er noch eine Sammlung von Gedichten veröffentlicht, die seine komplexe Beziehung zu der Schriftstellerin Sylvia Plath dokumentierten. Ihre Mutter tat stets, als sei ihre Lebenslust über jeden Zweifel erhaben. Auch dieser Einstellung wegen wurde sie so gemocht. Aufgeben kam für sie unter keinen Umständen infrage.
»Ich bemühe mich, es nicht zu tun, aber hin und wieder schleicht er sich in mein Gedächtnis, dann vermisse ich ihn. Vielleicht nehme ich ihm auch nur übel, dass er kneift. Ted hat immer lautstark getönt, sich meinen nächsten runden Geburtstag keinesfalls entgehen zu lassen …«
Elizabeth schüttelte den Kopf. »Ted und kneifen. Lass ihn das nicht hören.« Die Antworten ihrer Mutter waren mitunter speziell, sie hatte nun mal eine eigene Art, sich auszudrücken.
»Keine Sorge.« Die Königinmutter deutete auf ihre Ohren. »So gut war Teds Gehör in letzter Zeit nicht … Ich habe jedenfalls nicht vor, ein Stockwerk höher zu gehen. Ted muss vorerst ohne mich auskommen. Ich eile ihm bestimmt nicht Hals über Kopf hinterher.«
»Damit rechne ich auch nicht, Mummy«, bekräftigte Elizabeth. »Wie heißt es so schön: Wer sich seinen Humor bewahrt, um den muss man sich nicht sorgen. Und dein Humor ist nicht nur legendär, sondern auch höchst lebendig.«
Sie erinnerte sich, wie ihrer Mutter beim Essen eine Fischgräte im Hals stecken geblieben war. Anstatt darüber in Sorge zu geraten, hatte sie im Krankenwagen zur Klinik behauptet, nach all den Jahren des Angelns nähmen die Fische jetzt Rache. Mit dem Sportangeln war es inzwischen vorbei, doch der Humor war ihrer Mutter geblieben.
Als der Butler Gin mit Dubonnet servierte, unterbrachen sie ihr Gespräch. Dann ergriff Elizabeth' Mutter wieder das Wort: »Was runde Geburtstage anbelangt, ist es ein besonderes Jahr für die Familie: Andrews vierzigster im Februar, Annes fünfzigster …«
»Das ist es tatsächlich. Ich habe Major Parker damit betraut, ein Historienspiel für dich zu organisieren. Ich hoffe, dir gefällt die Idee.«
Die Königinmutter lachte amüsiert. »Und wer steht Schlange, um seine Teilnahme anzubieten?«
Elizabeth nippte an ihrem Drink. »Wenn die Queen Mum, die Legende der Nation, feiert, kneift niemand. Das ist ausgeschlossen.«
Die Königinmutter stellte ihr leeres Glas auf den Tisch. »Aus deinem Mund klingt es, als sei ich auf einer Stufe mit Paddington, dem Bär.«
»Ich für meinen Teil würde gern mit diesem Sympathieträger verglichen werden«, sagte Elizabeth. »Du wirst sehen, es wird eine tolle Feier.«
Ganz so einfach war die Sache dann aber doch nicht. Dem Zeremonienmeister blieben nur wenige Wochen für die Vorbereitungen.
»Die Sache mit Mummys Geburtstag ist weniger einfach zu organisieren als gedacht«, berichtete Elizabeth morgens beim Frühstück.
Philip nahm einen Schluck Tee und verzog das Gesicht, weil er noch zu heiß war. »Ach so? Wer streitet diesmal mit wem?«, wollte er wissen.
Elizabeth griff nach der Dose mit dem Müsli und öffnete sie, um sich zu bedienen. »Die Modernisten mit den Traditionalisten. Hast du Lust zu wetten, wer gewinnt?«
Philip schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Sag mir beizeiten, wie die Sache ausgegangen ist.«
Bereits am Nachmittag erfuhr Elizabeth Näheres. Major Parker wünschte sie zu sprechen, was bedeutete, dass es wichtige Neuigkeiten gab.
