Als Papa mir die Haustür öffnete, staunte ich nicht schlecht. Weil er unter der Woche eigentlich den ganzen Tag im Büro sitzt.
Während er mir ein Pflaster auf den Wuschelbiss klebte, erklärte er: »Im Büro ist diese Woche nicht viel zu tun, während Mama in der Schule kaum hinterherkommt. Also bin ich jetzt für euer Mittagessen zuständig.«
Das war mal eine gute Nachricht. Papa kocht nämlich lecker. Ich setzte mich zu Finn und Jonas an den Küchentisch.
Gutgelaunt plapperte Papa weiter: »Und da Oma und Opa mich gebeten haben, Efeu und Gestrüpp an der Mauer zu entfernen, kann ich das diese Woche total stressfrei an den Nachmittagen erledigen.«
Da bimmelte schon ein kleines Alarmglöckchen in meinem Kopf.
Ich fragte: »Wie jetzt? Wo schneidest du den Efeu an der Mauer? Doch wohl nicht bei uns am Schuppen?«
»Hinten am Schuppen fange ich sogar an«, erklärte Papa. »Da wuchert es ja am stärksten. Irgendwann kracht noch die Mauer zusammen.«
Da war es bei mir vorbei mit dem Appetit. Wegen unserem Mauerübergang. Und wegen Kalli. Den durfte Papa auf keinen Fall entdecken.
Ich sagte schnell: »Das Efeu an der Schuppenmauer schneiden wir selbst. Da brauchst du überhaupt nichts zu machen.«
Papa lachte. »Das ist lieb gemeint, Tilda-Schatz. Aber da muss ich ran. Die Mauer ist ja viel zu hoch für euch Kinder. Und jetzt iss auf.«
Ich konnte aber nicht mehr essen. Wie sollten wir denn ungesehen zu Herrn Bovist kommen, wenn Papa den ganzen Nachmittag am Schuppen Efeu und anderes Grünzeug schnippelte? Und wo sollte ich Kalli verstecken?
Papa plapperte weiter: »Ihr Kinder könnt mir allerdings beim Zusammenrechen des abgeschnittenen Efeus und Gestrüpps helfen. Das wäre prima!«
»Wir haben Fußballtraining«, sagte Jonas.
»Wie jeden Montag«, erklärte Finn.
»Ich kann auch nicht«, sagte ich schnell. Ich musste Kalli wegschaffen, und zwar flott.
Jetzt guckte Papa betrübt.
»Und da Leni bis spät Schule hat, bin ich wohl ganz allein«, sagte er seufzend. Und räumte das dreckige Geschirr in die Spülmaschine.
Als kurz darauf Anni klingelte, raunte ich ihr zu: »Komm mit in den Keller.«
Erstaunt folgte sie mir.
»Wir suchen eine Strickleiter«, klärte ich sie unten auf. »Finn und Jonas hatten mal eine. Die liegt bestimmt noch irgendwo hier unten rum.«
»Oje!«, machte Anni und schaute sich in dem vollgestopften Kellerraum um. »Und warum suchen wir eine Strickleiter?«
Schnell erzählte ich ihr von Papas Plänen.
»Kalli muss weg«, sagte Anni sofort. »Er braucht ein neues Versteck.«
»Eben!«, rief ich. »Deshalb müssen wir vor Papa am Schuppen sein. Und wir brauchen einen neuen Übergang zu Herrn Bovist. An einer anderen Stelle der Mauer. Weit weg von Papa.«
»Und warum nehmen wir nicht die Holzleiter?«, fragte Anni.
»Weil Papa die natürlich braucht«, erklärte ich.
Anni fragte weiter: »Und warum nehmen wir nicht einfach Herrn Bovists Eingangstor, um ihn zu besuchen?«
»Na, weil jemand sehen könnte, wie wir in Herrn Bovists Garten verschwinden«, antwortete ich. »Zum Beispiel Tante Ilse. Die hat ihre Augen ja überall. Und dann ist der Teufel los!«
Herr Bovist gilt in der ganzen Nachbarschaft als merkwürdiger und unheimlicher alter Kauz. Weil keiner ihn und sein Geheimnis kennt, ist ja klar.
Also kramten wir uns durch den Krempel im Keller.
Mama und Papa wollen immer einen Flohmarkt mit unseren aussortierten Sachen machen. Es hat aber noch nie geklappt. Für uns war das jetzt mal praktisch.
Anni presste immer wieder ihre Hände auf die Ohren. »Kannst du vielleicht leiser kruschteln?«, fragte sie dann. Und natürlich gab ich mir Mühe und wühlte etwas leiser.
»Ha!«, rief ich nach einer Ewigkeit und zog die komplett verwurstelte Strickleiter aus einem Karton mit Sandspielzeug.
»Das wird aber eine wackelige Angelegenheit«, bemerkte Anni.
»Es ist ganz leicht, du wirst schon sehen«, sagte ich.
Oben im Flur stand Papa in einer löchrigen, dunkelblauen Latzhose.
»Weiß jemand, wo meine Handwerkerschuhe sind?«, fragte er in die Runde.
»Schau doch mal im Keller«, antwortete Anni. »Ich glaube, ich hab da welche gesehen.«
Papa verschwand in den untersten Stock.
Jetzt polterten die Zwillinge in Fußballklamotten in den Flur.
»Haha!«, machte Finn und zeigte auf Annis Mützenkopf. »Du ziehst das mit dem Mützenungetüm knallhart durch. Im Hochsommer! Der helle Wahnsinn!«
Dann fiel sein Blick auf die Strickleiter in meiner Hand.
»Was machst du mit unserer Strickleiter?«, fragte er.
»Die hab ich im Keller gefunden«, antwortete ich. »Vielleicht probieren wir sie irgendwann mal aus.«
Finn und Jonas starrten uns an. »In Opas Garten?«, fragte Jonas. »An der Mauer?«
»Quatsch mit Soße«, sagte Anni.
Leider wussten die Zwillinge von Herrn Bovists Garten. Weil sie die ersten Male mit in den verwilderten Dschungel gestiegen waren. Aber von den Zauberblumen und der Freundschaft zu Rupert und Herrn Bovist wussten die beiden nichts. Und so musste es auch unbedingt bleiben.
»Ist ja sehr interessant«, bemerkte Finn. »Wir werden eure Strickleiterversuche im Auge behalten.«
Ältere Brüder können einem so was von auf die Nerven gehen.
»Wir müssen los«, sagte Jonas und schubste Finn zur Haustür.
Im Keller rumpelte es.
Ich stopfte die Strickleiter in meinen Rucksack. »Papa findet nie etwas«, raunte ich Anni zu. »Wir haben also einen kleinen Vorsprung!«
Im Schweinsgalopp flitzten wir zum Garten meiner Großeltern.