November 2019

England, London,
Buckingham-Palast

Philip spießte eine grüne Olive auf einen Holzstab und ließ ihn in das Martiniglas gleiten, als Elizabeth den Raum betrat.

»Bist du dir sicher, dass wir uns das Interview nicht im Kino ansehen sollen?« Während er die Frage formulierte, deutete er auf die Gläser vor sich. »Es ist alles vorbereitet. Martini für dich. Und ein kühles Bier für mich.« Er griff nach dem Bierglas und wischte sich nach einem großen Schluck den Schaumrest vom Mund.

Elizabeth trat zu ihm, nahm den Martini entgegen und kostete.

»Ich würde es mir lieber hier ansehen.«

Das hauseigene Palast-Kino befand sich im Südflügel, ein Service, den vor allem ihre Mitarbeiter schätzten. Ebenso wie die Royal Mews Surgery, in der sich Dr. Timothy Evans um die Gesundheit der Palastmitarbeiter kümmerte, und natürlich das Postamt im südöstlichen Teil des Palasts, von dem aus die über achthundert Bediensteten seit Jahrzehnten ihre Briefe und Postkarten abschickten.

»Dann überlassen wir das Kino den Filmbegeisterten dieses Hauses. Aber glaub bloß nicht, dass sich nicht alle das Interview anschauen werden.«

»Die Neugierde der Menschen ist grenzenlos. Ich weiß.«

»Kann man es den Menschen verdenken?« Philip streckte den Arm und prostete Elizabeth mit dem Bierglas zu. »Auf einen desaströsen Fernsehabend«, versuchte er das Bevorstehende mit einem Augenzwinkern zu nehmen.

Elizabeth erhob ihr Glas. »Cheers.« Diesmal trank sie einen großen Schluck, bevor sie ihr Glas abstellte. »Manchmal frage ich mich, ob je der Tag kommt, an dem du deinen Humor verlierst.«

Philip zuckte mit den Schultern. »Hoffentlich nie. Ohne Humor … in diesem Fall Galgenhumor, lässt sich manches kaum ertragen.« Er griff nach der Fernbedienung. »Wollen wir?«

Elizabeth nickte.

Die Journalistin Emily Maitlis und Andrew erschienen auf dem Bildschirm. Beide saßen auf den goldfarbenen Holzstühlen mit der roten Polsterung. Zwischen ihnen stand ein Holztisch mit zwei Gläsern und einer Flasche Wasser.

Elizabeth lenkte ihre Konzentration auf den Bildschirm und nahm eine stärker werdende Anspannung in ihrem Inneren wahr.

Wegen seiner Freundschaft zu dem amerikanischen Investmentbanker Jeffrey Epstein, dessen namhafter Freundes- und Bekanntenkreis aus Schauspielern, Regisseuren, Comedians, Politikern, Wissenschaftlern und Unternehmern bestanden hatte, sah Andrew sich gezwungen, das Interview zu geben, dessen Zeuge sie nun wären.

Epstein hatte sich 2008 in einer außergerichtlichen Einigung mit der Staatsanwaltschaft in Miami der erzwungenen Prostitution einer Minderjährigen schuldig bekannt, in deren Folge er zu einer Haftstrafe von achtzehn Monaten verurteilt, jedoch bereits dreizehn Monate später wegen guter Führung wieder entlassen worden war. Dieses Jahr war er erneut verhaftet worden, mit dem Vorwurf, in New York und Miami einen Ring zur sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen betrieben zu haben. Der Prozessauftakt war für das kommende Jahr angesetzt gewesen, doch das war nun hinfällig, denn Jeffrey Epstein war vor drei Monaten tot in seiner Zelle aufgefunden worden.

»Eure Königliche Hoheit, wir sind unter höchst ungewöhnlichen Umständen in den Buckingham-Palast gekommen. Warum haben Sie sich entschieden, jetzt zu sprechen?«, startete die Journalistin die Befragung.

Elizabeth spürte, wie angespannt sie schon nach Maitlis' ersten Worten war.

»Weil es keinen guten Zeitpunkt gibt, um über Mr Epstein und alle damit verbundenen Dinge zu sprechen«, antwortete Andrew.

Er erklärte, dass ein Interview mit BBC Newsnight schon seit Monaten in Planung gewesen sei, der Fokus jedoch ursprünglich auf seiner Arbeit gelegen hätte. Allerdings hatten es weder sein Zeitplan noch der der BBC zugelassen, einen früheren Termin wahrzunehmen.