»Entschuldigen Sie, Eure Majestät«, begann Parker. »Uns wurde leider mitgeteilt, dass die BBC die Pläne zur Übertragung des Historienspiels verworfen hat.«
Elizabeth glaubte, sich verhört zu haben. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass die BBC der Witwe des ehemaligen Königs keinen Respekt zollte. »Was heißt verworfen? Wollen sie nicht übertragen?«
Major Parker räusperte sich. Elizabeth sah ihm an, dass er die Tatsachen kaum aussprechen wollte. »So ist es, Ma'am.«
»Weshalb?«, fragte Elizabeth verärgert.
»Nun … Ursprünglich ging es um die Abendnachrichten, die man nicht verschieben wollte. Das dachte ich zumindest. Aber dem war nicht so.«
»Und was war es dann? Worum geht es wirklich?«, hakte Elizabeth nach.
»Um Neighbours. Die beliebte australische Seifenoper«, erklärte Parker. »Man möchte sie nicht aus dem Programm nehmen.« Der Major beeilte sich weiterzusprechen. »Ich habe natürlich interveniert und vorgeschlagen, das Event vorzuverlegen. Ich dachte, so könnte die Sache gerettet werden.«
Elizabeth zog die Augenbrauen hoch. »Und wie war die Reaktion darauf?«
»Ma'am, man hat mir unmissverständlich klargemacht, dass in dieser Angelegenheit nichts zu machen ist.«
Elizabeth ließ die Nachricht auf sich wirken. »Wenn das so ist, lassen wir es dabei«, sagte sie verstimmt. »Wir werden uns keinesfalls öffentlich beschweren.«
»Selbstverständlich, Ma'am«, sagte Major Parker und zog sich zurück.
Am Abend machte Elizabeth Philip gegenüber keinen Hehl daraus, wie sie diese Entscheidung einordnete. »Die Reaktion der BBC ist ein deutlicher Hinweis darauf, wo die Monarchie in der Rangordnung steht.«
»Tja, die neuen Meister der Popkultur haben gewonnen.« Philip klang ernüchtert.
»Fürs Erste haben sie uns aus dem Feld geschlagen. Aber wir geben nicht auf«, verkündete Elizabeth kämpferisch. »Vielleicht ergibt sich noch etwas anderes?«
Sie wusste nicht, was dieses Andere wäre, doch ihr Gespür trog sie nicht. David Cameron, Kandidat für ein Abgeordnetenamt bei den Konservativen und beim Londoner ITV-Franchiseunternehmen Carlton Television tätig, schaltete sich ein und drängte seine Chefs erfolgreich, die Sendung zu übernehmen.
Als Elizabeth davon erfuhr, überbrachte sie die Neuigkeit Philip.
Der grinste zufrieden. »Ein Hoch auf Cameron. Auf ihn ist Verlass«, stimmte er in die Freude seiner Frau mit ein.
Als der Tag gekommen war, gab es das nächste Problem.
»Wegen einer IRA-Bombendrohung bleibt keine Zeit für eine Probe, Ma'am. Pferde wie Menschen müssen sich in Sicherheit bringen«, wurde Elizabeth mitgeteilt.
»Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Philip. Er vergrub den Kopf in den Händen. »Wer hätte geglaubt, dass es so kompliziert ist, den Geburtstag meiner Schwiegermutter öffentlich zu feiern.«
»Es geht auch ohne Probe. Ganz bestimmt«, hoffte Elizabeth. »Spontanität ist alles«, versuchte sie positiv zu bleiben.
Als es so weit war, stellte man auf Umzugswagen die Höhepunkte des zwanzigsten Jahrhunderts dar. So zog das gesamte Leben der Queen Mum an ihnen vorbei: die Suffragettenbewegung, Butlins Redcoats, die Home Guards und die Sängerin Vera Lynn in einem Militärjeep … Zum Schluss folgten die Schirmherrschaften der Königinmutter.
Die Jubilarin nahm die ganze Parade stehend ab.
