D ie Hochrufe sind überwältigend, und für einen kurzen Moment erschlägt uns nur der Lärm, bevor sich auch die Leute um uns drängeln. Sie schieben uns Richtung Palast, und es herrscht reines Chaos, aber Hades hält meine Hand, und ich bin geschockt, dass ich nicht nur lächle, sondern ekstatisch lache. Bei all der Planung habe ich mich nicht darauf vorbereitet, was für ein glückliches Ereignis es sein würde. Ich war so darauf konzentriert, alle von unserer Liebe zu überzeugen, dass ich nicht daran gedacht habe, wie fröhlich eine Hochzeit ist, wenn man an diese Liebe glaubt.
Als wir endlich die Schwelle überschreiten, werden die aufgeregten Schreie noch lauter.
Ares klopft Hades auf die Schulter.
»Gut gemacht«, sagt er.
»Sag mir bitte, dass es in der Unterwelt was Ordentliches zu essen gibt«, jammert Dionysos. »Ich sterbe vor Hunger.«
Ich sehe mich nach meinen Eltern um – als hätte ich meine Mutter übersehen können, und sie ist doch hier, oder als könnte mein Vater, Blitzbündel in der Hand, durch die Menge auf mich zustürmen. Aber es sind zu viele Leute. Die Frauen versammeln sich schon und warten, dass ich sie zu unserem separaten Festmahl geleite.
»Wir sehen uns bald?«, fragt Hades, als die Männer sich auf seiner Seite sammeln. Sein Gewand ist noch nass von dem Wasser, das uns verbunden hat, dasselbe Wasser, das auf den Blütenblättern meines Schleiers liegt. Ich will mich nicht von ihm trennen; ich will mit ihm allein sein, die feuchten Sachen aus- und etwas Bequemeres anziehen, Tee am Kamin trinken und stundenlang reden.
Aber eine Hochzeit ist so viel mehr als nur die Zeremonie und wir müssen weitere Traditionen hinter uns bringen.
»Natürlich«, sage ich munter, in der Hoffnung, dass ich mich wirklich gleich freue, wenn ich so klinge. »So schnell wirst du mich nicht los.«
Leute um uns herum kichern bei dem Gedanken, dass Hades, der so genial meine Entführung geplant hat, schon von mir gelangweilt sein könnte.
Vielleicht glauben sie nicht einmal, dass wir uns lieben. Vielleicht gönnen sie Hades einfach, auf diese Weise gewonnen zu haben. Oder vielleicht glauben sie, er hat mich wirklich entführt und ich habe mich in ihn verliebt. Ich war seine Gefangene, bis er mir ans Herz gewachsen ist.
Ich ermahne mich, dass ich erst ich selbst sein kann, wenn ich in Sicherheit bin, und um dahin zu kommen, muss ich mich fügen, bis diese Hochzeit vorbei ist. Bis ich die Krone auf meinem Kopf trage. Also lächle ich, die Lippen schmal wie eine Messerschneide, und sage mir, dass mir alles, weshalb sich mir der Magen zuschnürt und mir schwindelig ist, als Munition dienen wird. Es wird mir eine Freude sein, diese grausamen Götter fertigzumachen.
»Die Damen.« Ich nicke den Göttinnen zu. »Wollen wir?«
Als wir uns in Bewegung setzen, kommt Hestia an meine Seite und legt mir den Arm um den Hals.
»Du siehst wunderschön aus«, sagt sie freudig.
»Genau wie du.« Es stimmt – Hestia braucht die Extravaganz meines Kleides nicht. Sie versteht es, Schlichtes elegant zu machen. Mit ihrem einfachen umbrabraunen Kleid, am Hals von einer Kette hölzerner Perlen zusammengehalten, die ein paar Schattierungen heller sind als ihre Haut, und den komplizierten Zöpfen, die sie zu einem Knoten gedreht hat, ist sie schön – und dann lächelt sie. Hestias Lächeln enthält die Wärme von einem Dutzend Herdfeuern, und ich bin so froh, dass sie hier ist.
Sie senkt die Stimme und fragt: »Geht es dir gut?«
Ich bin nicht auf das Brennen der Tränen vorbereitet. Sie ist die Erste, die mich das fragt.
»Ja«, sage ich fest und lächle sie an. »Danke.« Ich lege so viel Aufrichtigkeit in dieses Danke, dass Hestia überzeugt nickt.
