D er Hof ist am nächsten Morgen erschöpft nach der großen Party, die sie für die Sterne geschmissen haben, und das ist wirklich schade, weil ich gerade nichts lieber will, als mich in das Drama ihrer Streitigkeiten zu stürzen. Ganz sicher will ich nicht an gestern Abend denken.
»Wie geht es Hades heute Morgen?«, grinst Charon, und ich fahre zusammen.
»Was? Gut. Warum?« Ich habe ihn heute Morgen nicht gesehen, aber um fair zu sein: Ich habe auch bewusst alle Orte gemieden, wo er sein könnte.
»Als ich ihn zuletzt gesehen habe, hat er in die Styx gekotzt.«
»Was erklärt, warum Styx ihn angeschrien hat, während sie ihn praktisch zum Palast tragen musste«, ergänzt Nyx.
»Sicher war er nicht das einzige Mitglied des Hofs in diesem Zustand.«
»Ja, aber es ist ein seltener und schöner Anblick, den König so zu sehen«, sagt Hypnos.
»Nun, ich denke, wir lassen es heute, wenn wir sowieso alle vom Thema abschweifen«, erkläre ich.
»Ist wahrscheinlich das Beste.« Charon zieht eine Grimasse. »Als ich nach der Sitzung gestern ans Ufer gegangen bin, haben vierhundert Seelen gewartet. Und ich war nicht mal eine Stunde weg.«
Die anderen Götter fangen auch an, zu jammern.
»Ist das normal?«, frage ich.
»Nun«, sagt Thanatos und sieht sich im Raum um. »Die Anzahl der Todesfälle ist konstant auf einem Niveau, wie ich es nie erlebt habe.«
Viele nicken zustimmend.
»In Ordnung, danke«, sage ich und entlasse sie. Wir können so nicht weitermachen. Was bedeutet, dass ich mit meinem Mann reden muss – und nach letzter Nacht ist das wirklich das Letzte, was ich will.
Ich finde Hades in der Bibliothek, wo er sich an einem Glas Nektar festhält und furchtbar aussieht. Seine Augen sind blutunterlaufen, sein Himation hängt schief, und er beugt sich über eine Schriftrolle, als wolle er sie mit seinem Körper vor dem Licht schützen.
»Nun, ich hoffe, du hast dich gestern Nacht nicht übergeben müssen, weil du mich geküsst hast.«
Er lacht, aber es klingt angestrengt. »Du hast davon gehört?«
»O ja, du hast jeden Gott im Reich bestens unterhalten.«
Er stöhnt.
Das ist gut. Ihn aufzuziehen ist vertrautes Gelände. Wir kommen doch über diese Sache hinweg, wenn wir das gut genug hinkriegen?
»Ich kann dir versichern, dass ich normalerweise nicht so viel trinke.«
»Ich weiß«, sage ich. »Bist du … okay?«
»Persephone …« Er beendet den Satz nicht, schüttelt nur den Kopf. »Das mit gestern tut mir leid«, bringt er schließlich heraus.
Ich habe einen Kloß im Hals. »Braucht es nicht. Du küsst ganz okay.«
Einen Moment lang wirkt er gekränkt, dann lacht er. »Du hasst mich also nicht?«
»Nein, darüber bin ich längst hinaus.«
»Ich habe dich nicht ausgenutzt?«
»Ich habe dich zurückgeküsst – du erinnerst dich doch?«
»Zwar kann ich mich nicht mehr an viel erinnern, aber daran schon.« Er reibt sich die Schläfen. »Ich bin froh, dass zwischen uns alles gut ist.«
»Ja, alles gut.« Ein wenig gezwungen vielleicht, aber ich kann mich verstellen. Nur darauf kann ich mich auf lange Sicht verlassen. »Aber das gilt nicht für den Hof. Was auch immer die Menschen in Scharen sterben lässt, es hört nicht auf.«
Hades’ Verlegenheit verschwindet und wird durch akademische Neugier ersetzt, die mich daran erinnert, wie fesselnd ich diesen Blick fand, wie fasziniert ich von seiner Faszination war, als wir so viel Zeit zusammen in der Bibliothek verbracht haben.
»Ach ja? Wissen wir, was es ist?«
»Wir haben keinen Schimmer. Was sollen wir tun?«, frage ich, und es ist mir nicht peinlich, dass ich keine Ahnung habe. Meine neu entdeckten Kräfte werden mir nicht das Wissen über diese Welt vermitteln, das Hades mit der Zeit durch seine Forschungen erworben hat.
»Nun.« Er denkt einen Moment nach. »Wir müssen herausfinden, was da geschieht und warum, wenn wir die anderen Höfe dazu bringen wollen, etwas zu unternehmen. Ich nehme an, Hermes ist durch den Zustrom von Seelen zu beschäftigt, um das zu untersuchen.«
Ich nicke.
Er atmet ein, dann sieht er mich mit einer Miene an, die sagt, dass mir nicht gefallen wird, was er gleich vorschlagen wird. »Erinnerst du dich, was mir im Krieg passiert ist?«
Ich bin bestürzt. »Natürlich.«
»Der Helm der Finsternis. Dass ich zum Spionieren losge–«
»Nein«, sage ich schnell. »Du kannst nicht an die Oberfläche.«
»Warum nicht?«
Ja, warum nicht? Weil ich nicht will, dass er mich hier unten allein lässt? Oder weil ich an seiner Seite sein will, egal wohin er geht – und das aus denselben Gründen nicht kann wie Hermes? Den Hof jetzt zu verlassen würde nur alles noch schlimmer machen.
Aber außerhalb dieses Reichs könnte ihm etwas zustoßen.
Vielleicht begreift er, dass das meine Hauptsorge ist, denn er lächelt mich beruhigend an.
»Persephone heißt Chaosstifterin«, sagt er. »Weißt du, was Hades bedeutet?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Der Ungesehene«, sagt er und lässt illusorischen Rauch um seine Hand wirbeln, bis sie ganz verschwindet. »Alles wird gut. Keine Sorge.«
»Ich werde dich vermissen«, gebe ich zu, und er starrt mich einen Moment an, seine Haltung verändert sich. Er richtet sich auf, als würde er sich gegen was auch immer für Gefühle zur Wehr setzen. Und dann lässt er die Schultern sinken, als gäbe er ihnen nach.
»Ich bin sicher, du kommst perfekt ohne mich zurecht, Persephone.«