»Ich freue mich aber, dass Sie heute hier sind«, beendete er seine Antwort.

Elizabeth hörte die Stimme ihres Sohnes und dachte an Andrew als kleinen Jungen. Er und Edward waren als Kinder immer die Gänge auf Schloss Windsor auf- und abgerannt, vor allem Andrew war nie müde geworden, sich dort zu verstecken oder sich ein Spiel auszudenken und die Korridore in seine Fantasiewelt einzubinden. Wie oft hatte Elizabeth ihre beiden Jüngsten unter Geschrei in ihre Spielzeugautos steigen und sie nach dem Spiel an der Seite des Gangs parken sehen. Es waren keine neumodischen Kinderautos gewesen, wie man sie heute besaß, und es war regelmäßig vorgekommen, dass die umstehenden Möbel in Mitleidenschaft gezogen wurden, wenn einer der beiden zu spät aufs Bremspedal getreten hatte oder wenn sie Rennen gefahren waren. Bis heute waren Spuren davon auf diversen Kommoden und anderen Möbelstücken zu finden. Für Elizabeth waren es wunderschöne Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit.

Sie sah zu Philip. Er saß starr da und hörte Emily Maitlis zu, die Andrew gerade zu seiner Freundschaft mit Mr Epstein befragte und wissen wollte, ob und, wenn ja, wie nahe sie sich gestanden hatten. Auch Ghislaine Maxwell, Epsteins ehemalige Freundin und Geschäftspartnerin, die privat bis zum Schluss ein entscheidender Teil seines Lebens gewesen war, kam zur Sprache. Andrew und Ghislaine kannten sich seit den 1980er Jahren. Sie hatte die beiden Männer einander vorgestellt.

»Im Jahr 2000 war Mr Epstein Gast auf Schloss Windsor und in Sandringham. Er wurde auf Ihre Einladung direkt in das Herz der königlichen Familie gebracht«, fuhr die Journalistin fort.

»Sicherlich auf meine Einladung, aber nicht auf die der königlichen Familie … Denken Sie daran, dass seine Freundin die Schlüsselfigur war. Er war in dieser Hinsicht ihre Begleitung«, klärte Andrew Emily Maitlis auf.

Andrew wurde mit den Vorwürfen der damals siebzehnjährigen Virginia Giuffre konfrontiert, sie sei von Mr Epstein missbraucht und drei Mal zum Geschlechtsverkehr mit Andrew gezwungen worden.

Elizabeth hatte die Deutlichkeit, in der das Interview geführt wurde, vorausgesehen. Sie hatte längst mit Andrew über dessen Beziehung zu Jeffrey Epstein gesprochen und ihn gebeten, alle Details auf den Tisch zu legen, doch nun in einem Interview mit dem Thema Missbrauch konfrontiert zu werden, empfand sie als weit schwieriger.

Philip schüttelte den Kopf und stellte das Bier eine Spur zu laut auf den Tisch. Elizabeth sah ihm die Empörung an. »Selbst wenn Andrew beteuert, mit diesem Debakel nichts zu tun zu haben, muss er sich vorwerfen lassen, eine grauenhafte Menschenkenntnis zu haben. Dieser Epstein hatte keine Skrupel und keinen moralischen Kompass.«

Elizabeth drehte ihr Glas in der Hand, ohne daran zu nippen.

»Es ist nicht immer leicht, hinter die Fassade eines Menschen zu blicken. Oder willst du etwa behaupten, du hättest dich noch nie in jemandem geirrt?«

Philip sah seine Frau verdutzt an. »Dass du mich das fragst, wundert mich. Selbstverständlich habe mich schon in Menschen geirrt. Wozu jemand wirklich fähig ist, bleibt oft lange im Verborgenen. Im Fall von diesem Epstein geht es aber nicht um Ecken und Kanten, sondern um tiefe Gräben, die er anscheinend gut vor anderen verstecken konnte. Oder vielleicht auch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle in seinem näheren Umfeld blind waren. Eins ist jedenfalls sicher, was dieser Mann getan hat, geht weit über meine Vorstellungskraft hinaus.«

Die Stimmen von Andrew und Emily Maitlis erfüllten den Raum. Weitere Fragen wurden gestellt, Antworten folgten. Elizabeth sah, wie konzentriert Andrew wirkte, und bemerkte, wie steif er dasaß. Sie ahnte jede seiner Reaktionen und registrierte sie doch wie die eines Fremden.

