Mai 2015

England,
Windsor Home Park

Elizabeth' Bodyguard saß auf dem Beifahrersitz, während die Königin den Range Rover um die Kurve lenkte. Ihr Zeigefinger tippte im Takt auf das Lenkrad.

Heute stand das größte Reitsport-Outdoor-Event im Vereinigten Königreich an, die einzige Zeit im Jahr, in der private Bereiche von Schloss Windsor öffentlich zugänglich waren.

Der Home Park, unterhalb des Hügels des Schlosses, bot während der Royal Windsor Horse Show Platz für das Hauptstadion und weitere Sand- und Grünplätze, auf denen diverse Zucht- und Sportprüfungen stattfanden.

Als Rennstallbesitzerin und Pferdezüchterin war dieses Turnier ein ganz besonderer Termin für Elizabeth. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters stieg sie noch regelmäßig in den Sattel und genoss auf dem Rücken der Pferde die Ruhe der Natur.

Auch die erwarteten fünfzigtausend Besucher freuten sich auf das Turnier und die Parade mit Elizabeth' Pferden und Highland Ponys.

Elizabeth steuerte eine Wiese an, auf der bereits etliche Autos parkten. Der Anblick der Pferde ließ sie lächeln. Unter einem Baum hielt sie an.

»Da wären wir«, sagte sie vergnügt.

Beim Aussteigen trafen sie die wärmenden Sonnenstrahlen. Sie zog ihre blaue Jacke zurecht. Ihre Füße steckten in bequemen Schnürschuhen, in denen man gut im Gelände laufen konnte.

»Das milde Wetter ist perfekt«, sagte Elizabeth. Sie war hochzufrieden und freute sich auf Camilla, mit der sie verabredet war.

»Ma'am, das Turnier wird sicher wieder ein großer Erfolg werden«, kam prompt die Antwort.

»Hoffentlich auch für eins meiner Pferde«, spekulierte Elizabeth.

Sie konnte es kaum erwarten, mit Camilla dabei zu sein, während eins ihrer Pferde in der Hunter-Klasse antrat.

Charles' Frau liebte Pferde. Das war auch der Grund, weshalb Elizabeth sich heute mit ihr traf.

Sie stapfte über die Wiese, vorbei an Reitern, Managern und Besuchern, wechselte hier und da ein paar Worte und erreichte schließlich die orangefarbene Absperrung.

Als sie den Kopf drehte, sah sie Camilla auch schon entschlossenen Schrittes auf sie zueilen. Das cremefarbene Mantelkleid, das sie trug, stand ihr hervorragend.

Elizabeth nahm die Brille ab. Bei Camillas Küssen störte sie nur. Nach den Wangenküssen knickste Camilla.

»Es ist ein herrlicher Tag für die Pferdeschau. Sogar das Wetter spielt mit.« Camilla war bester Laune.

Elizabeth setzte die Brille wieder auf und sah, wie ihre Schwiegertochter in Richtung des reich verzierten Karussells deutete.

»Ich war schon beim Kettenkarussell. Stell dir vor, wir würden eine Runde darauf drehen?« Camilla grinste.

Die Vorstellung ließ auch Elizabeth schmunzeln. »Die Sun wäre entzückt. Die perfekte Schlagzeile. Vielleicht sollten wir es tatsächlich wagen?« Sie lachten beide herzlich.

In Camillas Gegenwart fühlte Elizabeth sich rundum wohl. Charles' Frau machte es den Menschen leicht, sich in ihrer Gegenwart ungezwungen zu verhalten, weil sie so natürlich und bodenständig war.

Die ehemals unglückselige Beziehung zu Camilla Shand, der späteren Mrs Parker Bowles, hatte sich für Charles nach vielen Umwegen als großes Glück entpuppt. Elizabeth hatte die Augen lange vor der unerwünschten Affäre der beiden verschlossen, in der festen Überzeugung, dagegen ankämpfen zu müssen. Doch dann hatte sie eingesehen, dass Charles nur mit ihr glücklich werden würde.

