M eine Hände sind wund und bluten. Ich habe stundenlang gepflanzt. Und ich habe mich so danach gesehnt, Erde unter den Nägeln zu spüren, dass ich nicht einmal Geräte benutzt habe, obwohl es vernünftig gewesen wäre.
Ich betrachte den Palast, das kalte Metall und die scharfen Klingen. Einen Moment lang versuche ich, wie dieses Haus zu sein, und schärfe meine Kanten, mache mich kalt. Aber ich habe immer dann Antworten bekommen, wenn ich emotional war. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es auch nur einen einzigen Moment länger aushalte, ohne ihn zur Rede zu stellen.
Bevor ich es mir zu lange überlege, gehe ich hinein.
»Hades?«, frage ich Sturm, und sie nickt.
»Ich hole ihn.«
Es ist sinnlos, ihn zu suchen; er ist nie irgendwo, wo ich ihn finden kann. Nicht, dass ich bisher oft nach ihm gesucht hätte.
Eine Schüssel mit Wasser erscheint mitten im Gang.
»Sturm!«, rufe ich.
»Die brauchst du«, schreit sie zurück.
Als ich meine dreckigen, blutigen Hände ansehe, kann ich kaum widersprechen. Als ich sie hinterher abtrockne, verknotet sich mein Magen, und ich weiß, dass ich nicht allein bin. Der König der Unterwelt bewegt sich wie ein Schatten, und ein Teil von mir spürt ihn, bevor ich ihn sehe, wie eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt.
»Hey«, sage ich, meine Stimme ist nervig sanft. Vielleicht vor Erschöpfung? Vielleicht habe ich meine Verteidigungsmauern schon so lange aufrechterhalten, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie sie zu bröckeln anfingen.
»Wie geht es dir?« Er steht in der Tür einer der vielen Bibliotheken. Als ich ihn sehe, entspanne ich mich kaum merklich. Mir wird bewusst, wie sehr ich ihm vertrauen will. Ich brauche nicht noch mehr Götter, mit denen ich mich im Krieg befinde. Wenn Mutter und Vater wissen, dass ich verschwunden bin, brauche ich jeden Verbündeten, den ich bekommen kann. Und er ist … Ich habe gesehen, wie er mit Styx umgeht und manchmal sogar mit mir.
Ich habe daran festgehalten, wie schrecklich er war, als ich ankam, einfach weil es Furcht einflößend ist, ihm zu vertrauen. Aber jetzt bleibt mir nichts anderes übrig; ohne jemanden, auf den ich mich verlassen kann, werde ich untergehen.
Aber zuerst muss er mir vertrauen.
»Ich bin müde, verwirrt, wütend und habe Angst. Und noch einiges mehr, glaube ich.« Ich reibe mir die Augen. Wenn ich nur etwas wacher werden könnte. Wenn diese Erschöpfung etwas Körperliches wäre, würde ich besser damit klarkommen. »Ich muss ständig an die Nymphen denken, die sie in Nixen verwandelt hat.«
Hades lächelt sanfter als gewöhnlich, nicht das übliche dreiste oder genervte Grinsen. »Trotz allem, was deine Mutter, Poseidon und Zeus gesagt haben, denkst du an die Nymphen?«
Vielleicht war das sein Plan, aber meine Müdigkeit verschwindet, und ich starre ihn wütend an. »Sie sind mir wirklich wichtig.«
»Ja, genau wie die Menschen – wer ist dir nicht wichtig?«
»Die Götter?«, schlage ich vor.
Hades zuckt die Achseln. »Verständlich.«
»Warum magst du sie nicht?«, frage ich. »Kronos hat auch dich ausgewählt. Zeus hat dir diese Welt gegeben. Warum bist du so anders als sie?«
Wieder zuckt er die Achseln. »Nun, ich bin nicht der Einzige – viele der Götter in der Unterwelt empfinden so. Und wer weiß, wie viele Götter des Olymps und des Meeres Rollen spielen, zu denen sie sich gezwungen fühlen. Aber die anderen? Ich weiß es nicht … Manches von dem, was sie im Krieg getan haben, auch der Krieg selbst … jedenfalls schien die Unterwelt der Ort zu sein, der am weitesten von ihnen entfernt ist – wo man sie alle vergessen kann.«
Ich verziehe das Gesicht. »Mutter meinte, Zeus habe die Domänen zufällig unter denen aufgeteilt, die Kronos verschlungen hat.«
Hades schnaubt. »Das glaubt er wahrscheinlich sogar.«
Ich nicke. Letztlich bin ich zu derselben Auffassung gelangt – dass es keinen besseren Ort gibt, um mich zu verstecken. »Sind alle in diesem Reich von irgendwoher ausgerissen?«
Hades lacht. »Mehr oder weniger.«
Ich sehe ihn wahrscheinlich etwas zu lange an, denn er seufzt.
