Wo immer noch Menschen zusammenkommen, sei es im privaten Kreis oder in der Öffentlichkeit, gibt es einzelne Exemplare, die uns mit Geschichten, Witzen und Episoden aus ihrem Leben oder dem Leben jener, die glücklicherweise deren Wege kreuzten, unterhalten.
Beim privaten Spieleabend, bei einer Geburtstagsfeier oder im Restaurant sitzt man gerne beisammen und lauscht jenen, die noch etwas zu erzählen haben, die noch nicht samt ihrer Aufmerksamkeit in ihren Handys verschwunden sind. Aber auch hier droht bereits Gefahr: Früher konnten hemmungslos Geschichten erzählt werden, die sich kein Autor von billigen TV-Soaps ausdenken konnte, gespickt mit Verweisen in die Historie und die aktuelle Politik. Heute warten die Wächter mit dem Smartphone vor sich auf ihren Einsatz.
„Letzten Sommer war ich am Kap Hoorn Karpfenfischen. Es war so genial. Es hat mich zwar ein Jahresgehalt gekostet, aber es war jeden Cent wert. Mit der Angelrute in der Sonne liegen und warten, bis sie anbeißen. Kann ich nur empfehlen.“
Klingt doch spannend, oder?
Der Spielverderber an seinem Minicomputer sieht sich gefordert:
„Vor Kap Hoorn findest du mehr Piraten als Karpfen, denn Karpfen sind Süßwasserfische.“
„Das meine ich ja: Genau das Abenteuer habe ich gesucht! Es war ein furchterregender Anblick, wie die Piraten mit ihrem Fünfmaster am Horizont auftauchten, die Totenkopfflagge flatterte im Sturm, sie schwangen ihre Säbel, sangen Seeräuberlieder, als plötzlich …“
„Laut Wikipedia benutzen moderne Piraten hauptsächlich Maschinengewehre!“
Sie merken es selbst: Wem will man lieber zuhören: dem Entertainer? Oder dem Besserwisser?
Noch ein Beispiel gefällig?
Bildungspolitik.
„In meinem nächsten Leben werde ich Lehrer! Ein Halbtagsjob und rund zwölf Wochen Ferien, und außerdem hab dann immer ich recht!“
Zustimmendes Nicken in der Runde, der Nächste greift den Faden auf.
„Und wenn ich nicht mehr will, vertschüsse ich mich in ein Burn-out und mache ein halbes Jahr Pause!“
Auch die Tante kommt zu Wort: „Außerdem ist das einer der letzten Berufe, bei denen man die Zeit mit den eigenen Kindern koordinieren kann.“
Der Onkel meldet sich: „Und je länger man durchhält, desto höher das Gehalt! Bei Exkursionen mit den Kids wird man fürs Spazierengehen bezahlt!“
Das Kind quietscht: „Ja!!! Schule bis zur Pension!!! Nie arbeiten müssen! Cool!“
Und auch der Opa trägt etwas bei: „Zu meiner Zeit mussten wir nicht nur im Turnunterricht strammstehen, die Lehrer unterrichteten in Uniform, wir gehorchten bedingungslos. Ja, die Nazis wussten schon, wie sie ihre Ziele erreichten.“
Eine bunte Vielfalt des Vergnügens. Nur einer fällt aus der Reihe, schaut dauernd auf sein Handy und drückt herum. Auch, wie sollte es anders sein, ein Lehrer sitzt in der illustren Runde, die sich natürlich ein Kontra erwartet, damit eine spannende und unterhaltsame Diskussion zustande kommt. Ein Kontra, das selbstredend keine Chance haben wird, wenn man sich die vorgebrachten Argumente ansieht.
Alle starren ihn an, den Lehrer. Der hält kurz inne, dann spricht er endlich: „Habt ihr Opa seine Tabletten nicht gegeben? Die Nazis waren scheiße, aber Opa, du bist 1950 auf die Welt gekommen, ich habe auch keine Ahnung von welchen Uniformen du da sprichst. Meinst du vielleicht die Pfadfinder? Ja, ich bin Lehrer und schätze wie jeder andere auch meine Freizeit. Die aber nicht beginnt, wenn ich das Schulgebäude verlasse. Ich muss zu Hause die nächste Schularbeit und den nächsten Schulausflug vorbereiten, während ich nebenbei meinem Sohn bei der Hausübung helfe, weil seine Lehrerin nicht imstande ist, ihm zu erklären, wie man zweistellige Zahlen addiert. Mein großartiges Gehalt wird noch die nächsten 40 Jahre in die Kreditrückzahlung für unser Reihenhaus und die Handyrechnungen des Kleinen fließen. Und apropos Hausübung: Meine fünfte Klasse hat mir ihre per E-Mail geschickt und ich muss jetzt weiter verbessern. Entschuldigt mich bitte.“
Sprach‘s, nippte kurz an seinem Kaffee und versenkte sich wieder in sein Mobiltelefon.
Dies zeigt, wie Handybenützer die Stimmung zerstören können. Zwar etwas anders gelagert als erwartet, aber … Erwartungen werden ohnehin oft überbewertet. In jedem Fall stehen wir in einer Konkurrenz zu den digitalen Spielverderbern. Nüchterne Fakten drohen spannende Streitgespräche zu unterminieren. Statt mit dem Bauchgefühl und glasigen Augen mitzufiebern, müssen wir mit rauchendem Kopf schlüssigen Argumentationsketten folgen. Ein paar Mal gedrückt und gewischt und wir wissen: Goethe war Freimaurer, Schiller war Bettnässer und Shakespeare ist ein Pub in Innsbruck. Wo bleibt da der Spaß?