Ernährung digital – erst ein Foto, dann lauwarmes Essen

Rund neunzig Prozent der Menschen in Deutschland besitzen ein Smartphone. Wann hast du das letzte Mal das Haus ohne Handy verlassen? Vielleicht genauso oft, wie du auch Schlüssel, Portemonnaie und Mund-Nasen-Schutz während der Corona-Phase zu Hause vergessen hast. Für Timo ist das Gerät nicht mehr wegzudenken. Dabei rückt der Aspekt des mobilen Telefonierens für ihn schon fast in den Hintergrund, wenn man die zahlreichen Funktionen gedanklich durchgeht: Musik hören, Filme und Videos ansehen, Nachrichten austauschen, Fotos erstellen und bearbeiten, Navigation etc. Insbesondere gesundheitsrelevante Angebote (Lifestyle- und Health-Apps) sind auf dem Vormarsch. Nicht verwunderlich, denn sowohl die Zahl der chronischen Erkrankungen (Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2 oder Herz-Kreislauf), als auch Nahrungs- und Lebensmittelallergien haben deutlich zugenommen. Wenn du Allergiker bist oder an einer chronischen Erkrankung leidest, musst du gewisse Aspekte deiner Ernährung beachten. Eventuell benötigst du bestimmte Nahrungsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel. Vielleicht musst du aber auch auf den einen oder anderen Zusatzstoff verzichten. Hier den Überblick zu bewahren, ist ohne eine intelligente Hilfe sehr anspruchsvoll und zeitintensiv. Ernährungs-Apps bieten Abhilfe und ermöglichen dir beispielsweise, Kochrezepte auf deine Bedürfnisse abzustimmen. Neben Rezepten kannst du dir auch via QR-Code mitten im Lebensmittelgeschäft die Inhaltsstoffe des ausgesuchten Produkts anzeigen lassen. Das schließt automatisch aus, dass du unwissentlich gesundheitsgefährdende Stoffe zu dir nimmst, vor allem, wenn du diese zuvor in der App notiert hast. Ebenfalls stellen Apps auch für bestimmte Ernährungstypen wie Veganer, Frutarier, Pescetarier, Vegetarier usw. Rezepte zusammen und orientieren sich somit am neuen Gesundheitsbewusstsein unserer Gesellschaft. Die Entwicklungen der Ernährungs-Apps gehen noch weiter. Du machst ein Foto von deinem Essen und die App blendet hierzu interessante Angaben ein. So siehst du, wie sich beispielsweise Nährstoffe zusammensetzen oder wie hoch die Kalorien deiner Mahlzeit sind. Des Weiteren helfen dir Ernährungs-Apps dabei, dein Bewusstsein für das eigene Körpergewicht zu steigern. Hierzu werden Ernährungstipps zur Gewichtsreduzierung oder eine Erinnerung an das ausreichende Trinken von Wasser auf deinem Display angezeigt. Die Gegenüberstellung deiner Gesundheitsziele mit den Ergebnissen der gesammelten Daten bietet nicht nur dir Kontrollmöglichkeiten, sondern den Ärzten eine effizientere Betreuung und Behandlungsplanung. Doch nicht alle Apps funktionieren einwandfrei. Nicht immer sind Ernährungsinformationen oder Handlungsempfehlungen der Apps unabhängig, korrekt, aktuell und damit vertrauenswürdig. Deshalb lohnt es sich, vor dem Herunterladen Informationen zu der angedachten App zu lesen.

Der Ernährungstrend wird begleitet vom sogenannten Food-Trend, der aus reinem Verlangen nach Selbstdarstellung entstanden ist. Essen ist einer der besonders wichtigen Indikatoren für Gruppenmitgliedschaft und soziale Milieus, denen man angehört oder angehören möchte. Die Gesellschaft leitet daraus ab, welcher sozialen Schicht jemand zugehört. Forscher nehmen sogar an, dass selbst Politiker sogenannte Food-Pictures nutzen, um einen gewissen Status nach außen hin zu präsentieren. Einerseits wird symbolisiert, was sich jemand an Nahrungsmitteln und deren Qualität leisten kann, andererseits kann damit auch die Verbundenheit zur Gesellschaft und das Nachhaltigkeitsbewusstsein ausgedrückt werden. Laut diversen Umfragen hat jeder dritte Deutsche schon einmal sein Essen abgelichtet. Gehörst auch du dazu? Wenn nicht, kannst du dich ja mal in den sozialen Medien umschauen. Allein auf Instagram findet man unter dem Hashtag „#foodporn“ mittlerweile eine dreistellige Millionenzahl von Bildern. Obwohl das Fotografieren dazu führt, dass das Essen nicht selten lauwarm, manchmal sogar kalt eingenommen wird, haben Forscher herausgefunden, dass das fotografierte Essen für mehr Genuss und einen besseren Geschmack sorgt. Deswegen macht Timo es regelmäßig: Essen fotografieren und sich später noch daran erfreuen. Wie lange das sogenannte Foodporn-Phänomen anhält, hängt von den Likes ab, die die Macher zum Weitermachen bestärken. Du kannst es bei der nächsten Mahlzeit gerne mal selbst ausprobieren und dir eine Meinung dazu bilden. Eine weitere interessante Entwicklung ist, dass viele der erwähnten Ernährungs-Apps selbst gemachte Bilder nutzen, um dir die Nährwerte anzuzeigen und diese mit deinen Ernährungszielen abzugleichen.

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Essen gehört unzweifelhaft zur Achtsamkeitslehre. Achtsames Verhalten in Bezug auf Nahrung zeigt sich im Alltag unzweifelhaft viel zu selten. Daher ist es eine andere Form des Genusses, wenn man sich vorab mit der Speise auseinandersetzt. Aber ist es deshalb sinnvoll, jede Mahlzeit abzulichten und anschließend auf Likes zu warten? Wäre es nicht sinnvoller, erst dann ein Bild deiner Mahlzeit zu machen, wenn du weitere Informationen zu den Nährwerten erhältst? Eventuell sogar eine Warnung, wenn du vorab in die App bestimmte Krankheitsbilder und Unverträglichkeiten eingetragen hast? Vielleicht ist es dann verständlicher, wenn man wegen eines Schnappschusses seine Mahlzeit lauwarm zu sich nehmen muss.

Literatur:

DGE (2019). Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Ernährungsverhalten und -beratung aus?, Presse, DGE aktuell 19/2019, URL: https://www.dge.de/presse/pm/wie-wirkt-sich-die-digitalisierung-auf-ernaehrungsverhalten-und-beratung-aus/, Abruf 01/2023.

Klostermeier, T. (2019). Studie zeigt: So gut kann man mit Ernährungs-Apps abnehmen, URL: https://curved.de/news/studie-zeigt-so-gut-kann-man-mit-ernaehrungs-apps-abnehmen-647788, Abruf 01/2023.

Rothaas, J. (2019). Schmeckt uns das Essen nach dem Fotografieren wirklich besser?, sueddeutsche, 2019, URL: https://www.sueddeutsche.de/digital/essen-instagram-posten-1.4402134, Abruf 01/2023.

Universität Konstanz, DAL (2020). Was bringen Ernährungs-Apps?, URL: https://www.wissen.de/was-bringen-ernaehrungs-apps, Abruf 01/2023.

Weiß, R. (2018). Ein Psychologe erklärt: Darum fotografieren so viele Menschen ihr Essen, 2018, URL: https://www.stern.de/neon/wilde-welt/foodporn--warum-wir-unser-essen-eigentlich-fotografieren-7879792.html, Abruf 01/2023.