»Es war einmalig. Unvergesslich«, schwärmte sie. »Und jetzt werde ich etwas sagen. Das bin ich meinen hundert Jahren schuldig«, kündigte sie an. Sie sprach mit klarer, fester Stimme über die Ränge, auf denen sich über zwölftausend Gratulanten drängten. »… die Marschierer, die Kinder, meine Regimenter, vor allem die Musik … es war ein wunderschöner Abend, und ich möchte nur sagen, Gott segne Sie alle …«
Kurz darauf erfuhr Elizabeth von Philip, dass ITV am frühen Abend die höchsten Einschaltquoten seit sieben Jahren gehabt hatte.
»Greg Dyke und die Verantwortlichen bei der BBC haben sich mit der Annahme, Großbritannien interessiere sich nicht für den Geburtstag der Queen Mum, haushoch vertan. Zwölf Millionen Menschen haben bei der Liveübertragung und den später gezeigten Highlights zugeschaut, allerdings nur dreieinhalb Millionen bei Neighbours.« Er rieb sich die Hände vor Genugtuung.
»Deine gute Laune ist ansteckend.« Elizabeth strahlte. »Wir werden dennoch keinen Kommentar abgeben. Ich habe eine bessere Idee, wie wir auf elegante Weise Stellung beziehen können.«
Philip horchte auf. »Aha? Jetzt bin ich neugierig. Klär mich auf.«
Elizabeth nickte zufrieden. »Ich habe vor, Major Parker, der so für unsere Sache gekämpft hat, zum Ritter zu schlagen. Damit mache ich unmissverständlich klar, dass die Monarchie nicht auf dem Abstellgleis steht. Und glaub mir, das bekommen sie auch bei der BBC mit.«
»Bravo, Cabbage«, reagierte Philip begeistert. »Das nenne ich perfektes, unaufdringliches Marketing. Wenn wir nicht schon verheiratet wären, würde ich dich jetzt fragen, ob du meine Frau werden willst.«
»Aber auch nur, weil du weißt, dass ich nicht nein sagen würde. Wen gäbe es schon für mich außer dir?«, erwiderte Elizabeth lachend.
Das nächste Fiasko kündigte sich an, als Edwards Frau Sophie, Countess of Wessex, die eine PR-Firma führte, sich mit einem angeblichen Scheich traf.
Sophie und Elizabeth' jüngster Sohn hatten bei ihrer Heirat 1999 entschieden, trotz ihres königlichen Status weiterhin berufstätig zu sein. Doch so einfach, wie sie sich das vorgestellt hatten, war es nicht. Edwards Filmproduktionsgesellschaft bezog sich vorwiegend auf den Hintergrund seiner Familie und produzierte Dokumentationen über seinen Großonkel Edward VIII. und andere Ahnen.
Diese Vorgehensweise war dem Hof von Anfang an ein Dorn im Auge. Wie ablehnend sie Edwards und Sophies Tätigkeiten gegenüberstanden, musste Elizabeth sich während des Meetings mit ihren Beratern wieder einmal anhören.
»Dass die Countess of Wessex ohne Aufträge keine PR-Agentur leiten kann, war uns zu jeder Zeit klar. Doch dass sie in den Fängen der News of the World landet, ist nicht nur bedenklich, sondern schlichtweg nicht hinnehmbar.«
»Es darf uns nicht wundern, dass die News of the World herausfinden will, ob jemand aus der königlichen Familie seinen Titel missbraucht, um sich persönlich zu bereichern. Das entspricht nun mal dem immer aggressiver werdenden Vorgehen der Medien.«
»Wir müssen uns in Zukunft auf derart seltsame Fallen vorbereiten. Ich schlage vor …«
Elizabeth lauschte den Meinungen und Vorschlägen, die auf sie niederprasselten. Auch sie selbst konnte kaum fassen, dass Sophie auf einen verkleideten Scheich hereingefallen war.