Als er Camilla in seinen Zwanzigern kennengelernt hatte, war ihm schnell klar gewesen, wie viele Gemeinsamkeiten sie teilten. Und aus anfänglicher Freundschaft wurde irgendwann Liebe. Doch erst rückblickend war Elizabeth die ganze Tragweite dieser Liebe bewusst geworden. Nach der Scheidung von Diana hatte Charles sich seiner Mutter anvertraut.

»Natürlich habe ich damals in Erwägung gezogen, ihr einen Antrag zu machen. Camilla war meine beste Freundin. Sie kennt mich wie sonst niemand. Ich konnte und kann ihr alles anvertrauen und einfach ich selbst sein. Aber ich wusste, dass die strengen Regeln eine Verbindung zwischen uns nicht zugelassen hätten. Camilla den Rücken zu kehren, um mehrere Monate auf der Minerva zu dienen, ist mir verdammt schwergefallen. Und obwohl ich wusste, dass es für uns vermutlich keine Zukunft gibt, war ich zutiefst enttäuscht, als mich die Nachricht ihrer Verlobung erreichte.«

Noch bevor er wieder englischen Boden unter den Füßen hatte, war Camilla verheiratet gewesen.

Als er Jahre später Diana kennenlernte und eine mögliche Verlobung im Raum stand und Philip seinem Sohn das Messer auf die Brust setzte, hatte Charles Diana einen Antrag gemacht und damit das Gefühl der Unsicherheit, ob sie richtig füreinander waren, zugunsten der Krone und der Familie verdrängt.

»Das Versprechen, das ich Diana bei der Hochzeit gegeben habe, war ernst gemeint. Am Anfang gab es für mich nur sie. Nur hat es leider nicht lange gedauert, bis mir klar wurde, wie zerbrechlich unser Fundament war. Wir hatten kaum etwas gemeinsam. Es hätte nie funktioniert. Dabei habe ich mir sehnlichst gewünscht, mit Diana glücklich zu werden.«

Als Charles' Beziehung dann tatsächlich zerbrochen war, hatte Camilla ihn, auf die Bitte von Freunden, die sich um ihn sorgten, angerufen.

Doch bis zu seiner Scheidung dauerte es weitere Jahre – inzwischen war Camilla längst selbst geschieden.

Nach Dianas Tod hatte sich Charles' Vermutung, sie selbst sei die Quelle für Andrew Mortons Biografie, bestätigt. Mit Hilfe eines guten Freundes hatte Diana dem Autor Tonbandaufnahmen, die alle notwendigen und brisanten Informationen zu ihrer Ehe enthielten, zukommen lassen. Der waghalsige Schritt hatte kaum jemanden im Palast überrascht, denn diese Vorgehensweise entsprach durchaus Dianas Charakter. Zeit ihres Lebens war es ihr nicht gelungen, die Wunden ihrer Kindheit, die vermutlich tiefer waren, als sie sich jemals eingestanden hatte, hinter sich zu lassen und das Glück, das sie sich so sehr wünschte, zu finden.

Nach ihrem Tod hatte Charles zwei Jahre verstreichen lassen, ehe er sich das erste Mal mit Camilla in der Öffentlichkeit zeigte, anlässlich des Geburtstags ihrer Schwester.

Camilla war keineswegs mit offenen Armen empfangen worden, doch Charles und sie hatten immer wieder bewiesen, wie stark ihre Liebe war. Jede Hürde hatten sie Seite an Seite genommen und so letztendlich alle überzeugt, dass ihre Liebe etwas ganz Besonderes war.

Elizabeth bewunderte ihre Schwiegertochter für ihr Durchhaltevermögen und für das Kunststück, nach der Scheidung mit ihrem Exmann Andrew Parker Bowles befreundet zu bleiben. Charles und sie lebten Patchwork im besten Sinne.

Und Glück veränderte nun mal alles.

Menschen leisteten weit mehr, als sie sich gemeinhin zutrauten, wenn sie glücklich waren, denn eine intakte Partnerschaft half, seine Anlagen besser zu nutzen und über sich hinauszuwachsen. Glück war eine Art Dünger, manchmal war es ein Magnet. Zudem ging etwas vom eigenen Glück auf andere über. Man kam leichter in Verbindung mit Menschen, wenn man lächelte, weil man zufrieden war.