»Du fühlst dich hier nicht sicher, oder?«
»Vor meinem Vater bin ich nirgendwo sicher.«
»Das meine ich nicht. Du fühlst dich in meiner Nähe nicht sicher.«
Ich bohre mir die Fingernägel in den Arm. »Ich glaube nicht, dass du mir etwas tun wirst. Du hast es geschworen. Aber jedes Mal, wenn ich auch nur in deiner Gegenwart lache, denke ich: Was hast du davon? Was hast du davon, nett zu mir zu sein? Davon, mein Vertrauen zu gewinnen?«
Er schüttelt den Kopf. »Es gefällt mir nicht, dass du die ganze Zeit so nervös bist.«
»Kannst du es mir vorwerfen? Tagelang meckerst du nur und willst, dass ich verschwinde. Und dann beschließt du, dass ich nicht wegen irgendeines ruchlosen Plans hier bin, und vollziehst einen kompletten Persönlichkeitswechsel. Warum sollte ich in deiner Nähe also nicht nervös sein? Ich habe keine Ahnung, wer du bist.«
»Du hast auch die Persönlichkeit gewechselt.«
»Ich habe zu meiner eigenen Sicherheit versucht, höflich zu sein.«
»Und ich habe versucht, ein Arsch zu sein, weil ich wollte, dass du gehst.«
»Und was hindert dich daran, wieder zu wollen, dass ich gehe?«, frage ich, aber ich meine eigentlich: Würdest du sie aufhalten? Wenn sie versuchen, mich zurückzuholen?
Aber wie kann ich so etwas von ihm erwarten?
Hades denkt einen Moment schweigend nach, dann nickt er langsam. O Moiren, diese kleine Geste hat etwas Unwiderstehliches. Er sieht so in sich gekehrt aus, die Bewegung betont die markanten Linien seines Kiefers, ein leichtes Stirnrunzeln legt seine Haut in Falten. Ich bin vom schönsten Marmor im ganzen Universum umgeben, aber das ist nichts im Vergleich dazu, wie er aussieht, wenn er nachdenkt.
»Also gut«, sagt er entschlossen. »Wenn das der Preis für dein Vertrauen ist: Ich dachte, wenn ich dich dazu bringe, Xenia zu verletzen, würdest du verschwinden, bevor du gewisse Dinge entdeckst.«
»Deine Geheimnisse?«, frage ich. »Die Styx erwähnt hat?«
Er nickt. »Ich werde sie mit dir teilen. Wenn du weißt, was ich verberge, musst du keine Angst mehr haben, dass ich dich loswerden will, bevor du es herausfindest. Du kannst dich entspannen. Meine Geheimnisse gegen deine Seelenruhe – das scheint mir ein angemessener Tausch.«
»Du musst das nicht tun.«
»Doch, muss ich«, insistiert er. »Komm mit.«
Er geht einen Flur entlang, ich folge und frage mich, wo er hinwill – sucht er nach einem ruhigen Plätzchen zum Reden? Hat er so viele Geheimnisse, dass ich mich setzen muss, während er sie mir verrät? Und dann begreife ich, dass er sie mir nicht erzählen, sondern zeigen will.
»Die fehlenden Räume«, sage ich, als es mir dämmert.
Er dreht sich um und lässt ein überraschtes Lachen hören. »Ich hätte wissen müssen, dass du es herausfindest. Kein Mitglied des Hofes hat es je bemerkt.«
»Wahrscheinlich hat auch kein Mitglied des Hofes hier je um seine Sicherheit gebangt.«
»Das will ich hoffen«, sagt er und bleibt neben einer Wand stehen. Bei seiner Berührung erscheint ein rechteckiger Umriss, ein Türknauf windet sich heraus, den er dreht.
Ich weiß nicht, was ich erwarte, aber ich lache leise, als ich feststelle, dass es noch eine Bibliothek ist.
»Bewahrst du hier die schlüpfrigen Geschichten auf? Sollte ich im nächsten Zimmer Vasen mit Bildern von geilen Satyrn erwarten?«, witzele ich und erstarre dann. Nur die Nymphen habe ich so reden gehört, sie machen nichts als sexuelle Anspielungen, und plötzlich fange ich mit so etwas an. Und dann noch bei einem Mann …
Glücklicherweise lacht Hades und die Anspannung löst sich aus meinen Schultern.