»Xenia wird so oft beschworen«, sagt sie. »Ich kann nicht alles verfolgen – aber du hast es auch benutzt, oder? Und er hat nicht dagegen verstoßen?«
»Hestia, ich …« Ich will das lieber nicht hier besprechen, auch wenn die anderen Göttinnen miteinander plaudern. Jemand könnte mithören.
»Als Göttin des heimischen Herds spüre ich, dass hier dein Zuhause ist, wollte ich nur sagen«, fährt sie fort. »Und ich bin froh, dass du es gefunden hast.«
Sie lässt mich nach einer letzten Umarmung los und mischt sich wieder unter die anderen Göttinnen. Ich blinzle und mein Herz ist ein bisschen wärmer.
Ich führe alle in den Ostflügel. Auf dem Olymp soll es angeblich Zeus’ Lieblingsflügel sein, weil er dort die Sonne aufgehen und seine Welt in herrlichem Glanz sehen kann. Hier unten ist es mein Flügel. Die großen Bogenfenster blicken auf Blumenwiesen, am Horizont kann ich die Ausläufer des Landes der Menschen sehen. Die Fackeln im Gang sind mit Blumen geschmückt und begleiten uns bis in den Saal ganz am Ende. Der weiße Marmor erinnert mich nicht mehr an ein Mausoleum, seit Wandteppiche und Kunst an den Wänden hängen.
Wir kommen in den Saal und ein langer goldener Tisch erstreckt sich über seine ganze Länge. Kronleuchter erhellen den Raum mit funkelnden Lichtern, die Decke ist so hoch, man könnte glauben, es sind die Sterne selbst.
»Wir essen?«, fragt Hestia entzückt, als sie den gedeckten Tisch sieht.
Ich habe tagelang mit den Nymphen und den Sterblichen gearbeitet, um das Festmahl vorzubereiten. Mit Zugang zu einer Myriade von Zutaten haben sie Gerichte gekocht, von denen ich noch nie gehört habe. Der lange Tisch biegt sich unter den voll beladenen Platten: saftiges Fleisch, das in Knoblauch und Petersilie mariniert wurde, mit Oliven gespicktes Brot, in Olivenöl gebratenes und mit Salz bestreutes Gemüse, Reis, der nach Jasmin duftet, fremde Gerichte, deren Wohlgerüche sich in die Luft erheben und die Namen in Sprachen haben, die ich noch lernen muss.
»Ja«, bestätige ich und gehe zu meinem Platz am Kopfende.
»Jetzt?«, fragt Hera scharf.
Ich nicke, tue unschuldig. »Ja, ich habe Hunger. Du nicht? Ich war so aufgeregt, ich konnte seit Tagen nichts essen.«
Windgeister wehen herein und Kelche scheinen sich von selbst mit Wein zu füllen.
»Es ist üblich, zu –«
»Oh, das mit dem Warten?«, frage ich. »Ich weiß, aber Hades und ich fanden beide, wir sollten so wichtige Frauen wie euch nicht warten lassen.«
Hera bleibt stehen und presst den Kiefer zusammen.
Ich kann kaum atmen, während ich auf ihre Reaktion warte.
Theoretisch sollen die Frauen erst essen, nachdem die Männer fertig sind. Hades und ich haben beschlossen, dass das kompletter sexistischer Unsinn ist, allerdings hat Hera diese Hochzeitsbräuche diktiert – zweifellos ein Versuch, ihren Ehemann bei Laune zu halten.
Und bei Hera bin ich wahrscheinlich am ehesten nervös. Ich will sie nicht kränken, indem ich ihre Traditionen untergrabe. Sie ist mächtig – die Königin der Götter und die Frau meines Vaters –, und es gibt viele Geschichten über ihre Rachsucht und Grausamkeit. Aber sie wurde auch gezwungen, meinen Vater zu heiraten, und hat sogar einmal versucht, ihn zu stürzen. Er hat sie in Ketten am Himmel aufgehängt, bis sie die Schmerzen nicht mehr ausgehalten und bei der Styx geschworen hat, sich nie wieder gegen ihn zu erheben. Was nicht heißt, dass es keine Schlupflöcher gibt. Wenn ich sie auf meine Seite ziehen kann, könnte sie eine unschätzbare Verbündete sein.
Im Moment konzentriere ich mich natürlich darauf, meinen Vater zu überleben, aber ich habe eine Ewigkeit vor mir und denke schon manchmal über später nach.