Philip war es anfangs schwergefallen, Camilla an der Seite seines Sohnes zu akzeptieren, doch inzwischen war sie aus der Familie nicht mehr wegzudenken. Was die Presse anbelangte, war sie das Gegenteil von Diana. Ihre Warmherzigkeit brauchte keine Bühne, sie half, weil es ihrem Wesen entsprach, nicht, um dadurch zu glänzen. Diejenigen, die man leicht übersah, standen bei ihr an erster Stelle: Frauen, Kinder und Obdachlose. Und wenn es um das Thema Bücher ging, kam ohnehin niemand an Camilla vorbei.

Das Wiehern eines Pferdes holte Elizabeth zurück in die Gegenwart.

»Hast du den Ständen schon einen Besuch abgestattet?«, erkundigte sie sich bei ihrer Schwiegertochter.

»Allerdings. Mit dem Ergebnis, dass ich die buntesten Schlafanzüge für Gus und Louis gekauft habe, die man finden kann. So quietschbunt sind die beiden jedenfalls nicht zu übersehen.«

»Feiern deine Enkel dieses Jahr nicht ihren sechsten Geburtstag?«

»Das tun sie, ja.« Camillas Gesichtsausdruck wurde weich. »Ich kann mich daran erinnern, als ich die beiden das erste Mal halten durfte. Sie wirkten so unschuldig, und ich dachte: Hoffentlich geschieht ihnen nie etwas Schlimmes.«

Camilla war die Rührung deutlich anzusehen. Sie liebte ihre Rolle als Großmutter und war dankbar, dass Charles ihre Kinder und Enkel im selben Maß wie seine eigenen unterstützte.

Elizabeth legte kurz die Hand auf Camillas Rücken. In Augenblicken wie diesen tat es ihr unendlich leid, dass es über dreißig Jahre gedauert hatte, bis Charles seine Liebe zu ihr hatte besiegeln können.

»Und Philip? Wo hast du ihn gelassen? Bei den Kutschen?«, erkundigte sich Camilla.

Sie plauderten über Philips langjährige Polo-Karriere, die er wegen einer Arthritis im Handgelenk gegen den Kutschbock eingetauscht hatte.

»So schnell konnte ich gar nicht schauen, hatte er sich vier Pferde von den Stallungen ausgeliehen und zu üben begonnen. Dass ihm nicht alle unsere Kutschen zum Opfer gefallen sind, ist ein Wunder. Wobei ich manchmal das Gefühl hatte, er würde es doch noch schaffen. Eine hat er sogar in einem See versenkt.«

Wenn es um Sport ging, war Philip leidenschaftlich und genoss es, dass es keine Rolle spielte, wo jemand herkam oder wer jemand war.

»Glücklicherweise ist er irgendwann auf die Idee gekommen, eine unzerstörbare Kutsche in Auftrag zu geben. So fand das Ganze ein Ende.«

»Wenn man dir zuhört, würde man nicht glauben, dass er den Fahrsport zehn Jahre professionell ausgeübt hat und bei Europa- und Weltmeisterschaften an den Start gegangen ist«, warf Camilla ein.

Elizabeth stimmte ihr mit einem vergnügten Lachen zu. »Ich konnte selbst kaum glauben, dass er eines Tages eine Goldmedaille von der Weltmeisterschaft mitbringt.«

Elizabeth warf Camilla einen auffordernden Blick zu.

»Ich glaube, es geht gleich los. Das erste Pferd steht schon in den Startlöchern.«

In wenigen Augenblicken würde der Novice-Heavyweight-Hunter-Wettbewerb beginnen. Das Hunterreiten setzte Mut, Klugheit, Ausdauer und Kraft der Pferde voraus und definierte sich über bestimmte Merkmale von Pferden und Ponys, die ihrem Reiter ein sicheres Gefühl gaben und im Stande waren, harte Jagdtage zu meistern. Ruhiges Springen und flüssiges Tempo waren von höchster Wichtigkeit, ebenso das gepflegte Auftreten von Reiter und Pferd.