»Es sind eigentlich nur Gedichte.«
Ich drehe mich zu ihm um und er redet schnell weiter.
»Ich sagte ja, dass ich Poesie mag.«
»Aber so sehr?«
»Ja«, sagt er fast melancholisch, als wünschte er, mit dieser simplen Antwort davonzukommen.
Der nächste Raum ist riesig, und darin stehen nicht nur mehrere Typen von Spinnrädern, sondern auch komplizierte Webstühle mit Steingewichten für feinere Tapisserien. Und sie sind alle in Gebrauch.
»Die Göttinnen deines Hofs?«
»Nein«, sagt er, und er klingt angestrengt, als könnte jeden Moment seine Stimme versagen. »Es sind alles meine. Alles, was ich dir zeige, ist von mir.«
Ich gehe zu dem Webstuhl, der mir am nächsten steht, und die Arbeit darin ist so fein und detailliert, dass mir die Worte fehlen. Die Tapisserie ist so wunderschön, sie hätte den Wettstreit zwischen Arachne und Athene in Sekunden entschieden. Sie ist ganz klar außergewöhnlich. Das Bild funkelt beinahe, obwohl es noch nicht einmal fertig ist.
»Es ist unglaublich schön«, sage ich, und es kommt mir vor wie eine Untertreibung. Es ist real , wäre ein besseres Kompliment, aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob die wahre Welt so schillert. Ich habe keine Ahnung, wie er es schafft, Mondlicht in seine Tapisserie zu wirken, oder den Duft von Pinien oder das Gefühl von kaltem Seewasser in meinen Händen, aber ich kann all das fühlen, als ich sein Werk betrachte.
Als ich mich zu ihm umdrehe, sieht er fast wütend aus und beobachtet mich vorsichtig, als würde er denken, dass ich meine Ehrfurcht nur vortäusche.
»Was?«, frage ich.
Er schüttelt den Kopf und wir gehen ins nächste Zimmer. Es ist schmal, und darin steht ein langer Tisch, auf dem Patchwork-Quadrate in unterschiedlichen Graden der Vervollständigung liegen.
»Ich kann nicht glauben, dass du mir einen so wackeligen alten Webstuhl gegeben hast«, witzele ich, aber er lächelt nicht, sondern sieht mich nur an. »Was?«
»Hast du nicht mehr zu sagen?«
»Was soll ich denn sagen?«, frage ich. »Ich könnte deine Arbeit mit Komplimenten überschütten, wenn das deinem Ego schmeichelt.«
»Bitte mach dich nicht über mich lustig. Nicht bei dieser Sache.«
»Hades«, sage ich verwirrt. »Ich meine das ernst. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen.«
Er runzelt die Stirn und sieht sich skeptisch im Raum um.
»Also …«, sagt er und schüttelt den Kopf. »Willst du auch die anderen sehen?«
Mehr Türen erscheinen genau dort, wo sie meinen Karten zufolge sein sollten. Der nächste Raum ist riesig, mit Gewölbedecke, großen Steinblöcken und Meißeln, die darauf warten, benutzt zu werden. In einem anderen sind die Wände selbst feucht von Farbe: ein so detailliertes Fresco, dass ich in den Wald hineingehen möchte, den er erschaffen hat. Hinter anderen Türen finde ich Staffeleien, Schreibtische, eine Glasbläserei, Werkstätten für Keramik und Ton, Holz und Metall und schließlich ein Zimmer voller Nadeln und Garn. Hier gibt es kein halb fertiges Projekt, nur Reihen mit ordentlich gestapelten Garnspulen, die Staub ansammeln.
»Das hat mir tatsächlich nicht so gut gefallen«, sagt Hades trocken. »Sticken war nicht meins.«
»Aber die anderen Sachen schon?«
Er nickt und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ich schäme mich nicht dafür, weißt du. Lieber webe ich hier unten Wandteppiche und töpfere, als da oben Kriege anzufangen und Leben zu zerstören.«
»Ich habe nicht gesagt, dass du dich schämen sollst.«
Er sieht mich immer noch auf diese merkwürdige Art an. »Ja, das merke ich. Warum?«
»Warum was?«
»Warum … ich weiß nicht, urteilst du nicht über mich?«
»Aber ich urteile ja über dich – deine Arbeiten sind unglaublich! Das ist praktisch alles, was ich auf Wunsch meiner Mutter lernen sollte – na ja, außer Bildhauerei und Tischlern –, und ich bin in allem schlecht.« Was nicht stimmt, nicht wirklich. Aber nichts war jemals gut genug . Und ganz eindeutig war nichts jemals so gut.
