Bewegung digital – den analogen Schweinehund bekämpfen

Du fragst dich an der Stelle vielleicht, ob die Digitalisierung nicht besser vor dem Fitnessstudio halt machen sollte, schließlich kann man sein Smartphone im Umkleidespind einschließen und den Sport dazu nutzen, um den vielfach erhofften Abstand vom schnellen und digitalen Leben zu bekommen. Kann man, es geht aber auch anders. So auch Dennis, der ohne Smartphone erst gar nicht ins Fitnessstudio geht. Als die internationale Leitmesse für Fitness und Bodybuilding (FIBO) im Jahr 1985 das erste Mal eröffnete, hing noch das Bodyidol Arnold Schwarzenegger an den Wänden. Fitnessstudios waren damals noch der Ort, bei dem die einzige Informationsübertragung über das Spiegelbild auf die stählernen Körper und das dudelnde Radio Madonna, Prince und Falko erfolgte. Heute ist die FIBO in Köln eine internationale Leitmesse für Fitness, Wellness & (digitale) Gesundheit. Fitness ist immer noch ein Statussymbol. Gesundheit ist heute aber wichtiger als Bizeps. Und smartes Training ist wichtiger als Anabolika.

Die Fitnessbranche zählt zu den weltweit am stärksten wachsenden Branchen. In der Wachstumsanalyse zeigt sich zudem ein Wandel von dem klassischen Training hin zu sportmedizinischen Fitnessstudios (Medical Fitness). Und darüber hinaus auch ein Wandel zwischen analogem Selbstexperiment an der Hantelstange hin zu einem durch Maschinen angeleiteten Training. Durch die gestiegene Souveränität der Fitnesskunden, das ausgedehnte Bewusstsein für Selbstbestimmung und die neuen Möglichkeiten digitaler Informationsbeschaffung und -nutzung ist der Trend zu Medical Fitness gestiegen. Gerade die Bewegung spielt im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention eine Schlüsselrolle in der Gesundheitsversorgung. Konkret existieren epidemiologische Daten, die sowohl eine Absenkung des Herz-Kreislauf-Risikos, aber auch des Krebsentstehungsrisikos zeigen. Darauf aufbauend weisen nationale und internationale Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Wichtigkeit von Bewegung im Bereich der Primärprävention hin. Dabei ist die Dosis der Bewegung entscheidend; dies bedeutet, dass ein gewisses Maß an Bewegung geleistet werden muss, um tatsächlich z. B. das Herzinfarkt- und Krebsrisiko zu senken. Durch die digitale Transformation der Fitnessbranche entstehen neue Möglichkeiten, um die Bewegung messbar zu machen und dadurch auch für dich zu bewerten. Gleichzeitig ermöglicht die konsequente Integration epidemiologischer medizinischer Studienergebnisse eine Visualisierung des Trainingserfolges im Hinblick auf eine Verringerung von Erkrankungsrisiken. Dadurch kann ein Zusatznutzen sowohl für dich persönlich, aber auch aus der Perspektive der Gesellschaft entstehen.

Ein neues Jahr beginnt meist mit selbst gesetzten Vorsätzen, wie beispielsweise einer höheren sportlichen Aktivität im Vergleich zum Vorjahr. Jedoch gibt es auch immer wieder viele Gründe, warum man die Joggingschuhe dann doch im Schrank stehen lässt und die guten Vorsätze lieber auf die zweite Jahreshälfte verschiebt. Gehörst du wie Dennis eher zur Kategorie Sportmuffel oder kennst du den Anblick von ausgefransten Schnürsenkeln? Natürlich weißt du, dass Bewegung gut für dich ist, allerdings gibt es zwischen Theorie und Praxis einen großen Unterschied. Es erreicht schließlich nur ungefähr jeder zweite Deutsche laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein ausreichendes Aktivitätsniveau. Und ganz im Ernst, wenn Bewegung beim Arzt verschrieben werden könnte, wäre diese wohl das am häufigsten verschriebene Arzneimittel.