Sie sahen sich das Interview bis zum Schluss an, danach gingen beide bedrückt zu Bett.

Elizabeth ließ sich in die Matratze sinken. Die Decke über sich gebreitet, war sie unfähig, die Augen zu schließen und einzuschlafen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Andrew getan hatte, was ihm vorgeworfen wurde. Aber sie konnte die Tatsache nicht ignorieren, dass sie nur das wusste, was er ihr erzählt hatte.

In der Nacht schreckte sie aus einem Traum auf. Auch in der folgenden Nacht lag sie mehr wach, als dass sie schlief, und erwachte früh am Morgen. Gerädert rieb sie sich die Augen, doch die bleierne Müdigkeit ließ sich nicht vertreiben. Eine Weile grübelte sie, dann begriff sie, dass es keinen Sinn hatte, zu warten, bis man sie weckte.

Sie schlug die Bettdecke zur Seite und ging zum Fenster, zog die Vorhänge auf und sah in die Finsternis. Draußen war es stockdunkel. Alles schien ruhig.

Sie beschloss, schon mal ihr Bad einzulassen. Plätschernd lief das Wasser in die Wanne. Wie ungewohnt, sich um die Morgenroutine selbst zu kümmern! Gewöhnlich wurde ihr Bad vorbereitet und ihr eine Tasse Tee ans Bett gebracht. Später half die Kammerzofe ihr beim Ankleiden. Zuvor waren ihr stets die Stoffproben aus Seide, Baumwolle oder Wolle gebracht worden, damit sie entschied, was sie an diesem Tag tragen wollte.

Sie putzte sich die Zähne und spülte den Mund aus. Schon am Vortag hatte sie mit dem Gedanken gespielt, eine Runde mit den Hunden zu drehen, falls sie an diesem Morgen früher wach würde. Wenn sie sich um die Corgis kümmerte, lösten sich manche Probleme kurzfristig in Luft auf.

Elizabeth ging nach nebenan und sah auf dem Daybed passende Kleidung für einen Spaziergang liegen. Angela hatte bereits etwas Passendes herausgesucht.

Zurück im Bad, stieg sie in die Wanne. Die Temperatur des Wassers war eine Spur wärmer als sonst. Sie rutschte tiefer in die Emaillewanne und blieb eine Weile liegen, ohne sich wirklich zu entspannen. Schließlich trocknete sie sich ab, cremte sich ein und kleidete sich an. An ihrem Schminktisch trug sie Puder, Rouge und einen Hauch Lippenstift auf und öffnete die Tür zum Gang.

»Guten Morgen, Eure Majestät«, erschallte ein Gruß. Der Wachmann war sichtlich irritiert.

»Ich bin früh dran, ich weiß. Aber ich versichere Ihnen, es ist alles in Ordnung. Ich gehe nur eine Runde mit den Hunden.«

»Möchten Sie, dass jemand Sie begleitet, Ma'am? Es ist dunkel draußen. Und kalt, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.«

»Danke, nein. Ich wäre gern eine Weile allein. Und die Laternen spenden genug Licht.«

»Sehr wohl, Ma'am.«

Elizabeth überließ den Mann seinen Gedanken und folgte dem Gang zum Hundezimmer. Bis man im Buckingham-Palast von einem Punkt zum nächsten kam, dauerte es eine Weile. Das war der Nachteil, wenn man ein Schloss bewohnte, das zu repräsentativen Zwecken genutzt wurde. Als sie die Tür zum Hundezimmer öffnete, hüpfte die gesamte Schar aus ihren Körben, um sie zu begrüßen. Elizabeth streichelte ihre Lieblinge, dann lief sie mit den Hunden im Schlepptau zum Ausgang.

Draußen schlug ihr die kalte Luft entgegen. Es war noch dunkel und roch nach feuchter Erde und nassen Blättern. Elizabeth knotete das Seidentuch, das sie zum Schutz ihrer Frisur umgelegt hatte, fester unter dem Kinn und beobachtete, wie die Hunde über die Wiese tollten.

Es kam selten vor, dass sie allein unterwegs war, doch manchmal sehnte sie sich danach, eine Weile einfach nur mit sich zu sein.

