Heutzutage verbringen zahlreiche Kinder genauso viel Zeit mit Computerspielen wie in der Schule. Was keine große Kunst ist, wenn deren Babysitter „Smartphone“ und „Flatscreen“ heißen und man gegenüberstellt: pro Tag sechs Stunden Unterricht und sechs Stunden spielen. Zudem können Jugendliche auch noch das Wochenende nützen, um einen Vorsprung gegenüber der Lernzeit herauszuspielen. Was in all den verspielten Stunden, wohl Milliarden jeden Tag, Produktives für die Welt geschaffen werden könnte? Wie viel Erholung den Menschen durch die spielerische Onlinepräsenz entgeht? Oder wie es zweckoptimistische Pazifisten formulieren könnten: „Wie viel Leid den Menschen erspart bleibt?“ Wer spielt, hat keine Zeit zu töten!
„Spiele gibt es zu spielen viele“, wie schon die Wiener Poplegende Falco bereits 1982 in seinem Lied „Helden von Heute“ bemerkte. Manche spielt man bequem auch unterwegs auf seinem Handy, andere erfordern das Hantieren mit Spielkonsole, Fernbedienung und einem möglichst überdimensionalen Bildschirm. Manche Spiele sind in wenigen Sekunden vorbei, bei anderen steckt man auch nach 24 Stunden noch in den Babyschuhen. Dazwischen ist selbstverständlich vieles möglich.
Ein Onlinespiel hat das letzte Jahrzehnt besonders geprägt. Auch wenn „World Of Warcraft“ mittlerweile nicht mehr diesen Status hat, beteiligen sich immer noch Millionen Teilnehmer an dem Rollenspiel. Zu Spitzenzeiten verbrachten über zwölf Millionen Abonnenten ihre Zeit damit. Sie wurden in den Sog von Fantasywelten gezogen, in denen es gilt, als Orc, Zwerg, Troll, Nachtelf oder als andere Fabelwesen Monster zu bekämpfen und in neue Gefilde und Kontinente vorzudringen. Das ist ja im Prinzip nichts Neues. Auch vergangene Generationen zogen schon in die Fremde, um an der Seite von Old Shatterhand, Sherlock Holmes oder den Fünf Freunden (Julian, Dick, Anne, George und Timmy, der Hund) allerlei Abenteuer zu bestehen. Nur heute sucht man die magischen Momente in Gilden, in Spielergemeinschaften, in denen sich anfangs Fremde miteinander Herausforderungen stellen und in der Folge auch besser kennenlernen. Das Kennenlernen geschieht zwangsläufig, wenn man sich über Wochen täglich für mehrere Stunden verabredet, um das Spiel voranzutreiben. Anfangs haben die meisten Spieler abends und nachts am ehesten Zeit, da noch der eine oder andere berufstätig ist und Familie hat.
Auch das ist nichts Neues. Jugendliche oder Familienväter haben sich schon immer nächtelang mit Freunden herumgetrieben und sind erst bei Morgengrauen wieder aufgetaucht, nur heute geht man dafür nicht mehr außer Haus. Im Idealfall werden sogar neue Freundschaften geschlossen, die man ganz gut gebrauchen kann, da die realen Beziehungen unter diesem exzessiven Internetspiel leiden und mitunter auch verloren gehen.
Zudem lassen sich beim Warten auf rivalisierende Gilden Annäherungsversuche mittels der Chatfunktion machen.
Orcus69: „Hallo Hexi! Ich glaube, heute schaffen wir den Durchbruch.“
Hexi: „Ja, war schon der letzte Fight le-gen-där!“
Orcus69: „Dank deiner Axt war der Troll schnell einen Kopf kürzer, LOL!“
Und dann gilt es, sich mehr oder weniger dezent an das Gegenüber heranzutasten.
Orcus69: „In Hamburg ist es heute ganz schön ruhig.“
Hexi: „Das könnte daran liegen, dass es zwei Uhr Nacht ist, hihihi!“
Orcus69: „Bei dir auch? Wo sitzt du denn?“
Hexi: „Zwischen einem Haufen Papier, hihi! In Floridsdorf, das ist gleich neben Donaustadt, hihihi! Im Ernst: Ich game in Wien!“
Alter, Hobbys, Beruf und Sternzeichen folgen, bis man sich schließlich an die Frage aller Fragen herantastet: Männchen oder Weibchen? Nicht, dass damit strategische Anhaltspunkte für die nächste Schlacht verbunden wären, aber der persönliche Kitzel im Tanz der Geschlechter macht schon einen zusätzlichen Reiz aus.
Orcus69: „Ich heiße übrigens Franzi. Und du?“
Hexi: „So ein Zufall, ich auch!“
Die Enttäuschung bei Hexi wäre nur mit PC-Kamera am Gesichtsausdruck abzulesen.
Orcus69: „Bei mir ist es die Abkürzung für Franziska. Und bei dir?“
Hexi strahlt: „Franz!“
Beziehungen entwickeln sich. Franzi und Franzi sind nicht die ersten Onlinerollenspieler, die sich auch im realen Leben verabreden, stundenlange gemeinsame Freizeitbeschäftigung schlägt sich letztlich auch im Beziehungsstatus nieder.
Letztlich zieht Orcus69 in die Wiener Vorstadt zu ihrem Hexi.
Dort „leveln“ sich die beiden nun Schulter an Schulter an zwei Bildschirmen nebeneinander durch die „Mists of Pandaria“, sehnsüchtig auf die nächste Spielerweiterung wartend. Zu ihren Füßen spielen drei süße Nachtelfen Lego, Ergebnisse aus romantischen Spielpausen. Nebenbei bemerkt, aber es versteht sich ohnehin von selbst: Es handelt sich um analoge, also reale Kinder, aber dafür um digitales Lego-Vergnügen, nämlich um die Lego Harry-Potter-Version für die Playstation.