Wusstest du, dass du durch regelmäßige Bewegung sogar dein Erbgut stabilisieren kannst, sodass das Entstehungsrisiko von Krankheiten wie Krebs gesenkt werden kann? Das ist ein Prinzip, das auch von der Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn erforscht und bestätigt wurde. Denn jede Körperzelle enthält 46 Chromosomen, auf denen deine Erbinformationen gespeichert sind. Du kannst dir die Chromosomen bildlich wie Schuhbänder vorstellen. An den Enden der Schuhbänder befinden sich Verstärkungen aus Plastik, die ein Ausfransen verhindern. In der Medizin werden diese Verstärker Telomere genannt. Diese dienen als biologische Uhr und zeigen das Zellalter an. Im Gegensatz zum Lebensalter (die Uhr tickt immer gleich) können Telomere langsamer und schneller altern, oder sogar stehen bleiben und somit nicht weiter altern. Somit können diese Telomere als Schutzkappen der Chromosomen gesehen werden. Je älter du wirst, desto kürzer werden diese Schutzkappen und umso anfälliger wirst du für Erkrankungen. Durch deine Lebensweise kannst du deinen Alterungsprozess zumindest teilweise selbst beeinflussen. Und genau hier setzt die Digitalisierung an. Mithilfe von Gesundheits-Apps kannst du deine Bewegung erfassen, und dazu gehören eben auch moderate Bewegungen wie Fensterputzen oder Autofahren. Die Einstufung der einzelnen Bewegungsformen basiert auf der in der Sportmedizin üblichen internationalen Klassifikation – dem Metabolischen Äquivalent (MET). Mithilfe von Wochenzielen kannst du – wie bei Weight Watchers hinsichtlich des Gewichtes – Punkte sammeln, deine Bewegung digital darstellen und so die individuelle Krebswahrscheinlichkeit aktiv verringern. Das besonders Interessante daran ist, dass du selbst etwas aktiv gegen Krebs tun kannst und nicht nur passiv behandelt wirst.

Aus der Literatur sind verhaltensökonomische Ansätze bekannt, die darauf hinweisen, dass sich das Verhalten von Menschen hinsichtlich ihrer Zielsetzung als auch der Einhaltung von Vereinbarungen steigern lässt, beispielsweise durch Motivation. Und wieso sollte das bei Sport anders sein? Doch was bedeutet das alles für dich? Im Folgenden sind ein paar konkrete Beispiele aufgeführt. Bevor du zum Sport gehst, nimmst du das Wichtigste mit. Vielleicht hast du auch schon einen Fitnesstracker am Handgelenk. So können Schritte, bewältigte Treppen, Puls und Blutdruck und mittlerweile auch ein Elektrokardiogramm (EKG), das Herzschlagvolumen, der Sauerstoffgehalt oder z. B. Blutzuckerwerte angezeigt werden. Die Liste messbarer Parameter lässt sich noch deutlich erweitern. Auf diese Weise hast du während des Fitnesstrainings und vielleicht auch schon davor und danach alle Werte im Blick. Mit dem Gummibändchen um das andere Handgelenk loggst du dich an der Kasse ein und bezahlst am Fitness-Automaten deinen Eiweißshake, bei dem die genaue Grammzahl des Eiweißes auf dich bereits abgestimmt ist – auch dafür braucht es heute kein Personal mehr in den Studios. Du rufst auf deinem Smartphone deinen digitalen Trainingsplan auf und siehst weiterhin, dass einer deiner beiden besten Freunde heute schon trainiert hat und der andere sich derzeit ebenso beim Training befindet. Dies könnte dich dann noch einmal motivieren, dein Tagesziel zu erreichen. Erinnerst du dich noch an die gute Zeit, als man im Fitnessstudio zwischen den Geräten herumgeirrt ist und mal hier, mal da sein Handtuch auf ein Gerät, das einem als passend zur Muskelgruppe erschien, legte und das ungefähre Gewicht auflegte? Auch diese Zeit ist vielerorts vorbei. Heute loggst du dich mit deinem Bändchen beim Circle-Training ein, und die Maschine stellt sich automatisch auf deine gespeicherten Werte ein. Du hast nun je eine Minute je Trainingseinheit und eine Minute Pause zwischen den Geräten, während alle synchron um dich herum trainieren. Aber auch die Bewegungen selbst werden auf einem großen Bildschirm vor dir angezeigt, sodass du die Übungen gut verständlicher nach Anleitung durchführen kannst (z. B. in dem du eine Kugel durch eine virtuelle Bahn mit ihrer Kraft und Geschwindigkeit manövrierst) und deine Scores und Vergleichswerte vor dir digital angezeigt hast. Während du trainierst, strengst du dich besonders an, weil du auf der virtuellen Rangliste dieser Übung schließlich deinen Platz verteidigen willst und dazu die notwendigen Punkte einsammeln musst. Das ganze Training wird mit Mittelwerten und Statistiken angereichert sowie einer schier unzähligen Anzahl an Erklärvideos, Ernährungstipps, silbernen und goldenen virtuellen Pokalen und Grußbotschaften deines virtuellen Gesundheitstrainers.