Elizabeth spürte, wie Erregung von ihr Besitz ergriff. Wenn es um Pferde und Wettbewerbe ging, vergaß sie, wer sie war. Auch Camilla war in Vorfreude.

»Ich werde nie vergessen, wie vor zwei Jahren deine Stute Estimate den Royal Ascot Gold Cup gewonnen hat«, erinnerte sie sich.

Elizabeth dachte hin und wieder an diesen Tag. Damals hatte es sie kaum auf ihrem Platz gehalten. Und als der Sieg in greifbare Nähe rückte, war sie vor Enthusiasmus aufgesprungen. Andrew hatte ihr später den Pokal überreicht.

Gewöhnlich war Elizabeth diejenige, die Pokale an die glücklichen Gewinnerinnen und Gewinner aushändigte. Doch sie hätte sich schlecht selbst gratulieren können.

»Der Royal Ascot Gold Cup war einer meiner größten Erfolge als Rennstallbesitzerin«, freute sie sich.

Um den Jockey Ryan Moore zu unterstützen, hatte sie damals wie er die Farbe Lavendel getragen.

Die Freude, die sie an jenem Tag empfunden hatte, war auch jetzt zu spüren. Damals hatte sie neben John Warren, ihrem Pferde- und Rennzuchtberater, gesessen. Mit ihm hatte sie, wie schon zu seinem Vorgänger Porchey, Johns Schwiegervater, eine enge Beziehung unterhalten. Porchey hatte sie direkt über ihr Telefon erreichen können. Nach seinem Tod hatte John dieses Privileg übernommen.

Als der Wettbewerb begann, verfolgten die Frauen das Geschehen voller Spannung. Elizabeth entging nichts. Aufgeregt beobachtete sie, wie die Pferde über jedes Hindernis sprangen und über den Platz galoppierten, und kommentierte jede Kleinigkeit.

»Jetzt ist Tower Bridge dran.« Sie deutete auf ihren fünfjährigen Liebling aus eigener Zucht. »Oh, mein Gott, ich hoffe, es geht alles gut.«

»Tower Bridge … zeig, was du kannst«, spornte Camilla das Pferd an.

Elizabeth putzte noch einmal ihre Brille und heftete den Blick auf ihr Pferd, das von Katie Jerram geritten wurde. Tower Bridge startete gut und nahm ein Hindernis nach dem nächsten.

»Das wird der dritte Platz. Du wirst schon sehen. Es klappt.« Elizabeth drückte Camillas Arm voller Übermut. Sie liebte es, Prognosen abzugeben. Ihre Stimme wurde lauter.

Als sich ihre Voraussage bestätigte, freute sie sich wie ein Kind. »Bravo! Das kann sich sehen lassen, nicht wahr? Dass ich das heute erleben darf.«

Nach ein paar Minuten hatte sie sich wieder beruhigt. »Was hältst du davon, wenn wir uns eine Kleinigkeit zu essen besorgen? Danach können wir uns den Senior-Horse-Wettbewerb anschauen. Nicht auszudenken, wenn mein George heute ebenfalls einen Sieg schafft.«

»Das wäre der krönende Abschluss dieses Tages«, unterstützte Camilla sie.

»Weißt du, Camilla, bei Beziehungen zwischen Menschen ist es, denke ich, wie beim Reiten. Man kann versuchen, allein die Richtung vorzugeben, doch letztlich tut man sich keinen Gefallen damit. Über kurz oder lang begreift jeder Reiter, dass der gemeinsame Weg der bessere ist … Ich bin froh, dass wir durch deine Geduld zu einem gemeinsamen Weg gefunden haben.«

Camilla schenkte Elizabeth einen dankbaren Blick und hakte sich bei ihr unter. Wie Freundinnen steuerten sie auf einen der Verkaufsstände zu – beide mit der Gewissheit, dass mancher Umweg doch ans Ziel führte.