»Wunderbar«, sagt Athene, setzt sich an meine Seite, und es ist, als hätte sie den anderen die Erlaubnis erteilt, ebenfalls Platz zu nehmen. Hera zögert nur einen kurzen Moment länger, bevor sie sich zu uns an den Tisch setzt und ihre Miene hinter einem Weinglas verbirgt.
Es gibt keine Platzkärtchen, aber die Gottheiten sorgen von selbst für eine gewisse Ordnung. Mitglieder des Zwölferrats sitzen in meiner Nähe: Athene links von mir, Artemis rechts und gleich danach Hera, Aphrodite und Hestia – die Gerüchten zufolge jetzt jeden Tag in den Rat aufgenommen wird. Andere Olympierinnen folgen, von den Musen zu niederen Göttinnen: Melpomene, die Muse der Tragödie, neben Selene, der Mondgöttin. Die drei Chariten sitzen neben Tyche, der Göttin des Glücks, und weiter, bis in der Mitte die Göttinnen aus Poseidons Reich kommen, beginnend mit seiner Frau Amphitrite und Thetis, der Göttin einer See, die ich nie gesehen habe. Am anderen Ende des Tisches haben die Göttinnen meines Reichs Platz genommen, Mania plaudert freundlich mit Enyo, und ganz außen stecken die Moiren die Köpfe zusammen.
»Auf diese Verbindung«, sagt Hera, ihre Stimme hallt durch den Raum und unterbricht die Gespräche.
Alle heben die Gläser, sogar Athene und Kybele, obwohl beide ihre sofort demonstrativ wieder hinstellen. Anscheinend sind manche Göttinnen meiner Mutter gegenüber loyal. Ich weiß nicht, ob mich das erleichtert oder nicht. Wenigstens hat niemand einen Platz für sie frei gehalten. Einen leeren Stuhl, wo sie sein sollte, könnte ich nicht ertragen.
Als ich meinen Strauß in eine leere Vase auf dem Tisch stelle, erregt er Artemis’ Aufmerksamkeit.
»Was ist das?« Sie deutet mit dem Kinn darauf. »Es fühlt sich … sonderbar an.«
»Ah.« Ich lächle. »Nun, ich wollte die Aparche machen, aber ich hänge ziemlich an meinen Haaren.«
»Das ist mir nicht entgangen«, sagt Artemis plötzlich kalt.
»Stattdessen wollte ich dich ehren, wie nur ich es kann.« Ich deute auf die Blume, die ihre Aufmerksamkeit erregt hat, weiße Blütenblätter um die so strahlend gelbe Mitte, dass selbst die Sonne dagegen blass wirkt. »Ich nenne sie Chamaimelon oder Kamille.« Die Bedeutung des Namens ist ein heimlicher Witz: Apfel des Bodens . Es ist das Erste, was ich in diesem Reich erschaffen habe, das zum Verzehr bestimmt ist. »Sie wächst in fast jedem Klima, hat medizinische Eigenschaften und man kann einen köstlichen Tee daraus zubereiten. Ich dachte, sie wäre dir und deinen Jägerinnen auf euren Streifzügen nützlich.«
Artemis – nein, der ganze Tisch – ist still und starrt mich an.
Athene bricht das Schweigen zuerst und tippt abwesend mit einem spitzen Fingernagel gegen ihr Weinglas. »Da hast du wirklich alles rausgeholt aus deinem Geschenk«, sagt sie, und ihr Blick wirkt umso intensiver durch den Kontrast der schiefergrauen Augen mit der porzellanblassen Haut.
Mein Lächeln ist perfekt: sittsam, verlegen und gleichzeitig erfreut. »Es ist eine Freude, die Schönheit in der Welt zu mehren – aber mit meiner Macht auch Nutzen bringen zu können, betrachte ich als eine Ehre.« Mein Blick trifft auf Hekate, und ich erwarte, dass sie sich mit mir freut. Sie hat mir gesagt, ich sei mehr als Blumen. Hat sie damit nicht gemeint, dass ich Blumen über sich hinauswachsen lasse?
Aber sie ist nicht glücklich. Ihre dunklen Augen brennen wie ein Wildfeuer.