Um entsprechende Beweise zu sammeln, hatte sich ein Enthüllungsexperte des Boulevardblatts als Scheich ausgegeben und Sophie einen lukrativen PR-Auftrag für ein Freizeitzentrum in Dubai angeboten. Sophie Wessex, wie ihre Schwiegertochter sich im Berufsleben nannte, hatte das Angebot vermutlich als Riesenchance gesehen. Doch einen lukrativen Auftrag zu wittern oder aus dem Nähkästchen zu plaudern, war ein himmelweiter Unterschied.
Der »Vorfall«, wie Elizabeth das Geschehene nannte, hatte sie an das heimlich aufgezeichnete Telefonat zwischen Charles und Camilla, während seiner Ehe mit Diana zurückdenken lassen. Einer der peinlichsten Momente, den sie je erlebt hatte. Elizabeth hatte angenommen, etwas Derartiges käme nie wieder vor. Doch nun drohte die Sache mit Sophie ähnlich desaströse Ausmaße anzunehmen.
Bisher war ihre Schwiegertochter immer sehr zurückhaltend gewesen, umso überraschender, dass Sophie sich nun zu unangemessenen Geständnissen gegenüber Dritten hatte hinreißen lassen. Die Zeitung hatte ihre Aussagen heimlich mitgeschnitten und sogar gefilmt.
»The old dear … das alte Tantchen …«
Elizabeth schluckte, als sie den Satz noch einmal aus dem Mund einer ihrer Berater hörte. Was hatte Sophie sich nur dabei gedacht, sie so zu nennen? Sie sprach immerhin von der Königin.
»Was über Tony Blair und seine Frau gesagt wurde, ist ebenfalls nicht schmeichelhaft … Dieser vermeintliche Scheich ist im Vorfeld nicht mal durchleuchtet worden.«
»Es ist alles missachtet worden, worauf geachtet werden sollte … Es ist eine mediale Katastrophe … Eine Entschuldigung den Blairs gegenüber ist dringend nötig …« Die Kommentare nahmen kein Ende.
»Der schlimmste Kommentar ist der über den Prince of Wales und eine eventuelle nächste Hochzeit im Zusammenhang mit dem …«, leises Räuspern war zu hören, »… mit dem Ableben der Königinmutter.«
»Charles und Camilla werden selbstverständlich heiraten, aber erst, wenn Queen Mum nicht mehr lebt.« So locker-leicht hatte Sophie es formuliert. Als wäre sie nicht Teil der königlichen Familie und säße mit einer Freundin zusammen, um den neuesten Klatsch auszutauschen.
Meine Güte, was ist nur in sie gefahren, dachte Elizabeth auch jetzt wieder. Sophie war nicht befugt, derart Intimes zu kommentieren. Nicht umsonst hieß es: Never complain, never explain. Beschwere dich nie, erkläre dich nie.
Dass Charles Camilla nach drei Jahrzehnten, die er sie nun schon liebte, früher oder später heiraten wollte, ahnten die Menschen im Land, die meisten von ihnen hatten dafür bestimmt auch Verständnis. Camilla war lange als die böse Widersacherin angesehen worden. Man hatte sie verspottet und als Zerstörerin von Charles' und Dianas Ehe abgestempelt. Doch Tatsache war, Charles liebte sie, und sie liebte ihn. Sie ergänzten sich hervorragend und halfen einander.
Elizabeth sah in die Gesichter der Männer um sie herum. Sie würde wie immer Haltung bewahren, doch es fiel ihr schwer.
»Wichtig ist jetzt, festzulegen, was zu tun ist, um derartige Vorfälle in Zukunft zu verhindern«, brachte sie sich, nachdem sie lange geschwiegen hatte, in das Gespräch ein.
»Die Vereinbarkeit von Geschäft und königlicher Familie ist und bleibt ein Drahtseilakt. Die Countess sollte als Geschäftsführerin der Agentur zurücktreten. Darüber hinaus brauchen wir strengere Regeln für die geschäftlichen Aktivitäten der königlichen Familie.«
Elizabeth hörte sich verschiedene Vorschläge an, schließlich unterstützte sie die Entscheidung, eine Untersuchung einzuleiten, wie sich geschäftliche Interessen einzelner Mitglieder des Königshauses mit deren öffentlicher Rolle vereinbaren ließen.
