„Laut unseren Aufzeichnungen der Telekom-TV-Videothek wurde der Film ‚Sexy-High-Heels-School‘ am 14. Jänner dieses Jahres um 8.15 Uhr von Ihrem Anschluss konsumiert.“
Wer kennt das nicht? Mühsame und lange Telefonate mit einer unterbezahlten Callcenter-Dame, die ihren Dienst abwickelt, indem sie uns im Auftrag eines Unternehmens etwas verkaufen oder, wie hier, die Interessen eines Unternehmens über unsere stellen will. Über Marketingstrategien sollen wir zu Kunden werden, Dinge oder in diesem Fall Filme konsumieren, von deren Existenz wir bis vor Kurzem nichts geahnt haben, die dann automatisch abgerechnet werden. Erst wenn wir nicht schnell genug bezahlen, bekommen wir es mit Menschen zu tun. Diese agieren allerdings nach ihren Schulungen vor allem gewinnmaximierend für das Unternehmen, für welches sie arbeiten.
Aber nicht nur das Telefonat selbst ist vorhersehbar anstrengend, sondern auch der Weg zum Gespräch. Nach der Eingabe der Telefonnummer landet man in einer Art elektronischer Roulettehalle, bei der man seine Wünsche genannten Zahlen zuordnen muss.
„Haben Sie Fragen zur Abrechnung, drücken Sie die Taste 7, bei Fragen zu technischen Problemen drücken Sie die 8, bei Fragen zu unseren Videoangeboten die 9.“
Nun kann man in seinem Hirn ein Glücksrad anwerfen, um die Entscheidung zu erleichtern. An wen soll man sich tatsächlich wenden, wenn ein Film, wahrscheinlich durch einen technischen Fehler, falsch verrechnet wurde? Alle drei Ziffern sind möglich und dennoch muss man damit rechnen, dass man bei mindestens zwei falsch verbunden ist. Und gerade bei einem heiklen Thema will man die Anzahl der Gesprächspartner eher gering halten.
Sie wählen die 9.
Leider falsch. „Da es sich um einen bereits konsumierten Film handelt, muss ich Sie an die Abrechnungsabteilung verweisen.“
Konsumiert? Wer sagt das? Was, wenn es ein technischer Fehler war? Mit neuer Entschlossenheit drücken Sie die 8.
Wieder falsch. „Wir sind nur für die Herstellung im Hardwarebereich zuständig. Aber wenn Sie da eine fragwürdige Abrechnung vermuten, würde ich mich an die entsprechende Abteilung wenden. Da sitzen Mitarbeiter, die auf Fälle wie Sie warten.“
Was stimmt. Denn Sie drücken die 7, erklären, dass, wahrscheinlich durch einen Fehler, ein falscher Film auf Ihrer Monatsrechnung gelandet ist. Die Formulierung „auf Fälle wie Sie warten“ hätte uns auf das Kommende vorbereiten können. Nach einer kurzen Pause verkündet eine Stimme mit dem Charme einer Finanzministerin in der Budgetverhandlungsphase:
„Laut unseren Aufzeichnungen der Telekom-TV-Videothek wurde der Film ‚Sexy-High-Heels-School‘ am 14. Jänner diesen Jahres um 8.15 Uhr von Ihrem Anschluss konsumiert.“
Mit anderen Worten:
Punkt 1: Sie lassen sich doch sicher keinen Film verrechnen, den Sie nicht gesehen haben, wie auch immer der auf Ihre Rechnung kommt, der obendrein noch dumpfen Sexismus verbreitet, wie schon der Titel verspricht. Eine mühsame Diskussion mit dem Callcenter des Anbieters muss geführt werden.
Punkt 2: Der Telefonanschluss läuft vielleicht auch noch auf Ihre Frau, die sicher nicht will, dass ein platter Sexfilm über ihren Namen, ihr Konto und ihren Lebenslauf abgewickelt wird.
Punkt 3: Sie haben den Film unter Umständen tatsächlich abgerufen, was aber weder Ihre Frau noch den Telekomanbieter interessieren sollte. Wenn möglich.
Punkt 3 wäre nicht nur peinlich, wenn man die Tatsache mit jemandem besprechen soll, sondern auch weil Pornografie im Internet kostenlos konsumierbar ist. Warum also tappt man in solch eine Videothekfalle? Der Bildschirm des TV-Flatscreens war deutlich größer als der des Laptops. Bis heute haben Sie es nicht geschafft, das Internet auf dem TV-Schirm abzurufen. Und außerdem sind Sie ein Mann und damit vielleicht etwas triebgesteuerter als die andere Hälfte der Menschheit. Die Diskussionsbeiträge in Ihrem Kopf zum Thema Sexismus, Ausbeutung der Frauen und den im Vergleich zu Ingmar-Bergman-Filmen schwachen Dialogsequenzen waren immer leiser geworden, die Lust hatte sich ausgebreitet: „Kaufen“ wurde angeklickt – sorry, das waren die Hormone! Da können Sie letztlich so gut wie nichts dafür. Konkret machen Sie das Testosteron dafür verantwortlich, das Ihre Blutbahnen unsicher macht und Sie für seine Spielchen missbraucht.