»Danke … Persephone .« Artemis’ ungeschickte Zunge kämpft mit meinem Namen, aber ich erröte, als sie ihn benutzt. Vom Olymp hat bisher niemand sonst anerkannt, dass ich den Namen ablehne, den Zeus mir in ihrer aller Beisein gegeben hat. Ich bin mir nicht sicher, ob es Loyalität zu meiner Mutter ist oder zu ihm. »Es ist ein unerwartetes Geschenk und einer Haarlocke weit überlegen.«
»Ja, nun«, sage ich. »Es ist ein Dankeschön, weil du junge Mädchen beschützt.« Ich proste ihr zu und beiße mir auf die Zunge.
Ich frage mich, ob sie die Herausforderung bemerkt, den Zornesfunken in meinen Augen.
Weil sie mich nämlich nicht beschützt hat. Ich habe mich selbst beschützt. Wo war sie, als Mutter mich verheiraten wollte? Einfach meinem Vater gehorchte? Alle hier im Saal glauben, ich sei entführt und zu dieser Ehe und wer weiß wozu noch gezwungen worden, und keine hat auch nur das Geringste dagegen unternommen.
Das mag mir vielleicht nicht passiert sein, aber ich habe genug Zeit bei den Sterblichen verbracht, um zu wissen, dass so etwas keineswegs selten vorkommt.
Und all diese jungen Mädchen werden gezwungen, sich zu Ehren einer Göttin die Haare abzuschneiden, die sie überhaupt nicht schützen kann und die nur in dem Gefängnis, das ihr Vater für sie geschaffen hat, auf und ab rennt. Er erlaubt ihr, durch die Wildnis zu streifen, aber sobald es um mehr als die Randgebiete der Welt geht, hat sie sich nicht einzumischen. Und sie hat es akzeptiert. Sie klammert sich an ihre begrenzte Freiheit und hat viel zu viel Angst, um die Grenzen, die er ihr gesetzt hat, zu überschreiten.
Sie weiß das.
Als könnte sie meine Gedanken hören, wird Artemis rot, nickt aber.
Sie ist keine Hüterin. Noch nicht.
Aber vielleicht muss sich nur eine von uns erfolgreich meinem Vater widersetzen, damit die anderen folgen. Artemis’ eisiger Blick, den sie jetzt auf den Tisch richtet, lässt ahnen, dass sie es gern mit jedem aufnehmen würde, der jemals ein Mädchen in Gefahr bringt, am liebsten mit einem Pfeil ins Auge.
»Esst, bitte«, sage ich. Die Männer würden keine Sekunde zögern. Die Frauen meines Hofes haben sich schon aufgetan.
»Von diesem Essen ist nichts hier gewachsen?«, erkundigt sich Hera.
Ich versichere ihr, dass es nicht so ist, und mir schaudert beim Gedanken, die Olympier könnten ewig bleiben.
Für die nächste Stunde spiele ich meine Rolle, glitzere wie ein Kristallornament, das sie bewundern können. Ich tue so, als würde mich der Klatsch interessieren, über den sie reden, kichere über ihre lahmen Witze und neige errötend den Kopf, als sie nach Hades fragen. Von mir werden sie nichts erfahren.
Ich betrachte die Gesichter um mich herum und frage mich, wer sich sonst noch verstellt. Am Ende bin ich ein bisschen besorgt – wenn auch vielleicht nicht überrascht –, weil ich glaube, dass sie es alle tun.
Nymphen kommen mit Kuchen, die vor Zucker, Schlagsahne und einer Flut von Honig glänzen. Obst ist so hoch in den Körben aufgestapelt, dass der Olymp daneben klein aussähe. Ich nehme Sturm beiseite, bevor sie geht, und flüstere, dass sie allen Wein nachschenken soll.
Ich frage mich, ob Hades’ Gesellschaft genauso langweilig ist. Vielleicht spielen die auch alle ihre Rollen – derbe Kerle, die lärmend feiern und widerliche Fragen stellen. Ich frage mich, ob Hades die Fragen beantwortet, als ich nach meinem Kelch greife. Er konnte bei unserer Verlobungsankündigung schon kaum mit Hermes umgehen. Wie soll er mit einem ganzen Saal voller Götter fertigwerden, die schmutzige Details über unsere nicht existierende Beziehung wollen?
Als der Kuchen weg ist, hat das Geplapper den Höchststand erreicht, zweifellos dank der schnell nachgefüllten Gläser. Zwei niedere Meeresgöttinnen streiten hitzig, und die in ihrer Nähe drehen die Köpfe von einer zur anderen, als würden sie einen Pentathlon beobachten.