»Wir müssen rasch handeln. Und das werden wir auch tun«, lautete ihr Schlusswort. »Vielen Dank, meine Herren.« Damit war das Meeting beendet.
Entschlossen, alles noch einmal in Ruhe zu reflektieren, ritt sie eine Stunde später aus. Sie musste nachdenken. Und zwar ohne Einwände von allen möglichen Seiten.
Als sie Philip abends von der morgendlichen Besprechung berichtete, sprach er sich gegen die Linie der Berater aus.
»Mein Gott, Lilibet, Edwards Firma hat finanzielle Probleme. Das weißt du so gut wie ich. Und Sophie möchte einfach nur ihr eigenes Geld verdienen. Willst du den beiden übelnehmen, dass sie dem Steuerzahler nicht auf der Tasche liegen wollen?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. An der Idee der Selbstständigkeit ist nichts Verwerfliches, nur funktioniert sie nicht. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird in ein paar Jahren der nächste Scheich oder sonst jemand auf der Bildfläche erscheinen. Und die Krone ist auch nicht dazu da, sich berufliche Vorteile zu verschaffen. Dagegen muss der Hof vorgehen. Wir haben keine andere Wahl. In diesem Fall bin ich nicht als Schwiegermutter gefragt, sondern als Königin.«
Sie hatten lange diskutiert, durchaus auch konfrontativ. Zum Schluss hatte Elizabeth darauf gepocht, die Beschlüsse durchzuziehen.
»Egal, wie uneinig wir uns in diesem Punkt sind, ich stehe hinter dir«, ging Philip ein paar Tage später auf Elizabeth zu, nachdem beide das heftige Gespräch verdaut hatten.
»Danke, Liebling.« Elizabeth sah Philips zerknirschten Gesichtsausdruck und strich ihm liebevoll über die Wange. »Deine Loyalität ist das größte Geschenk, das du mir machen kannst. Dafür kann ich dir nicht oft genug danken.«
An die Fragilität des Lebens wurde Elizabeth im darauffolgenden Jahr erneut auf schmerzliche Weise erinnert, als Margaret einen weiteren Schlaganfall erlitt, den sie nicht überlebte. Nur wenige Wochen später verstarb die Königinmutter.
Nach der Beerdigung zog Elizabeth sich in den Salon zurück. Sie war erschöpft und fühlte sich regelrecht benommen. Hitler hatte ihre Mutter, die im Zweiten Weltkrieg zum Symbol des Widerstands gegen den deutschen Nationalsozialismus geworden war, einst die gefährlichste Frau Europas genannt.
Elizabeth schloss die Augen. Sie hatte immer bewundert, mit welcher Energie und Entschlossenheit ihre Eltern die Nation während des Kriegs durch die schlimmsten Bedrohungen geführt hatten. Tagtäglich hatten sie den Menschen vorgelebt, wie wichtig es war und wie viel Kraft es einem gab, wenn man in den dunkelsten Stunden zusammenhielt.
Mit dem Ableben ihrer zierlichen Mutter, die manche ihrer Freunde liebevoll Cake genannt hatten, weil sie Kuchen so liebte, endete das letzte glorreiche Jahrhundert der britischen Monarchie.
Elizabeth ließ den Kopf gegen die Rücklehne der Couch sinken und sah an die Decke. Jahrzehntelang hatte sie täglich mit ihrer Schwester und ihrer Mutter telefoniert, hatte mit ihnen das Lieblingsgetränk ihrer Mutter aus einem Drittel London Dry Gin, zwei Drittel Dubonnet, zwei Eiswürfeln und einer halben Zitronenspalte getrunken … das würde sie nie wieder tun.
Jener Wissenschaftler, mit dem sie sich unlängst ausgetauscht hatte, fiel ihr ein. An seinen Namen erinnerte sie sich nicht, doch sein Gesicht sah sie vor sich, vor allem aber hörte sie seine Stimme, während er über eudämonistisches Glück sprach.