»Genau. Es ist alles, was du auf Wunsch deiner Mutter lernen solltest.«
Oh.
»Du hast das versteckt, weil du dachtest, ich würde deswegen deinen männlichen Ruf ruinieren?«, frage ich.
»Das mit meinem Ruf ist kompliziert. Es geht hier ja nicht um mein Ego, das geschützt werden muss. Was das angeht, können die Leute reden, was sie wollen«, sagt er. »Aber ich trage diese Krone, weil Zeus glaubte, Kronos hätte die mächtigsten Wesen ausgewählt, als er Poseidon und mich geraubt hat – Männer, die zu einer Bedrohung heranwachsen könnten. Zeus dachte, wenn er uns ein wenig Macht abgibt, würden wir uns nicht gegen ihn auflehnen. Aber wenn er herausfände, was ich hier mache – dass ich nicht das leuchtende Beispiel für männliche Macht bin, für das er mich hält, und keine Bedrohung, wie nur ein Mann eine sein kann –, dann würde er mir die Krone wieder wegnehmen. Und nur als König habe ich die Sicherheit, das alles hier in Ruhe tun zu können. Nicht einmal die Götter der Unterwelt wissen davon. Deshalb verberge ich es.«
»Aber auch Hephaistos ist ein Handwerker.«
»Er baut Maschinen, keinen Schmuck – es sei denn, Aphrodite besteht darauf.«
Er hat recht. Hades’ Schmiede ist voller zarter, atemberaubender Skulpturen und Schmuckstücke. Nichts, was zum Gebrauch erschaffen wurde, sondern, um schön zu sein. Kunst um der Kunst willen.
»Apollon, er–«
»Spielt eine Leier – nicht dasselbe.«
Ich verstehe. Die Musen sind Frauen. Männer dürfen künstlerisch tätig sein, aber nicht so, nicht mit Fäden und Farbe. Ich begreife, was er meint und warum er mit meiner Verachtung gerechnet hat. Fast kann ich hören, wie die Nymphen kichern und Kränkungen über ihn verbreiten. Mutter, Götter, Mutter – wie oft hat sie darüber geschimpft, dass die Unterwelt an Hades gegangen ist? Wie viel schlimmer wäre es, wenn sie wüsste, was er mit seiner Macht anstellt. Sie wäre so grausam. Männer tun so etwas nicht.
Offensichtlich gehört alles, wozu Mutter mich je gezwungen hat, um meine Heiratsaussichten zu verbessern, zu Hades’ Lieblingsbeschäftigungen. Ist das nicht dasselbe, wie wenn ich aus dem Fenster geklettert bin, weil ich weben sollte? Musste nicht auch ich meine wahren Interessen verbergen, weil man etwas anderes von mir erwartete?
Hades lehnt an der Wand, aber er hat die Arme verschränkt, als hätte er trotz meiner Versicherungen immer noch Angst, ich könnte grob werden. Ich habe ihn noch nie verletzlich erlebt. Aber jetzt muss er sich alle Mühe geben, um mir auch nur in die Augen zu sehen.
Ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die unter Zeus’ Ordnung leidet. Nicht nur wir Mädchen spüren die Fesseln ihrer Beschränkungen.
»Außerdem«, fährt er fort, »muss ich nicht wie sie immer der Beste sein. Ich habe einfach Freude daran. Und wenn alle Bescheid wüssten, würde man es mir niemals gestatten.« Er ist so steif, als wäre jede Faser seines Körpers angespannt.
»Deshalb ist der Palast mit Schwertern bedeckt«, dämmert es mir. »Zur Tarnung.«
»Sie glauben, ich bin der dunkle, grüblerische Gott der Toten, Sieger über die Titanen, der sich nach nichts als Einsamkeit in den düsteren Tiefen der Unterwelt sehnt«, sagt er. »Es hält sie davon ab, sich genau anzugucken, was ich hier wirklich treibe.«
»Und das wäre das hier?«
»Das wäre das hier«, bestätigt er.
»Deshalb wolltest du, dass ich gehe? Damit ich es nicht entdecke und gegen dich verwende?«
»Ja. Es tut mir leid.«
»Ich mache dir keinen Vorwurf.«
»Ich hatte einfach Angst. Wenn Zeus dich geschickt hätte, wie ich glaubte, dann hättest du alles kaputtmachen können, wenn du ins falsche Zimmer gestolpert wärst. Du hattest unglaubliche Macht, mir zu schaden.«
Macht, die er mir jetzt freiwillig in die Hände legt, indem er mir alles zeigt.