Astraea, auch eine uneheliche Tochter meines Vaters und theoretisch also meine Schwester, beugt sich zu Peitho, Göttin der Verführung. Peitho legt eine Hand auf Astraeas Bein, und Astraea steigt ein Rotton in die Wangen, den ich nur von Blumen kenne.
Die Göttinnen schieben ihre Teller weg, stehen auf, um mit denen zu plaudern, die weiter weg sitzen. Sie stehen in Grüppchen zusammen und quatschen. Als ich gerade aufstehen und mich irgendwo dazustellen will, nimmt Hera meinen Arm.
»Deine Mutter ist verzweifelt«, sagt sie. Ihr Blick ist wacher, als ihre ungeschickten Bewegungen nahelegen. Sie ist also nicht allzu betrunken; sie wäre auch nüchtern herzlos genug, das zu sagen.
»Hast du mit ihr gesprochen?«, frage ich. »Geht es ihr gut?«
»Wie sollte es?«, sagt Hera, aber sie klingt nicht mitfühlend, sondern grausam. Ihr Tonfall ist fast höhnisch. »Sie glaubt, er zwingt dich, so glücklich aufzutreten, aber du freust dich wirklich, oder? Wie konntest du das deiner armen Mutter antun?«
Nun, wenn sie hier wäre und ich mit ihr sprechen könnte, würde sie es vielleicht verstehen.
»Ich liebe Hades«, bestätige ich. »Und ich hoffe, sie sieht das mit der Zeit. Sie wird sich freuen, wie glücklich ich mit meinem Mann bin.«
Hera schnaubt verächtlich. »Du bist nicht mal einen Tag verheiratet und erwartest Glück? Du bist wirklich naiv.«
»Ich fordere Glück«, korrigiere ich sie und ziehe den Arm so schnell weg, dass sie wankt. Ich stehe ebenso schnell auf. »Entschuldige mich bitte.«
Der Plan, mich mit Hera zu verbünden, wird warten müssen. Bevor ich mich irgendwo dazustellen kann, erscheint Hekate neben mir.
»Dürfte ich unter vier Augen mit dir reden?«, fragt sie.
Ich unterdrücke ein Seufzen. Ich habe irgendwie das Gefühl, es würde nicht besonders gut ausgehen, wenn ich widerspräche.
Ich führe sie in einen kleinen Raum so nah am Festsaal, dass ich noch das Geschnatter der Göttinnen höre.
»Was ist das?«, fragt sie und wedelt mit ihrer runzligen Hand vor mir herum.
»Könntest du das genauer ausführen?«
»Dein Lügengespinst ist eine Schande.«
»Tut mir leid, dass du das so empfindest«, sage ich und verschränke die Arme vor der Brust.
Dann will ich gehen, aber sie tritt mir in den Weg und stößt mich zurück.
»Was soll das werden? Du spielst die errötende Braut, obwohl du so viel mehr kannst?«
Ich schlucke. »Wenn ich den Sterblichen helfen will, brauche ich –«
Hekate verzieht das Gesicht. »Du denkst immer noch zu klein.«
»Dann hör auf, in Rätseln zu sprechen. Wenn du glaubst, dass ich so viel mehr bin, klär mich auf. Sag mir, was ich deiner Meinung nach bin.«
Sie lacht hämisch. »Ach, das macht doch keinen Spaß. Überhaupt keinen Spaß!«
»Ich habe keine Zeit für Spaß. Ich gebe mein Bestes, um in dieser Welt zu überleben. Und zwar mit dieser Heirat.«
»Du solltest nicht versuchen, in dieser Welt zu überleben. Du solltest versuchen, sie zu zerstören.«
»Das werde ich wohl kaum an einem Nachmittag schaffen«, entgegne ich trocken und hoffe, das Desinteresse überdeckt meine panische Angst. Hekate muss nicht wissen, dass ich versuche, genau das zu tun: die Olympier und die Welt, die sie geformt haben, stürzen. Wenn ich es schaffe, wird mein Jenseits die Moral der Sterblichen so grundlegend verändern, dass die Welt nie wieder dieselbe sein wird – und die Götter auch nicht. Ich weiß nicht, was sie mit dieser Information anfangen würde. Im Moment würde ich niemandem außer Hades ein Geheimnis anvertrauen. »Wenn du mich jetzt entschuldigst.«
»Dieser Junge ist eine Ablenkung«, zischt sie.
