Nein, hier geht es nicht um die klassischen Zwillinge, auch wenn du nach der ersten Kurzgeschichte gedanklich noch beim Thema Babys bist. Es geht um sogenannte Digitale Zwillinge, also vielmehr um eine digitale Kopie des Menschen. In dieser Kurzgeschichte geht es um Anton, der einen personalisierten Avatar als ein Abbild von sich selbst für die virtuelle Welt erstellen ließ. Sein Avatar konnte entweder ein Fantasiewesen sein oder eine fotorealistische Kopie von ihm selbst. Der Name „Avatar“ stammt aus dem Sanskrit und bezeichnet das Annehmen einer irdischen Gestalt durch eine Gottheit. Im Dezember 2009 erschien die mit einem Produktionskostenbudget bis dahin teuerste Filmproduktion aller Zeiten unter dem Titel „Avatar – Aufbruch nach Pandora“. Ende des Jahres 2022 begeisterte Avatar 2 (The Way of Water) erneut die Menschen in den Kinos und wurde zum Mega-Hit in Deutschland. Ein weiteres Beispiel für Avatare ist der schon etwas ältere Film „Surrogates – Mein zweites Ich“ aus dem Jahr 2009 mit Bruce Willis. Der Film handelt davon, dass die Menschen gar nicht mehr das Haus verlassen, weil das normale Leben außerhalb der eigenen Wände zu gefährlich ist. Hier nehmen menschenähnliche Roboter, die aus der virtuellen Realität heraus gesteuert werden, am sozialen Leben teil und gehen z. B. für die Menschen arbeiten, die gleichzeitig zu Hause sind. Und in dem Spielfilm „Ex Machina“ aus dem Jahr 2015 verliebt sich ein junger Webprogrammierer in eine menschenähnliche Roboterfrau. Es ging hierbei um die Konstruktion einer Frau und den Wert der Menschlichkeit an sich und gleichzeitig darum, dass die Grenzen zwischen Mensch und Maschine zunehmend schwinden und Digitale Zwillinge in der Zukunft keine Science-Fiction mehr sein werden.
Anton hat sich für ein fotogetreues virtuelles Abbild von sich selbst entschieden. Er nutzt seinen Avatar, den er liebevoll AntonX2 nennt, für seine Aufklärungs- oder Nachsorgegespräche beim Arzt und im Krankenhaus. Schon heute bieten ihm Ärzte und Kliniken an, mithilfe einer VR-Brille oder per Screen auf seinem Smartphone oder Laptop spielerisch in Kontakt zu treten. Er konnte sich als Avatar vorab sein Krankenhaus und sein Zimmer anschauen und sich auf diese Weise gut vorbereiten und seine Angst etwas eindämmen. AntonX2 spricht mit seinem virtuellen Arzt, ebenfalls als fotorealistischer Avatar, der in der virtuellen Arztpraxis auf ihn wartet, um seine Fragen zu beantworten. Im Moment noch live, aber in Zukunft wird der Arzt mit einem Chatbot ausgestattet sein, der die Kommunikation übernimmt. Dann kann Anton alias AntonX2 so lange mit seinem automatisierten Arztavatar sprechen, bis wirklich alle seine Fragen geklärt sind und sogar noch einen langen Smalltalk führen. AntonX2: „Haben Sie noch einen Medizin-Witz auf Lager?“ Virtueller Arzt: „Ab wann erkennt man, ob man mit einem echten menschlichen Arzt oder einem Chatbot-Arzt spricht? (… Denkpause …) Nach 3 Minuten, dann ist nur noch der Chatbot da.“ Insgesamt werden Anton damit viele Wege und unnötige Wartezeiten erspart. Wenn er krank im Bett liegt, kann er von dort aus mit einer Brille die ganze Welt bereisen oder sich mit Freunden treffen, ohne das Haus zu verlassen. Seine Großmutter Antonella, die im Pflege- bzw. Altenheim lebt, kann sich so mit ihm öfter virtuell zu Kaffee und Kuchen treffen, was sonst nicht möglich wäre, da Anton nach seinem Studium weiter weggezogen ist. Antonella kann zudem vom Heim aus Weltreisen unternehmen, in die Vergangenheit zurückreisen und so jederzeit wieder in eine gewohnte Umgebung zu Hause eintauchen. Und da kommt auch der kritische Blick auf das Thema. Wirst du in Zukunft dich selbst, deine Großeltern oder Haustiere einscannen, um diese auch im Metaverse treffen zu können? Wirst du dazu verführt werden, dich wie im erwähnten Film Surrogates dem Eskapismus, also der Flucht aus der Realität, auszuliefern und so immer realitätsferner zu leben? Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Technologie einen Nutzen für Menschen wie Anton bringen wird oder eine einfache Spielerei bleibt.