Alles kommt in Ordnung. Du findest eine Lösung, beruhigte sie sich, atmete die kühle Morgenluft ein und fühlte sich mit einem Mal, als wäre sie wieder jung. Im Kopf alterte man nicht, man war einfach präsent.

Sie erfreute sich am Spiel der Hunde und folgte dem beleuchteten Weg. Den blauschwarzen Himmel über sich, lief sie weiter. Es war unmöglich, Andrew aus ihren Gedanken zu verdrängen, doch der Spaziergang und die Hunde lenkten sie kurzzeitig ab. Sie warf Stöcke und wartete, bis die Hunde sie zurückbrachten. Mit den Corgis draußen zu sein, gab ihr die Gewissheit, früher oder später mit jedem Problem klarzukommen.

Elizabeth bückte sich gerade, um ein Blatt aus dem Fell eines ihrer Lieblinge zu zupfen, als eine Stimme nach ihr rief. Sie kam wieder hoch und drehte sich in Richtung der Stimme.

»Anne? Was tust du um diese Zeit hier draußen?«, fragte sie, als ihre Tochter näherkam.

»Dasselbe könnte ich dich fragen.« Anne war in einen grauen Mantel gehüllt und hatte ebenfalls ein Seidentuch umgebunden.

»Ich konnte nicht mehr schlafen und dachte, besser, ich gehe mit den Hunden hinaus, bevor ich wach im Bett liege und Schäfchen zähle.«

»So ging es mir auch … Paul sagte, du seist draußen.«

Elizabeth spürte ein Gefühl zufriedener Erleichterung, während sie zusammen mit Anne dem Weg folgte. Dieses Gefühl hatte sie seit einer verhinderten Entführung im März 1974, deren Ziel Anne gewesen war.

Philip und sie waren zu jener Zeit in Indonesien, ein angenehm ereignisloser Besuch, wenn man von dem amüsanten Umstand absah, dass der Gouverneur von Jakarta die zehn bedeutendsten Schamanen engagiert hatte, um Regen fernzuhalten. Am dritten Tag ihrer Reise wurde Philip unerwartet um 5 Uhr morgens von einem Anruf geweckt. Er wurde informiert, dass Annes Wagen auf dem Rückweg von einer Wohltätigkeitsveranstaltung von einem bewaffneten Mann aufgehalten worden war.

Der königliche Rolls-Royce war gerade die Mall Richtung Buckingham-Palast hinuntergefahren, als ein Fanatiker mit einem Ford Escort die Limousine blockierte und das Feuer eröffnete. Annes Leibwächter war aus dem Wagen gesprungen, um zurückzuschießen, doch seine Pistole klemmte. Er wurde von drei Schüssen getroffen und schwer verletzt. Der Chauffeur und ein Polizist wurden ebenfalls angeschossen, ebenso ein herbeigeeilter Journalist, der in die Schusslinie geriet. Der mutmaßliche Entführer war dann auf Anne zugestürmt und hatte ihr, während ihr Mann Mark sie am Arm festhielt, befohlen, aus dem Wagen zu steigen, doch Anne hatte nur: »Ganz sicher nicht«, geschrien, wütend, weil der Mann den Ärmel ihres neuen Kleids zerrissen hatte, und war auf der anderen Seite aus dem Wagen gesprungen.

Zum Glück wurde der fliehende Entführer kurz darauf von einem Polizisten gefasst und dingfest gemacht.

Später hatte Anne gesagt: »Mit Pferden lernt man immer auf Unerwartetes vorbereitet zu sein.« Das habe ihr geholfen, mit der Situation klarzukommen.

In der Mietwohnung des Mannes namens Ian Ball fand man bei der Durchsuchung einen Brief, in dem er von der Königin zwei Millionen Pfund für die Freilassung von Anne forderte.

Nachdem ihre Tochter in Sicherheit war, hatten Elizabeth und Philip beschlossen, die Reise fortzusetzen. Sie wollten sich keinesfalls von dem Ereignis in die Knie zwingen lassen.

Später sagte Martin Charteris dem Telegraph gegenüber: »Die Königin hat nicht eine Sekunde geschwankt, als sie es erfahren hat … Sie ist einfach großartig.«

Zurück in London, hatte Elizabeth Anne erleichtert in die Arme geschlossen und jeden belohnt, der an ihrer Rettung beteiligt gewesen war. Ihre Tochter hatte Courage und Entschlossenheit bewiesen.

Dieser Charakterzug half ihr nun bei den Anschuldigungen gegen Andrew.