Das ist aber sicherlich alles nur der Anfang des Einzuges der Digitalisierung in die Fitnessbranche. Um deinem analogen Schweinehund zu begegnen, kannst du dich künftig eines virtuellen Personal-Trainers bedienen, den du dir auch leisten kannst. Und einen Termin musst du auch nicht mit ihm ausmachen, denn er ist im Grunde genommen bereits in deiner Jogginghose. Dein innerer Schweinehund wird gegen den Terminator in deinem Smartphone keine Chance haben. Spätestens seitdem du die Elektrische Muskelstimulation (EMS) kennst, ist dir klar geworden, dass du (nach Angaben der Anbieter) einen maximalen Trainingseffekt mit minimalem Zeitaufwand haben kannst.

Aber es geht in Zukunft vielleicht auch noch ganz anders. Dennis setzt sich zu Hause eine Virtual-Reality-Brille auf und trainiert an einem Strand in Thailand mit seinem prominenten Lieblingssportler als Personal Coach. Dieser hat eine Künstliche Intelligenz und einen Chatbot, gibt Antworten auf seine Fragen und spornt ihn zudem bei jeder Bewegung an. Wem das nicht genügt, der sieht sein eigenes zukünftiges untrainiertes „digitales Ich“ in ein paar Jahrzehnten einen Burger essen und weiß spätestens dann, warum er sich heute zu Hause oder im Studio quält.

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Digitale Transformation ist auch in der am stärksten wachsenden Branche, dem Fitnessmarkt, angekommen und revolutioniert das klassische Training. Es gibt inzwischen zahlreiche neue und innovative Möglichkeiten, die eigene Fitness digital im Blick zu haben und die Leistungsfähigkeit zu optimieren. Das zahlt sich aus, denn wissenschaftliche Studien belegen, dass es sich lohnt, den „inneren Schweinehund“ zu überwinden. Wenn du dich an deinen Fitnessplan hältst, dann kannst du das Risiko minimieren, an bestimmten Krankheiten zu erkranken. Doch ganz egal, ob du den neuen und innovativen Fitness-Trends folgst oder klassische Kniebeugen und Liegestütze machst: Bewegung tut gut und stärkt unser Immunsystem.

Literatur:

Geidl, W., Schlesinger, S., Mino, E., Miranda, L., Ryan, A., Bartsch, K., Janz, L. & Pfeifer, K. (2019). Dose–response relationship between physical activity and mortality in people with non-communicable diseases: a study protocol for the systematic review and meta-analysis of cohort studies. BMJ open, 9(9), e028653.

Blackburn, Elizabeth, and Elissa Epel. Die Entschlüsselung des Alterns: Der Telomer-Effekt-Von der Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn. Mosaik Verlag, 2017.

Hardey, M. (2019). On the body of the consumer: performance-seeking with wearables and health and fitness apps. Sociology of health & illness, 41(6), pp. 991-1004.

Orlemann, T., Sperber, K., Reljic, D., Herrmann, H. J., Meyer, J., Atreya, R. & Zopf, Y. (2018). Einfluss von körperlichem Training in Form von Ganzkörper-Elektromuskeltstimulation (WB-EMS) und individueller Ernährungstherapie auf Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung: Ausblick einer kontrolliert randomisierten Pilotstudie. Zeitschrift für Gastroenterologie, 56(08), KV-048.