»Hinter dem Begriff ›eudämonistisches Glück‹ verbirgt sich nichts Seltsames, Eure Majestät«, hatte er mit sprühender Energie erläutert. »Es bedeutet schlicht und einfach Glückseligkeit.«
»Glückseligkeit?«, hatte sie wiederholt.
»Ja«, hatte er bekräftigt, »dieser herrliche Zustand, der über kurzfristiges Glück hinausgeht, weil wir uns etwas kaufen oder uns einen Wunsch erfüllen können. Die Befriedigung von Wünschen kann uns auf Dauer nicht glücklich machen. Eudämonistisches Glück geht viel tiefer, sozusagen an unsere menschliche Substanz.«
Sie hatten sich darüber ausgetaucht, was es bedeutete, einen Beitrag zu etwas zu leisten, das größer war als man selbst.
Elizabeth' lebenslanger Dienst für die Krone fiel ihrer Ansicht nach darunter. Ihre Arbeit gab ihr jeden Tag aufs Neue das Gefühl, etwas Sinnvolles in Angriff zu nehmen.
Margaret hatte jenes Gefühl der Sinnhaftigkeit zeit ihres Lebens vermisst. Ihr Leben war nicht von Beständigkeit, Pflichterfüllung und Kontinuität geprägt gewesen, sondern von Rebellion, privaten Enttäuschungen und Verzicht. Über Jahrzehnte hatte sie zu viel getrunken und geraucht und ihre Gefühle nur schwer in den Griff bekommen. Nach der privaten Enttäuschung mit Tony hatte sie sich mit dem wesentlich jüngeren Roddy Llewellyn abgelenkt und auf der karibischen Insel Mustique ausschweifende Partys gefeiert.
Doch die Gesundheit hatte ihr in späteren Jahren immer mehr zu schaffen gemacht. Nach einem Krebsverdacht war ihr der linke Lungenflügel entfernt worden; sieben Jahre später folgten eine schwere Lungenentzündung und im Februar 1998 – Elizabeth würde das Datum nie vergessen – mit siebenundsechzig der erste Schlaganfall, im Jahr darauf hatte sie sich in zu heißem Badewasser die Füße verbrüht und konnte kaum noch laufen. Nach weiteren Schlaganfällen war sie dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen gewesen.
»Regier du mal lieber dein Empire«, hatte Margaret ihr entgegengeschrien, als Elizabeth ihr Hilfe angeboten hatte.
Da waren längst Depressionen dazugekommen, Margaret war fast erblindet. Trotzdem waren die Schwestern bis zum Schluss eng miteinander verbunden.
Als Kind hätte Elizabeth nie gedacht, dass Margarets Leben einmal so anders verlaufen würde als ihres. Sie waren gleich angezogen gewesen und hatten jeden Tag miteinander geteilt. Doch das Leben erzählte seine eigenen Geschichten, dessen war Elizabeth sich inzwischen nur allzu bewusst.
Ihr Blick wanderte zu den Fotos auf der Kommode. Auf einer Schwarzweißaufnahme schlang Margaret die Arme um sie. Sie trugen die gleichen hellen Rüschenkleider und dreireihige Perlenketten. Margarets Lächeln wirkte unbekümmert, wohingegen Elizabeth nachdenklich dreinblickte. Anderssein und schwesterlicher Zusammenhalt hatten schon damals in friedlicher Koexistenz existiert. So war es bis zu Margarets Tod geblieben.
Der Hof hatte eine Erklärung herausgegeben, dass die Urne mit Margarets Asche in einer der Königsgrüfte in der St. George's Chapel von Schloss Windsor ruhte. Margaret hatte sich eine Feuerbestattung gewünscht, weil sie den königlichen Friedhof auf Windsor zu düster fand.
Elizabeth stand auf, ging zu dem Foto und strich mit der Hand darüber. Der Verlust eines Menschen hatte wie eine Münze zwei Seiten. Einerseits entstand eine schmerzhafte Leere, andererseits war da etwas, das sie nicht erklären konnte, etwas, das sich auftat und Raum für etwas Neues bot. Auf dieses Neue, Unbekannte musste sie sich konzentrieren, um irgendwie mit dem Schmerz klarzukommen.