»Hades –«, fange ich an.
»Ist nebensächlich.«
»Er ist mein Mann.«
»Er ist eine Zugabe«, knurrt sie. »Du liebst ihn? Glück gehabt. Aber du versteckst deine Macht hinter seiner, als könntest du nur mit seiner Hilfe Königin dieses Reichs sein, als würde die Macht, die in deinen Adern fließt, nicht bedeuten, dass du ihm einfach alles wegnehmen kannst. Als wäre es nicht immer schon für dich bestimmt gewesen.«
Ihre Worte treffen mich unvorbereitet. »Dieses Reich? Du glaubst, meine Macht hat etwas mit diesem Reich zu tun?«
»Frag deinen Mann, wenn dir so viel an ihm liegt. Er weiß es.«
Sie geht und ich starre die Wand an. Sollte Hades wirklich Geheimnisse vor mir haben? Geheimnisse, die mit mir und diesem Reich zu tun haben? Ich habe nichts getan, was nicht jeder andere auch könnte – habe durch eine leichte Berührung mit göttlicher Energie ein paar sterbliche Seelen wiederhergestellt, habe durch die Verbindung mit den Blumen, die mein Vater mir gegeben hat, einen Graben durch das Land gezogen.
Und … wenn es gar nicht so war?
Wenn sie recht hat? Wenn es etwas anderes ist?
Vielleicht sagt Hekate das alles nur, um mich aus der Fassung zu bringen. Sie mag Hades nicht – das hat sie ziemlich klar gemacht. Zumindest denkt sie, ich würde ihn nicht brauchen. Vielleicht will sie mich ablenken. Vielleicht ist es nur wieder ein Spiel. In jedem Fall kann ich mir nicht leisten, mitten auf meiner Hochzeitsfeier darüber nachzudenken.
Ich will zum Festsaal zurück, als ich im Gang Stimmen höre.
»Du glaubst, weil ich hier bin, habe ich dir vergeben?«, fragt Vater.
»Natürlich nicht«, sagt Hades, und seine Stimme ist so beschwichtigend, es erinnert mich viel zu sehr daran, wie er mich angefleht hat, ihn nicht zu hassen.
»Wenn du nur einen Millimeter aus der Reihe tanzt, dann –«
»Du willst mir sicher nicht in meinem eigenen Reich drohen, Zeus«, sagt Hades. »Nicht, während du meine Gastfreundschaft genießt.«
»Wenn du glaubst, nach allem, was passiert ist, fürchte ich Hestia und ihr verdammtes Xenia, dann –«
»Vater?«, sage ich, als ich um die Ecke biege. Ich lasse verwirrt die Lider klappern und weite leicht die Augen, um ein wenig unschuldiger zu wirken. Hades unterdrückt sichtlich ein Lachen. »Ist alles in Ordnung?«
Mein Vater richtet sich auf und tritt von Hades zurück, den er fauchend und mit erhobenen Fäusten an die Wand gedrängt hatte.
»Natürlich, Kore«, sagt er.
»Persephone«, verbessere ich ihn und fahre fort, bevor er etwas erwidern kann. »Ich wollte mit dir reden, dir danken, dass du eine so gute Partie für mich arrangiert hast.«
Hades für seinen Teil hat seine ängstliche Miene gegen eine bewundernde getauscht, wobei ich beides für vorgetäuscht halte.
»Nun«, sagt Vater und zieht seine Gewänder zurecht, die ihm schräg über die Schulter gerutscht sind – sie sind nicht für prügelnde Götter gemacht. »Das würde jeder Vater für seine Tochter tun.«
»In der Tat«, sage ich anstelle der Schimpftirade, die ich gern darüber loslassen würde, dass er mich gefälligst nicht wie sein Eigentum behandeln soll.
»Ich bin nur froh, dass du endlich deine Rolle akzeptierst, Kore«, sagt er, und seine Wut auf Hades flaut zu einer grimmigen Befriedigung ab, genau wie ich es mir dachte. Am Ende des Abends wird er mit meiner Unterwürfigkeit so zufrieden sein, dass er wirklich glaubt, er hätte die Hochzeit gewollt. »Es hat mich beeindruckt, was du alles tust, um deinen Mann glücklich zu machen.«
»Nun, ich wusste, Hades hätte mich ohne dein Einverständnis niemals entführen können«, sage ich, stelle mich zu Hades und lege ihm den Arm um die Taille. »Und wenn du diese Ehe willst, dann will ich sie auch.«
»Ich hoffe, andere Göttinnen meines Hofstaats werden von dir lernen, Kore«, sagt Vater.
