Wir erinnern uns an das erste Konzert, das romantische Lied, das uns wie eine „Candle in the wind“ weich werden ließ. Dazu schwenkten wir über den Köpfen ein Feuerzeug, an dessen kleiner Flamme sich die Herzen wärmten und die Fingerkuppen verbrannten.
Heute werden Handys in die Höhe gehalten. Aber nicht um mit der Taschenlampenfunktion ein berührendes Leuchten zu entfachen. Nein, man will den Abend auf Fotos festhalten oder sogar ein Kurzvideo drehen – von seinem Star, zehntausend Zuschauern und Hunderten in die Höhe ragenden Mobiltelefonen. Und Tablets. Ja, auch damit kann man filmen, was wiederum das Sichtfenster der dahinter Stehenden unbarmherzig einschränkt.
Ein Video soll also entstehen, als Erinnerung, die man mit seiner Nachwelt teilen will. Oder sofort mit all seinen Freunden im Social Network. Immerhin sollen auch sie mitbekommen, wo man gerade seine Zeit verbringt, dass man zur elitären Auswahl gehört, die mit Robbie Williams im Stadion abhängt und seine Songs genießt. Elitär? Nur Minuten nach der Erstellung des Fotos mit dazugehörigem Text: „Ich mit Robbie! Voll geil! Wollte, ihr wärt auch hier!“ meldet sich das Gerät mit Vibrationsalarm und den Kommentaren: „Roooobbiiiiiiiiiiiiiie! Weeee looooove youuuuuuu!“
„Beneide dich. Bin im Pfarrsaal beim Flötenkonzert meiner Nichte.“
„Krass! Wir sind auch da! Zweite Reihe! Wo steckst du? Welche davon ist deine Nichte? Die mit der Panflöte?“
Für das Teilen von Fotos und Videos eignet sich am besten die Internetplattform Instagram. Mit Hashtags (also mit der Raute #) markiert werden die Fotos bestimmten Themenkreisen zugeordnet, damit sich nicht nur die Abonnenten des Fotografen auskennen. Also: #Robbie, #Concert, #forever. Schließlich soll die ganze Welt wissen, was man ganz persönlich mit „forever“ verbindet.
Um diese Festivals und Konzerte mit seinem Mobiltelefon ungestört genießen und gleichzeitig filmen, speichern, teilen etc. zu können, stellen die Mobilfunkanbieter extra Sendemasten auf, Akkuladestationen stellen Saft zur Verfügung und angeblich sind mobile Psychotherapeuten im Einsatz, um Besucher zu trösten, deren Handys verloren gegangen ist. Wo sind aber die Ersthelfer, die unsere Gesundheit vor Handystrahlung schützen? Man muss sich einmal die komprimierte Strahlungssituation vorstellen, wenn zehntausend Geräte ihren Muttersatelliten suchen. Ich verlange die verpflichtende Verteilung von Bleischürzen bei den Eingängen!
Die Tendenz ist klar: Statt den Moment des Livekonzerts zu genießen, wird er aufbereitet für die Zeit danach, genauer: für die Welt außerhalb des Live-Events. Ganz nach dem Motto: Das Erlebnis wird erst wertvoll, wenn ich die mir wichtigen Menschen daran teilhaben lasse.
Für den Konzertbesucher bedeutet das: Wenn er früher von Musikfans umgeben war, so ist er heute von Tausenden Kameraleuten umringt. Das Mitgrölen und Tanzen, noch vor einem Jahrzehnt Ausdruck von ultimativer Stimmung, ist heute tabu, denn es könnte das Bild verwackeln und den Ton gefährden. Der Fan von heute hält seinen Arm wie einen Kameraschwenkarm in die Höhe und die Luft an. Denn die vielen hundert Euro, die in das neueste iPhone gesteckt wurden, sollen sich ja lohnen.
Wenn man bedenkt, dass vor Kurzem bei vielen Konzerten noch absolutes Fotografierverbot geherrscht hat, so geben heute die Handys den Ton an. Auch wenn das Kameraverbot nach wie vor nichts an Gültigkeit verloren hat, so werden die Smartphones nicht als solche gesehen. Wäre für die Security wahrscheinlich auch zu mühsam, mit jedem Zuschauer beim Eingang über die Funktionen auf dessen Mobilgerät zu diskutieren.
Man darf gespannt sein, wie lange die Veranstalter von klassischen Konzerten ihr Publikum noch im Griff haben und das Fotografieren unterbinden können. Und ab wann wir das erste Neujahrskonzert im Fernsehen sehen, bei dem die Zuschauer beim Radetzkymarsch nicht mehr im Takt mitklatschen können, weil sie ihr Handy halten müssen.
Musik hat sich ja tatsächlich durchgesetzt. Auch wenn die meisten von uns kaum öfter als zweimal im Jahr singen (einmal zu Weihnachten und einmal bei der Gehaltserhöhung), und niemals das Tanzbein schwingen, so hören wir doch Musik. Schon weil sie uns von Hunderten Radiosendern angeboten wird. Die Technologie, die es uns mittels Radiowellen erlaubt, Töne zu transportieren, wird hauptsächlich dafür verwendet, uns Lieder zu senden. Als inszenierte Botschaften, mit reduziertem, aber melodiös betontem Text, erreichen sie mit Instrumenten und Rhythmus unsere Gefühlswelt. Wir hören lieber „Hum-Ta-Ta“ oder „youuuuuuuuu-uhuuuuuuu-uhuuuuu-u-u-u-u-uuuuuuu-uuuuuu-iuuuuuu“ (aus „I will always love you“ von Whitney Houston) als philosophische Ansätze zum Thema Nachhaltigkeit und Weltfrieden. Vieles ist leichter mit Musik, beschwingt bewegt man sich durch den Tag mit all seinen Herausforderungen. Mittlerweile mit dem iPod oder zahlreichen Smartphones rund um die Uhr.
Das Ding in unserer Hand, in unserer Hosentasche, an unserem Gürtel, in der Handytasche: Es lässt uns nicht nur telefonieren, fotografieren, vibrieren und kommunizieren auf den unterschiedlichsten Ebenen, es versorgt unsere Seele vor allem mit Melodien, die uns kraftvoll durchs Leben stampfen lassen oder uns willenlos wie Zombies durch die Straßen führen. Womit klar ist, warum wir das Handy, gleichzeitig unser Schlüssel zur Musik und eigentlich auch unser bester Freund, auf das Konzert von Robbie Williams mitnehmen und es huldigend in die Höhe halten.