Als smarter Patient kannst auch du zukünftig hiervon profitieren. In Zukunft wirst du z. B. bei Ängsten, Süchten, mentalen Problemen oder Schmerzen den Nutzen von Virtueller Realität erfahren können. So zum Beispiel als Flugangst-Patient, der in einem virtuellen Flugzeug sitzt, um so mit seinen Befürchtungen konfrontiert zu werden. Gemeinsam mit deinem Therapeuten wirst du in die virtuelle Welt eintauchen und langsam an die jeweiligen Situationen herangeführt. Und zwar unter Anleitung des Therapeuten, der sich meistens auch als Avatar in deiner virtuellen Welt bewegt. Wenn du eine Sucht bekämpfen willst, wirst du beispielsweise durch deine virtuelle Lunge oder Leber laufen und verstehen, welche Veränderungen du mit dem Konsum von Zigaretten oder Alkohol in deinem Körper bewirkst. Bei mentalen Problemen wirst du vielleicht deinen eigenen digitalen Zwilling von außen betrachten und kurieren. Bei Schmerzen können gegebenenfalls künftig Medikamente niedriger dosiert oder gar teilweise ersetzt werden. Das wäre etwa bei Rheuma denkbar. Statt eine Pille gegen Schmerzen zu schlucken, liegt der Patient am virtuellen Strand unter der Sonne und genießt die Wärme. Oder jemand mit Sonnenbrand oder einer Verbrennung läuft gerade über die Zugspitze und befindet sich in einer eiskalten Umgebung. Es ist heute bereits bekannt, welche starken Effekte Placebos in der Medizin haben. Durch das Eintauchen in die virtuelle Welt, die mit auditiven, visuellen und künftig auch zunehmend haptischen Elementen ausgestattet ist, ist davon auszugehen, dass es durch die Immersion (die virtuelle Umgebung wird als real empfunden) einen positiven Effekt auf die Gesundheit in der analogen Welt geben kann. Durch das Embodiment nehmen sie einen virtuellen Körper an und bewegen sich mit diesem.
Dieser Effekt funktioniert auch im Bereich der Rehabilitation. Hier kannst du als Patient bestimmte Spiele spielen, die deine motorischen Fähigkeiten verbessern und sogar in deinem Gehirn neue Nervenbahnen aktivieren, wenn bei Lähmungen die ursprünglichen Übertragungswege nicht mehr funktionieren. Mit deinem virtuellen Körper können auf diese Weise Handicaps ausgeglichen werden. So kannst du wie Antonella und Anton zusammen Tennis spielen, da in der virtuellen Welt die Geschwindigkeit und Größe des Balles auf der Seite der Großmutter verändert werden können. Durch die aktivierende und motivierende Funktion kann es zu einem positiven Effekt in Beziehungen und Behandlungen kommen.
Die Technologie findet von der Gaming-Industrie aus Einzug in verschiedene Bereiche wie auch das Gesundheitswesen und die Medizin. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis virtuelle Realitäten für das Gesundheitswesen zum neuen Standard werden. Zum Beispiel werden Avatare auch in der Ausbildung von Ärzten genutzt, um auf diese Art und Weise bestimmte stressige Situationen mit Patienten zu simulieren und ein Feedback zu bekommen, wie sich der eigene Arztavatar in der Simulation verhalten hat. Die Virtuelle Realität wird somit gerade in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Medizinern eine zentrale Rolle einnehmen. Durch das Eintauchen in die virtuelle Welt und die damit einhergehende Immersion wird der Lernerfolg deutlich höher sein, wie es bereits einige Studien aus verschiedenen Settings wie beispielsweise virtuelle Labore gezeigt haben. Und das wiederum kommt dir als smarter Patient zugute.
TAKEAWAY-MESSAGE
In Zukunft kannst du mit deinem digitalen Zwilling Menschen auf der ganzen Welt treffen. So entsteht eine digitale Parallelwelt im Metaverse, in der du dich in Form eines Avatars bewegen kannst oder eine andere Identität annimmst. Diese Technologie wird dich auch im Gesundheitswesen begleiten, sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie und Nachsorge. Einen Avatar im Metaverse zu haben, gehört in Zukunft einfach dazu und wird dir die Kommunikation im Gesundheitswesen deutlich erleichtern und vor allem viel Zeit sparen. Und wie du dich im Metaverse präsentierst, wenn du zum Arzt gehst, das kannst du in deinem digitalen Kleiderschrank mit unendlichen Kombinationen selbst entscheiden.
Bonde, M. T., Makransky, G., Wandall, J., Larsen, M. V., Morsing, M., Jarmer, H., & Sommer, M. O. (2014). Improving biotech education through gamified laboratory simulations. Nature biotechnology, 32(7), p. 694.
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