Erst jetzt wird mir klar, dass es nie um mich ging. Ich könnte lachen oder schreien oder mit ausgefahrenen Krallen auf meinen Vater losgehen. Er hat mir die ganze Zeit das Leben schwer gemacht, weil ich zu öffentlich zu viel verlangt habe. Hätte er mir das durchgehen lassen, hätte ich andere Mädchen inspirieren können, dasselbe zu tun.
Hera hat Macht bekommen und die Verbindung mit ihm. Mutter einen Sitz im Rat und eine Tochter, die sie beschützen muss. Artemis Freiheit, solange sie Außenseiterin bleibt. Aphrodite etwas so Großes wie Liebe und eine erzwungene Ehe mit einem Mann, den sie hasst. Athene sein Ohr, solange sie auf seiner Seite steht. Hestia ewige Jungfräulichkeit, wenn sie zu Hause bleibt. Immer gibt es Bedingungen – um unsere Fähigkeiten zu schwächen und um uns daran zu hindern, die Frauen zu werden, die wir sein könnten.
Hades’ Miene versteift sich neben mir, und er malt beruhigende Kreise auf meinen Rücken, als würde er meine Wut spüren und wissen, wie gefährlich es wäre, sie nicht zu besänftigen.
»Das hoffe ich auch«, zische ich. »Feiern jetzt alle wieder zusammen?«, frage ich Hades, bevor ich noch etwas sage, das ich bereuen könnte.
»Ich denke ja.«
»Dann ist es Zeit, zu tanzen.«
Trotz allem und obwohl seine schauspielerischen Fähigkeiten meine bei Weitem übertreffen, sehe ich Ärger in seinen Augen aufblitzen.
Ich grinse.
Versuch nur, mir einen Tanz zu verweigern, Hades.
»Meinetwegen«, presst er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Wir werden dieses Gespräch später fortsetzen«, verspricht Zeus und sieht Hades mit einem Hass an, den er ganz sicher nicht empfunden hat, seit er Prometheus an einen Felsen ketten ließ.
»Oh, nicht nötig.« Hades ist auf eine so diebische Weise vergnügt, wie als er vorschlug, dass Zeus unsere Heirat als seine Idee ausgibt. »Ich glaube, wir wissen beide, worauf es hinausläuft.«
Betrunkene Gottheiten jubeln, als wir uns in den Saal begeben, in dem Männer und Frauen jetzt zusammen feiern, und es ist klar, dass für alle reichlich Wein geflossen ist. Ich entdecke Dionysos in der Menge, und er hebt sein Glas mit einem Lächeln, das dem von Hades eben durchaus ähnelt. Ich frage mich, ob er für die taumelnden Götter und die hicksenden Göttinnen verantwortlich ist.
»Ich hasse dich«, flüstert mir Hades ins Ohr.
»Oh, das ging schnell«, sage ich. »Die Hochzeit ist noch nicht mal vorbei.«
Er legt eine Hand an meine Taille und zieht mich an sich, mit der anderen ergreift er meine. »Ich werde es auf die Liste der Dinge setzen, die ich bereue.«
»Vielleicht inspirieren dich die Musen«, schlage ich vor. »Sie saßen gerade noch an meinem Tisch.«
Seine Augen sind besonders hinreißend heute.
»Unwahrscheinlich. Ich bin nicht besonders kreativ.« Er streicht über das Kleid, das er gemacht hat.
»Und ein furchtbarer Tänzer, nach allem, was man so hört«, sage ich.
Hades lächelt mich jetzt anzüglich an. »O nein, überhaupt nicht.«
Die Musik beginnt und er zieht mir den Boden unter den Füßen weg.
Ich habe schon so oft getanzt, aber die Musik der Nymphen ist wilder, weniger rhythmisch und intuitiver. Ich habe mich gedreht und verbogen, bis die Bewegungen wie eine natürliche Verlängerung der Töne schienen.
Das hier ist dagegen überhaupt nicht leicht.
Von Hades geführt drehe ich mich und springe, und während ich stolpernd versuche, mit ihm Schritt zu halten, bewegt er sich, als hätte er das Tanzen selbst erfunden.