Eine Stimme räuspert sich am anderen Ende der Leitung und holt Sie ins Gespräch zurück: „Ein Fehler ist auszuschließen, wir müssen Ihnen den Film in Rechnung stellen!“, argumentiert die weibliche Stimme. Und: „Sie hätten sich so etwas ja wirklich nicht ansehen müssen!“
„So etwas? Immerhin haben Sie ‚so etwas‘ im Angebot!“, mögen Sie kontern.
„Typisch Mann“, gibt sie zurück, „bei nackten Tatsachen nicht widerstehen können und danach der große Katzenjammer, ‚es tut mir so leid‘, ‚kommt sicher nicht mehr vor‘ und ‚es hat mir überhaupt nicht gefallen‘. Aber wer den Genuss hat, soll auch dafür bezahlen, so einfach ist das!“
Sie erwidern elegant: „Frauen sind da nicht viel besser. Ich erinnere nur an 1.000.000 Shades of Grey. Von 100 Lesern sind 110 weiblich. Da geht’s ganz schön zur Sache. Zwar erst nach hundert Seiten Langeweile, aber dann deftiger als in der Sexy-High!“
Die Finanzministerin gibt nicht auf: „In diesen Büchern geht es um die wahre Liebe in all ihren Facetten und um nichts anderes. Und Lesen regt ja die Fantasie an, und Gedanken sind frei.“
Darauf haben Sie nur gewartet: „Und warum sind in den letzten Monaten so viele Brustnippelklemmen verkauft worden, wenn es nur um Gedanken geht?“
Schweigen. Sie haben gewonnen!
„Die 5,90 Euro sind bis nächste Woche fällig“, kurz, bündig und gekränkt.
Noch nicht gewonnen.
„Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als den Anbieter zu wechseln!“, Sie spielen die entscheidende Trumpfkarte.
Nach einem neuerlichen kurzen Schweigen verkündet die Stimme: „Den Betrag müssen Sie trotzdem begleichen.“
Sie ziehen die Karte wieder zurück. Jetzt hilft nur noch die blanke Wahrheit.
„Ich muss Ihnen die Wahrheit sagen. Ja, der Film wurde gekauft. Von … von meinem Sohn, Jerome. Er ist ein mustergültiger 17-Jähriger, immer höflich und gepflegt, aber an diesem Tag war er krank und alleine zu Hause. Jetzt soll seine Mutter nicht erfahren, dass er unser Vertrauen missbraucht hat.“
Kurzes Schweigen.
„‚Sexy-High-Heels-School‘ ist erst ab 18. Das hätte er gar nicht sehen dürfen“, erklärt die weibliche Callcenter-Stimme.
„Sie haben vollkommen recht. Seit diesem Tag verhält er sich auch sehr seltsam. Immer wieder will er von uns wissen, wie er mit seinen Klassenkolleginnen ins Gespräch kommen kann. Und ob ich als Schüler auch von einer Traumhochzeit auf Hawaii mit meiner Geografielehrerin geträumt habe. – Es war meine Schuld. Wir haben den Code neben dem TV-Gerät liegen. Er konnte sich offensichtlich auch Programme ansehen, die nicht für sein Alter geeignet waren.“
Jetzt haben Sie gewonnen. Die Frauenstimme hat eine Lösung gefunden, die Worte „Fehlbuchung“, „Zurücksetzung der Zahlungsaufforderung“ und „Jugendamt verständigen“ sind gefallen, dann hat sie aufgelegt.
Hat sie wahrscheinlich nicht. Sie hat wohl eher mit ihrem Finger eine Stelle auf dem Bildschirm ihres Gerätes berührt, womit die Verbindung unterbrochen ist. Aufgelegt hatten wir früher, in unserer Kindheit. Das waren Zeiten: am Anfang mit Viertelanschluss. Da hatte man sich einen Anschluss mit anderen Haushalten geteilt und musste warten, bis die Leitung frei war, um selbst zu telefonieren. Telefonate waren wohlüberlegt und kurz, weil sie auch sehr teuer waren. Außer man war verliebt. Dann konnten auch Stunden vergehen und nichts war zu teuer. Auch mit Ihrer Frau hatten Sie damals lange Gespräche geführt. Das war, bevor sie zusammen wohnten und bevor sie Ihre Töchter bekommen hatten. Heute sind Sie aber vor allem Jerome dankbar, dem idealen Sohn, immer brav, lieb, tüchtig, nur leider bis jetzt noch ungeboren.