»Das Interview schlägt hohe Wellen«, sagte Anne, nachdem sie umgedreht waren und den Palast erreichten.

Elizabeth nahm ihr Kopftuch ab und ließ sich aus dem Mantel helfen.

Anne redete erst weiter, als sie wieder allein waren. »Die negativen Reaktionen werden von Stunde zu Stunde massiver. Es ist von einem katastrophalen Interview die Rede – ein Gespräch wie ein Autounfall … es heißt, Andrew schaffe es nicht, Empathie für Epsteins Opfer zu zeigen.«

Die kurze Pause mit einem Gefühl angenehmer Leere im Kopf, dem sie sich während des Spaziergangs hingegeben hatte, war vorbei. Die Gedanken kehrten zurück.

»Es ist eine Katastrophe, ich weiß«, seufzte Elizabeth. »Papa ist der Meinung, Andrew hätte das Interview besser nicht gegeben. Er zermartert sich den Kopf, wie er sich in so etwas verstricken konnte.«

Die Hunde rannten den Gang hinunter. Ein fröhliches Bild, das nicht zu der angespannten Situation passte.

»Was geschehen ist, ist geschehen«, sagte Anne.

»Das stimmt wohl. Ich überlege die ganze Zeit, wie sich angesichts der momentanen Lage Andrews Zukunft gestalten lässt. Aufgrund des Interviews machen die Menschen sich ein völlig neues Bild von ihm. Eins, das nicht zu dem schneidigen jungen Mann passt, der im Falkland-Krieg sein Land verteidigt hat, oder zu dem geschiedenen Mann, der sich noch immer mit seiner Exfrau versteht und seinen Töchtern ein liebender Vater ist. Es liegt in der Natur des Menschen, sich eine Meinung zu bilden. Man ordnet Dinge und Gegebenheiten ein, um sich zu orientieren und mit der Realität, die oft komplex ist, zurechtzukommen.«

Anne sprach ohne Umschweife an, was vermutlich das ganze Land beschäftigte. »Hast du schon eine konkrete Idee, wie es mit Andrew weitergeht?«

Elizabeth seufzte erneut. »Zweifellos ist es das Beste, ihn von seinen öffentlichen Aufgaben zu entbinden. Ob ich ihm glaube oder nicht, tut nichts zur Sache. Solange weder seine Schuld noch seine Unschuld bewiesen ist, hängt ein Damoklesschwert über Andrew … und über der Krone. Die Unschuldsvermutung ist ein strafrechtliches Grundprinzip und eine der wichtigsten Errungenschaften des Rechtsstaats, doch so einfach dieses Prinzip in der Theorie klingt, so schwierig ist die Anwendung in diesem Fall in der Realität. Die Monarchie lebt von Glaubwürdigkeit. Von uns wird zu Recht erwartet, Vorbild zu sein. Wer, wenn nicht wir müssen zeigen, worauf es ankommt?«

Anne sah ihre Mutter mitfühlend an. »Da kann ich dir nur beipflichten. Bleibt allerdings abzuwarten, ob Andrew deine Einschätzung teilt.«

»Ich fürchte, ihm wird nichts anderes übrigbleiben. Entscheidungen haben Konsequenzen, denen man sich stellen muss. Das gilt für jeden von uns, auch für Andrew. Frauen sollten gehört werden, vor allem, wenn es um Anschuldigungen wie Missbrauch geht. Dem muss mit größter Sorgfalt und Sensibilität nachgegangen werden.«

Anne nickte nachdenklich. »Die Schattenseite ist allerdings, dass, sobald die Namen Beschuldigter im Vorfeld öffentlich gemacht werden, Menschen von ihren Emotionen übermannt werden und vergessen, dass die Schuld einer Person erst noch zu beweisen ist.«

»Die berühmten zwei Seiten einer Medaille.« Elizabeth löste sich von den düsteren Gedanken und streckte die Hand nach ihrer Tochter aus. »Schön, dich hier zu haben, Anne. Ich danke dir, dass du deinen Aufgaben immer mit so viel Engagement und Pflichtbewusstsein nachkommst. Dass du dein Leben in den Dienst von anderen stellst, macht dich zu einem wundervollen Vorbild.«

Anne rührten die Worte ihrer Mutter sichtlich.

»So, und jetzt lass uns eine Tasse Tee trinken. Danach habe ich ein wichtiges Gespräch mit deinem Bruder zu führen.«