Nein, er ist definitiv kein furchtbarer Tänzer.
Er lächelt mich die ganze Zeit an, wendet kein einziges Mal den Blick ab, seine starken Hände sind das Einzige, was mich aufrecht hält.
»Nicht gerade deine Stärke«, flüstert er mir ins Ohr.
»Wo hast du überhaupt gelernt, so zu tanzen?«, frage ich.
»Es hilft bei der Beinarbeit, weißt du. Schwing eine Frau über die Tanzfläche und du kannst auch ein Schwert auf dem Schlachtfeld schwingen. Komm.« Er legt eine Hand auf meinen unteren Rücken und zieht mich näher, und als sein heißer Atem auf meine Wange trifft, kann ich nicht verhindern, dass mich ein Schauer überläuft. »Lass mich dir helfen.«
Plötzlich ist er es, der mich bewegt, er hält mich und hebt mich hoch, die eine Hand auf meinem Rücken, mit der anderen fest die meine umfasst. Mir ist so schwindelig, als wir uns durch den Raum drehen. Ich bin froh, dass er mich festhält, sonst würde ich hinfallen.
»Sieh mich an«, sagt er, und ich blicke vom verschwommenen Raum zu seinen Augen, ruhig, unverwandt und so dunkelbraun, sie könnten als Schwarz durchgehen. Ich glaube nicht, dass er das mit Absicht macht – er spielt nicht dieses Spiel, bei dem wir versuchen, das Verlangen des anderen zu entzünden. Ich glaube, er will gar nicht, dass ich die Kontrolle verliere. Aber ich glaube auch nicht, dass mir nur vom Tanzen schwindelig ist.
Plötzlich lässt er mich los und nutzt die Fliehkraft, um sich um mich herumzudrehen und mich wieder einzufangen. Ich wirbele herum, und er beugt mich so tief nach hinten, dass wirklich nur sein Arm mich hält. Atemlos sehe ich zu ihm hoch. Als er mich wieder aufrichtet, sinke ich mit einem fröhlichen Lachen gegen ihn.
»Du steckst wirklich voller Überraschungen«, keuche ich.
Hades zieht eine Augenbraue hoch. »Ich will nur, dass alle zufrieden sind.«
Offensichtlich. Die Götter brechen in donnernden Applaus aus, bevor sie zu uns auf die Tanzfläche kommen. Ich tanze deutlich weniger schwungvoll mit anderen Gottheiten.
Hades kommt mit meinem Weinglas zurück; Götter ziehen mich in Gespräche, die abwechselnd faszinierend und langweilig sind. Nymphen erscheinen mit noch mehr Essen, und als der Abend voranschreitet, verblassen Apollon, Hemera und Helios, bis sie wie gewöhnliche Unsterbliche aussehen, während Selene, Nyx und Artemis an ihrer Stelle zu leuchten beginnen. Als auch die Sternengötter anfangen, zu funkeln, klettert Ares auf einen Tisch und schlägt mit seinem Dolch gegen ein Glas.
»Kommt schon, es ist an der Zeit!«, brüllt er.
Die versammelten Gottheiten stoßen lauten, zustimmenden Jubel aus.
»Holt sie euch!«
Ich hatte gerade mit Aether, Pan und Eros geplaudert, aber jetzt stürzen sich alle auf mich und lachen über meine erschrockene Miene.
Diesen Teil der Hochzeit hat meine Mutter stets ausgelassen – wenn Braut und Bräutigam von den Gästen in ihr Schlafzimmer gebracht werden.
Andere Götter kommen dazu. Antheia ergreift meinen linken Arm, Morpheus den rechten. Auf der anderen Seite des Raums sehe ich Hades in einer ähnlichen Lage: Pontos dreht ihm die Arme auf den Rücken, während andere ihn an den Gewändern packen, um ihn vorwärtszuschleifen, Pheme und Peitho kichern, als sein Ärmel in ihren Händen zerreißt.
Ich bin mir nicht sicher, woher sie den Weg kennen, aber sie zerren uns – nicht, dass wir uns wehren würden – zu Hades’ Schlafzimmer und schubsen uns hinein. Die Tür knallt zu, aber sie ist nicht dick genug, um das röhrende Gelächter der Götter auf der anderen Seite zu dämpfen.
Endlich drehe ich mich zu meinem Mann um.
Allein.