»Du hast eine zu hohe Meinung von meinem Vater, wenn du glaubst, er würde auf irgendetwas hören, was ich sage. Wahrscheinlich könnte ich mit einem ausgearbeiteten Bericht zu ihm kommen, und er würde ihn trotzdem ignorieren.«
»Glaub mir, nur wenige Menschen können eine geringere Meinung von Zeus haben als ich.«
»Willst du mich herausfordern?«
Er seufzt, ist aber auch ein bisschen amüsiert, und die Anspannung löst sich ein wenig. »Nicht alles ist ein Wettbewerb. Darum geht es doch gerade.«
»Ja, okay, aber die meisten Dinge schon. Du bist nur so grummelig, weil ich gewonnen habe und du mich nicht abschrecken konntest.«
»Ich persönlich finde, ich hab es ziemlich gut hingekriegt. Ich war nicht schlecht in der Rolle.«
»Die ganze Dramatik …«, dämmert mir jetzt. »Der Rauch und das Beben … das ist auch nur gespielt?«
»Immer schon.« Er lächelt und der Rauch erscheint. Dann wird er pink, dann blau, dann ist es kein Rauch mehr, sondern verwandelt sich in Blumen. »Die ersten Wesen, die Zeus im Krieg gegen die Titanen gerettet hat, waren die Zyklopen. Als Gegenleistung haben sie Dinge für uns gemacht – das Blitzbündel für Zeus und den Dreizack für Poseidon. Ich habe einen Helm bekommen, der den Träger unsichtbar macht. Bevor Zeus sich auf den Thron gesetzt und die Domänen als Kriegsbeute verteilt hat, haben die Domänen selbst einen Gott oder eine Göttin erwählt. Und sobald dieser Helm meinen Kopf berührte, hat eine Form der Magie Anspruch auf mich erhoben. Ich glaube, ich bin in Wirklichkeit der Gott der Illusionen oder etwas in der Art. Als ich dieses Reich bekam, war ich ein Kind in der Kriegsausbildung. Hätte ich mich damals in Meeresgischt gehüllt, säße jetzt wahrscheinlich Poseidon hier unten. Aber ich wollte die Unterwelt – was sagtest du noch gleich? –, einen Ort, an dem ich mich verstecken konnte. Also habe ich mich mit einem Schleier aus Dunkelheit und dem Flüstern der Toten umgeben und die Hölle war mein.«
Ich starre ihn an, unfähig viel anderes zu tun. Eins nach dem anderen. »Ich werde bei Styx schwören«, sage ich. »Wie die Nymphen. Ich werde es niemandem sagen.«
»Du musst nicht schwören. Ich weiß, dass du mich nicht verraten wirst.« Er muss mir meine Skepsis ansehen, denn er lacht. »Du hast ein Schlupfloch in Schutzzaubern gefunden, die von einem Dutzend Göttern erschaffen wurden, bist in die Hölle geflohen, ohne es jemandem zu sagen, und hast wahrscheinlich dein Leben lang verborgen, wer du wirklich bist. Ich denke, ich kann dir vertrauen.«
Ich nicke. »Das kannst du. Ich sage kein Wort. Okay, aber jetzt bin ich dran.«
»Womit?«
»Wolltest du denn nicht meine Pläne für dieses Reich sehen?«
»Ich …«
»Das ist wirklich viel, Hades. Danke. Und … wenn du mir das anvertrauen kannst, dann kann ich dir im Gegenzug auch vertrauen. Lass uns über das Jenseits reden.«
Ich zeige ihm meine Idee. Drei getrennte Teile: ein Paradies, dessen genaue Gestaltung ich noch ergänzen muss; ein Abschreckungsort voller Grauen, über die ich noch nachdenke, und etwas dazwischen.
Laut ausgesprochen ist es mehr, als ich dachte.
Als wir uns über die Dokumente beugen, kommen wir uns etwas zu nah, und ich denke daran, wie er vorhin meine Hand gehalten hat. Ist es besorgniserregend, wie natürlich wir uns zueinander hingezogen fühlen?
»Es gefällt mir«, sagt er einfach.
Ich glaube, mir war gar nicht klar, wie viel mir seine Anerkennung bedeutet. Und es ist mehr als nur sein Wohlwollen: Er ermutigt mich, zu tun, was ich schon immer wollte, anstatt es mir auszureden; unterstützt mich, anstatt mir einzureden, es stünde nicht in meiner Macht, in dieser Welt etwas zu bewirken.
Nur drei kleine Worte – und sie bedeuten mir alles.